“Watchmen” – Eines der großen Werke der Moderne


WatchmenQuis custodiet ipsos custodes? ” (Wer wacht über die Wächter?)
Juvenal

Einen Kanon, eine Liste der “lesenswerten” oder “wichtigen” Büchern feszutlegen, mag vermessen sein und auch unter vielen Gesichtspunkten stets misslingen, erst recht in Größenkategorien von 100 oder 50, dennoch scheinen einen besimmte Werke förmlich dazu aufzufordern, sie auf solche Listen zu setzen – sei es wegen der Ausprägungen der Figuren oder der gelungenen Umsetzung der führenden Motive, die weit über sich hinausweisen.

Die Kette solcher Bücher, Comics, Filme zieht sich wohl durch das gesamte Leben; eine Liste von bewegenden, aufwühlenden, prägenden Erlebnissen, die in endlosen Diskussionen mit Freunden und Bekannten immer wieder zelebriert werden.

Einige sind darunter, die einer Art Erweckung gleichen, aus der eine ganze Welt oder Vorstellung erwächst. So wird für manche z.B. der Disneyfilm die erste Berührung mit der romantischen Liebe gewesen sein, andere werden die Rede eines bestimmten Bürgerrechtlers oder Humanisten als erste Form integerer Kraft erlebt haben und für viele sind die Qualitäten der Literatur und ihre Möglichkeiten mit ganz bestimmten Büchern verbunden. “Watchmen” von Alan Moore gehört für mich zu diesen Werken, ist einer der Fixsterne in meinem Universum fiktionaler Faszination.

In jedem Fall ist dieses über 400 Seiten schwere Werk eine frühe Sternstunde der Graphic Novel. Nicht (allein), weil Optik und Spannung hier besonders ausgeprägt sind, sondern vielmehr, weil genial konzipiert ist, auf allen Ebenen und bis ins letzte Detail. Man kann “Watchmen” immer wieder lesen und jedes Mal sticht ein anderer Aspekt  hervor, jedes Mal wird ein andere Handlungsebene besonders faszinierend erscheinen; das Buch bietet die vielschichtige, facettenreiche Erfahrung, die normalerweise ein sehr gelungener Roman bietet.

Es ist, nicht zuletzt, ein unwiderstehlicher Mix aus mythologischem Hauch, apokalyptischem Wind, mit dem Fleisch zwischenmenschlicher Beziehung und einem klaren philosophischen Timbre, dem Rotz und der Gewalt des Antiheldentums und das Zwielicht einer Film-Noire-Geschichte, garniert mit historisch-sarkastisch-zynischen Seitenhieben und strukturiert durch narrative Abwechslung. Die Charaktere sind einzigartig, auf ihre Weise zwar besonders, aber dennoch tief verwurzelt in dieser schwer zu wiegenden menschlichen Existenz, die stets sich selbst bedroht.

Was sicherlich aus all dem hervorgehen dürfte: “Watchmen” ist ein großartiges Werks, das sich den meisten Kategorien erfolgreich entzieht, ohne die wichtigen Zutaten für jedes Comicerlebnis zu schmähen. Sicher, “Wachtmen” hat auch etwas Monströses an sich, oft muss man sich dem Tempo des Werkes anpassen, den Wechseln in der Dynamik. Aber es lohnt sich. Moore versteht es das Medium Comic und die Errungenschaften der literarischen Narration gleichsam für sich zu nutzen, von wieder auftretenden Motiven bis zu Geschehnissen, die der Interpretation der Leser*innen überlassen werden. Er hinterfragt zusammen mit dem Zeichner Dave Gibbons die Perspektive, die einzelne Panels in Comics liefern, er revolutionierte sein eigenes Genre, ohne es zu sprengen oder zu übersteigern.

Die Handlung von “Watchmen” zu erläutern, zusammenzufassen, übergeht in meinen Augen zu viele Feinheiten, weshalb ich vor einer Inhaltsangabe zurückschrecke. Natürlich dreht sich viel darin letztlich um Begriffe wie “Gerechtigkeit”, “Frieden”, “Freiheit”, aber Moores Ansatz ist eben nicht der konventionelle SuperHero-Ansatz und dementsprechend ist sein Werk um einiges pathosärmer und hintergründiger als viele andere Werke, selbst wenn diese die Modalitäten ihres Genres mitreflektieren. Moores Welt ist eine Welt der Zerrütung, eine Welt des Kalten Krieges, des Exodus. Am wichtigsten ist vielleicht, dass Moore seine Figuren nicht vor die Karren der oben erläuterten “großen” Ideen spannt. Sie sind eben keine Wächter, keine Beschützer im eigentlichen Sinne. Sie leben in der Postmoderne des Superheldentums, alles ist Karikatur oder Ironie, kein hehres Ideal kann mehr verdecken, dass Gewalt Gewalt erzeugt, dass Helden oft nur Spielfiguren auf den Brettern von den Mächtigen sind oder selbst zu machtgierigen Personen werden – in jedem Fall werden sie zu Karikaturen ihrer selbst oder werden wahnsinnig, zu Außenseitern. Gut & Böse, die Vorstellung eine solche Einteilung sei möglich, wird in “Watchmen” mehr als einmal auf die Probe gestellt, entkernt.

“Watchmen” bündelt und zerschlägt Ideen. Es ist wirklich eines dieser Werke für die Insel. Eines dieser Meister*innenwerke.

Nachtrag zur deutschen Version: Einige Übersetzungen aus dem Englischen sind auf Deutsch in der Tat, wie schon oft von Fans angemerkt, etwas schwerfällig und in vielen Szenen ist die englische Ausdrucksdichte einfach die bessere Wahl; auch sprachliche Kniffe und Doppeldeutigkeiten verlieren im Deutschen oft ihren Sinn, so spielt bspw. eine große Uhr eine wichtige Rolle (“watch” kann im Englischen ja sowohl ein Verb als auch ein Nomen sein) und auch einige Anspielungen bzgl. der Namen der Charaktere (etwa: Comedian), kommen viel besser rüber; der Schliff und die ambivalente Seite der Charaktere allgemein. Im Anhang der neuen deutsche Ausgabe wird immerhin auf einige dieser Probleme hingewiesen und sie werden gut erläutert.

Fazit:

Wichtig zu kennen:
🌟 🌟 🌟 🌟 🌟
Grafik:
🌟 🌟 🌟 🌟 🌟
Story:
🌟 🌟 🌟 🌟 🌟
Aufmachung (deutsche Übersetzung ist teilweise nicht top; englische Ausgabe bekommt 5 Sterne, obwohl diese Graphic Novel mit ihren 400 Seiten sehr wuchtig ist):
🌟 🌟 🌟 🌟

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