„Im Phänomen der Bestseller aber wird aus unseren einsamen Lektüren ein gemeinschaftlicher Vorgang: Derselbe Prozess, dieselbe Verschmelzung ereignen sich vielfach.“
Seit jeher liegt er zwischen Schund und schöner Kunst: der Bestseller. Manches Buch, das sich rasend verkauft, wird zwar auch von der Kritik gefeiert (oder durch sie erst zum Bestseller gemacht), aber letztlich sind die Hauptverdächtigen dieser Absatzkategorie (Krimis, Biographien, Selbsthilfe- und reißerische bis esoterische Sachbücher) meist gerade das, was man nicht als Hochliteratur bezeichnen würde. Manche Nobelpreisträger*innen waren Bestsellerautor*innen – aber viele auch nicht. Der Geschmack der Masse, das ist schon lange klar, ist keine Garantie für ästhetische Qualität – aber für irgendeine Qualität ja doch, oder? Aber worin besteht diese – und was sagt sie über uns aus?
In seinem Buch „Bestseller“ hat der Autor und Literaturkritiker Jörg Magenau den Versuch unternommen, sich dem Phänomen des vielverkauften, manchmal sogar Epoche machenden oder Zeitgeist beeinflussenden Buches, in den verschiedenen Gewändern, in denen es auftreten kann, anzunähern – und unternimmt dabei gleichzeitig eine Reise durch 60 Jahre deutschsprachiger und internationaler Geistes- und Literaturgeschichte.
Im Zentrum seiner Erörterungen steht dabei u.a. die These, dass das Phänomen des Bestsellers oft Symptom eines aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnisses ist. Magenau weiß durchaus gute Argumente für seine Einschätzungen vorzubringen und passagenweise ist die Präzision und Feinfühligkeit seiner Darstellung und seiner Ideen ein Hochgenuss. Es gibt durchaus auch Kapitel, die stellenweise ein bisschen seichter dahingleiten, aber alles in allem ist der Mix aus Launigkeit und Sensibilität, den Magenau bei seinen Analysen und Beschreibungen an den Tag legt, erfreulich und mitunter inspirierend.
Von der Blechtrommel bis zum geheimen Leben der Bäume, von Sarrazin bis Hildegard Knef: besonders schön ist, dass Magenau, trotz seines übergreifenden Themas, jedem Kosmos an Büchern, ob nun Ratgeber oder DDR-Roman, eine eigene Behandlung angedeihen lässt und sich mal mehr mit den gesellschaftlichen Zusammenhängen, mal mehr mit dem Erfolgsrezept, mal mehr mit den Verwandtschaften der einzelnen Titel auseinandersetzt. Sodass am Ende gilt: Über manches Buch mag man weiterhin den Kopf schütteln, aber nach Magenaus Ausführungen wird man zumindest verstehen, wie oder warum dieses Buch zum Bestseller werden konnte und was es trotz aller Abneigung, die wir ihm entgegenbringen mögen, über uns und unsere Mitmenschen aussagt. Und nebenbei lernt man noch ein bisschen was über die innere Mechanik der Bestsellerei – und wird außerdem aufs Wunderbarste zum Lesen animiert.
Kurzum: Ein lesenswertes, wenig belehrendes, dafür aber lehrreiches Buch, bei dem Unterhaltung und Faszination nicht zu kurz kommen!
„Lesen heißt fliehen, um verwandelt zurückzukehren. Auch Träumen ist erlaubt. Darin liegt die subversive Kraft der Bücher.“