Monthly Archives: November 2015

Veröffentlichung


Wer dran interessiert ist: Bin in der neusten Ausgabe (Nr. 4) vom offenen Feld!

Die Website: http://www.offenesfeld.de/

Auf Amazon: http://www.amazon.de/offenes-feld-Verein-Offenes-Feld/dp/3738659145/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1448098607&sr=8-1&keywords=offenes+feld+4

Hier eine Besprechung der ersten Ausgabe: http://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/offenes-feld-ev/offenes-feld

Ich freu mich über Leser und Interessierte.

Kurz zu Angelika Klüssendorfs Roman “Das Mädchen”


Für einen Tag fesselte mich dieses Buch auf das Sofa; einen Tag lang verfolgte ich nahezu ohne Pause (fast als wäre das Buch als ein einzelnes Erlebnis unumgänglich) der Geschichte eines Mädchens, das namenlos bleibt und dessen Existenz sich wahrscheinlich zusammenfassen ließe mit den Worten: Hier ist wohl viel passiert, aber wenig davon würde man als Außergewöhnlich bezeichnen.

Dabei ist eigentlich alles außergewöhnlich – für das einzelne Individuum. Eine existenzielle Wahrheit, die in Angelika Klüssendorfs Buch sehr gut zum Ausdruck kommt. Jedes Leben, jeder mit Leben gefüllte Körper, ist eine einzigartige Form von Wahrnehmung, Erlebnis, Erwartung und Gefühlen. Und jedes Leben steht im Schatten anderer Leben, die bereits fortgeschritten sind.

In “Das Mädchen” wird eine Form von Elend und Milieu gezeigt, die weit davon entfernt ist, im materiellen Sinne katastrophal zu sein. Nicht die Armut an Besitz macht hier das schmale Entsetzen aus, das alles umspinnenwebt, sondern die Armut an Raum für Emotionen, für Hoffnungen, Entwicklungen.

Wer eine augenscheinliche unspektakuläre, aber sehr existenzielle Erfahrung machen will, sollte “Das Mädchen” lesen. Es ist ein Buch, dass sich unter die Haut eines Menschen begibt, der schon von Anfang an im Abseits des Lebens steht und dennoch existiert, als eine Bewegung durch formlose Zeit und durch verengte Perspektiven. In seiner Kürze und Nüchternheit (die eine Unerhörtheit anstößt) ein großartiges Dokument!

Zu Tolkiens drei Aufsätzen/Vorträgen in “Gute Drachen sind rar”


Man kommt J.R.R. Tolkien nicht leicht bei. 60 Jahre nach der Veröffentlichung von “Der Herr der Ringe” ist der englische Schriftsteller weiterhin fast ausschließlich als “Begründer der Fantasy” bekannt; nur manchmal taucht dahinter noch diffus eine Ahnung jenes größeren Werkes auf, an dem Tolkien sein Leben lang arbeitete und von dem die Ring-Trilogie und “Der Hobbit” nur einen kleinen Teil ausmachen: Das Silmarillion und die Geschichte von Mittelerde, die mit einer Entstehungs- und, Vorgeschichte, Religionen und Mythen, Sagen und historischen Figuren, Geschichten und Familienfehden (und vielem mehr) aufwarten kann.

Neben diesem Mammutwerk steht klein und unscheinbar Tolkiens essayistisches Werk. Es behandelt fast ausschließlich Themen, die für Tolkien selbst und auch für die Entstehung seiner Werke von immenser Bedeutung waren; es sind quasi die Puzzleteile, aus denen sich seine Inspiration zusammensetzen ließe. Trotzdem wird den Vorträgen und Aufsätzen auffällig wenig Beachtung geschenkt – was auch damit zusammenhängen mag, dass sie meist die Essenz einer sehr breiten Auseinandersetzung sind und keine einnehmende Art an den Tag legen.

Was nicht heißt, dass sie nicht interessant und lehrreich wären. Aber schon diese beiden Adjektive erschöpfen in den meisten Fällen die Reize, welche die Texte bedienen können. Sie sind weder besonders eloquent, noch amüsant oder gar unterhaltsam – mit Ausnahme des Beowulftextes, auf den ich weiter unten zurückkomme. Sie weisen eine große Umsichtigkeit auf, aber letztlich bleiben sie auf die Faszination beschränkt, die Tolkien von seiner Seite heranträgt und entfachen ein bisschen zu wenig davon im Leser, machen ihm die Dinge klar, aber gewinnen ihn wahrscheinlich nicht ganz dafür.

