Monthly Archives: April 2014

Das Phantastische in der Upper-Class-Gesellschaft – Henry James Erzählungen in “Die Freunde der Freunde”, Bibliothek von Babel Band 11


Die Passion des großen argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges war die Faszination; sie ist ein Gut, das die Menschen von jeher dazu angehalten hat, die Welt zu deuten, zu preisen, zu durchleuchten und zu bewundern. Und vielleicht liegen die größten (teilweise fiktiven, imaginierten, irrationalen, teilweise wissenschaftlichen) Errungenschaften des Menschen gerade in dieser seiner Fähigkeit der Faszination begründet. Es ist das Staunen und der darin schon angedeutete Zug des Liebenswerten und Schönen, des Wahrhaftigen, Begriffe, die wir als die höchsten Auszeichnungen des Herzens sehen.

Borges war einer der eifrigsten und erfolgreichsten Sammler von faszinierenden Geschichten, und Ideen, entnommen aus Religion, Philosophie, Literatur und Ereignissen der Geschichte und eigenen Gedanken. Sein Werk spiegelt es wieder und ist im Grunde ein einziger, langer, offenbarender Kommentar zu den Wundern des Geistes und der Welt, dem tief verborgenen Anliegen unseres Lebens, sich immer wieder neu zu entfalten, neu zu gestalten, neue Impulse zu erfinden und zu empfangen. Ich kenne kein Werk, das mich so zum Denken und Vorstellen inspiriert hätte und auf keinen Fall eines, dass sich so oft mit immer neuen Ideen und Eindrücken wieder lesen lässt.

Wie bereits schon erwähnt, war Borges ein großer Sammler – er hat einige Anthologien herausgebracht, (im Deutschen erschienen sind eine über die verschiedenen Vorstellungen von Himmel und Hölle in den Weltreligionen/-mythen, “Das Buch von Himmel und Hölle”, eine Sammlung imaginärer Wesen aus allen Weltkulturen, “Einhorn, Sphinx und Salamander”, und ein Buch voller berühmter Traumerwähnungen/-szenen aus der Weltliteratur, das “Buch der Träume”) schrieb über zahlreiche Werke seiner Zeit und unbekannte Schriftsteller der englischen und amerikanischen Literatur, führte eine Liste mit herausragenden Kriminalromanen, die er gelesen hatte und stand Pate für die Bibliothek von Babel in 30 Bänden, die die Meisterstücke phantastischer Erzählkunst beherbergen sollte.

Band 11, “Die Freunde der Freunde”, ist Henry James, gewidmet, einem mehr gesellschaftlichen als wirklich phantastischen Erzähler; zwar schrieb er auch die einzigartig mehrdeutige Erzählung “The Turn of the Screw”, die drei (oder mehr) mögliche Erklärungen für den Handlungsverlauf zulässt und somit als phantastisch bezeichnet werden kann, aber er ist doch bis heute mehr für seine akribisch-gesellschaftlichen Romane bekannt, der berühmteste natürlich das “Bildnis einer Dame”. Nach der Lektüre drei der vier enthaltenen Erzählungen muss man dieses Bild vielleicht etwas revidieren.

Henry James ist ein eleganter, umsichtiger und dennoch sehr unterkühlter Erzähler, dessen Stärke ganz klar in der Schilderung und nicht in der Lebendigkeit der Erzählung liegt. Somerset Maugham warf seinen Romanen eine starke Technisiertheit in Charakteren und Handlungsverläufen vor, Chesterton stellte die Lebendigkeit seiner Figuren in Frage. Was für die Romane gelten mag, ist in den Erzählungen nicht vorzufinden: James Figuren haben eine sehr präzise Art sie selbst zu sein und auch wenn man sie niemals mit den Adjektiven authentisch oder echt auszeichnen würde, ist ihr Gehalt und ihre Ausformung im erzählerischen Rahmen, ihre Position im narrativen Geflecht, stets tadellos und keineswegs belanglos. Auch hat James nie mit Stereotypen gearbeitet, viel mehr haben ihn immer wieder andere Menschen, andere Bedingungen für seine Figuren interessiert. Das macht jede Geschichte auf besondere Weise einzigartig, in der Wirkung wie auch in der Nachvollziehung der Handlung, da jede Figur eine einzigartige Variable darin darstellt.

Mit James Sprache ist es so eine Sache – der nicht gerade immer zielgerichtete, sondern sich mehr in die Thematik der Geschichte vertiefende (in extremen Fällen versteifende) und manchmal in (aus heutiger Sicht) etwas umständlichen Formulierungen verfallende Stil ist sowohl im Englischen als auch im Deutschen eine Herausforderung für den Leser, wobei die vorliegende deutsche Übersetzung weniger den Vorzug des Originals hat, in dieser altmodischen Syntax einer gewissen Eloquenz und Eleganz nicht zu entbehren (dieser Satz von mir auch direkt als Beispiel für die etwas umständliche Art der Formulierung von James).

Die Geschichten selbst sind Musterbeispiele jener Literatur, die verschiedene Menschen zusammenbringt, um die Konflikte des menschlichen Wesen und die Erkenntnisse über selbiges aus dem Umgang zu filtern. Übergreifend geht es dabei in allen vier Texten um die Art, wie Menschen wahrgenommen werden und in wie weit die Identität und das Verständnis eines Menschen von gesellschaftlichen Umständen abhängig sind. Das diese Erzählungen dabei ins Phantastische stechen, gibt ihnen den Zug des Geheimnisvollen und es ist James sehr gut ausgeloteter Balance zu verdanken, dass die Geschichten trotzdem nie irreal oder grotesk werden – vielmehr berühren sie die Ränder des Unheimlichen, der Ungewissheit, die stets in den abgelegenen Räumen des Lebens präsent zu sein scheint, sich manchmal aber auch am Rande unseres Dasein manifestiert, andeutet, ein Ansatz abnormaler Tendenz, welcher uns dann und wann voll durchdringt.

Wer gerne altmodische Erzählungen liest und dabei Freude an phantastischen Elementen & Wendungen und einer Anwandlung des Rätselhaften findet, der kann mit diesem Buch nichts falsch machen und wird es in dankbarer Erinnerung behalten. Es ist vollmundig und lässt kaum einen Wunsch beim Leser offen, dafür gibt es ihm, mit der Mehrdeutigkeit im Wesen der Erzählungen, hier und da etwas zum Nachdenken und auch wenn die Geschichten keine Parabeln an sich sind, haben sie diese spezielle Wirkung, die so etwas wie tiefer eingesetzte Erkenntnis in dem Geschehnisgerüst der Narration vermutet. Diese spezielle Wirkung, welche die Geschichten nie ganz als abgeschlossen sehen kann, lässt die Idee der Texte noch lange nachglimmen.

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“Am Robbenkap” mit Robin Robertson


“Regen, sagtest du, ist verstärkte Stille.
Seit Tagen regnet es,
und selbst wenn es aufhört,
ist da noch immer ein Geräusch
von Regenwasser, das sich müht
auf irgendeinem Weg ins Erdreich zu dringen.”

