Monthly Archives: January 2017

Zu Sam Shepards Prosa und Lyrik in “Habichtsmond”


habichtsmond_sam-shepard „Ein Geisterwohnwagen rollt durch Gärten hinter der Stadt. Er ist von schwulen Lederfetischisten gekapert worden, von mexikanischen Huren und Hunden.“

In den Kurzprosastücken und Gedichten von Sam Shepard heult der Wilde Westen, scheppern die alten Karren über Highways, stolpern betrunkene Möchtegerncowboys von einem Suff in den nächsten Exzess, feiern die Gewalt und das Ausreißertum immer neue Feste.

Die Texte erzählen von Versagern, Einzelgängern, komischen Gangs und von Morden, Schrecken und bizarren Erfahrungen. Eine furchterregende amerikanische Gesellschaft blitzt auf, die sich mit dem Verlöschen ihres Mythos nicht abfinden kann, dessen selbstzerstörerische und lebenszerstörende Dimensionen in fast jedem der Text deutlich hervortreten, ungeschminkt und nicht durch das Narrativ geglättet, das sich vielmehr diesem Mythos, seiner Rohheit und seinen Ecken und Katen unterwirft.

Auf alle Fans der eher deftigeren Prosa, des expressiven Gedichts, die sich schon bei mancher Geschichte von Bukowski amüsiert haben, dürfte hier eine ungleich düstere, aber dennoch ähnliche Erfahrung warten.

Zu Nicolas Cléments “Nichts als Blüten und Wörter”


nichts-als-bluten-und-worterEs ist dies ein Buch, das Sprache verwendet, wie ein Lebewesen atmet:  mit überlebenswichtiger Natürlichkeit; manchmal geht die Atmung schneller, manchmal langsamer, manchmal wird tief Luft geholt; manchmal bleibt die Luft weg – und plötzlich wird aus dem Gewöhnlichen eine Gier, ein größerer Wille.

„Ich schreibe unsere Geschichte auf, um zu vergessen, dass es uns nicht mehr gibt.“

So beginnt der Roman: mit einer Ansage, mit einer Absage. Und obgleich nun eine Geschichte erzählt wird, der man atemlos folgt, bangend, wird es einen nie wieder loslassen, dieses Versprechen. Obgleich die Sprache Blüten schlägt und mit Splittern und Scherben der Wahrnehmung noch Formulierungen zu schneiden versteht, die eine eigenwillige Schönheit für sich beanspruchen können, eine eigene Poetik entfalten – das Gefüge, in dem diese Sprache steht, durch das sich die Erzählung bewegt, ist brüchig, von Beginn an.

Die Geschichte könnte man schnell nacherzählen, wovon ich aber hier Abstand nehme. In ihrer überschaubaren Dimension erinnert sie einen an die stillen, kleinen Bögen in den Romanen von Patrick Modiano, wie z.B. „Eine Jugend“.

Aber ganz anders als dort, ist es bei Nicolas Clément nicht die zeitliche Dimension, die Brüchigkeit der Erinnerungen, die thematisiert wird und an deren Fragilität sich die Sprache orientiert, sondern eine traumatische Erfahrung, die extreme Zerrüttung einer nicht ins Lot zu bringenden Wirklichkeit, die auch durch eine ausbrechende Sprache nicht bezwungen oder überwunden werden kann, wie es die Protagonistin dennoch versucht.

Die Protagonistin: eine Schwester. Da sind sie und ihr Bruder, da sind Mutter und Vater. Eine Familie. Die aber keine mehr sein kann. Der Vater schlägt immer wieder die Mutter. Gründe gibt es keine, auch keine Vorgeschichte, die wir kennen, Psychologie sucht man vergebens. Im Zentrum, am Ausgangspunkt des Flusses an Sprache, der über die 86 Seiten des Romans mäandert und fließt, unaufhaltsam, steht diese schlichte Tatsache, die völlig zerkratzte Welt.