Dies wird vor allem beim ersten Text in diesem Band “Ein heimliches Laster” deutlich. Darin geht es um das Erfinden von Sprachen. Nachdem Tolkien schildert, wie er mit dem Thema in Berührung kam, erschöpft sich der Vortrag im Weiteren bereist in ein paar Beispielen aus seinen eigenen Kreationen. Nicht, dass dabei nicht interessante Ansätze vorkommen würden und was Tolkien zur Entstehung von Sprachen zu sagen weiß und wie sie funktionieren, ist wiederum interessant, aber selten kommt es der eigenen Erfahrung wirklich nahe.

Der zweite und längste Text “Über Märchen” ist wohl nur für die Leser geeignet, die sich erschöpfend mit diesem Genre auseinandersetzen wollen – oder für die, die einen umfassenden Einblick in dessen Etymologie erhalten wollen. Mit einer manchmal etwas umständlichen Sorgfalt nähert Tolkien sich zunächst der Definition des Märchens und grenzt es von anderen Gattungen ab; dann geht er Stück für Stück den einzelnen Elementen, die es ausmachen und seine Qualitäten sind, auf den Grund.

Das Meisterstück und schon allein ein Grund sich diese Ausgabe zuzulegen, ist der Aufsatz “Die Ungeheuer und ihre Kritiker”, eine Betrachtung und Verteidigung des Beowulf-Epos. Der Text ist zum einen ein Meilenstein in der Forschungsgeschichte des Gedichtes, den Tolkien wendet sich gegen die herkömmliche Einschätzung, dass das Gedicht nicht unter ästhetischen, sondern nur unter historisch-archäologischen oder philologischen Gesichtspunkten eine Betrachtung wert sei.
Tolkien war selbst Philologe und wusste um den großen Wert des Textes als Bruchstelle zwischen den frühen prä-angelsächsischen Sprachen und den Anfängen eines modernen Englisch. Aber er war dennoch entschlossen, die ganz eigene Schönheit des Gedichtes zu betonen und diesen Aspekt noch über den wissenschaftlichen Nutzen zu stellen und schenkte uns eine der schönsten literarischen Liebeserklärungen; von einer Auffassung durchdrungen, die es schafft, uns das Originelle und die Wirkungsart des altenglischen Textes wirklich zu zeigen und nahe zu bringen.

Tolkien war sicher nicht der geschickteste Essayist, seine Vorlieben spannen ihn manchmal allzu sehr ein und wirken sich auf den Grad der Aufschlussreichheit aus. Er verfügte über ein umfassendes Wissen und eine arrivierte Begeisterung, hat eine lebendige Beziehung zu seinen Forschungsgebieten. Das macht die Texte dieses Bandes letztlich dann doch sehr lesenswert.

Ein Meisterwerk: Orwells Farm der Tiere


Als George Orwell “Animal Farm” schrieb, war es bereits sein vorletztes Buch (sein letztes sollte “1984” werden, kurz darauf starb er). Der Großteil seines Werkes war bereits, nahezu unbemerkt, erschienen, darunter dokumentarische und hellsichtige Werke wie “Mein Katalonien”. Orwell hatte als Obdachloser gelebt, war in Burma stationiert gewesen, hatte im spanischen Bürgerkrieg gekämpft und viele Artikel und Pamphlete verfasst. Überall prangerte er soziale Missstände an und verwies, wo es ging, auf die Leistungen der schwerarbeitenden Klassen der Gesellschaft. Als ein bekennender Sozialist und Humanist interessierte ihn vor allem die existenzielle Dimension des Daseins und er sah im Kapitalismus die große Problematik für die Gerechtigkeit in der Gesellschaft.