Schottische und irische Dichtungen enthalten stets eine leichte Heimatverbundenheit; dieses Gefühl, oder besser: diese Regung ist nicht unbedingt zentrales Thema ihrer Gedichte, aber wo sie es nicht ist, hat ihre Lyrik dennoch einen Schatten dieser Verbundenheit inne, eine Art mit der Umgebung umzugehen und ihre Thematiken zu gestalten; kurz gesagt: sie bleibt als Einfluss auf der Ebene des Schreibens selbst. Das kann man in vielen Gedichten von Seamus Heany oder Paul Muldoon und auch bei Don Paterson, Robin Fulton oder John Burnside sehen. Und eben auch bei Robin Robertson.

“Stell dir mich als Wind vor – die Kraft,
von der Tiere und Vögel wissen,
dass es sie gibt, aber nicht bedrohlich ist:
Teil ihrer Welt, doch fremd.
Der Gott, der kommt; die Gottheit, die verschwindet.”

Beinahe die ganze große Dichtung der Moderne, von Ingeborg Bachmann über Robert Frost, Borges, Neruda, Hughes, Brodsky, Heany, Gustafsson, bis Tranströmer und Simic, bewegt sich zwischen dem fragilen Persönlichen, dem Erinnerten und Erlebten, und der allumfassenden Wirklichkeit (oder Unwirlichkeit) des Augenblicks und kreist um die Eindringlichkeit, mit der das eine um das jeweils andere wirbt; dabei wird, im Gegensatz zur deutschen Gegenwartspoesie, die ihr Heil allzu oft in einem funktionellen Reduktionsoverflow, mit Anklängen an englische Sprachmodalität sucht, weniger mit den definierten, als mit dem assoziativen Aspekt der Sprache (als Deuter, Kenner, Überbringer oder Überträger) experimentiert (wobei experimentiert hier ein allzu hartes Wort ist; vielleicht wäre “gearbeitet”, hätte es nicht einen allzu einfachen Terminus, fast besser). Ausdruck geht dabei nicht immer simultan mit dem einzelnen Begriff, dem einzelnen Wort einher, sondern mit einem langsam herausgebildeten Überbegriff, der sich aus allen Sätzen und Wörtern durch ihr Ineinandergreifen zu einer herauskristallisierten Botschaft verdichtet.

“Was der Schnee mit Pelz verbrämt hat bis hin
zu Stille und Gleichförmigkeit,
hebt der Frost heraus, macht es einzigartig;
gibt jeder Form einen Klang,
eine Umgrenzung,
als wollte Frost wissen
was Schnee zu vergessen sucht.”

Im Großen und Ganzen stehen Robertsons Gedichte auf den ersten Blick, wie die vieler moderner Dichter, außerhalb jeder Tradition, mal abgesehen von dem inhärenten Versuch, poetische Kontemplation zu betreiben. Und doch ist natürlich eine Tradition vorhanden – sie ist wie das Grundwasser für allerlei Arten von Pflanzen und Bäumen, die scheinbar unbeeinflusst von ihr aus der Erde sprießen.
Die moderne Poesie hat sich stärker auf einen Punkt konzentriert (und ihn erstmals vollständig erreicht), der eine der großen Möglichkeiten der Lyrik seit jeher darstellt: den persönlichen Ausdruck einer Existenz im Angesicht der aus allen Wortschöpfungen und ihrer Bedeutung zusammensetzbaren Abbildung von Abläufen, Beobachtungen, Zusammenhängen der Welt auf einem Blatt Papier, auf dem die Linien einiger Augenblicke, seien sie nun Geschehen oder Denken, seien sie oberflächlich, transzendental, wissend, unwägbar, hintergründig, inhärent, in- oder deduktiv, geistig oder physisch, aufeinandertreffen und, wenn das Gedicht gut ist, sich sofort wieder in alle Richtungen entfernen, ohne das man ihre Überschneidung vergessen kann.

Von diesem zentralen Punkt aus, schlugen die modernen Dichter dann verschiedene Wege ein. Manche vollzogen den Weg zu einem eigenen Sprachsatz, einer Chiffrierung ihres Seins in Buchstabenform (Celan, Bachmann, Sachs) andere machten sich die Präzision oder die Schwere und Leichtigkeit zu nutze (Neruda, Frost) und wieder andere verschmolzen ihr Wissen und ihr mythologisches oder mystisches Interesse mit ihrem eigenen Wesen und ihren Versen (Borges, Brodsky, Hughes) und natürlich gab es noch die, die aus der reinen Natürlichkeit ihrer Erfahrung kombiniert mit signifikanter Vorstellungskraft dichte(te)n (Simic, Gustafsson, Zagajewski). Und eine der wesentlichen, fast noch traditionellsten, Strömungen verband wiederum ihre persönlichen Erfahrungen, Gedanken und Interessen um die Komponente der zärtlich-ästhetischen Sprachblüten und, dies weiterentwickelt, der rein sprachlichen Illumination. (all diese Bestimmungen sind rein konstruktiver Art und nicht als Eingrenzungen oder alleinige Aussage über das Werk der Dichter zu verstehen, da eigentlich viele von ihnen mehreren Gruppen angehören müssten und diese Aussagen sich, wenn überhaupt, auch auf die Physis der Werke beschränken müssen und nicht ihren Gehalt oder ihre innere Ausrichtung.) Zu diesen gehören Zbigniew Herbert, aber auch Tomas Tranströmer und, um endlich zu diesem Band überzuleiten, die Gedichte von Robin Robertson.

“Der wilde Wein hat seine Kirche
im Apfelbaum errichtet: Scharlachrote
Spitzenarbeit, Wimpel, Ranken
aus Purpur und Bernstein,
hingen wie Adern in ihrem Wirt.
Funklend, jaspisfarben, von Rot durchschossen,
ist der sonnendurchflutete Baum eine Glasmalerei:
Kathedrale von Blut und Gold.”

All das, was ich zwischendurch über die Einschätzung dieser Gedichte angemerkt habe, also das sie eine heimatverbundene Unterströmung haben und eine durch Sprachblüten vorangebrachte Art (als ginge hinter jedem Gedicht die Sonne auf wie über einer Kathedrale — um Gutes und Schlechtes zu bescheinen), mag als EIN Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit Robertsons Poesie herhalten. Denn letztlich sind diese Gedichte als Wesenheiten schwer zu fassen, weswegen ich auch den sehr langen Umweg genommen habe.
Beim Lesen des Bandes habe ich mich oft gefüllt, als ginge ich durch ein Bilderlabyrinth in dem viele der Bilder ebenfalls Labyrinthe sind – nicht, weil sie wirklich verschachtelt sind oder formal diesen Eindruck erwecken, sondern weil man oft das Gefühl hat, dass sie einen in die Irre führen, trotz all ihrer aufblitzenden Schönheit und ihren offenkundigen Verweisen auf eine Freude, ein Dilemma, einen Moment oder einen Anschein. Geometrisch dargestellt würde man sagen, dass man es für inhärent logisch hält, dass ein Gedicht sich normalerweise in einem rechten Winkel vollzieht oder zumindest einer anderen geometrischen Figur, die seinem Wesen entspricht, sei es auch ein Parallelogramm, ein 10²²eck oder ein Kegel, gleicht. Aber die Linien in Robertsons Gedichten halten oft plötzlich inne und es bleibt ein halbgezeichnetes Dreieck. Dieses Dreieck ist jedoch wiederum von einer Perfektion, als hätte jemand genau bis hierhin gezeichnet, filigran und sauber und dann mit einem Lächeln vorsichtig Stift und Lineal beiseite gelegt. Anders gesagt: die Perfektion liegt nicht in der Vollendung der Form, sondern in der Unverwischtheit der Linien, der klaren Art des Fragments auf dem Papier.

