Brüder überm Himmelszelt/ muss ein lieber Vater wohnen!”
Ode an die Freude
Bis heute ist es eine dieser Szenen der Geschichte, die sich leicht von den vielen gewöhnlichen Episoden der Konflikte und Kriege abhebt und eine fast unbeugsame Glorie in sich trägt: Das bereits verlorene Frankreich wird durch ein Bauernmädchen gerettet, das mit der Hilfe Gottes die Engländer schlägt und den Dauphin, den rechtmäßigen Thronfolger, als König von Frankreich proklamiert.
So faszinierend ist die Geschichte, so einfach und gleichsam verworren, dass sie in vielen Künsten Anklang fand. Wer kennt nicht das berühmte Bild von Dominique Ingres; Shakespeare schilderte aus der Ferne ihre Geschichte in seinem Drama -Heinrich VI- mit einer ganz besondere Note der Begeisterung; neben Schiller haben auch der große irische Dramatiker George Bernhard Shaw (Die heilige Johanna) und der französische Dramatiker Jean Anouilh (Jeanne oder Die Lerche) die Geschichte und den Mythos Johannas beleuchtet; auch die Spielentwickler haben in dem Strategiehit Age of Empires 2 eine Kampagne nach ihrem Leben ausgerichtet.
Sie wurde selig und heilig gesprochen und der 30. Mai ist immer noch ihr Gedenktag.
Schiller hält sich eher leidlich an die historisch korrekten Abläufe, sucht dafür über all Glorie und Zerissenheit, doch trotzdem hat er es geschafft, das Wesen der Dramtatis Personae, vor allem das der Johanna, einzufangen. Sein Drama ist lebendig und farbenreich wie selten ein Stück, Emotionen fließen (vielleicht überschäumend von Zeit zu Zeit) durch jede Zeile – so in dieser, in der der Herzog von Burgund den Mördern seines Vaters vergibt:
“Ihr Todesgötter, rechnet mir’s nicht zu,
Dass ich mein schrecklich Rachgelübde breche.
Bei euch dort unten in der ew’gen Nacht,
Da schlägt kein Herz mehr, da ist alles ewig,
Steht alles unbeweglich fest – doch anders
Ist es hier oben in der Sonne Licht.
Der Mensch ist, der lebendig fühlende,
Der leichte Raub des mächt’gen Augenblicks.”
Der ganze Text ist gleich einem kunstvollen Hohelied, mit Wundern und Wandel, Verirrungen und großen Gesten. Keine Figur ist Frage und wenn Johanna zu einem anderen sagt: “Der Geist zeigt mir nur große Weltgeschicke/ DEIN Schicksal ruht in deiner eigenen Brust!” wirft sich eine Frage über das ganze Drama: galt (bzw. gilt) dies auch für Sie selbst?
An anderer Stelle sagt sie zu ihrem Jugendfreund:
“Du siehst nur das Natürliche der Dinge,
Denn deinen Blick umhüllt das ird’sche Band,
Ich habe das Unsterbliche mit Augen
Gesehen – ohne Götter fällt kein Haar
Vom Haupt des Menschen – Siehst du dort die Sonne
Am Himmel niedergehen – So gewiss
Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,
So unausbleiblich ist der Tag der Wahrheit!”
Und obwohl es wohl hauptsächlich ein sprachliches Lesevergnügen ist, wer tiefer gehen will, der findet hier eine ein ums andere Mal durch Poesie und Klang getragene Dialektik vor, einen Zwiespalt, der das Problem des Göttlichen und Menschlichen, wie auch andere Gedanken sehr gut einfasst und streift.
Zuletzt sei noch gesagt: Goethe hielt das Stück für das beste Drama, das Schiller verfasste.