1946 erschien in der vierten Ausgabe der Zeitschrift Gangrel ein kurzer Artikel von ihm, mit dem Titel: “Warum ich schreibe”. (Auch enthalten in der Sammlung “Im Bauch des Wals”). Unter anderem schreibt er dort: “Farm der Tiere war das erste Buch, bei dem ich in vollem Bewusstsein dessen, was ich tat, versuchte, das Politische und das Künstlerische zu einem Ganzen zu verschmelzen.”

Und in der Tat ist Farm der Tiere eines der wenigen gelungen Beispiele für eine Verschmelzung von Kunstwerk und Kritik, von Parabel und Erzählung, von Engagement und Fantasie. Verschmelzung im wahrsten Sinne des Wortes, denn hier wird subtil und nachvollziehbar, in Etappen und doch im Ganzen, die Korrumpierbarkeit von Macht dargestellt und gleichzeitig ein wunderbares Märchen erzählt, so einfach und phantastisch und brutal, das es wahrhaftig als Chiffre dienen, aber auch als Lehrstück für Kinder gelesen werden kann.

Natürlich weiß nahezu jeder, worum es in Animal Farm geht und was abgebildet werden soll. Aber das kann man ganz beiseitelassen und es dann selbst erfahren, wenn man dieses wunderbare Buch liest. Es ist eine Lektüre, die einer großen Offenbarung gleicht und doch auch ein Genuss ist. Es gibt unvergleichliche und unvergessliche Figuren, es gibt Seitenhiebe und eine Komik, die so stark herauskommt und so tief trifft, dass man sich wundert, über die Kraft der Erzählung, über ihre starke Verbindung zum realen Vorbild.

Fakt ist, dass Animal Farm eines der wenigen vollkommenen Bücher ist, die ich in meinem Leben gelesen habe. Ja, das mag übertrieben klingen, aber ich bin jederzeit bereit, diese Übertreibung zu verteidigen, zu wiederholen. Hier ist eine kleine, aber umfassende, in jeder Faser gelungene Erzählung entstanden, die so viele Sinnbilder enthält, die uns zur Reflektion und zum Nachdenken zwingen und uns gleichsam tiefer in die Geschichte ziehen, beides zu gleichen Teilen. Ein (man kann es wagen, es zu sagen) Meisterwerk. Ein Buch, das jeder einmal gelesen haben sollte.

George Orwells Bericht “Mein Katalonien”


“Ich war nach Spanien gekommen, um Zeitungsartikel zu schreiben. Aber ich war fast sofort in die Miliz eingetreten, denn bei der damaligen Lage schien es das einzig Denkbare zu sein, was man tun konnte. […] Man hatte den Japanern erlaubt, in der Mandschurei zu tun, was sie wollten. Hitler war zur Macht gekommen und fuhr fort, die politischen Gegner aller Schattierungen zu massakrieren. Mussolini hatte die Abessinier bombardiert, während dreiundfünfzig Nationen abseits standen und fromme Sprüche von sich gaben. Aber als Franco versuchte, eine gemäßigt links orientierte Regierung zu stürzen, lehnten sich entgegen allen Erwartungen die spanischen Menschen gegen ihn auf. Es schien die Wende der Flut.”

Fast vier Monate lang blieb George Orwell in der katalonischen Miliz, bei einer Abteilung der anarchistisch-sozialistischen Arbeiterbewegung, erlebte die Front, das Lazarett und zuletzt die Straßenkämpfe, politischen Verwicklungen und Propagandaschlachten in Barcelona. Seine Schilderungen und Analysen zu letzterem bilden das wirkliche Kernstück dieses Buches und sind sein großer Verdienst, bis heute.

“Es war nämlich vor allen Dingen ein politischer Krieg. Kein Ereignis, besonders aus den ersten Jahren, ist verständlich, ohne eine Gewisse Kenntnis von dem Kampf zwischen den Parteien, der sich hinter der Frontlinie der Regierungsseite abspielte.”

Der spanische Bürgerkrieg wird in der historischen Betrachtung meist leichtfertig zusammengefasst als Kampf von Demokratie gegen Faschismus, als ein Aufbegehren von liberalen, kommunistischen, sozialistischen, demokratischen Elementen gegen die Flut des Totalitarismus. Aber gerade der ideologische Kampf auf Seiten der republikanischen Seite, der (zumindest in Katalonien) einen Bürgerkrieg in sich darstellt, wird dabei gerne verschwiegen; es wird gerne ausgespart, dass im republikanischen Spanien der Jahre 1937-38 eine der größten kommunistischen Säuberungsaktionen des 20. Jahrhunderts stattfand und einige anarchistische Arbeiterschaft-Verbände mit Terror und Willkür unterdrückt wurden.

