Zu Matthias Schreibers Buch über den “Verräter”


   Der Verräter/die Verräterin ist eine wichtige Figur: in der Geschichtsschreibung, im Mythenfundus der Popkultur, in politischen und gesellschaftlichen Diskursen. Oft ist sie der Schlüssel, der in einer kritischen Situation das Gute vom Bösen scheidet, weil er der einen Seite zuarbeitet und die andere verrät. Gleichwohl hat die Bezichtigung des Verrates oft den Beigeschmack einer übermäßigen Beanspruchung von Gehorsam und Zugehörigkeit. Schon innerhalb dieses groben Rahmen sieht man: das Thema hat einiges zu bieten.

Matthias Schreiber hat nun einen Essay über das Thema verfasst, der auf zweierlei Augenmerk legt: zum einen auf eine Auslotung der Aspekte und Attribute, die notwendig sind, um die Gestalt des Verräters und seine Motivationen abzubilden und zum anderen auf Beispiele, die sich von der biblischen Gestalt des Judas über zahllose Fälle aus der Zeit des kalten Krieges und anderer Konflikte bis hin zu Edward Snowden erstrecken – was letzteren angeht, wage ich die Behauptung, dass der Essay wenig Aufschluss gibt, wie man mit seiner Person umgehen sollte.

Ansonsten erweist sich Schreibers Buch als sprudelnder Quell von Anekdoten und Geschichten und entwickelt sich schnell zu einer lockeren Studie, die hier und da etwas schnell den Strich unter die Rechnung setzt, aber auf umfassende Weise die Idee des Verräters einzukreisen weiß. Die vielen Definitionsansätze überschwemmen hier und da die Lektüre, grundieren aber mit der Zeit auch das oftmals eher plumpe Bild, das der Verräter in den meisten Narrativen einnimmt und weisen ihm eine eigenständige Tiefe zu.

„Auch wenn er positive Folgen hat, zum Beispiel die Aufdeckung bestimmter Missstände, braucht der Verrat einen Täter: den Verräter. […] Einer der Gründe dafür, weshalb wir dem Verräter an sich misstrauen, ist die Tatsache, dass uns die Antwort auf eine wichtige Frage fehlt: Was treibt ihn wirklich an, wenn er verrät?“

Ich habe mich ein paar Mal geärgert, dass Schreiber seinen Text zum Anlass nimmt, um kurz und knapp über bestimmte zeitgenössische Problematiken zu urteilen, wie etwa bei der Frage der digitalen Zugangsrechte, die nun einmal mehr Aspekte hat als nur den des möglichen Verrates.

Abgesehen davon haben mich die vielen Anekdoten großartig unterhalten und auch meine Idee von der Gestalt des Verräters hat sich an einigen Stellen neu gegliedert; der Text hat einiges angestoßen, mit dem ich mich erst in der Folge auseinandergesetzt habe. Mehr kann man von einem Essay nicht verlangen.

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