“Denn einer Masche gleich in den Geweben/ scheint unser Leben zwischen tausend Leben.”
“Gebt mir das Kästchen mit den goldnen Reifen
Den bunten Steinen und den kalten Ringen,
Ich kann das Leben anders nicht begreifen
Als in den Dingen.”
Marie Luise Kaschnitz ist wohl eine der eher unterschätzten Dichterinnen deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Trotzdem ist sie eine der wenigen, mit einem erhöhten Bekanntsgrad – auch wenn ihre Gedichte nicht unbedingt Besteller waren, erfreut sie sich bis heute doch einer großen, nur eben anonymen, Leserschaft. Im Januar des kommenden Jahres wäre sie 113 Jahre alt geworden.
“Wie lang und auch dein Haus gerät ins Wanken,
Wie lang und auch dein Werk erfährt Zerstörung,
Dann ist die Zeit, da Träume und Gedanken
Gereinigt stiegen aus den Fieberschauern.
Sei fest im Hoffen. Stark in der Beschwörung.
An Liebe reich. So wirst du überdauern.”
Die frühe Kaschnitz, das sind die Jahre von 1928 bis 1945/47. Genau wie im Fall von Peter Huchel wird diese erste Phase von gereimten Gedichten dominiert (die Gedichte aus den Kriegsjahren sind sogar fast ausnahmslos Sonette), bevor dann die Hauptschaffensphase beginnt, die viel von längeren und an die Form der Elegie angelehnten, moderner orientierten Gedichten geprägt ist. Mir haben diese frühen Gedichte, genau wie im Fall von Huchel, sehr gut gefallen, auch wenn sie gewiss keine übergroße metaphysische Tiefe aufweisen; dafür aber diese besondere Art der Einbeziehung des Lesers, mit Wortflächen herbeigeführte Berührungen auf einer bestimmten sinnlichen Ebene.
“O Ewigkeit der Sinne, denen Rose
Für immer Rose bleibt, ob auch indessen
Die Gärten schwinden und der Tag gewaltsam
Das freudige Haupt dir tief und tiefer zwinge.
Es wachsen neue Kräfte unaufhaltsam
Zum Herzen dir aus dem Bereich der Dinge.
Und schauernd, lauschend, ahnst du in der Zeit,
Der wandelbaren, die Beständigkeit.”
Marie Luis Kaschnitz ist keine Sängerin, sie ist keine Träumerin. Mit ihren Versen will sie, möglichst in einer vollendeten Geste, die Dinge einfangen, ihre Präsenz in Worten erfinden, ohne sie konkret zu nennen. Und wenn sie, wie im Vers, der dieser Rezension vorangestellt ist, eine Behauptung und Betrachtung macht, dann ist das, als würde sie einen Blick in den Spiegel werfen und schon der nächste Vers ist eine Erwiderung, eine Feinjustierung, eine Idee, die den Abschluss, die Vervollkommnung sucht.
Es ist eine Gefühlslyrik, die sich aber zurückzieht von jedem Hinausgehen über das Nahe, Fassbare. Kaschnitz versucht sozusagen nicht, in ihren Gedichten noch etwas in größere, ferner Verbindung zu setzten; lieber legt sie ihre Botschaft direkt in jede Zeile, die der Leser gerade liest, sodass sich das Bild mit jeder Zeile, Schritt für Schritt, erschließt, ohne dabei je im Unklaren über seine Räumlichkeit zu sein. Natürlich gibt es trotzdem auch Gedichte, die über sich hinausweisen. Aber im Prinzip herrscht bei ihr vor jedem Gedicht eine Art Dunkelheit und der letzte Satz ist die darin entstandene Kerzenflamme, jeder Satz davor ein Streichholz.
“Ach, vom Felsen, wo zum steilen Hange
Winde flügeln und die Welle bricht,
Irrt der Blick am weißen Säulenhange
Und er findet Licht und lauter Licht.”
In ihrer eher strengen Form erschaffen und entfalten diese frühen Gedichte trotzdem große Weisheit und Stabilität, wobei das letzte eine allgemeiner Wesenszug von Kaschnitz Lyrik ist, der mir so nur bei wenigen Dichtern begegnet ist; dieses Gefühl, dass nichts in der Dissonanz zwischen Metaphern oder Bildern verschwindet, dass das Gedicht quasi sich selbst bis zum Rand beim Lesen auffüllt, wie eine Schale mit Wasser, ohne überzulaufen, selbst wenn der Rand sehr niedrig ist.
Ich kann nur zum Schluss sagen, dass für jeden Freund der gereimten Lyrik diese ersten Gedichte sicherlich eine Fundgrube sind.
Die besten der Gedichte daraus finden sich natürlich auch in Sammelbänden, die beste davon: “Überallnie“.
Mit einer hauchdünnen, später hervorstechenden modernen Note, bewegte sich Kaschnitz stets zwischen Innerlichkeit, Impressionismus und Symbolismus. Feinsinn und ihre klare, gesetzte Art die Figuren ihrer Gedichte in ihre Verse einzuzeichnen, machen ihre Gedichte zwar unscheinbar, aber wertvoll. Sie sollte wieder gelesen werden.
“Was ist es, das an diesen Ort mich bannte
Und immer neu das Bild mich deuten ließ,
Da ich die Absicht nimmermehr erkannte,
Die solche Fülle schuf und leben ließ?
Ein Spiel der Schöpferkraft nur muss ich wähnen,
Ungleich gemischt aus Heiterkeit und Tränen,
So dünkt mich Schein und Finsternis verwirrend
Auch auf der Erde Angesicht gelegt
Und Menschen seh ich durch die Zeiten irrend
Von jedem Hauch getragen und bewegt.
Und doch erkenn ich Tag um Tag genauer:
Es wiegt die Freude schwerer als die Trauer.”
Was für ein wunderbarer Blog.
Vielen Dank! Die Existenz des Blogs wird langlebiger mit jedem, der ab und an hier liest!
Oh, ich habe gerade gedacht, hoffentlich lebe ich lange genug, um das alles zu lesen…
Ach, wieso das alles – jeder kann sich seine eigene Lebensbibliothek zusammenstellen! Aber es wäre natürlich schön, wenn einige Bücher sowohl hier als auch da vorhanden sind 😉