„Ich traue mich nicht, gegen das gewaltsame Eindringen in das, was ich liebe, Anklage zu erheben.“

So bleibt die Anklage aus. Als einzige Möglichkeit erscheint der Ausbruch. Der Weg hin zu einer selbstbestimmten Wirklichkeit, durch Literatur vielleicht; durch einen Menschen, bei dem man Liebe erfahren kann, möglicherweise. Ohne Pausen trägt uns das Buch durch die Wandgemälde der Geschehnisse – in jedem bricht sich die Sprache malerisch Bahn, jeder Abschnitt hat seine eigene, mikrokosmische Dramatik und Struktur. Nicolas Clément komponiert aus den oft haltlosen Versuchen seiner Protagonistin, mit Formulierungen eine bessere Welt näher an sich heranzurücken – das Furchtbare zu fassen, zu fesseln, zu entkommen oder anzukommen in einem wieder geheilten Dasein – eine knappe, von Anfang bis Ende verwundete Geschichte. Sie breitet sich vor einem aus und fällt wieder zusammen. Dazwischen verhandelt sie Existenzielles auf eine beeindruckende, mutige, anwandlungsreiche Art und Weise.

„ich setze mich auf eine Bank, spüre, wie die Welt ihre Krücken abwirft und zu mir spricht“

Zwei neue Besprechungen


Auf signaturen-magazin.de und fixpoetry zu:

John Burnside: Anweisungen für eine Himmelsbestattung

Und der 7. Ausgabe der Literaturzeitschrift Sachen mit Wörtern

Drei neue Veröffentlichungen


Das Nachwort, das ich für Matthias Engels Gedichtband “eremiten in wohngebieten” verfasst habe, kann man auch online nachlesen auf lyrikwelt.de  – Link

Außerdem besprochen auf fixpoetry: die grandiose 70. Ausgabe der Edit – Link

Und schließlich ist heute ein Gedicht von mir der “Text des Tages” – Link

Zu Doris Lerches Gedichtband “erst sex dann krieg/erst krieg dann sex”


„ich töte und bin ein mensch geblieben
kommt alle her wir wollen uns lieben“

Krieg und Sex, zwei nicht unbedingt weit voneinander entfernte, aber auch nicht unbedingt extrem verwandte Dinge. Abgesehen davon, dass sexuelle Repression nachweislich zu Aggressionen und in der Folge zu Gewalt führen kann (kann, wohlgemerkt!), sind es wohl vor allem die enormen ästhetischen Potenziale und die derzeitigen medialen Ausformungen, in denen die beiden Begriffe wesensnah sind; auch in ihrer Allgegenwärtigkeit, der Ikonographie und der Verbreitung ähneln sie sich. Im 21. Jahrhundert haben sich diese Dimensionen noch einmal verstärkt und Worte wie Voyeurismus und Pornographie werden mittlerweile auch häufiger verwendet, um Gewaltgeilheit und Berichterstattung aus Kriegsgebieten zu beschreiben.

In Doris Lerches Gedicht- und Collagenband „erst sex dann krieg/erst krieg dann sex“ werden Krieg und Sex auf eine eher saloppe, aber nichtsdestotrotz nachdenklich stimmende Art und Weise verknüpft. Das Besondere an dem Band ist zunächst einmal die Aufmachung: Man kann das Buch von beiden Seiten lesen und entweder mit dem Krieg beginnen oder mit dem Sex. Allein schon diese Wahlmöglichkeit regt den Leser im besten Fall dazu an, sich Gedanken zu machen über die inneren Mechanismen und Kräfte, die unterhalb unserer Präferenzen wirken.

„punkt punkt komma strich
fertig ist der süße mond
unbewohnt
seit guernica
schwebt er zwischen krieg und lust“

Die vielen Facetten und Motive, die der Band in beiden Fällen dann auffächert, sind nicht unbedingt an ihre beiden großen Oberthemen gebunden, auch wenn sie sie immer wieder einbinden. Es werden aber auch viele andere Anspielungen eingeflochten, Lebensideen, Kritisches, Hintergründiges und Märchenhaftes. Die ungeheure Dynamik, die Lerches Sprache in jedem neuen Gedicht – von 0 auf 100 in drei bis vier Zeilen – erreicht, die irritierenden und zugleich sinnstiftende Verwendung von Reimen, sowie Tempowechsel und plötzliche Kippmomente, machen den Band zu einer äußerst eigenwilligen, inspirierenden Erfahrung. Ein heftiger Witz, eine aggressive Komik, schwingt oft mit, blüht auf und zwischen dem, was einem um die Ohren geschlagen wird bzw. fliegt.