“Das Sonnenscharnier am verbrannte Horizont
hat den versiegelten See geweckt,
einen Schlauch aus Klang geschaffen. Kein Wind
nur gewölbte Platten aus Luft,
die sich unterm Falleneis verformen,
nachgeben wollen; ein Ächzen und Grollen,
als würden weit unten schwere Tische geschoben.”

Wie soll man solche Gedichte empfehlen, wenn man doch nicht mal selber weiß, ob ihre Erweckung möglich oder lediglich ansatzweise möglich ist? Man könnte umständlich sagen: Für jeden, der Kunst nicht als Vollendung, sondern als Wunsch, als Kunstansatz, als eine Ahnung von Kunst schätzen kann, die dem Leben in ihrer Form und Ausrichtung gleichzuziehen versucht, sind diese Gedichte sicherlich eine Wahl. Aber wem wäre mit so einem Satz geholfen, der ja irgendwie zwischen den Stühlen sitzt.

Also sage ich einfach, dass diese Gedichte im hohen Maße ein poetisches “Gespür” beweisen. In wie fern dies ein Gedicht zu einem “brauchbaren” Erlebnis macht, ist sehr ungewiss – ich bilde mir ein, dass es trotzdem in diesem Buch sehr viel auf (und unter) der Oberfläche zu entdecken gibt (was wiederum vielleicht allzu leicht als Tarnung für Unterschwelliges gedeutet wird). Oder noch und noch mal anders gesagt: Wer mal eine richtige poetische Nuss knacken will, wer ein Buch einmal gegen Morgen, dann gegen Mittag, Abends und Nachts lesen will, um es wieder und wieder zu in einem anderen Licht zu sehen, weil man spürt, dass irgendwie in diesem Buch mehr als die Seiten zweier Münzen schlummern, dem sei “Am Robbenkap” sofort als ein Begleiter ans Herz gelegt. Es ist eine tröstliche Vorstellung, dass in all dieser Zeit noch Bücher existieren, die sowohl geistiges, ästhetisches, als auch, kurzweilig, ein metaphysisches Potential besitzen – wahre Objekte der Faszination.

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Kleine Empfehlung zu Charles Simmons und “Belles Lettres”


Bedauerlicherweise ist Charles Simmons, der nicht nur mit diesem Buch ein kleine feine Freude für Literaturfreunde, sondern mit Salzwasser auch einen geradezu großartigen Roman über die Jugend und mit Geständnisse eines ungeübten Sünders erstklassige Unterhaltung vorgelegt hat, in seiner Heimat, wie auch hier in Deutschland, größtenteils noch ungerühmt. Vielleicht liegt dies an seinem schmalen Werk, vielleicht an seinen eigenwilligen Ideen in Sachen Schreibkunst – so gibt er in diesem Buch zum Beispiel jeder Figur einen ‘sprechenden’ Nachnamen (z.B.: Frank “Page”, natürlich nicht übersetzt, weil es atmosphärisch irgendwie daneben gewesen wäre), oder an seinen unkomplizierten Erzählstrukturen; doch das sind alles mehr oder weniger Fehler, die man nur findet, wenn man sie ankreidet.

Ich finde gerade diesen Roman, der die Geschichte eines Literaturblattes anhand seiner Herausgeber, Höhepunkte und Anekdoten erzählt, auch wenn er von allen Seiten mit ein bisschen Kleinlichkeit Schwächen offenbart, sehr gelungen. Es ist ein so freudiges Stück Literatur, dass man versucht ist, es in einem Schwung durchzulesen. Dabei kümmert weniger die Chronologie der Geschichte, als all die Ideen, die Simmons in seinen Roman einbindet, offenkundig, um dem Leser eine Freude nach der anderen zu bereiten. Egal ob es Bürointrigen, schwule Shakespearesonette, gefälschte Bestsellerlisten oder ein satirische Lesung aus dem neusten Jahrhundertroman ist – jedes Kapitel verspricht eine neue Wendung.

In der fiktiven Redaktion von Belles Lettres kann man vielleicht nicht den Besten Einblick in die Literaturzeitschriftenszene gewinnen und auch mag man am Ende nicht sagen können, ob dies Buch Farce, Märchen, Satire, Roman oder nacherzählte Realität ist, doch auf jeden Fall wird man so unterhalten, dass man nicht auf die Idee kommt, es gäbe mehr, was sich von einem wunderbaren Leseabend erwarten ließe.

Kurz gesagt zu La Rochefoucault Aphorismen – oder: “Glück und Laune regieren die Welt.”


“Jedermann klagt über sein schlechtes Gedächtnis, aber niemand über seinen schlechten Verstand.”

Man spricht oft von Büchern, die “ihren Reiz nicht verlieren” oder “immer noch aktuell (oder zutreffend) sind.” Nun, bei La Rochefoucaulds Aphorismen ist dies allerdings der Fall; ihnen bleibt ihre 300 Jahre alte Geltung und Wahrheit weiterhin.

“Unser Glück liegt nicht in den Dingen, sondern in deren Bewertung durch uns; und der Besitz dessen, was wir lieben, macht glücklich, nicht dessen, was andere liebenswert finden.”

Obwohl manchmal zynisch und fast schon übertrieben auf der Suche nach Hintergedanken, war La Rochefoucauld sicherlich einer der wichtigsten Moralisten seiner Zeit. Seine feine Polemik, kombiniert mit ironischen und sarkastischen, sowie belebenden und flotten Annoncen, kann uns bis heute noch bezaubern und lehren, was wir im Leben an Offensichtlichem bisher übersehen haben.

Rochefoucauld wusste um seine Grenzen (“Wer seinen Verstand kennt, kennt nicht immer sein Herz”) und gerade Liebe und Leidenschaft, zwei seiner häufigsten Themen, bewahren in seinen Betrachtungen trotz aller Empirik und Satirik einen liebevollen Anklang. Und weise weiß er stets zu sein, obwohl (und weil): “Es ist leichter, für andere weise zu sein als für sich selbst.”

Eine Zitatsammlung, die keine eklatanten Lücken aufweisen will, kommt um La Rochefoucauld nicht herum. Einige seiner trefflichsten Sätze scheinen auf jede Zeit, übergreifend, münzbar zu sein und verlieren und erschöpfen sich nicht, da sie weder pessimistisch, noch überironisch sind – wenn ihnen eine Bezeichnung geben müsste, so wäre es: moralisch.

“Die Wahrheit stiftet nicht so viel Gutes in der Welt wie ihr Schein Böses.”

“Es kostet nicht die Welt, die Welt zu retten.”


Es ist eine traurige Wahrheit, dass die Wahrheit nur dann die Chance auf eine echt Wirkung hat, wenn sie mit der Beschleunigung der Lüge operiert, mit den Mitteln der Sensation. Nur haben Wahrheiten, wenn sie mit Lügen konkurrieren eben selten etwas Sensationelles, meist eher etwas Beängstigens. Und noch mehr: da bestimmte Wahrheiten für alle gelten, kann man sie leicht auf alle anderen Menschen abwälzen. So auch die Wahrheit über die Klimaerwärmung.

