Keine Nazis auf der Buchmesse
Offener Brief der Student*innen, Ehemaligen und Mitarbeiter*innen
der deutschsprachigen Literaturinstitute an die Stadt LeipzigWir, Student*innen, Ehemalige und Mitarbeiter*innen der deutschsprachigen Literaturinstitute, treten für eine solidarische Gesellschaft ohne Diskriminierungen ein. Wir sind wütend über die Entscheidung der Leipziger Buchmesse, auch in diesem Jahr wieder rechte Zeitschriften und Verlage auf der Messe zuzulassen. Die Leitung der Leipziger Buchmesse trägt durch diese Entscheidung eine Mitverantwortung dafür, dass sich rassistische, sexistische, geschichtsrevisionistische und homophobe Positionen in Parlamenten und auf der Straße normalisieren und etablieren konnten und weiterhin können.
In diesem Jahr werden erneut unter anderem das ‚Compact Magazin‘, die ‚Junge Freiheit‘ und der Verlag ‚Edition Antaios‘ auf der Leipziger Buchmesse ausstellen. Diese Medien haben sich zum Sprachrohr und Stichwortgeber der neuen Rechten entwickelt. An ihren Ständen sollen zum Beispiel der wegen Volksverhetzung verurteilte Autor Pirinçci und der verschwörungstheoretische Publizist Elsässer sprechen.
Die Vorgänge auf der Frankfurter Buchmesse 2017 haben gezeigt, dass die Rechten jede Bühne zu nutzen wissen, die ihnen geboten wird. Es ist fatal anzunehmen, dass sich rechte Positionen erübrigen, wenn man ihnen dort mit Argumenten begegnet. Es muss stattdessen darum gehen, menschenverachtenden Positionen den Raum zuzuweisen, den sie verdienen: Außerhalb des demokratischen Meinungsspektrums, außerhalb von dem, was zur Diskussion steht.
Wir wehren uns dagegen, Dinge zu verhandeln, die in einer offenen Gesellschaft nicht verhandelbar sind. Wir wünschen uns die Leipziger Buchmesse als einen Ort der Vielfalt – deshalb darf dort kein Raum für jene sein, die die Vielfalt bekämpfen wollen. Wir wissen, dass rechte Medien den ideologischen Nährboden für rechte Gewalt bieten. Wir werden rechter Hetze entgegentreten – auf der Buchmesse und überall.
Deshalb fordern wir, dass die Stadt Leipzig als 50%ige Anteilseignerin der Leipzig Messe GmbH Position bezieht und auf einen Ausschluss der rechten Zeitschriften und Verlage hinwirkt. Hausordnung und Teilnahmebedingung der Leipziger Messe sind änderbar – sofern ein politischer Wille besteht.
Heute fiel mir dieser offene Brief in die Hände (besser gesagt, ich fand ihn in meinem Posteingang). Ich hielt ihn zunächst für einen Aufruf, sich in Acht zu nehmen vor einschlägigen Verlagen und Zeitschriften, die auf der Buchmesse vertreten sind und die rechtes Gedankengut und diskriminierende, verschwörungstheoretische und geschichtsrevisionistische Ausführungen verlegen und verbreiten. Das hätte meinen Applaus gefunden: Aufklärung, Hinweis, eine klare Position. Man muss sich diesem Unsinn entgegenstellen und für Vernunft, Anstand, Nächstenliebe, Empathie etc. werben und kämpfen.
Stattdessen musste ich schockiert feststellen, dass es hier um einen Ausschluss der Verlage & Zeitschriften von der Messe ging. Nun, schockiert ist vielleicht etwas zu krass ausgedrückt. Irritiert vor allen Dingen. „Wir“, steht in diesem Brief „treten für eine solidarische Gesellschaft ohne Diskriminierungen ein“. Aha – und deshalb wollt ihr anderen ihre Teilhabe an der Gesellschaft, ihre Meinungsäußerung verbieten? Nur weil ihr sie nicht teilt? Das klingt irgendwie … diskriminierend. Und ich will damit nicht den Rechten nach dem Mund reden, #Opferrolle. Aber trotzdem: es bringt doch nichts Feuer mit Feuer zu bekämpfen oder zu sagen: ja, es gibt sie, aber ich will sie nicht sehen.
Ich weiß auch, dass die genannten Verlagserzeugnisse und Zeitungen nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt wurden. Auch mir sind sie aufs Äußerste zuwider und ich erwische mich selbst dabei, wie ich ihre Dreistigkeit am Liebsten verbieten würde. Aber wir leben nun mal in einer Gesellschaft, in der Meinungen frei sind (sofern sie nicht klar gegen ein Gesetz verstoßen, welches die Unantastbarkeit der Persönlichkeitsrechte eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen schützt). Vieles, was in den genannten Verlagen & Zeitungen gedruckt wird, ist geschmacklos, verhetzend und mehr und ich will sie keinesfalls verharmlosen – sie sind gefährlich. Aber das sind andere Sachen auch, die wir ebenfalls nicht verbieten. Aus gutem Grund! Denn unsere Gesellschaften sind darauf ausgelegt, dass jedes Individuum sich entfalten kann. Dass diese Freiheit eben nicht zur Folge hat, dass der Mensch sich zum liebenswertesten Geschöpf mit Verständnis für alles und jeden entwickelt, haben schon die Aufklärer verwinden müssen. Und man kann sich kein perfektes Menschengeschlecht heranzüchten durch Verbote – gerade das haben Autoritäre, wie es die Rechten größtenteils sind, in den letzten Jahrhunderten lernen müssen. Verleugnen wir also nicht einen der wesentlichen Kerne der linken Idee: dass eine bessere Welt dort entsteht, wo man gegen die Verbote arbeitet – und nicht mit ihnen.