„es stirbt herr müller stirbt herr meyer
qualvoll unterm friendly fire“

Bei all dem zielt die Lyrik weniger auf Diskrepanzen ab als auf Zusammenhänge, auf eine Verbindung, eine Zusammenführung. So sehr darin auch hierhin und dorthin verwiesen wird – die Bewegung der Texte führt am Ende meist durch ein Nadelöhr, eine Art der Conclusio. Die Collagen haben in ihrer Morbidität dagegen eine zersetzende Wirkung, brechen ihre Motive auf zu schablonenhaften Lügen – es wird deutlich, dass sie nur in ihren Zusammenhängen Verheißung bzw. Grauen abbilden können. Der Kontrast ist die Entlarvung. Diese unterschiedlichen Richtungen in der Wirkung der beiden gewählten Genres, geben dem Band einen zusätzlichen Reiz.

Ein sehr lebendiges, funkenschlagendes und gleichsam nachdenklich stimmendes Buch. Sex und Krieg, diese Schlagwörter begleiten uns jeden Tag, mindestens 50 % aller Meldungen handeln davon, drehen sich darum. Das Bemerkenswerteste ist, dass Doris Lerche sich in diesem Band nicht damit zufriedengibt, aus dieser Tatsache irgendein Kapital zu schlagen. Sie geht in jedem ihrer Texte ein Stück weiter, fügt die eigene Note hinzu. Das macht ihre Gedichte erfahrbarer und vielfältiger als jede Zeitungsmeldung. Und so widersetzt sich das Buch am Ende seinem eigenen Titel und geht darüber hinaus.

Manuskripte 212 besprochen


 

Neue Rezension zu der 212. Ausgabe der Manuskripte!

Link

Vladimir Nabokovs “Das wahre Leben des Sebastian Knight”


[…] und außerdem wusste er, dass im Grunde keine Idee wirklich existiert, wenn ihr nicht die Worte genau nach Maß angelegt werden.

Romane, die als Weltliteratur oder gehobene Literatur bezeichnet werden, haben nicht gerade den Ruf leicht lesbar zu sein. In kaum einem Genre herrscht aber auch eine so große Bandbreite an Formen und somit auch nahezu nirgends eine so große Bandbreite an Verständlichkeitsstufen: von Simmel und Konsalik (deren Büchern einige Gralshüter des Romans wie Kundera oder Vargas Llosa – möglicherweise zurecht – die Bezeichnung Roman absprechen würden) bis zu Arno Schmidt und Oswald Wiener ist es ein weiter Weg und doch steht auf den Büchern dieser grundverschiedenen Literaten das Wort Roman geschrieben. Irgendwo in der Mitte aber gibt es jene Romane, die bereits eine vielfältige, subtile Erfahrung bereithalten und dennoch nicht besonders schwer zugänglich sind, keine großen Mühen und Anstrengungen vom Leser erwarten. Manche Romane von Kundera und Vargas Llosa gehören dazu, Werke von Camus oder André Gide, Carson McCullers und Nicole Krauss und es wären noch einige Autor*innen zu nennen, bevor diese Liste fertig wäre.

Einer, der in dieser Liste auch nicht fehlen dürfte ist Vladimir Nabokov. Kaum ein Autor ist ein besserer, lebendigerer Inbegriff der hohen Narration, die beileibe nicht schwer zugänglich ist oder sich allzu sehr in Formspielen oder perspektiven Verzerrungen ergeht. Von seinen frühen russischen Romanen bis zu jenen späten Meisterwerken „Lolita“ und „Pnin“ hat er es bravourös und virtuos vermieden, etwas Verkopftes zu Papier zu bringen und ist dennoch kein unmoderner Autor (wenngleich einige Gralshüter der Avantgarde und neuer Roman- und Kunstbegriffe ihn vielleicht so bezeichnen würden).
Nabokov stammte aus Russland, in dem es zwei Romanciers gab, die ebenfalls zur Hochliteratur gezählt werden und dennoch fesselnd sind, ja geradezu Bestsellercharakter haben: Lew Tolstoi und Fjodor Dostojewski. Man könnte auch noch den großartigen Erzähler Anton Chechov hinzufügen. Es liegt mir fern ihn in eine Reihe mit diesen dreien zu stellen, aber Nabokov hat vielleicht auf kluge Art und Weise von ihnen gelernt, nicht was die Themen und was die Sprache anging, aber in Sachen Bodenhaftung und narrativer Eleganz ist er ihnen, behaupte ich, gar nicht so fern.