Ich gebe zu, ich bin ein Mensch der Worte. Taten liegen mir meist nicht. Ebenso bin ich niemand der weint, sondern vielmehr über den Schmerz reflektiert. Doch warum standen mir dann urplötzlich Tränen in den Augen, als die Nachrichtensprecherin, kurz und knapp sagte: “Es kostet nicht die Welt, die Welt zu retten. Aber wenn wir es nicht tun, kostet es uns die Welt”? Die Geburtsstunde eines Zitates, dass unsere Enkel vielleicht nicht mehr in ihre Poesiealben schreiben, das sich nicht einreiht zu den wichtigen Aphorismen, zum Indianerlied “Wir haben die Welt nicht von unserern Vorfahren geerbt, sondern von den Kindern geliehen”, zu “Wer nicht aus der Geschichte lernt, ist gezwungen sie zu wiederholen” oder “Stell dir vor es ist Krieg, und keiner geht hin.”

Warum diese Tränen der Rührung? Es ist eine simple Wahrheit, sie gilt für mich, sie gilt für alle. Ich verbrauche Strom, ich kaufe Plastikflaschen, ich bin nicht geizig, möcht aber selbst entscheiden, wo ich großzügig bin und nicht der Staat. Ein Mensch unter vielen. Unter 7 Milliarden um genau zu sein. Und ich sehe mich schon in der langen Kette derer, die sich zwar für etwas einsetzen, dass dann entweder durch die Ausdehnung zerfasert, oder, sehr viel wahrscheinlicher, einfach hier bleibt, eine Notiz ohne Wirkung, im Geschreibe der tausend Blogs, die sich alle nicht widersprechen, nur kommunzieren tun sie nicht.

Die lange Kette, die Stationen wie Live Aid hatte oder Al Gore’s Film “Eine umbequeme Wahrheit”. Wir haben diese Filme gesehen, wir haben von diesen “Aufständen”, diesem Gewissen gehört. Berührt es uns gar nicht, wollen wir denn nichts tun? Glauben wir, andere müssten etwas tun? Wenn heute Abend die Bundeskanzlerin sich im Fernsehen an das Volk wenden würde und sagen würde: Wir können den Planeten retten. Aber dazu brauche ich ihre Hilfe. Drehen sie das Licht aus, wenn sie aus dem Zimmer gehen. Stellen sie sich nicht gegen erneuerbare Energien. Glauben sie nicht denen, die sagen, der Klimawandel sein ein Schwindel. Setzen sie sich, ganz ohne Greenpeace, und ohne finanzielle Abgabe, für dieses große Projekt ein. Denken sie um. Halten sie ein, widerstehen sie einmal am Tag der Bequemlichkeit. Es kostet nicht die Welt, die Welt zu retten. – Würde es etwas bringen? Der Mensch hat doch die Freiheit, auf niemanden zu hören, außer sich selbst, oder. Ist das nicht Freiheit? Rousseau sagte: “Ich habe nie behauptet, dass Freiheit sei, dass man alles tun kann, was man will. Freiheit ist, nicht das tun zu müssen, was man nicht tun will.” Rousseau ist also bei diesem Problem keine große Hilfe.

Und wer kann was ändern? Die Reichen. Die Männer in Peking, die Herren in Berlin. Vor wem muss ich auf die Knie fallen, wer kann mich verstehen. Ich will, das jemand zuhört, aber die meisten hören nicht zu. Hat jemand anders geweint, oder nachgedacht, als er die Tagesschau sah. Oder hat er zwar den Fernseher eingeschaltet, das Fernsehen aber nicht.

Es ist alles nicht so einfach. Das denke ich immer, wenn manche Sachen nicht so schnell laufen, wenn manches sich verzögert. Und auch Demokratie ist ja eine langsame Sache, das schönste Kleid unter den Staatsformen, aber mit vielen Flicken und wer in dem Kleid steckt, das ist in ihrem System nicht vorgesehen, immerhin gewährleistet die Demokratie ja nur, dass wir nicht besser regiert werden als wir es verdienen – ja, lasst uns doch einfach drüber lachen. Sehen wir Kabarett und Grinsen wir über die Spaßmacher, die hinter die Probleme und Verarschungen der Regierungen und Banken gekommen sind. Lachen wir uns tot. Wer zuletzt lacht, ist der Klügste. Und die Dummen regieren vielleicht deshalb die Welt, denn sie haben verstanden: wer zuletzt lacht, dem ist es nur noch ein Witz und nicht das, was am Anfang war: Betrug und Verbrechen.

Die anderen werden es schon regeln. Ist eigentlich den meisten Menschen klar, dass das auch die anderen Menschen denken könnten. Dass die Herren ganz oben vielleicht jetzt gerade denken: solange die da unten nicht meinen, dass es was zu regeln gibt, okay, dann warten wir. Ich kann mein Geschäft weiterwachen, ohne das zu regeln.

Wir warten also lieber auf die Leute die dann sagen, dass das sowieso alles ganz anders ist. Wir warten den Meinungsflow ab, er wird ganz bestimmt kommen, dann ist sowieso wieder alles ganz anders, das beruhigt. Gibt ja keine Wahrheit, Wahrheit ist ein unerschöpflches Gut. Eisberge zwar nicht, ebenso wie Honigbienen oder Süßwasser, aber Gott war ja auch schön blöd z.B. das Süßwasser im Überfluss denen zu geben, die etwas daran ändern könnten, dass es auf der Welt zu wenig gibt. Und es ist schon anstrengend genug, diese Welt die auf den Abgrund zusteuert am Laufen zu halten, oder nicht? Warum sich anstrengen, zusätzlich, um einen anderen Kurst zu berechnen. Kursberechnungen sich schwierig. Man muss so viel tun, es wäre so viel tun. So viel wollen wir noch im Leben machen – ja und unsere Enkel wollen vielleicht noch irgendwas machen, die Dinge erleben, die wir schon erlebt haben und doch eigentlich ziemlich cool fangen. Wir haben zwar immer noch nicht Thomas Manns “Zauberberg” gelesen, würden wir gern mal, aber unsere Enkel und unsere Zeitgenossen würden überhaupt gerne lesen lernen. Das was wir können, einfach so. Was uns eine riesige Welt eröffnet. So toll, aber das haben wir schon gemacht. Kam eben in der Schule dran. Müssen wir nicht dankbar für sein, haben wir ja gelernt. Von Möglichkeiten spricht keiner.

Meine Tränen sind albern. Die Welt wird sich nicht ändern, sei lieber Pessimist. All die Hoffnungen, die du dir machst, weil so viel Gutes und Wahres schon gesagt wurde, sind doch überflüssig. Was hilft dir Brecht und sein “Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, der hat schon verloren”, wenn der Einsatz vielen Leuten so hoch erscheint, dass sie den Gewinn gar nicht sehen und sagen beides sei verlieren und mit weniger Mühe zu verlieren, sei dann doch schon ein Sieg.

