Casares Roman “Morels Erfindung”


Die großen Unbekannten der Literaturwelt, die vergessenen Phantasten, Denker, Individualisten und ihre Werke, habe ich immer als sehr reizvoll empfunden. Denn diese ihre Ceuvres scheinen auf seltsame Weise alle miteinander verbunden zu sein, durch die Originalität ihrer Ideen, durch ihre Innovationen in Raum-, Zeit- und Gedankensphären und natürlich wegen der komplexe Faszination, die sie bieten. Ich bin mir sicher: Würde man alle großen Werke von Ausnahmeliteraten wie Bioy Casares (oder Georges Perec, Djuna Barnes, Borges und Julio Cortazár etc.) versammeln und lesen, wäre man derart inspiriert, dass man wahrscheinlich selbst nicht darum herum käme, das Universum als eine Realität in sehr vielen verschiedenen Fassungen zu betrachten und das Spiel der Gedanken als ein Spiel des Lebens anzuerkennen, in dem auch das Phantastische, die Ideen jenseits der Realität, eine Wirklichkeit haben, weil sie als Ideen zur Dimension des Daseins dazugehören. Wie sagte Borges doch:”und wir wissen nicht einmal mit Sicherheit, ob das Universum ein Beispiel für phantastische Literatur oder für Realismus ist.

Nur wenigen ist Adolfo Bioy Casares ein Begriff; sehr viel bekannter dürfte eben sein enger Freud Borges sein, der auch ein kurzes Nachwort zu diesem Roman geschrieben hat; einige phantastische Geschichten und Kriminalerzählungen, haben die beiden zusammen verfasst, sie finden sich in den letzten beiden Bänden der Borges Werkausgabe (Mord nach Modell & Zwielicht und Pomp) und wurden von beiden Schriftstellern oft als ihre gelungensten Werke bezeichnet.

Bioy Casares war unter vielen Pseudonymen tätig und umfassend lässt sich die Größe und Form seines Werks heute kaum mehr kartographieren. Er hat viele Erzählungen geschrieben, im späteren Verlauf seines Lebens waren es häufig Liebesgeschichten, die er jedoch mit sehr vielen anderen Genres und einem phantastischen, historischen oder innerlichen Element verknüpfte. Seine Romane sind allesamt sehr Südamerikabezogen und deshalb schwer zur Weltliteratur zu zählen; die Ausnahme bildet dieses Buch, das weite Kreise gezogen hat; so wird Bioy Casares Buch heute sogar teilweise der Anstoß zur Idee für die Fernsehserie “Lost” zugesprochen.

“Die Musik stellte sich wieder ein, und ich stand da mit umflorten Augen, bestrickt von innerer Harmonie, erstarrt, bis ich mich im tiefsten entsetzte…
Eine Weile später ging ich zum Fenster. Das Wasser, hell und glanzlos auf der Scheibe, tiefdunkel in der Luft, ließ kaum etwas erkennen…”

Moderne SciFi ist meist nicht mehr bloße “Science”-“Fiction”. Der moderne Roman, der sich größtenteils von der einfachen Abenteuergeschichte abgewandt und dem psychologisch-realistischen Erzählen zugewandt hat, stößt im Genre des SciFi und der Fantasy immer noch an Grenzen, weil sich die Psychologie schwer in die abenteuerliche, phantastische Struktur dieser Werke integrieren lässt und oft die Faszination und Spannung dieser Werke mildern würde; doch die modernen Richtung dieser beiden Genres haben eine andere Form (bei Fantasy-Werken könnte man sogar sagen, das diese Richtung bei ihnen die erste war, wenn man “Der Herr der Ringe” als erstes/prägendes Werk des Genres bezeichnet) der Entwicklung gefunden: sie verknüpfen ihre Abenteuer oft mit Mystik oder metaphysischen Ansätzen. Gute Beispiele dafür sind Elemente wie die Macht in Star Wars und viele andere Filme und Bücher, die eine neue Welt dazu nutzen auch andere denkbare spirituelle und metaphysische Konzepte (manchmal zusammen mit besonderen Situationen oder komplett neuen Völkern) zu entwerfen.
Parabeln, Parodien, Metaphern, Gleichnisse, Anlehnungen, Anprangerungen, Satire u.v.a; der inhaltlich nach dem Ermessen des Autors zu gestaltende Raum bietet die Möglichkeit, durch andere Kunstwelten hindurch universelle Ideen und Fragen ins menschliche Bewusstsein zu säen. Wie sagte Coleridge: “Man halte der Welt einen Spiegel vor und sie wird glauben sie sähe bloß noch einmal, was sie täglich sieht; aber halte ihr ein Kunstwerk vor und sie wird versuchen zu ergründen, was es für sie bedeutet.”

