“An Trojas letztem Tag, o weh, ein Stürmen
Des Volkes zum Tempel: Welch ein Fest, die Kinder
Wanden Girlanden um das Pferd; so harren
Wir in des Löwen Rachen todgeweiht.”
Nicht umsonst ist Robert Lowell einer der sehr wenigen Dichter Amerikas, die es in die Weiße Reihe des DDR Verlages Volk und Welt geschafft haben: seine stets kritische Haltung seinem eigenen Heimatland USA gegenüber und sein unverbesserlicher Mahnungs- und Meinungsdrang von der linken Seite her, prädestinierten ihn für die Aufnahme, wenn diese Tatsache nicht sogar ausschlaggebend war – wie leider auch für die Auswahl der Gedichte dieses Bandes.
“Ihr Denkmal steckt wie eine Fischgräte
in der Kehle der Stadt.”
So schreibt er z.B. über ein Bürgerkriegsdenkmal.
Trotzdem war er in seiner Heimat sehr populär, auch gerade weil er anzuecken wusste und einen sehr eigenen Stil pflegte, der, mal persönlich, mal umfassender, die Probleme und Ränke des Landes einzufangen vermochte. Zweimal gewann er den Pulitzerpreis, beide Male für Gedichtbände.
“Seine Verzweiflung hat die Farbe
von Wischlappen und Wasser im verzinkten Eimer.”
Sprachlich gesehen ist er ein eher behäbiger, sängerischer, ausufernder Dichter, der meist auf strengen Formen besteht, bei denen der Reim mehr auferlegtes Stilmittel, den Klang ist. Immer wieder darin: kleine Kostproben wahrer poetischer Freistil-Bilder, aber immer nur ganz plötzlich, wie das Flimmern von Sonnenlicht auf trägen Ölschlieren.
Die Übersetzung ist eher mittelprächtig, aber immerhin versucht sie keine Nachdichtung, was bei Lowell auch schwer gelungen wäre, sondern begnügt sich mit einer ungereimten, an Takt und Metrum angelehnten Übersetzung. Das Nachwort ist aufschlussreich, aber natürlich in der DDR verfasst, weshalb politische Stellungnahmen unvermeidlich sind.
“Das Eis tickt mehrwärts wie eine Uhr.
Ein Neger röstet
Weizenkörner überm Koksfeuer
In einer durchlöcherten Tonne.
Chemische Luft
Streicht von New Jersey her
Und riecht nach Kaffee.
Jenseits des Flusses
Bräunen die Klippen von Vorstadtfabriken
In der schwefelgelben Sonne
Der unversöhnlichen Landschaft.”
Insgesamt ist Lowell mehr ein Dichter, mit dem man sich auseinandersetzen und den man studieren kann, als einer, der einem ein ungetrübtes Lesevergnügen beschert. Aber trotzdem lebt in seinen Gedichten etwas sehr Starkes, Natürliches, etwas ungewachst und ungeschöntes, eine Anwesenheit von Andacht und Werten, dass seine Verse trotz ihrer Rauheit und Schwere zu modernen Formen der Tradition des amerikanischen “Gesanges” macht, wie man sie ansonsten (und dann fröhlicher) von Walt Whitman oder Longfellow kennt.
Wer also eine Dichter sucht, dessen Belesenheit und Erhabenheit sich mit formaler Schwere und behäbiger Reverenz zusammentun, um kritische, wie forschende, wie betrachtende Gedichte zu schreiben, der sollte einen Blick auf Robert Lowell und seine Gedichtlegionen riskieren.
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