Zu Tomas Espedals Buch “Wider die Natur”


“In dem Augenblick, als er sie sah, hatte er sein eigenes Alter vergessen.”

Lebensgeschichten sind meist auch Liebesgeschichten. Beide handeln zwangsläufig von Ewigkeit und Vergänglichkeit. In der Liebe wie im Leben kann der Mensch sich unsterblich fühlen mit dem, was er erlebt hat und glaubt erreicht zu haben. Und wie der Tod das Leben beendet, so endet auch die Liebe unvorhergesehen oder erwartet und reißt alles ein, was man erlangt hat; öffnet darunter eine tiefe Verletzlichkeit. Denn die weiche Stelle, an der eben noch die Liebe lag, ist plötzlich der Vergänglichkeit ausgesetzt, die kalt ist und gleichzeitig diese weiche Stelle verbrennt mit dem Gedanken an alles, was nun entbehrt muss. Eigentlich bleibt viel, nämlich alle Liebe, die bereits war; aber plötzlich wirft dieses helle Licht der Vergangenheit tiefe Schatten auf die Gegenwart.

Das Ende der Liebe ist ein kleiner Tod, nur, dass man danach weitermachen muss. Vom Lieben und vom Weitermachen, vom Glücksversuch und vom Schmerz, handelt dieses Buch. Es ist eine Geschichte von der Unsicherheit, die man irgendwann als in der Liebe beheimatet erkennt; der Ferne, die alle Menschen um sich haben und die überbrückbar scheint, eine Durchquerung wert, wenn wir lieben. Es ist eine Lebensgeschichte, eine Biographie, die bei der frühen Liebe einsetzt, weitergeht zu Frau und Kind, und endet bei der großen Liebe zu einer jüngeren Frau. Nichts davon löst das Versprechen ein, hier geschehe etwas “Wider die Natur”. Wenn überhaupt geht es darum, dass in der Natur, die wir sind, diese seltsame Einrichtung der Liebe ganz unumgänglich und trotzdem unmöglich ist, was sich verändert von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt.

“Begriff ich, was für ein Glück darin bestand, dass sie auf dem Sofa lag und las? Dass wir zusammen Abendessen würden? Ich dachte nicht darüber nach; ich war glücklich?”

Es ist auch ein Buch über das Glück. Und als solches hab ich es gelesen. Die Frage danach wird in Espedals Buch selten so offen gestellt wie in diesem Zitat, schwingt aber hinter allen Geschichten mit, weil es ja letztlich darum geht, wenn man die Hollywoodliebe beiseitelässt: darum, wie man Partnerschaften und Liebe in sein Leben integrieren kann, wie diese Beziehungen unseren Lebenswege unverhofft kreuzen und bestimmen. Und wie wir darauf aus sind, aus diesem Umstand Glück zu münzen, was aber immer wieder eine frustrierende Angelegenheit ist, denn da sind zwei Menschen, zwei Vorstellungen vom Glück, und man kann nie wissen, ob sich diese Vorstellungen aufeinander zu bewegen oder schon wieder am Auseinanderdriften sind.

Es ist ein poetisches, gesetztes Buch. Es ist fast durchgängig tiefgreifend geschrieben, was es in gewissem Sinne besonders macht. Aber dieser Stil kreiert auch eine Oberfläche, die ein bisschen wie eine eingehaltene Sorgfalt wirkt und mich daher nicht ganz mitgerissen hat. Ich konnte an dem Buch viel gewinnen, aber viel erlebt habe ich bei der Lektüre nicht und auch über die Liebe hat das Buch zwar viel zu sagen, auch viel Greifbares, aber bleibt trotzdem vor vielen Schwellen stehen, statt sie zu übertreten.

Ein Buch, das einen schnell neugierig macht, das man schnell mit Erwartung liest. Diese Erwartung wird gleichsam eingelöst und gleichsam nicht. Wie in der Liebe.

2 thoughts on “Zu Tomas Espedals Buch “Wider die Natur”

  1. wolkenbeobachterin

    Ein großartiges Buch, ganz wundervolle Sprache. Mich hat es mitgerissen, von der ersten bis zur letzten Seite. Ich habe es vor Monaten schon gelesen und bin sehr angetan davon.

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  2. Pingback: Blogbummel Mai 2016 – Teil 1 – buchpost

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