besprochen beim Signaturen-Magazin
Monthly Archives: December 2018
Zu Michelle Steinbecks “Eingesperrte Vögel singen mehr”
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu Konstantin Weckers neuer Biographie “Das ganze schrecklich schöne Leben”
„In den letzten Jahren habe ich zwei Autobiographien geschrieben („Die Kunst des Scheiterns“ und „Mönch und Krieger“). […] Vieles aus all diesen Büchern würde ich heute anders schreiben – nicht weil ich glaube, dass es falsch oder schlecht wäre, sondern einfach, weil ich es anders sehe.“
Obwohl vorn auf dieser Biographie nur Weckers Name steht, ist diese Biographie ein Gemeinschaftsprojekt: einige Kapitel sind von Wecker selbst verfasst, andere von Günter Bauch, einem beinahe lebenslangen Freund und Wegbegleiter, und einige von dem Journalisten Roland Rottenfußer, ebenfalls ein enger Freund und Betreuer von Konstantin Weckers Webmagazin „Hinter den Schlagzeilen“.
Dass eine lebende Person wie Wecker seine Biographie in dieser Weise präsentiert ist ungewöhnlich, aber auch spannend. Dem Buch ist eine besondere Dimension eigen, die aus dem Zusammenspiel der sehr persönlichen, auch bekenntnishaften und kritischen Töne von Wecker und den etwas allgemeineren, aber trotzdem lebensnahen Schilderungen von Bauch, sowie den analytischen, zeithistorischen Passagen von Rottenfußer entsteht. Man bekommt alle drei Spektren: einmal das Empfundene, zweitens wie es von anderen erlebt wurde und drittens wie es sich im Kontext der Öffentlichkeit darstellte und sich im Werk niederschlug.
„Meine Biographie ändert sich ständig. Je nachdem, was ich an Neuem dazulerne, erfahren habe, erlebt und erlitten habe, verwandelt sich mein Gedächtnis. […] In den Augen der einen bin ich heute ein Sturkopf, der sich an seine 68er-Ideale klammert und nichts dazugelernt hat, für die anderen vielleicht gerade deshalb ein aufrechter Künstler, der seinen Idealen treu geblieben ist.
Diese Mischung ist für eine Biographie nahezu ideal, in jedem Fall aufschluss- und abwechslungsreich. Manchmal stört diese Abwechslung den Lesefluss etwas, weil intensive und informative Passagen dicht aufeinanderfolgen, aber wenn man weiß, worauf man sich einlässt und außerdem erkennt, dass diese Dynamik auch immer wieder neue Perspektiven hervorbringt, ist das kein wirkliches Manko.
Was gäbe es sonst noch zu sagen? Ich werde hier keinen Kursabriss von Weckers Leben geben, dafür ist die Reise, die man mit diesem Buch unternehmen kann, viel zu spannend. Ich finde Wecker ist einer der eindrucksvollsten deutschen Liedermacher überhaupt und obwohl ich mit seinen spirituellen Einschlägen fremdle, sprechen viele seiner Lieder meinen Kopf und mein Herz an. Die Biographie hat mich noch mal darin bestätigt, dass dieser Doppeltreffer kein Zufall ist, sondern aus der großartigen Persönlichkeit herrührt, die Höhen und Tiefen bewusst erlebt und verarbeitet hat.
Zu “Satyr mit Thunfisch” von Astrid Nischkauer
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu Florian Hartlebs “Einsame Wölfe”
“Einem Einzeltäter traut man es scheinbar [anscheinend! – Anmerkung des Rezensenten] nicht zu, sich ohne direkte Anbindung an eine Gruppe zu radikalisieren und danach unter dem Denkmantel von politischem Fanatismus in Eigenregie loszuschlagen – als Ultima Ratio. […] Die Bezeichnung ‘Einzeltäter’ steht in diesen Fällen lediglich für die konkrete Tatplanung. Sie verneint nicht, dass die einschlägige Gewalt- und Ideologiefixierung der Täter Ursachen hat, dass ihre Taten Folge von Kommunikation und Interaktion mit Gleichgesinnten sein können und dass die Akteure sich angesichts von zunehmender Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft und des damit einhergehenden Diskurses motiviert fühlen. […] Sie wollen in erster Linie eine ethnische Minderheit im eigenen Land ins Mark treffen und stellvertretend die Gesellschaft als Ganzes. Gerade die Opferwahl unterscheidet den Rechtsterrorismus von anderen Varianten des Terrors – vom Linksterrorismus, der sich gegen Symbole des Kapitalismus richtet, und vom islamistischen Fundamentalismus, der den Westen und ‘Andersgläubige’ ins Visier nimmt. […] Dieses Buch will die längst notwendige Auseinandersetzung mit dem neuen rechten Terrorismus anstoßen, der gerade nicht importiert ist, sondern mitten unter uns entsteht.”