Überall der Schlendrian der gegenseitigen Vorwürfe. Man macht den andern schlecht, man macht die gute Idee schlecht, damit sie genauso zweifelhaft wird wie die schlechte. Wir suchen keine Ausreden mehr für unser Tun, wir suchen Ausreden für unsere Ausreden.

“Some say the world will end in fire,
Some say in ice.
From what I’ve tasted of desire
I hold with those who favor fire.
But if it had to perish twice,
I think I know enough of hate
To say that for destruction ice
Is also great
And would suffice. ”

Verzweiflung, damit kann der größte Teil der Menschen angeblich nichts anfangen. Dabei ist unsere Welt tief verzweifelt, voll uneingestandener Verzweiflungen, die wir kompensieren, mit Macht und mit Geld. Selbst die kleinste Macht lindert die eigene Verzweiflung – und Geld kann alles kaufen und irgendwo unter dem Alles, ist bestimmt das, was gegen Verzweiflung hilft. Also nicht auf die alle hören, ist ganz egal, Geld verdienen, auch wenn sie es noch so gut darstellen, das Geld nicht glücklich macht, wenn man alles haben kann und Geld kann das doch oder, dann hilft es, ganz bestimmt! … Wissen die, die alles wissen, eigentlich um die Seligkeit der Unwissenheit? Wer im Kreis geht, ist der ans Ende gekommen oder an den Anfang?

Hoffnung. Und jeden Tag so kleine Dinge die unser Dasein schön finden und uns davon erzählen. Aber Schönheit wird die Welt nicht retten, denken wir. Nein, wird sie auch nicht.  Doch: was wäre wenn sie der Schlüssel wäre, wären wir bereit die Tür zu suchen, auch wenn der Schlüssel aus purem Gold wäre und wir ihn leicht verkaufen könnten oder ausstellen könnten oder damit prahlen könnten, als Anhänger um den Hals oder ihn vielfach anderen geben könnten, ohne uns selbst je auf die Suche nach der Tür zu machen.

Meine Damen und Herren und alle die mir zuhören wollen, ich bin ein Idiot und liebe diese Welt. Es gibt genug auf dieser Welt. Nehmen sie alle Liebe dieser Welt die Mütter für ihre Kinder empfinden und alle Partner und wir haben genug Liebe. Nehmen sie all das Essen, das wir wegschmeißen und wir haben genug zu essen. Nehmen sie alles Geld, was gerade irgendwo liegt und wir haben genug Geld. Es geht nur darum, zu teilen. Es kostet uns nicht unser Wesen, ab und zu das Wesen eines anderen zu berühren. Aber es wird uns unser Wesen kosten, wenn wir es nicht tun.

 

Das Eindrückliche an der Oberfläche, mit Pointen, Idee und Poesie – Clemens J Setz erster Gedichtband


“Nach einem langen Spielfilm über eine Pandemie –
mit Schauspielern bedeckt von gelblichen Pusteln
und blutenden Geschwüren, mit Bergen von Toten
quellend aus einem New Yorker U-Bahn Schacht –
stehen wir uns spät im Schlafzimmer gegenüber,
froh, dass wir gesund sind. Aber wir sagen es nicht,
fürchten den Blick des anderen: War doch nur ein Film.”

“[…] die Welt an bestimmten Stellen zu verdichten, oder besser: die Aufmerksamkeit an einer bestimmen Stelle sammeln und verdichten.”
(Paul Groussac)

Die Idee der Lyrik liegt im Ursprung nah an Gebet und Melodie – Verse sollten einprägsam sein und somit leichter von Generation zu Generation weitergegeben werden; das erhebende Gefühl eines Gedichts lag dabei auch oft im Klanglichen, in Metrum und Reim und der darin zirkulierenden Botschaft.
Doch kein Ding ist gefeit vor Weiterentwicklung und Erweiterung; auch der Begriff der Lyrik ist im letzten Jahrhundert in eine Vielzahl von neuen Formen und Möglichkeiten hineingewachsen, hat Elemente der Kurzprosa, Joyce Stream of consciousness und anderer Einflüsse übernommen und sich teilweise von den literarischen Formatierungen von einst (wie Lied, Elegie, Sonett oder Epigramm etc.) gelöst. Heute ist sie zum freisten literarischen Kommunikationsmittel überhaupt geworden, zu einer Kategorie, unter der sich beinahe jede Form von sprachlich verdichteter Botschaft verstanden sehen will.
Im Kern ist es aber immer noch ihre, mit der Zäsur des Zeilenumbruchs einhergehende, spezielle Form von Suggestion und Wirkung, die die lyrische Idee ausmacht: nach und nach wird aus Assoziation und Mitteilung etwas zusammengesetzt, das in seiner Verdichtung die Beweglichkeit der Wahrnehmung erhöht, Welt, Erkenntnis, Betrachtung und Gefühl, die in ihren sukzessiven Geschäften oft allzu schnell auseinander gehen, ein paar Zeilen, ein paar Momente lang, auf einen Nenner bringt. Joseph Brodsky nannte das “geistige Beschleunigung” und es ist schwierig eine knappere, passende Wendung für diese spezielle, eindringliche Gewissheit des Gedichts zu finden.

“Er fragte den Berg:
Was aber könnten wir hinterlassen
als Zeugnis oder Entschuldigung unserer Kultur?

Skigebiete, sagte der Berg, bunte, schaukelnde Gondeln
und, falls nötig, Gipfelkreuze, mit allerlei Inschriften.

Was glaubst du, fragte er den Berg,
liebt sie mich?
Wird sie meine Frau?,

Grau, sagte der Berg, Felsen und Wiesen,
Tourismus im Sommer und jede Menge Rotwild.”

Warum diese lange Vorrede über den Gegenstand, ohne dabei sofort auf das Buch an sich einzugehen?
Nun: man kann jedem literarischen Werk nur gerecht werden, wenn man es nach seinen Möglichkeiten und nicht wenn man es nach seinen Verfehlungen beurteilt – der Rezensent hat die Aufgabe, die Möglichkeiten so darzustellen, dass der Leser nachher entscheiden kann, ob ihm diese zusagen oder nicht; ob es das ist, was er von einem Buch will oder nicht. Und im Fall von Clemens J. Setz erstem Gedichtband ist es wichtig, von vorne herein zu wissen, dass Gedichte im klassischen Sinne hier kaum bis gar keinen Raum einnehmen – dafür jede Menge lyrische und plastische Verdichtungen, welche eine Menge Stoff zum Nachdenken und Aufnehmen geben, viel Wirkung durch minimale und außergewöhnliche Sprachmagie entfalten.

“Kinderlose Papageien
die frei in der Wohnung fliegen
beginnen manchmal Schuhe zu füttern
[…]
Kein noch so hochhackiges
fremdes Paar Stiefel
das nur eine Nacht hier stehen blieb
muss leer nach Hause gehen.”

Was mir, direkt vorweg, an diesem Band gefällt, ist seine eher unästhetische und mehr kommunikative Art, welche viel Raum für Reaktion und Weiterdenken von Seiten des Lesers lässt; was man Setz daher nicht vorwerfen kann, ist, dass er nicht verstünde, wie ein Gedicht funktioniert. Das weiß er. Doch jene ganz tiefen Schichten, die ein Gedicht mit seinen ruck- und blitzartigen Momenten, in langen Windungen vorbereitet, erreichen kann, lässt er größtenteils unangetastet und bleibt an der Oberfläche – und beweist hier eine eigene Art von Tiefe.

