“Die Seele streift die Seele nicht.” – Gedichte von Gioconda Belli im Band: “Ich bin die Sehnsucht, verkleidet als Frau.”


“Gedichte gehen durch eine verspiegelte, verglaste Nacht/ und verlieren unsere Vergangenheit/ in bunten Scherben hinter sich.”
Jorge Luis Borges

“Am Meeresufer
hat die Zeit ihre eigene Gangart, ist blau.

Ich bin eine Frau, die morgens
zwischen Palmen wandert
und den Ozean zu ihren Füßen beschaut,
von heftigen Wellen besänftigt,
die den Bimsstein ihres Herzens polieren.”

Lyrik, das im Grunde etwas sehr Vages. Selbst moderne und zeitgenössische Dichter verstecken sich mehr den je hinter der beflissenen Unbestimmtheit eines vagen lyrischen Ichs, eines Ich’s im Streifzug, das nicht nur die Eindrücke und die Aufmerksamkeit wechselt, sondern kaum mehr als ein menschlicher Beobachter zu verorten ist – nur wenige Dichter haben es in der modernen Geschichte der Lyrik überhaupt geschafft, dieses Ich konkreter zu halten und trotzdem gute Gedichte zu schreiben. Doch einige gibt es: William Carlos Williams zum Beispiel, aber auch Erich Kästner und Mascha Kaleko, Czeslaw Milosz und dazu große Namen wie Tomas Tranströmer, Joseph Brodsky und auch Durs Grünbein, in einigen Werken.

Ich schätze solche Gedichte sehr, weil sie, obzwar nicht allzu viel über die Möglichkeiten der Dinge aussagen, sehr menschliche Perspektiven ermöglichen, Perspektiven, mit denen wir alle die Welt nun einmal wahrnehmen, die aber zugleich poetisch sind. Sie beziehen die Erfahrungsdichte aus der natürlichsten Quelle, dem Erlebnis des eigenen Ich und machen sie durch Sprache, durch Bilder und Gedankenwandlungen, zu einer größeren Idee dieses Erlebnisse.
Eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Form von Lyrik, die auch die kunstvollen und sehr kreativen Formungen zeitgenössischer Dichtungen und Abstraktionen, nicht wirklich ersetzen können, obgleich sie eine neue, spannende, erkenntnisreiche Komponente dem lyrischen Spiel hinzugefügt haben.

Gioconda Belli, geboren in Nicaragua, ist eine der wichtigsten und vielseitigsten Dichterinnen der Moderne. Manche ihrer Gedichte lesen sich wie Oden, andere wie Spiele, andere wie Essays; doch in allen steckt die Leidenschaft, der Drang, in Bildern sprechen zu wollen, zu erkennen, was Körper und Geist im Ausdruck sein können.

“Lasst uns den Körper anbeten/ untrüglicher Altar des Wortes und des Seins.”

“Hässlich sind deine Füße, aufregend. Wie die
Hufe des Einhorn, das in den Büschen stöbert mit seinem in
unendlicher Spirale gewundenen Horn.”

Obwohl sie für ihre erotischen Liebesgedichte bekannt ist – ein Genre, welches sie in der Tat bereichert hat – sind Betrachtungen zu ihrem Land, Ansichten zu moderner Technologie, Gedichte für/über ihre Tochter, sowie philosophische und einige sehr persönliche Gedichte ebenfalls in diesem Band enthalten. Dadurch entsteht ein lyrisches Gesamtbild des Menschen Gioconda Belli, eines Menschen voller Zuneigung, Intelligenz und Reife, jedoch auch Schwäche und Angst – all das wir rausgekehrt und, poetisch gezeichnet, ehrlich dargelegt. So entstehen, Idee und Bekenntnis eines Menschen, suchend und findend wie jeder andere Bewohner der Erde.

“Ich leide an einer Traurigkeit aus Blättern,
die der Wind gegen die geschlossene Tür weht.

Es ist Herbst und das Laub wirbelt auf.
Als würden alle leeren Tages des Lebens
sich im Garten anhäufen und ihre Vergeudung rascheln.”

“Durch weit vernetzte Räume reisend
werde ich auf der Tastatur meine Nostalgie nach den Chimären
kundtun und unverzichtbar
das Festhalten an den wichtigsten Freuden nennen:
das dunkle Rosa der Körper. Ihre Nuklearfusion, die das
Universum schafft.
Die Ewigkeit der Schaukeln im Park.
Die Notwendigkeit, im Angesicht fremden Schmerzes zu weinen.”

Große Lyriker sind meistens wegen ihres Gefühls für Bilder und Stimmungen bekannt, für Metaphern und Ansätze zu einem größeren Raum des Denkens in einem noch so kleinen Ding oder Gedanken. Kommt dann, wie bei Gioconda Belli, noch diese selbstverständlich Ehrlichkeit und eine sanfte Offenheit dazu, kann man einen Lyriker fast einen Freund nennen, einen Gesprächspartner, eine poetische Seele, die uns dennoch mit ihrer Poesie nicht die Welt verhängt, sondern Aussichten und Einsichten in sie eröffnet. Die sprachliche Nähe in ihrem Wesen nutzt sie überall, sei es nun in einer Stadt, die sie durchschreitet, in ihrer Liebe zu ihrem Geliebten oder beim Glück ein Eis zu essen. Oder die Angst vor einer ungewissen Zukunft:

“Nicht verdrängen kann ich die Frage, ob der Blick seine Aufgabe
behalten wird, zu sehen, wie der Regen den Nachmittag an den
Wänden bleicht, ihn Rosa und Gelb verwäscht.
Mich erschreckt die Vorstellung eines Auges, dessen
einzige Landschaft das Lichtquadrat eines allgegenwärtigen
Bildschirms ist.”

Ich empfehle diese Poetin und hoffe, sie wird gelesen werden. Denn vor jedem Dichter, der in unserem Jahrhundert noch schöne Gedichte schreiben kann, ziehe ich den Hut – denn es ist schwerer geworden, in einer Zeit, wo die Massenmedien die Blickrichtung und die nähere Betrachtung eines Gegenstandes bestimmen und die menschliche Einsicht wenig dazu beiträgt, während große Einsichten, die oftmals keine sind, regieren.

Gerade in so einer Zeit, brauchen wir Gedichte, diese öffnende und schließende Form, diese Beschleunigung und Verlangsamung der Gedanken, dringender denn je.

“Nächte wie diese
haben mich fortgetragen
zu Sonnenaufgängen, deren Farbe stark der Zärtlichkeit ähnelt.
Oder dem wohligen Wissen um die eigene Winzigkeit
wie ein Sandkorn an einem dunklen Strand zu liegen
in unermesslicher Begleitung.”

Link zum Buch

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