Einer der schlimmsten Terrorakte des 21. Jahrhundert wurde von einem rechtextremistischen Täter verübt: am 22. Juli 2011 zündete Anders Breivik im Regierungsviertel von Oslo eine Bombe und erschoss anschließend 67 Menschen auf der Insel Utøya. Obwohl er zu einigen rechtsextremen Gruppen Kontakt hatte, plante er die Tat allein und führte sie auch allein aus. Genau fünf Jahre später erschoss der 18 jährige David Sonboly neun Menschen (die meisten mit Migrationshintergrund) im Olympia-Einkaufszentrum in München; auch er war ein Einzeltäter, der fast ausschließlich via Internet seine rechtsextremen Kontakte pflegte.
U.a. diese beiden miteinander verwobenen Terrorakte nimmt Florian Hartleb zum Anlass, in seinem Buch von einem Terrorismus der „einsamen Wölfe“ (von rechts) zu sprechen und ihn als eine der großen Gefahren unserer Zeit zu bezeichnen. Die Figuren, auf die er sich im Folgenden konzentriert (es sind etwa ein Dutzend konkrete Fälle) haben allesamt rassistisch oder ideologisch motivierte Straftaten begangen – von Amokläufern unterscheidet sie, dass nicht die persönliche Kränkung, sondern eine rechtsextreme Gesinnung, ein Weltbild oder ideologische Überzeugungen der Antrieb für die Taten waren; im einen Fall haben die Täter eine Sendungsauftrag, im anderen geht es ihnen nur um die Aufhebung ihrer Kränkung.
“Während bei islamistischen Tätern die Ideologie als zentraler Erklärungsansatz gilt, wird bei rechten Tätern die rassistische Gesinnung oft als Nebenaspekt abgetan.”
Hartleb durchleuchtet auch, in aller Kürze, die Ursprünge des rassistisch motivierten Terrors, die Standardwerke und Leitmotive dieser Szene, kommt auf den NSU und andere Formen des Terrors zu sprechen. Sein Buch ist ohne Frage ein wichtiger Beitrag und es weiß über weite Strecken mit seiner These zu überzeugen. Schwieriger wird es, wenn Hartleb die Psyche der einzelnen Täter zu analysieren beginnt – dabei häuft er teilweise zu viele Details an, manche davon werden einfach mal so in den Raum gestellt, manche genauestens hinterfragt; mitunter verirrt man sich in diesen Details und auch wenn Hartleb durch seine Darstellungsweise einen vielschichtigen Eindruck gewährt, wäre es doch besser gewesen, wenn er manchen Passagen ein einheitlicheres Narrativ gegeben hätte oder sie klarer sturkturiert hätte.
“Einsame Wölfe sind Teil eines globalisierten Rechtsterrorismus, eines virtuellen Netzwerks, in dem potenzielle Täter miteinander verbunden sind.”
Hartleb deckt einige klare Versäumnisse der Behörden auf und fördert Erschreckendes über die Vernetzung von Extremisten untereinander zutage. Sein Buch ist erfreulicherweise selbst kaum ideologisch aufgeladen, ihm geht es um die fehlende Auseinandersetzung und die Wichtigkeit seines Themas, nicht um die Einrichtung einer Front im Bedeutungskampf Rechtsterrorismus vs. islamistischer Terror (Julia Ebner hat in ihrem Buch „Wut“ eh schon gezeigt, wie wesensgleich diese beiden Extremismen sind).
Als Schlaglicht und übersichtlicher Einstieg taugt dieses Buch ganz wunderbar, zum Standardwerk dagegen nicht, dafür deckt es nicht genug ab, lässt einige Wege unbeschritten. An seinem Umfang gemessen ist es dennoch ausgesprochen informativ.
Die Spaltungen in der Gesellschaft (und generell unser Zeitalter) bringen eine höhere Anzahl radikalisierter Individuen hervor und darauf müssen Staat und Behörden vorbereitet sein, sie müssen möglichst früh eingreifen und bekannte Radikalisierungsprozesse irgendwie unterbinden. Hartleb nennt am Ende seines Buches ein paar gute Ansätze. Allein deswegen ist es lesenswert.