Orwell kam im Dezember 1936 nach Barcelona, das Buch erschien 1938, noch bevor der Krieg beendet war. Es ist daher kein umfangreicher Bericht über den Bürgerkrieg selbst und auch keine Analyse des Kriegsverlaufes. Es ist ein persönlicher Erlebnisbericht aus dem Räderwerk des Bürgerkriegs, nicht nur des Fronteinsatzes, sondern vor allen Dingen der politischen Prozesse, die währenddessen abliefen.

Als Orwell nach Barcelona kommt, hat die Arbeiterschaft dort eine fast perfekte sozialistische Utopie umgesetzt. Es gibt keine Unterschiede in Sold und Gehalt mehr, alles liegt in den Händen der Arbeiter. Er tritt der anarchistischen Arbeitermiliz P.O.U.M. bei und geht an die Front. Als er ein paar Monate später zurückkehrt, haben sich sowohl die realpolitischen Verhältnisse geändert, wie auch die gesellschaftlichen. Alles war wieder zum bourgeoisen Standard zurückgekehrt. Orwell zog die richtigen Schlüsse und erkannte früh, was ein Problem des 20. Jahrhunderts war und ein Erbe geworden ist, das das 21. Jahrhundert weiterhin mitträgt:

“Im Namen der Demokratie gegen den Faschismus zu kämpfen, heißt, im Namen einer Form des Kapitalismus gegen eine andere zu kämpfen, die sich zu jeder Zeit in die erste verwandeln kann. Die einzig wirkliche Alternative zum Faschismus ist die Kontrolle durch die Arbeiter. Wer sich irgendein kleineres Ziel als dieses setzt, wird entweder Franco den Sieg aushändigen oder im besten Falle den Faschismus durch die Hintertür hereinlassen.”

Der Kapitalismus und die staatliche Gewalt sind, wie Orwell aufzeigt, die wesentlichen Probleme und die wesentliche Unterdrückung der menschlichen Gesellschaft. Später wurden die Arbeiterverbände nicht nur aus der Regierung gedrängt, sondern vollständig aufgerieben, verhaftet, in Kerkern zum dahinvegetieren verdammt oder insgeheim erschossen. Die linke Presse in aller Welt druckte damals munter die kommunistische Propagandalüge, dass alle Mitglieder der Anarchisten geheime Handlanger Francos sein – eine Behauptung die nicht falscher sein konnte, lagen doch zum größten Teil Mitglieder der anarchistischen Miliz zu der Zeit an der Front und hielten sie.

“Als eine der traurigsten Wirkungen dieses Krieges erkannte ich, dass die Presse der Linken bis ins kleinste genauso falsch und unehrlich ist wie die der Rechten. […] Das ist in allen Kriegen immer dasselbe. Die Soldaten kämpfen, die Journalisten schreiben. […] In Wirklichkeit unterliegt jeder Krieg mit jedem Monat, den er länger dauert, einer gewissen sich steigernden Entartung. Begriffe wie individuelle Freiheit und wahrhaftige Presse können einfach nicht mit dem militärischen Nutzeffekt konkurrieren.”

Orwells Buch ist ein verdammt wichtiges Dokument und eine Lektion in Antipropaganda und wider der historischen Geschichtsschreibung, die sich der Wirkungen verpflichtet sieht und nicht der Ursprünge und der Schicksale, Tatsachen und Ideen, die auf der Strecke bleiben. Es ist kein besonders spannendes Werk, teilweise auch nicht gerade großartig geschrieben, aber in seiner unaufgeregten und völlig unheischenden Dimension gewinnt es einen Grad an Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit für sich, der mich sehr beeindruckt hat. Orwell schreibt am Ende, dass man seine Ausführungen kritisch hinterfragen soll und er meint es völlig Ernst. Und doch öffnet er einem mit dem Buch eine Sicht auf ein völlig verstelltes Kapitel des spanischen Bürgerkriegs und des zivilen und gesellschaftlichen Kampfes im 20. Jahrhundert. Und legt den Finger auf eine Frage, dessen Antwort weiterhin auf sich warten lässt: Wie kann man gewährleisten, dass die Interessen von allen in einem staatlichen Konzept gehört und bedacht werden?

