Monthly Archives: December 2015

Lars Gustafssons “Die Tennisspieler”


Lars Gustafsson liebt es in seine Romane und Erzählungen philosophische Erwägungen und Gedankenspiele, historische Problemstellungen und geistesgeschichtliche Verknüpfungen einzubauen. Das folgende kleine Beispiel einer solchen Einbindung beschäftigt sich mit der Frage, was passieren würde, wenn ein moralisch hochentwickeltes Alien auf der Erde landen würde:

“Ich wollte folgendes sagen: Wenn ein solches Überwesen hierherkäme, gäbe es vermutlich nicht viel, was seine Bewunderung erregen würde. Wolkenkratzer – bah! Das Flächenbombardement von Dresden im Februar 1945 – pfui Teufel! Atombomben – widerlich! Hendrick Abels Beweis für die partielle Unlösbarkeit von Gleichungen fünften Grades – ja, ja, lieber Freund!
Es gibt eigentlich nur zwei Dinge, von denen ich mir vorstellen könnte, dass sie vielleicht die Bewunderung eines solchen Besuchers erregen würden. Das eine ist Mozarts Don Juan. Das andere ist der Aufschlag beim Tennis.”

Man hat bei den Romanen von Gustafsson das starke Gefühl, dass es ihm Spaß macht, sich selbst in eine erweitere, übers Form seiner eigenen Biographie hineinzuschreiben. Wie in dieser Erzählung behauptet, war Gustafsson tatsächlich 1974 Professor in Austin, Texas. Vielleicht hat er dort sogar so viel Tennis gespielt, wie er behauptet hat und vielleicht war er braungebrannt und muskulös. Vielleicht hat er tatsächlich ein ominöses Buch gefunden, das den Wahnsinn in Strindbergs Inferno erklären könnte. Vielleicht hat er wirklich einmal den mächtigsten Rechner der Verteidigungsabteilung der US-Luftstreitkräfte gesehen. Vielleicht hat er sich auf den ärmlichen Parktennisplätzen tatsächlich mit einigen großen Spielern gemessen, die einst Weltturniere spielten und dann lieber im Park spielen wollten.

Was an der Erzählung, die sich um diese Ereignisse windet, eine biographische Grundlage hat und was von dort aus fortgesponnen wurde, ist letztlich unwichtig. Aber es bedingt die ungewöhnliche und interessante Form, in der dieses schmale Büchlein auftritt und den Leser in einem Zwiespalt lässt, ob er es mit einer phantastischen oder sehr realen Erzählhaltungen zu tun hat. Diese Metaform macht, zusammen mit den vielen kleinen Anspielungen und geisteswissenschaftlichen Zwischenspielen, den großen Reiz dieses Buches aus.

Die Tennisspieler sind eine kurzweilige Erzählung und wollen, wie viele Texte von Lars Gustafsson, auf nichts Bestimmtes hinaus, haben aber eine Bestimmtheit in ihrer Form, die alles, was sie erzählen, wie eine kleine Eingebung zum Weltgeschehen wirken lässt. Viel wird angespielt und wie nebenbei aufgeworfen, manches formt sich zu einem faszinierenden Bild aus, manches wird direkt wieder fallengelassen. Dazwischen breitet sich, unnachahmlich leicht und beständig, das Lesevergnügen aus.

Zu Joan Didions Essays in “Im Land Gottes”


Joan Didion, die grande dame der amerikanischen Essayistik, begegnet einem in dieser Sammlung von sieben Essays als ein Teppichmesser, das den Vorhang vor politischen Persönlichkeiten und Ereignissen zertrennt und sie nicht als Schattenspiele, sondern als reale Vorgänge beleuchtet.

“Sie widersetzte sich diesem Impuls der Öffentlichkeit, Unzusammenhängendes zusammenzubringen, der Beruhigung wegen, der Zuflucht zur einfachen Lösung. Zur kollektiven Phantasie, in der sich Ereignisse verflüchtigen. The insistent sentimentalization of experience, die hartnäckige Sentimentalisierung von Erfahrung, wie Didion sagen würde. Die Reduktion von Ereignissen zu Erzähltem. Denn dieses Denken hat etwas Wesentliches verloren: die eigene Bedeutung.” (Aus dem Vorwort von Antje Rávic Strubel)

Vier der Essays sind allerdings sehr auf amerikanisch-innerländische Politikverhältnisse zentriert und nur für die zu empfehlen, die zu dieser Thematik einen Bezug wollen oder glauben, leicht einen aufbauen zu können. Diese Essays beschäftigen sich mit der Lewinsky-Affäre, Patricia Campell Hearst, Nancy Reagan, der religiösen Färbung der Bush-Rhetorik und Regierung und dem republikanischen Politiker Newt Gingrich.

Die anderen zwei Essays wiederum lassen sich sehr leicht in Bezug auf die Gegenwart lesen und viele Gedanken darin sind immer noch hochaktuell. In einer Zeit, in der die USA anfangen sich aus dem Nahen Osten zurückzuziehen und nach über 10 Jahren intensivster Einmischungen ein Trümmerfeld zurückzulassen, lohnt es sich, Didion Essay über den 11. September und die darauffolgende Stimmung im Land zu lesen, ebenso wie den kurzen Text über “Shoorters Inc” und den Aufenthalt von Georg Bush sen. im mittleren Osten.

