Monthly Archives: January 2019

Zu “Die Sextinische Kapelle” von Hervé Le Tellier


die sextinische kapelle Hervé Le Telliers Buch ist ein illustrer Reigen: Es besteht durchgängig aus Beschreibungen von erotischen Begegnungen, die jeweils auf einer Seite kurz und geradeheraus beschrieben werden und denen zusätzlich ein kursiv gesetzten Nachsatz folgt.

In diesem Nachsatz werden meist Gedanken von einer der beiden Personen geschildert oder die Folgen des Techtelmechtels; oft sind sie komisch bis zynisch angehaucht, halbe Pointen, manchmal aber auch philosophisch, manchmal rücken sie das Geschehen in ein ganz anderes Licht.

Zwei Beispiele:

Wendy ringt sich dazu durch, ihm zu helfen. Für Tölpel ist beim Sex die Klitoris so etwas wie Rubiks Zauberwürfel: Sie fummeln stundenlang daran herum und kommen doch nicht weiter.

Hätte sie Mark Twain gelesen, könnte Mina von sich behaupten, dass sie, wie Eva, mit dem erstbesten schläft.

Die Paarungen sind ausschließlich heterosexuell und wie in Schnitzlers Reigen ist jede/r Beteiligte zweimal hintereinander dran, in zwei verschiedenen Paarung (nach dem Muster: Eva-John/John-Marie/Marie-Ronald/Ronald-Katja u.s.w.).

“Die Sextinische Kapelle” erschien im Original bereits 2004 und nun 2018 in der Reihe “Oulipo & Co” bei Diaphanes. Das Werk ist insofern oulipolistisch, als dem Ganzen eine mathematische Formel zugrunde liegt, auf die allerdings nur unzureichend eingegangen wird (im Anhang befinden sich nur zwei Graphiken und der Klappentext verweist auf Harry Matthews’ “Die Lust an sich” und den Rhythmus der Sextine.)

Für ein leichtes, frivol-hintergründiges Vergnügen ist dieser Band bestens geeignet. Der Ton ist oftmals resignativ, dann leuchtet hier und da wieder die unwillkürliche Schönheit der sexuellen Spontanität durch. Tellier verschweigt weder den Frust noch den Kummer, weder die Langeweile noch die unterschiedlichsten Nebenwirkungen. Aber er vermag hier und da die Heiterkeit des Geschlechtslebens ebenso gut einzufangen.

Zu Jessa Crispins “Warum ich keine Feministin bin”


warum ich keine feministin bin „Ich kann mich keinem Feminismus verbunden fühlen, der sich gedankenlos auf »Selbstermächtigung« fixiert, ohne die Unternehmenskultur restlos zerstören zu wollen, einem Feminismus, dem es genügt, für einen hohen Prozentsatz an weiblichen Vorstandsvorsitzenden und Militäroffizieren zu sorgen, aber weder intensives Nachdenken noch Unannehmlichkeiten oder echte Veränderungen verlangt. […] Wenn ich mich nicht als Feministin bezeichnen darf, ohne versichern zu müssen, dass ich weder wütend bin noch eine Bedrohung darstelle, dann ist dieser Feminismus ganz bestimmt nichts für mich.“

Jessa Crispins Buch wartet schon im Titel mit einem Widerspruch auf: „Warum ich keine Feministin bin – ein feministisches Manifest“. Dieser Widerspruch ist natürlich ein kalkulierter, der signalisieren soll: ich kritisiere zwar die Bewegung, aber ich bin keine Nestbeschmutzerin, keine Abweichlerin, mir liegt die Sache an sich schon am Herzen. Der Titel suggeriert außerdem, dass Crispin es u.a. auf Begrifflichkeiten abgesehen hat, vor allem den Begriffskomplex „Feminismus/Feministin“.

Gibt es den „einen“ Feminismus? Selbstverständlich nicht. Das ist einer von Crispings Hauptkritikpunkten: dass ihrer Ansicht nach viel zu viel Zeit damit vergeudet wird, die Grenzen dessen zu definieren, was feministisch ist, wer sich als Feministin bezeichnen darf und wer nicht. Gleichzeitig sieht sie den Feminismus als unbequeme, konstruktive, progressive Bewegung bedroht. Er wird ihrer Meinung nach aufgeweicht von allzu hipp-braven Vorstellungen, teilweise entkernt durch eine Kommerzialisierung, die ihn letztlich entradikalisiert.