Man kann am Ende nur für das Einstehen, an das man glaubt und dergleichen hätte ich mir von den Studierenden und Mitarbeiter*innen gewünscht. Positives Eintreten für das, was wichtig und schützenswert ist. Und nicht wieder eine Verteufelung der Rechten, die wirkt, als glaubten die Autor*innen, dass alles gut wird, wenn nur die Compact oder die Junge Freiheit nicht mehr zu den Ausstellern der Leipziger Buchmesse gehören.
Wenn unsere Gesellschaft und unsere Werte ein paar lächerlich-bizarre Verlage und Zeitschriften nicht aushalten (ich weiß, sie haben Macht und sind gefährlich – ich finde sie trotzdem lächerlich und bizarr), wenn wir im Angesicht ihrer Präsenz Verbot schreien, wie soll das jemanden überzeugen, dass wir auf unsere Werte und die Argumente & Emotionen dahinter vertrauen. Es mag wie ein richtiges Zeichen erscheinen, aber es wäre genau das falsche Zeichen, wenn die Verlage der Buchmesse verwiesen werden würden.
Wenn wir die Rechten aus der Gesellschaft drängen, werden sie deswegen nicht verschwinden; sie werden andere Wege finden. Besser wir setzen uns jetzt mit ihren Schundschriften auseinander, als später mit gewählten Politiker*innen, die ihre Meinungen im Parlament vertreten oder, noch schlimmer, mit gewaltbereiteren Abarten, die entstehen könnten, wenn wir den Diskurs nicht suchen und austragen.
Und: ja, mir ist es auch zuwider mit Rechten über Dinge zu reden, die ich nicht für verhandelbar halte. Aber wiederum: was soll ein Ausschluss bringen? Wirkt er nicht letztlich engstirnig, überzogen? Oder schlimmer: unterdrückend? Fragen sich die Leute dann nicht: warum haben die so eine Angst vor denen, was steht denn in deren Büchern/Zeitungen so Ungeheuerliches?
Und, damit eins mal klar ist: mich mit anderen Meinungen zu Themen, die ich nicht für verhandelbar hallte, auseinanderzusetzen, heißt für mich nicht, die Dinge zu verhandeln oder zu sagen, dass sie verhandelbar sind. Es bedeutet für mich, nachzuweisen, dass sie eben nicht verhandelbar sind und damit die Position dieser Idee, für dich eintrete, zu stärken (und es bedeutet außerdem, nicht zu leugnen, dass es noch immer problematische Meinungen gibt). Das ist oft entnervend und frustrierend – aber auf diese Weise haben sich viele emanzipierte Vorstellungen, die heute in der Mitte der Gesellschaft stehen, durchgesetzt, so und nicht anders.
Auch unsere liberalen und emanzipierten Vorstellungen sind, so sehr ich auch jederzeit für sie eintreten würde, Meinungen und keine Dogmen. Ich glaube fest daran, dass sie jeder Argumentation und jedem Angriff standhalten und sich letztlich durchsetzen werden – sonst wären es nicht meine Überzeugungen.
Natürlich wäre es schön, wenn die Messe und die Stadt Leipzig sich positionieren und darauf hinweisen würden, dass diese Verlage und Zeitschriften aus diesen und jenen Gründen mit Vorsicht zu genießen sind – weil zum Beispiel straffällige, gewalttätige oder hetzende Personen zu den Autor*innen gehören. Es gibt da genug Argumente, die interessierte Leute abschrecken oder nachdenklich stimmen könnten – und wenn sie das nicht tun, dann würden diese Leute vermutlich eh ihren Weg zu diesen Medien finden. Dafür bräuchten sie keine Buchmesse. So gesehen wäre die Buchmesse, wenn Warnungen und klare Fakten ausgesprochen und in Umlauf gebracht würden, sogar eher eine Gelegenheit, diese Verlage in Misskredit zu bringen, als dazu geeignet, ihnen eine Bühne zu verschaffen.
Wenn jemand eine Straftat begeht, sollte er dafür belangt werden, ganz gleich, welcher Gesinnung er ist, das ist klar und muss unmissverständlich festgehalten werden. Und nochmal: ich will nichts verharmlosen und auch nicht das Engagement der Unterzeichner*innen schmähen – ich glaube nur, dass dies nicht der richtige Weg ist. So landen wir in einem zu einfachen Gut-Böse-Schema – wie es die Rechten oft praktizieren. Da sollten wir nicht mitspielen.
Wir sollten nicht sagen: ihr seid böse, ihr müsst weg. Wir sollten sagen: ihr seid dumm – und wir können allen genau sagen, warum. Das halte ich für die bessere, effektivere und letztlich auch schönere Drohung.