Nun zum Roman:

Ein Venezolaner flieht vor der Justiz auf eine einsame, sehr kleine Insel; sie gilt bei den Kapitänen und Seeleuten als verflucht, doch gerade deshalb hofft der Mann dort vorerst sicher zu sein. Er findet drei Gebäude und diverse kleinere Anlagen vor, aber keine Menschen. Das “Museum”, ein hotelgroßes und auch so eingerichtetes Gebäude, dient ihm mit seinen Lebensmittelvorräten die nächsten Tage als Wohnplatz. Doch die erste Ruhe wird je von einer merkwürdigen Gesellschaft von Leuten unterbrochen, die jäh, von einem Tag auf den anderen, auf der Insel erscheinen und deren gesamten Bereich  (abgesehen von den Niederungen und dem Gehölz) für sich in Besitz nehmen. Schnell wird dem Leser jedoch klar, dass diese Menschen für den Protagonisten, der jetzt Tagebuch (das Buch besteht aus seinen Aufzeichnungen) führt, keine Gefahr darstellen, da sie ihn anscheinend weder wahrnehmen noch auf seine Versuche sie anzusprechen oder zu erschrecken reagieren. Der Protagonist hält dies für eine Finte, um ihn in Sicherheit zu wiegen, doch schon bald kristallisiert sich die Wahrheit heraus: Die Menschen auf der Insel waren hier, sind es aber eigentlich nicht mehr – geblieben ist eine Erfindung, die ihren Schöpfer überlebt hat und eine Idee von metaphysischer Tragweite besitzt…

Bioy Casares Sprache ist nicht immer glatt und schön, aber sie ist intelligent. Sie schafft es, sowohl die Verwirrung des Protagonisten, seine Gedankensprünge, aber auch sein gehetztes Wesen einzufangen. Trotzdem ist es nicht immer leicht das Buch zu lesen, gerade weil ein-zwei Teile doch etwas misslungen oder verkompliziert erscheinen. Im Ganzen war das Buch aber wirklich eine Offenbarung, zumindest was die Idee (und die Umsetzung der Idee) angeht und einige Nebenbemerkungen hier und da erscheinen einem wie perfekte Aphorismen.

Pageturnerspannung oder eine einfache Sci-Fi Story sollte man nicht erwarten; vielmehr ist dieses Buch tatsächlich wie ein realistischer Bericht verfasst und alles ist darauf ausgerichtet, aus einem bestimmten Blickwinkel die Geschichte zu erzählen und es wurde nicht versucht die Idee oder den Plot zugänglicher zu machen; der Leser muss größtenteils selbst mit- und gegendenken und kann sich schwerlich allein von den Aussagen des Berichts leiten lassen. Am Ende kommt es bei diesem Buch vor allem darauf an, wie man die Idee begreift und sie weiterdenkt. Der wahre Gewinn steckt nicht so sehr in der Handlung selbst, sondern vielmehr in ihrem Hang ganz und gar symbolisch zu sein. So symbolisch, dass sie einem mit ihrer Dimensionalität noch lange im Gedächtnis bleibt.

Link zum Buch

*diese Rezension ist teilweise schon auf Amazon.de erschienen

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