Zu Paulus Hochgatterers “Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen”


In den frühen Morgenstunden des 11. September begeben sich drei Männer, alle Psychoanalytiker, auf einen Trip zum Fliegenfischen. Es gibt einen Hünen mit schlagfertig-trockener Souveränität, einen Ich-Erzähler, der uns seine Wahrnehmungswelt ungefiltert aufdrückt und einen neurotischen “Besserwisserlangweiler”. Ein Hauptteil der Handlung ist die Autofahrt und das Gespräch währenddessen, der andere das Fliegenfischen und die Ereignisse und Gespräche währenddessen, alles auf 112 in großer Schrift bedruckten Seiten.

Hochgatterer arbeitet vor allem mit zwei Motiven: Gesprächskultur unter Männern und den Wahrnehmungsabdrücken seines Protagonisten. Ersteres trägt das Buch ganz gut. Die Figuren haben schnell eine eingespielte Gesprächsdynamik, man kommt im Rahmen von Lebenswelt und Berufsfeld von Hölzchen auf Stöckchen, es werden Behauptungen aufgestellt, die mit Mixturen aus fabulierenden Irrwitz und metaphysischer Aufwertung eingefärbt werden; es gibt subtile Anklänge ans Innenleben und kleinen Fetzen von Alltag schieben sich zwischen die losgelöste Stimmung des Ausflugs. Zwar wirkt das Personalsetting mit den drei Psychoanalytikern ein wenig aufgesetzt, aber letztlich greift dank der Unaufgeregtheit, mit der die Konstellation interagiert und ihre Themen findet, eine geradezu natürliche Authentizität. Die Figuren fangen an zu einem freieren Wesen zu finden, nicht nur eine Konstruktion des Autors zum Zweck einer Geschichte zu sein.

Die Wahrnehmungsabdrücke des Ich-Erzählers stellen sich wiederum als sehr problematisch dar. Während sie als Kommentar und weiterentwickelte Gedanken zu den Gesprächen noch funktionieren können, aber auch oftmals plump eine Tiefe in der Figur wachzurufen versuchen, so sind seine Eindrücke während des zweiten Fliegenfischen-Teils nicht nur sonderbar und schwer einzuordnen, sondern vor allem so gut wie überflüssig. Da wird Obsession gespielt, mit verborgenen Sehnsüchten, aber so asthmatisch, einförmig, direkt, dass bei mir keinerlei Zugang entstehen konnte.

Insgesamt ist die unterschwellige Bedeutungsebene in Hochgatterers Buch mir ein kleines Rätsel geblieben. Man vermutet eine solche Ebene, immerhin haben wir hier Psychoanalytiker, wir haben ein bedeutsames Datum, wir haben existenzialistische Backcovertexte am Buch und geradezu archaische Anknüpfungen darin, aber das alles geht für mich nicht ganz auf, der Unterbau wird nicht sichtbar. Richtig gut ist die Erzählung an den Stellen, wo die drei Figuren in einer nicht unweigerlich zu transzendierende Situation miteinander reden. Dann gelingt vor dem Hintergrund eines Konfliktes, einer Aussage, der Blick in die Fassadenwelt des Menschen und seinen Wunsch, weite Wege darin zu finden, die man problemlos gehen kann. Mehr hätte dieses Buch nicht gebraucht, um gut zu sein. Die verschiedenen sonstigen Ansätze drängen das Buch in die Kategorie der gebärdigen, auf Bedeutsamkeit pochenden Bachmannpreisprosa-Attitüde, die oftmals nur manierlich wirkt und nicht elementar oder gelungen. Vielleicht müsste man die Geschichte mehrmals lesen um auf den bedeutungsschwangeren Kern zu stoßen. Aber Lust auf diese Arbeit macht einem die Auswärtigkeit dieses möglichen Kerns nicht.