In dem Essay über 9/11 wird nämlich sehr gut auf eine Problematik hingewiesen, die lange Zeit nicht genug in den Fokus gerückt wurde, aber endlich mal zur Sprache kommen müsste: dass die Anschläge auch eine Gelegenheit gewesen wären die amerikanische Nah-Ost Politik (oder direkt die ganze Außenpolitik) einmal zu hinterfragen, statt in einen kriegs- und racheversessenen Hurrapatriotismus zu verfallen. Didion weist wunderbar nach, dass hier eine Chance vertan wurde.

“Sie geht nicht davon aus, dass etwas ist, wie es scheint. Sie fragt danach, wie es ist. Wie es wurde, was es ist. […] Didion interessiert das Zustandekommen und Verblassen der Muster, in denen sich Menschen bewegen.” (Aus dem Vorwort von Antje Rávic Strubel)

Überhaupt beschäftigt sich ihr Schreiben viel mit vertanen Chancen, mit repressiven, alogischen und unnötigen Mechanismen und der Scheinheiligkeit von Taktiken und Präsentationsverfahren. Ihre Essays erwehren sich nicht der zahlreichen von ihr bemerkten himmelschreienden Verführungen, Entstellungen, Verfremdungen, Vereinfachungen und Dummheiten, sondern stellen sie nüchtern dar und schälen sie mit rationalsten Argumenten solange, bis sie nackt dastehen, ohne Mythos, Erzählhaltung und Glaubenshauch. Es ist immer wieder beeindruckend wie unverfänglich sie dem Leser auf diese Weise etwas “klarmachen” kann. Diese Unpersönlichkeit führt leider dann und wann auch zu einer übergroßen Distanz zwischen Leser und Geschriebenem, aber im Großen und Ganzen liegt eine Akkuratesse darin, die besonders und sehr lehrreich ist.

Zu Josef Winklers “Das Zöglingsheft des Jean Genet”


“Wenn nun ein Kindlein auf die Welt kommt, gibt man ihm den Namen, den einmal einer von den lieben Heiligen gehabt hat. Das ist ein schöner Brauch. So oft das Kind gerufen wird, soll es daran denken: Auch ich muss einmal heilig werden.”

Ein Heiliger wollte der Schriftsteller Jean Genet werden – aber einer, der heilig zu sprechen ist nicht wegen einer Erhabenheit, die vom Dreck des Lebens auf wundersame Weise unangetastet bleibt, sondern einer Erhabenheit, die im Dreck des Lebens, im Bild des Geschundenen, des Mörders aus Leidenschaft, des schönen Stolzes voller Unantastbarkeit, blüht, gedeiht.

Aufgewachsen in Fürsorgeinstitutionen, dann immer wieder in Justizanstalten und Gefängnissen, lebte Genet, bis sein literarisches Talent entdeckt wurde, das Leben eines von der Gesellschaft im Abseits, aber auch im Leben, zurückgelassenen Subjekts. Leben und Abseits bedingten sich und aus ihnen schuf Genet eine einzigartige Poetik.

Winkler zeichnet in seinem Buch nicht etwa bloß die Lebensgeschichte Genets nach, nein, er versenkt sich in sie, tritt unter die Oberfläche der Ereignisse und windet sich und den Text in die Wesenheiten, Erlebnisfasern Genets, fasst in sie hinein wie in Spinnenweben, hinter denen sich die großen Schätze befinden, der Glanz von Tod, Grausamkeit und einem zehrenden Dasein, das dich pochend umtreibt.

“Es ist gut, dass die Menschen sich von einem tiefgründigen Werk distanzieren, wenn es der Schrei eines Mannes ist, der sich ungeheuerlich in sein eigenes Ich verstrickt hat.”

Was ich an Josef Winkler so sehr schätze, ist die Unbedingtheit seines Schreibens. Seine Sätze sind lang, aber sie verlieren auf ihrem Weg nichts von ihrer Kraft, bis zum letzten Wort bleiben sie einer Ungeheuerlichkeit verpflichtet, die immer wieder aus ihnen herausplatzt oder wie in Stein gemeißelt hervortritt. Winkler reiste nach Paris, an den Ort wo Genet starb und wollte in seinem Totenbett schlafen und dann noch nach Tanger, von dort nach Larache, wo Genets Grab liegt. Diese sehr sanfte Manie macht dieses Buch (und viele andere Bücher von ihm) zu einer schälenden, aufreißenden Erfahrung.

Die fast hilflos-abhandenkommende und gleichsam durchdringende Macht, die Genets Werke und Gedanken über Winkler haben, bannt er in sein Zöglingsheft, reiht sie auf und reibt dem Leser die Augenbrust und tief dahinter den Verstand damit ein, färbt apokalyptisch-dürr die Kontur seines Helden und verwischt sie mit mäandernden Facetten, plötzlichen Vorstößen, bevor er Genet wieder anruft und ihn neu entstehen lässt. Er tritt eine Reise in Genets Biographie und Werk an, aber durchquert immer wieder seine Obsessionen, gibt eine annähernde Einführung und schreibt zwischen den vollführten Sätzen eine hochaufschießende Liebeserklärung, zelebriert das Genie Genets, egal ob er direkt über ihn schreibt oder über Landschaften, Begebenheiten, Anekdoten. Genet ist überall enthalten.

Wer sich von dem Lebensentwurf Genets faszinieren lassen will, sollte zu Winklers Buch greifen. Es wäre leicht, es eine Erkundung, eine Poetik oder einen Essay zu nennen. Aber es ist etwas ganz Elementares. Wie ein tiefer Schnitt, aus dem Genet rinnt, tropft, fließt.