“Auch heute Morgen
liegen sie wieder
auf den Tasten
meines Klaviers
[…]
gekrümmt auf dem Rücken.
Was geschieht

nur in diesem Zimmer
jede Nacht?”

So schreibt er über die toten Fliegenkadaver am Morgen. Mit einem Blick für außerordentliche Geläufigkeiten – ein Motiv, dass sich durch den ganzen Band zieht und immer wieder aus Anekdoten, Philosophien, Wissen und Witz, Bild und Geschichte eine lyrische Improvisation macht. Dieses sind, klugerweise, nie pompös noch abstrakt, sondern haben eher etwas Unbeteiligtes, eine halbreflexive Pointe oder eben eine fehlende Pointe, die den Leser bei der Entstehung des Textes in seinem Bewusstsein auf sich selbst zurückwirft – Setz beherrscht solche Pointen und auch wenn er sich auf gewisse Weise so der Verantwortung für einige seiner Gedichte entzieht, entsteht daraus ein größerer Austausch zwischen Leser und Text, ja, man könnte sogar sagen, dass Setz dem Text und dem Leser auf diese Weise mehr Raum lässt als viele andere Dichter, in dem er den Leser nicht nur zum unmündigen bloßen Erfasser, sondern zum anwesenden Zuschauer, zum nachträglichen Akteur in der Idee seiner Gedichte macht. Was er liefert ist die Wahrnehmung, die Idee, er formt sie aber nicht zu einer endgültigen Fassung, lässt sie in der Schwebe.

“Mit Jetlag kann ich alles ertragen. Einen Toten
in einer Tonne, ein Kind ohne Arme und Beine,
einen brennenden Menschen in einer Baumkrone.

Mit Jetlag scheint mir alles erlaubt,
auf meinem Weg quer durch die Stadt
zurück zum hellen Empfangsbereich des Hotels.”

Man hat fast ausnahmslos das Gefühl, dass Setz vom Wesentlichen spricht, egal worum es gerade geht: sei es Jetlag, eine nacherzählte Begebenheit, ein Traum über das weltumspannende Dynamo einer Warteschlange. Allem verleiht er die Atmosphäre eines Spiegelbildes, einer Wirklichkeit, welche den Worten ihren Inbegriff mitgegeben hat. Und trotz ihrer Fülle und ihrer Chance zur Tiefe bleibt seine Poesie unabgehoben, nah am Ursprung, an der Wahrnehmung selbst.

“Ich liebe dieses All-das-gibt-es-wirklich-Gefühl beim Eislaufen, die Simultaneität-des-aneinander-vorbei-Lebens zweier kaputter Straßenlaternen.”

Man kann Setz nicht vorwerfen er sei nicht poetisch. Nur entspringt seine Idee von Schönheit nicht allein aus einem vertraut-blumigen Idyllendenken, sondern masert die Dinge mit dem Augenblick der Erfahrung, der Tiefe des Symptoms, dann und wann auch mit der Schärfe der Schneidezähne, mit denen wir das Leben kauen, bevor wir es unwiderruflich verschlucken. Das ist gewiss nicht die übliche Herangehensweise in Sachen Lyrik. Doch was dabei herauskommt zählt, die Wirkung, nicht das Konzept, welche eben nur nach der Wirkung beurteilt werden sollte.

“Heute

ist der einzige Herbst in dieser Straße
der helle, erdenschwere, schlanke,
eingezäunte Baum
zwischen den Kleidersammelstellen
und der Parkplatzschranke.

Den Zaun trägt er wie eine Armbanduhr
gegen die Außentemperatur
und gegen zukünftige Erdbebenwellen
und die kreisenden Lichter der Müllabfuhr.”

Wollte man die Art dieses Bandes kurz und knapp zusammenfassen: Es werden Wissen und Witz, unwillkürliche Ahnung, Bilder und Anekdoten, in Form eines Gedichts in den Leser downgeloaded; was der Leser währenddessen bei sich uploaded bleibt ihm selbst überlassen. Wenn man sich auf eine Kommunikation einlässt, fühlt man sich, im Vergleich mit vielen sonstigen Dichtungen mit schiefen Bildern und Metaphernüberbiss, in diesen filigranen Erfahrungsgleichungen und Gedankenabweichung eigentlich ganz wohl.

Gegen Ende hin, ist auch die Poesie in Setz Band geradezu unausweichlich. Sie tritt auf, sentenzartig und kurz. Sie durchdringt einen.

“Die Stille: ein Mönch verirrt sich
auf dem bunten Muster eines Teppichs.”

(http://www.suhrkamp.de/buecher/die_vogelstrausstrompete-clemens_j_setz_42416.html).

Kurz zu Hemingways “Fiesta”


Wann immer ich einen Hemingway Roman lese, läuft es etwas nach dem gleichen Schema ab: Erst beginne ich und die Geschichte tröpfelt so dahin, dann kommt eine kurze Zeit, in der ich das Buch sehr langatmig finde und mich in den endlosen kurzen, knappen Dialogen verliere und den merkwürdigen Formulierungen und dann, dann werde ich plötzlich ergriffen von dem Sog und bin am Ende vollkommen überrascht, dass ich so berührt bin.

Ja, Hemingway hat mich immer wieder mit der Welt und mit sich selbst versöhnt. Man kann ihm, seinen Büchern und auch seinen Übersetzungen viel nach sagen, aber zweierlei wird mich immer an Hemingway faszinieren und mich ihn immer wieder einen Sprachmeister nennen lassen: Erstens seine knappe Sprache, die nicht karg ist, ganz im Gegenteil, sondern Räume erschafft, in denen so viel mehr gesagt wird, als in den blumigsten Sprachgebilden – und die unglaublich Dichte in jedem seiner Bücher.

Erklären kann ich das hier nicht, nur beschreiben und darauf vertrauen, dass jemand vielleicht weiß, was ich meine, wenn ich von einer Sprache spreche, die so bedacht ist auf ihren, viel offen-lassenden, spartanischen Charakter, dass sie durch diese subtile Kunst des Auslassens, Weglassens, dieser Kenntnis von Vielem, aber der Darstellung von Wenigem, eine so große Kraft des Unsagbaren erschafft, wie sie auch oft in Wirklichkeit empfunden wird. Es ist, als wären Stimmungen in Hemingways Büchern keine Frage des Ausdrucks der Wörter, sondern sie kämen allein aus einem selbst, wenn man versucht das nachzuempfinden, was seine Charaktere fühlen. Als würde Hemingway Romane schreiben, die uns dazu veranlassen, viel von uns selbst nach zu erleben, oder zumindest Ideen von Gefühlen – womit ich nicht pseudophilosophisch werden will, aber anders kann man es nicht formulieren.