„Das wahre Leben des Sebastian Knight“ war der erste Roman, den Nabokov auf Englisch schrieb, mehr aus Notwendigkeit, denn aus einem Wunsch heraus. Er war auch zum Teil eine Art selbsterlegte Auftragsarbeit, mit der Nabokov sich bei einer Geldmöglichkeit bewerben wollte. Diese Entstehungsgeschichte flößt nicht gerade Vertrauen ein und man könnte zunächst glauben, man hielte eines jener Bücher in der Hand, die der Verlag herausgegeben hat, obwohl der Roman nicht die Höhe des sonstigen Werkes erreicht (Ähnliches ist ja schon geschehen, bei Witold Gombrowicz und „Die Besessenen“ zum Beispiel) und nur weil man die Rechte am Gesamtwerk besitzt.

Doch weit gefehlt: in seiner eigenen, schummrig-kristallinen Art ist dieser Roman ein Meisterwerk, eine Schönheit. Es gibt kaum ein Buch, das ich in den letzten Jahren mit so viel Genuss und mit so wenig Frust gelesen habe. Es ist leicht, trägt aber in jedem Satz eine tiefe Bedeutsamkeit in sich und die Sprache ist, selbst in der Übersetzung (die Dieter E. Zimmer augenscheinlich wundervoll angefertigt hat) eine echte Augenweide, auf der so manches grandiose sprachliche Bild wie ein Windstoß das Gras, die Bäume und den Körper des Lesers rauschen, wehen und zittern lässt.

Erzählt wird die Geschichte eines jungen Exilrussen, der sich auf die Spuren seines kürzlich verstorbenen Halbbruders, eben jenes Sebastian Knight, begibt. Sebastian war Schriftsteller und der Protagonist möchte nun ein Buch über ihn und sein Schaffen schreiben, eben jenes, das wir in Händen halten: „Das wahre Leben des Sebastian Knight“. Anlass ist zum einen der Tod des Bruders, der den Erzähler erkennen lässt, dass er sehr wenig über dessen Leben wusste (obgleich er sein Schaffen immer aufmerksam verfolgt hat) und zum anderen das stümperhaft-blasierte biographische Buch von Sebastians ehemaligem Sekretär, das, davon ist der Protagonist fest überzeugt, ein völlig falsches Bild von dessen geistigen Haltungen, Interessen und Antrieben zeichnet.

Also macht sich der Protagonist auf die Suche, beginnend bei der gemeinsamen Kindheit, mit Ausflügen in die Welten der Bücher, die Sebastian schrieb, immer der dünner werdenden Fährte seiner Lebenswege hinterher. Genau auf dem Grat der Gefälle entlang, von dem das Buch auf der einen Seite in die Schlucht des bloßen Berichtes, auf der anderen in den Abgrund seines eigenen Aufhängers fallen könnte, bewegt sich die Erzählung, mit einer kleinen Fülle von anekdotischen und illuminierenden Momenten beladen, in die Existenz der Figur Sebastian Knight herein, überhöht ihn nicht, verwirft ihn nicht, überfüttert den Leser nicht mit Details. Der meist weit entfernte und nun tote Bruder bekommt eine dem Sujet angemessen Aufladung angediehen, er wird aber vor allem menschlich sichtbar, nicht als Figur, als angelegte Idee. Und die Entfernung bleibt, von kurzen Momenten der Nähe durchzogen, von kurzen Erkenntnissen über ein anderes Dasein.

Es ist kein spannendes und kein gewaltiges Buch, kein großer Wurf, aber ein sehr starker, reicher Roman.

 

                                                                                                  3-499-22545-x