Nur 1/5 seines Werks hat Franz Kafka zu Lebzeiten veröffentlicht und das auch nur mit sehr zwiespältigen Gefühlen, die nicht selten in ein handfestes Bedauern umschlugen. Heute da wir diese Texte vor uns ausgebreitet sehen, mag es uns seltsam erscheinen, dass ein so bedeutender Erzähler wie Kafka, Zweifel an der Tragweite und tieferen Wahrheit (oder wahren Tiefe) seiner Texte hatte oder ihre Bedeutung nicht ermaß, für andere vorweg verkannte. Doch auch heute noch trifft man oft die Meinung an, Kafka sei unlesbarer und langweiliger, mitunter sogar überschätzer Autor. Kafka – nichts weiter als ein geschaffener Mythos um einen verwirrten und verschrobenen Sprachverdreher?
Ein definitives und uneingeschränktes Nein muss ich allen auch noch so Unbedarften und Unwilligen zuwerfen, die Kafka in diesem Licht sehn.
Kafka ist sogar noch viel mehr als ein bedeutender Literat; seine Aphorismen, ja sogar die in diesem Band hier zusammengefassten Texte, weisen ihn als Philosophen (also als “erzählerischen” Philosophen wohlgemerkt) und als einen großen Denker auf, wenn auch einen hadernden Denker – in Schreiben und Leben.
Um Kafka zu verstehen, muss man erst einmal selbst etwas verstehen, nämlich dass nichts in Kafkas Texten sich gewöhnlicher Logik beugt – zwar wohnt seinen Texten eine (nicht selten (alb-)traumhafte, oder zumindest abstrakte) eigene Logik inne, doch der Kern seiner Prosa ist ein ganz und gar phantastischer. Nur eben nicht im klassischen Sinne phantastisch, denn er ist dem normalen Leben auf eine Weise nah und gleichzeitig entlegen, die nichts mit überdrehten, futuristischen oder magischen Elementen zutun hat, sondern mit dem Unbehagen über das Leben und die Dinge selbst. Nirgendwo ist dieses Unbehagen tiefer und deutlicher aufgestellt als bei Kafka, es ist ungefiltert und deutlich an der Oberfläche, während es im eigentlichen Dasein stets im Menschlichen und den Gedanken verborgen liegt.
Dieses Unbehagen drückt sich sehr verschieden aus, es erfasst die Beziehungen von Vater und Sohn, Mann und Frau, die Sicherheit der Existenz und die Gewissheit im Allgemeinen.
Es wäre natürlich zu einfach, dies als einzigen Faszinationspunkt festzulegen, den Kafka hat noch so viel mehr zu bieten. Aber es ist ein wichtiger Aspekt, denke ich, um einige der von Kafka aufgebauten Stimmungen, die Realität seiner Prosa, etwas besser zu verstehen.
Auf der anderen Seite ist Kafkas Welt auch eine Fundgrube der Parabeln, Gedankenanstöße und enthält obendrein ein paar der intensivsten, weil völlig von einem erzählerischen oder inhaltlichen Credo losgelösten, ganz in einer gleichsam determinierenden udn offenbarenden Prosa aufgehenden, Erzählungen, die man in der deutschen Sprache lesen kann und immer wieder und wieder mit neuen Eindrücken lesen kann. Diese Prosa, sie ist erklärbar und schwebt doch gleichsam, leichter als alles, über den Erklärungsversuchen, jeder kann sie völlig unbeeinflusst lesen, wenn er will und selbst in diese Fabeln sich versteigen, kann diese geradezu erbarmungslosen Vorstellungen auf ihren beengten, unvergesslichen Bühnen erleben, kann die verlassene, winddurchpeitschte Sehnsucht spüren, die in Kafkas Texten liegt, in dem Versagen, das auch sie nicht verhindern können und wissen wollen: warum?
Hadern und Hadern, aber dennoch Bemühen – Kafka brachte das Schicksal des modernen Menschen, der unzähligen Totalitäten, von Staat bis Masse, von Meinung bis Relativität, ausgesetzt ist, in seinen Parabeln auf den Punkt. Er formte die Vorstellung dieser Verlorenheit und ihrem Schrecken, in kleine Erzählungen und kurze Texte. Sie sind ein einzigartiges literarisches Vermächtnis.
Ich habe zwar von Kafka bisher nur “Die Verwandlung” gelesen, aber was ich bisher über ihn festmachen konnte, passt eigentlich ziemlich gut zu dem, wie du ihn beschreibst. Ein auf schöne Weise sehr treffender Text :).
Vielen lieben Dank 🙂
Dein kurzer Kommentar hat mich den ganzen Morgen lang fröhlich gestimmt!
Timo
😀 das freut mich 🙂