Fiesta ist vor allem ein Dialogstück, fast 3/4 des Buches bestehen aus Dialogen. Es geht um Liebe und es geht um das fliehende Glück, die verstreichende Zeit und den Ort an dem man sich zu Hause fühlt und die verlorene Generation, die sich überall ein wenig verlassen fühlt. Man verbringt trunkene Nächte in Paris, der Stadt, in der soviel möglich ist, dass es unmöglich scheint hier irgendwann zu “werden” und nicht nur zu sein. Ein Ausflug nach Spanien, zur Fiesta, wird zum Spiel mit Gefühlen wie Sehnsucht und der Suche nach einem wirklich ausgereizten Leben, doch auch hier ist zwar alles auf die Spitze getrieben, aber auch hier lebt jeder sein leben und stirbt auch – und nicht nur am Ende. Überall wird gestorben, auch wenn man das Leben noch so sehr herausfordert – man könnte sagen: In Fiesta schreibt Hemingway sein eigenes Leben vor; wie Ödipus weiß er hier schon, hat es zwischen den Zeilen niedergeschrieben, dass man weiter nicht kommt, als bis Paris, bis zur Fiesta – und doch hat er es versucht.

-“Sieht man dich in Paris?”
“Nein. Mein Schiff geht am Siebzehnten. Auf Wiedersehen, alter Kerl.”
“Auf Wiedersehen, mein Junge.”
Er ging durch die Sperre an den Zug. Der Träger ging mit dem Gepäck voraus. Ich sah noch, wie der Zug sich in Bewegung setzte. Bill stand an einem der Fenster. Das Fenster verschwand, der Rest des Zuges verschwand – das Gleis war leer.
Ich ging zum Auto zurück.-

Die “Aufsätze” von Robert Walser


Als Robert Walser nach einem friedlichen, beinahe 25jährigen Aufenthalt in zwei Heil- und Pflegeanstalten, 1956 auf einem Weihnachtsspaziergang starb, war er ein Unbekannter, ein Unerkannter, und doch hatte er sich bereits zu seinen Lebzeiten die Sympathie und Verehrung von Künstlern wie Robert Musil, Franz Kafka, Hermann Hesse, Richard Dehmel, Max Brod, Stefan Zweig, Alfred Polgar und Walter Benjamin erworben.

Heute, da eine umfangreiche Ausgabe seiner Werke vorliegt und seine Romane in die Reihen aufgenommen wurden, die die große Literatur des 20. Jahrhundert rekapitulieren, scheint seine gediegene, einmalige Prosa endlich die ihr zustehende Geltung zu bekommen.
Doch weiterhin sind es gerade seine Hauptwerke, diese hunderten, kleinen, nahezu winzigen, Prosastücke, denen der Ruhm und die breite Leserschaft verwehrt bleibt, obwohl sie sowohl romantische, als auch intellektuelle, als auch ästhetische, ja sogar essayistische Vorzüge und Anteile haben und in ihrer komprimierten Form das vollbringen, was sonst nur ein selbst erlebter Moment vermag: die unmittelbare Konfrontation mit dem nicht nach Außen zu verlegenden Ich, mit der Welt ohne Ich, in der dieses Ego seine Wege beschreitet und von Walser, mit einem Mal, damit zusammengebracht wird. Eine Begegnung, bei der beide Akteure sich unklar und undeutlich gegenüberstehen.

Der schmale Band “Aufsätze” (dritter Band der Walser Werkausgabe) – welcher im Titel an sein erstes Buch “Fritz Kochers Aufsätze”, die philosophisch, träumerischen Schulaufsätze eines angeblich verstorbenen Jungen erinnert, was eher irrig ist, da dieses Werk kein Rückgriff auf diese Idee ist – ist in den Jahren 1908-1912 in Berlin entstanden, eine Stadt, die den Inhalt einiger Texte in diesem Band nachhaltig inspiriert und geprägt hat – vor allem insofern, dass die geseschaftlichen und städtischen Züge auf die Gestalt der Betrachtungen einwirkten.

Ansonsten geht es in den zahlreichen Miniaturen vor allem um das Theater und um Personenskizzen; verschiedene Schriftsteller (u.a. Schiller, Kleist, Brentano, Stendhal, Büchner) werden in Szene gesetzt und kurze Teile ihrer Werke eingebaut, umgeschrieben, neu interpretiert; auch freudige, warme Natur und Liebesmomente sind, sind enthalten und auch für kleine philosophische Skizzen und Anmerkungen mit ihren feinen Satzbögen voll “schauerlustiger” Wahrheiten findet Walser inmitten seiner Ausführungen und Abschweifungen, einen konzentrierten kleinen Platz.

Wie Jochen Greven im Nachwort ganz richtig bemerkt, ist der für sich allein stehende Titel “Aufsätze” etwas irreführend, da sich in diesem Band Epik und Dramatik und kein rechtes Feuilleton findet und Walser den Titel wohl in einem anderen Sinn verstand – ich zitiere Greven: “er dachte an -Aufgesetztes- ganz allgemein, literarische Improvisationen beliebigen Inhalts und freiester Gestalt.”

Und so kann man diese Ansammlung von Geschichten, Personen, Philoromantik, Dialogen und Nachdichtungen als eine Art Lesebuch sehen, in dem Walser gleich einem Metamorph durch äußere Anlagen seiner selbst schleicht, Gesellschaft und Umgebung, Lektüre und Empfindung unter Masken geschliffener Prosa auftreten lässt und in aller Vielfalt sein virtuoses Plappern, seine kunstvolle Marmorierung und sein unschuldiges Hinterfragen praktiziert – oder um es ihn selbst in Worte fassen zu lassen: “Es kommt mich Lachen/ Und Lächeln an./ Was liegt daran!/Das sind so Sachen…”

Man könnte noch vieles aus diesem Buch zitieren; man könnte auch darauf hinweisen, dass es zwar inhaltslos scheint, gewöhnlich, und doch nach dem Lesen mehr wesentlich mehr zurücklässt als viele andere Bücher; der Zauber von Walsers tief gelegenem Schreiben besteht nun auch zum großen Teil aus seiner Art, keine Wasserfläche in Fluten und Stürmen zu verwandeln, sondern die Schönheit ihres Anblicks immer neu zu beloben, den großen Spiegel, den sie darstellt, zu füllen und die Tiefe darunter, ohne sie anzutasten, aufzuzeigen.

Doch am Ende lässt sich meine Betrachtung zu diesem Werk am Besten mit einem Absatz von Walser selbst schließen; er zeigt die nicht eben direkte, aber doch feinsinnige und intelligente Klarheit, mit der Walser die Empfindungen, die die Dinge ihrem Wesen nach für ihn bereithalten, beschreibt, diese dünne Poetik, unterhalb jedes Staunens, aber doch nicht ohne Sehnsucht oder Wunsch – und in welchem er, so bilde ich mir ein, uns auch ein wenig die Geste seines Schaffens offenbart: “Eine Welt glatt wie Glas, ein Leben sauber wie eine Stube am Sonntag. Keine Kirchen und keine Gedanken mehr. Puh, mich friert. Es sollte doch wohl immer noch allerlei in der Welt geben. Mich würde nichts bewegen, wenn nicht allerlei mich bewegte.”

