Zu Bernd Fischerauers “Neumann”


Neumann “Da lag sie jetzt und es war alles aus und vorbei. Ihr ganzes, langes, beschissenes Leben, das nur aus »man muss«, »man wird«, »man würde«, aus Angst und Obrigkeitsdenken bestanden hatte, aus angeblicher Wahrheit und Selbstbetrug, und sie kam mir noch kleiner vor, als sie ihr Leben lang gewesen war.”

Es ist sehr traurig, dass Bernd Fischerauer nie wieder einen Roman schreiben wird. Und irgendwie auch wieder auf seltsame Weise passend, denn um das Unwiederbringliche geht es in diesem Buch, das ein Buch des Abschieds ist, angereichert mit Beschreibungen von Zuständen, Gefühlen, Erlebnissen, Perspektiven, die einem ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr begegnen werden und aus denen sich doch das eigene Leben rückblickend zusammensetzt – die Erinnerungen, die Karriere, die Erfahrungen, die Erkenntnisse, das Bild der eigenen Person.

Der Protagonist Friedrich Neumann ist über Siebzig und gerade ist seine Mutter, fast einhundertjährig, im Altenheim gestorben. Sie hatten keine glückliche Beziehung, ja, er fragt sich, ob sie ihn überhaupt je geliebt hat. Ob sie überhaupt geliebt hat. Hundert Jahre und was blieb am Ende übrig? Der Tod der Mutter und der Aufenthalt in seiner Heimatstadt Graz setzen eine Erinnerungsschleife in Gang, das Rekapitulieren des eigenen Lebens, angefangen bei der Tristesse des Elternhauses.

Der Vater ist überzeugter Nazi und muss sich bis zur Generalamnestie versteckt halten. Sobald er wieder da ist, kehren Zucht und Ordnung ein. Friedrich und seine Schwester entziehen sich dieser Tyrannei jeweils auf ihre eigene Art: Sie »flieht« im wahrsten Sinne des Wortes nach Frankreich, heiratet den Sohn eines reichen Industriellen; Friedrich geht zum Studium der Staatswissenschaften nach Wien. Aber eigentlich interessiert ihn nur eines und das Studium ist nur Vorwand: er will schreiben, Romane, Theaterstücke.

Mit einer die Wucht des Lebens beschwörenden Dichte springt Fischerauer in Neumanns fiktivem Lebenslauf vor und zurück. Während Neumann die wenigen Tage, in denen er die Angelegenheiten seiner Mutter klären muss, vor allem im Hotel verbringt, sinnt er seinen Lebensinhalten nach: den Beziehungen, vor allem die zu seinem besten Freund Franz und zu den Frauen seines Lebens. Und natürlich: zu den Eltern. Den Versuchen der Annäherung, der Vergebung. Die wiederholten Katastrophen, die sich daraus ergaben. Wie er den Horizont seiner Eltern einfach nie verstehen konnte. Und doch wieder begriff.

“Mir war schon damals klar, dass sie nur so waren, weil ihr ganzes Leben verpfuscht war. Das Tausendjährige Reich hatte ja nur acht Jahre gedauert und danach waren sie, was sie waren.
Nämlich nichts. Nichts und allein mit ihrer Schuld, die sie nicht zugeben konnten. Nicht zugeben durften. Sonst hätten sie ja zugeben müssen, dass ihr ganzes Leben ein einziger Fehler war.”

Erfolge und Tragödien, berufliche und private, ruft er auf. Die Holzwege und die überraschenden Glücksgriffe. Manches wird kurz angerissen, um erst später ausführlicher erzählt zu werden – und so überrascht einen der Text immer wieder, nur um dann wieder sehr ruhig vor sich hinzugleiten. Langsam setzt sich alles zusammen, jeder neue Erinnerungsgang liefert ein weiteres Stück: manche Motive sind von vorneherein zu erkennen und müssen nur komplettiert werden, manche werden erst mit dem letzten Teil erkennbar.

Fischerauer ist ein wunderbares Buch gelungen, ein Werk über die Stürme des Lebens und den Moment des Alters, wenn alles da ist und doch dieses Alles kurz vor dem Nichts steht. Ein Buch, das nicht auftrumpft, sondern vielmehr mit einer sensiblen Melancholie, Nostalgie daherkommt, die aber nie langatmig ist, sondern die Lebendigkeit von tiefen Erinnerungen besitzt. Lesenswert!

“Einen Vorwurf konnte ich weder den beiden noch mir daraus machen. Fehler waren da, um gemacht zu werden. Nicht um aus ihnen zu lernen. Sonst könnte man das Leben ja gleich bleiben lassen.”

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