Zu Wolfgang Koeppen und “Tauben im Gras”


Wolfgang Koeppen ist ein einzigartiger Fall in der Literaturlandschaft. Nicht nur seine schwierig-brillante Prosa, die von Umwelt und Bewusstsein an einem Strang durchzogen wird (nach Art von Joyce Bewusstseinstrom, ein Autor, mit dem man Koeppen ein wenig vergleichen kann, was die Erzählhaltung und -art angeht; Ulysses und Tauben im Gras haben durchaus, wenn Joyce auch das monumentalere, vielgestaltiger Werk geschaffen, Parallelen. Vielfach frönt seine Prosa auch dem Mythenspiel und der beeindruckenden Metapher, ebenso ist da eine tiefmelancholische Sicht auf die Dinge), sondern auch sein Position in der deutschen Literaturgeschichte ist unumstritten groß, wobei gleichzeitig seine Bekanntheit mit den Jahren immer mehr abgenommen hat und sein Name eher im Zusammenhang mit seiner jahrzehntelangen Koeppernikane in Verbindung gebracht wird (Man muss dazu wissen das Koeppen dem Suhrkamp Verlag über Jahre einen neuen Roman versprach, aber bis zu seinem Lebensende nach “Der Tod in Rom” keinen mehr fertig stellte, jedoch noch viele Zahlungen und Vorschüsse von Suhrkamp bezog; dazu auch sehr aufschlussreich ist der vor kurzem erschienene Briefwechsel zwischen dem Verleger Siegfried Unseld und Koeppen.)

In diesem ersten Buch seiner Bonner-Triologie ( 2. Das Treibhaus, 3. Der Tod in Rom) beschäftigt sich Koeppen kaleidoskopartig mit einem Tag im Nachkriegsdeutschland im Jahre 1949. Wechselnde Figuren, die über verschiedenste soziale Grenzen miteinander verknüpft sind und sich im Laufe des Tages hier und dort begegnen, beschreiben die Dinge jeweils aus ihrer eigenen abgeschotteten Welt; der Erzähler bewegt sich dabei wie ein Geist durch die Szenerie, beschreibt was außen vorgeht, um dann ganz plötzlich in eine der Personen zu fahren… und dann wieder in die nächste. Das macht den Roman zu einem intensiven und doch sehr verzerrten Erlebnis, denn wenngleich die Personen an ihren Standpunkten erkennbar sind und sie sich ein wenig herauskristallisieren, bleibt doch jeder Figur die Rolle eines Nebendarstellers beschieden, einer Reflexion der Welt, wie wir alle es sind, was Koeppen sehr gut zeigt; ein wirklicher Protagonist fehlt ebenso wie ein kontinuierlicher Erzähler.

Über die Erzählstränge sollte man sich nicht einzeln auslassen, sie sind auch größtenteils nicht nacherzählbar und in ihrer Dichte nur beim Lesen erfahrbar; bemerkenswert ist Koeppens Gefühl für jede einzelne Geschichte und ihre Fluidum, sowie für die Verknüpfung und Überschneidung der einzelnen Stränge – alles scheint wie von selbst zu geschehen. Auch wenn seine syntaktischen Virtuositäten, ja die Sprachhandhabung allgemein, ihr Tempo, ihre Konzentration, manchen in eine visuelle und geistige Desorientierung stürzen mag, so entsteht an den wirklichen Knackpunkten des Buches gerade durch diese Erzählart ein unverstelltes Erlebnis, eine perfekte Kommunikation zwischen Vorstellung und sprachlicher Aussage; ein wahrer Sturm an Mitteilungs- und Darstellungsmöglichkeiten durchwirkt das ganze Buch.

Marcel Reich-Ranicki lobte Koeppens Buch als einen der herausragenden Romane des 20. Jahrhunderts. Ganz gleich was man von Herrn Ranicki halten mag, mit dieser einfachen Formulierung hat er definitiv ins Schwarze getroffen. Koeppen gehört wie Franz Kafka und Thomas Mann oder auch Thomas Bernhard zu den bedeutenden und gewiss auch schwierigen Literaten des vergangenen Jahrhunderts, die mit ihrer Sprache und ihren Themen einer ganz neuen Form der Daseinsbeschreibung den Weg geebnet haben. Wo, Wo sind ihre Erben hin?

Kurz zu Peter Handke und seinem Torwart


“Bloch war ziemlich betrunken. Alle Gegenstände schienen außer seiner Reichweite zu sein. Er war so entfernt von den Vorgängen, dass er selber in dem, was er sah oder hörte, gar nicht mehr vorkam.”

In Handkes Novelle geht es zwar um einen ehemaligen Torwart, doch damit hat sich die Verbindung zum Fußball auch schon, es sei denn, man bemüht die Metaphorik. Denn eigentlich geht es in der 106 Seiten langen, spröde, bildhaften Geschichte um eine einfach und doch groteske Daseinsverzerrung – Bloch, der ehemalige Torwart, wird gleich zu Anfang des Textes als Form aus der Welt hinaus geschlagen und taumelt in eine abseitige Ebene der Realität – gleich der erste Satz vernichtete alle Festigkeit die der Protagonist irgendwann einmal besessen haben könnte:
“Dem Monteur Josef Bloch, der früher ein bekannter Tormann gewesen war, wurde, als er sich am Vormittag zur Arbeit meldete, mitgeteilt, dass er entlassen sei. Jedenfalls legte Bloch die Tatsache, dass bei seinem Erscheinen in der Tür der Bauhütte[…], nur der Polier von der Jause aufschaute, als eine solche Mitteilung aus und verließ das Baugelände.”

Bloch erscheint uns auf diese Weise sofort wie ein Fetzen, wie aus einer Zeitschrift herausgerissen, ein Stück, dass für sich sprechen kann, dem aber trotzdem seine eigentliche Umwelt fehlt. Und so nimmt sich Bloch von da an auch selbst war; ständig versucht er eine neue Definition von sich zu bekommen, versucht all die Gesetzmäßigkeiten seiner Umwelt und Gesellschaft zu durchleuchten und zu verstehen. Dabei stößt er sich vor allem an der Sprache, aber auch an den Umgangsformen und den Kausalitäten menschlicher Handlungen, die plötzlich auf den einfachsten Ebenen wie unbegreiflich sind. Gleich einem zweiten Mersault (Siehe: Albert Camus, der Fremde) wandert er ziellos und von allem unangetastet umher, ohne sich selbst zu finden – stattdessen versucht er die Welt zu finden um sie als Spiegel zu benutzen, um sich endlich doch wieder selbst sehen zu können. Für den Leser wird diese Reise ein irritierendes und doch erfahrungsträchtiges Ringen mit Handkes Figur, mit seiner sperrigen Erzählung, mit der ohnmächtigen Atmosphäre.

Handkes Sprache und auch seine Gedankenspiele sind äußerst beeindruckend und üben wohl auf jeden Literatur- und Sprachbegeisterten eine bleibende Wirkung aus. Daran das der Text inhaltlich äußerst belanglos bleibt (es kommt ein Mord vor – sehr am Rande; quasi nur als stechender Schmerz, der durch den Text pulsiert) kann man sich stoßen, aber die große Kraft und Bildhaftigkeit, die Handke mit Bloch auf die Welt wirft, hat zumindest mir einige sehr schöne, flüchtige Lesestunden beschert; dennoch: ganz abschließend kann man auch kritisch hinterfragen, ob die autistische Prosa Handkes neben ihren vielen kleinen Ideen wirklich etwas Handfestes zu bieten weiß, was man wohl verneinen muss. Es bleibt eine Prosa ohne Ansicht, denn für Handkes Sprache ist alles durchsichtig.