Die Gefahr, so meint sie, ist, dass eine Welt entsteht, in der das Patriachat nicht abgeschafft, sondern lediglich infiltriert wird. Es wird nicht mehr das System dekonstruiert und attakiert, stattdessen werden lediglich Freiräume innerhalb des Systems geschaffen. So entsteht ihrer Meinung nach eine Welt

in der das Konzept der persönlichen Entscheidungsfreiheit den Versuch ersetzt, begreifen zu wollen, unter welchem Druck Frauen politisch und sozial stehen. […] wir müssen aufhören, Wertschätzung seitens des Patriachats zu erwarten. Wir müssen uns vielmehr eingestehen, dass Erfolge innerhalb dieses Systems verdächtig sind.

Crispin will ein Ende des Systems. Die große Schwäche ihres Buches ist, dass sie neben vielen Kritikpunkten an einigen derzeitigen feministischen Debatten und Weltanschauungen (und den Atmosphären in diesen), kaum Möglichkeiten präsentiert, wie solch ein Ende vonstattengehen soll. Ihr Buch diagnostiziert aggressiv – teilweise, finde ich, mit schiefen Vergleichen und etwas vereinfachten, teilweise pauschalen Urteilen – aber sobald es um Mittel und Wege geht, gleicht ihr Schreiben plötzlich einem pathetischen Aufruf, einem nebulösen Appell an Altruismus und Gemeinsamkeiten.

Der Fokus verschiebt sich weg von der Gesellschaft hin zum Individuum […] Ich glaube, dass das Ziel der meisten immer schon die Teilhabe am System war, nicht dessen Zerstörung.

Wobei sie ja nicht ganz Unrecht hat: das Individuum wird in den westlichen Gesellschaften derzeit so hoch im Kurs geführt, dass manche gesellschaftlichen Gefüge dadurch einer Zerreisprobe nah sind; ob das gut oder schlecht, wichtig und notwendig oder übertrieben und vermeidbar ist, kann man diskutieren. Aber es ist definitiv kein Problem, dass man einfach dem Feminismus überstreifen kann.

Generell scheint Crispin den Feminismus einerseits an seine Wurzeln erinnern zu wollen (sie kritisiert u.a. die häufig in feministischen Diskursen der dritten Welle auftretende Verdammung radikaler Autorinnen und Aktivistinnen, wie bspw. Andrea Dworkin oder Kate Millett, von deren Werken man sich distanziert oder die man für fehlgeleitet erklärt), andererseits will sie ihn zu einer universellen Bewegung machen, an deren Ende eine bessere Gesellschaft steht. Beide Ansätze haben Potenzial und könnten in einer umfassenden Studie vielleicht sogar verknüpft werden. Hier stehen sie etwas disparat.

Das Zeitalter der Dominanz muss durch ein Zeitalter der Kooperation, nicht der Spaltung abgelöst werden. Das ist nur möglich, wenn wir mit einem Gespür für die uns gemeinsamen Verpflichtungen aufeinander zugehen, nicht mit überzogenen Vorstellungen davon, was uns zusteht.

Gemeinsam und tatkräftig – so könnte man Crispins Vision zusammenfassen. Sie will keine Etappensiege, bei denen auf der einen Seite ein Sexist im Licht der Öffentlichkeit deklassiert oder auf der anderen Seite eine Frau Präsidentin wird, sie will keinen Wettkampf, sondern ein Ende des Wettkampfs. Eine Revolution, nach der alle zusammenfinden und nicht einfach nur neue Anführer*innen gewählt werden.

Während diese Vision universell ist, hatte ich zumindest den Eindruck, dass einige ihrer Kritikpunkte nicht auf der Höhe der Zeit sind (zumindest nicht in Europa, vielleicht ist der amerikanische Diskurs ein bisschen anders). Bspw. wenn sie schreibt:

Nie war der Druck so groß, ein ganzes Leben sexuell verfügbar zu bleiben. Weibliche Prominente, die ihr Figur halten und nach vielen Jahren immer noch heiß aussehen, werden als feministische Role Models gepriesen.

Ich maße mir nicht an zu glauben, dass ich weiß, wie sehr ein solcher Druck auf Frauen in heutigen europäischen Gesellschaften lastet und sicher sind Body-Shaming, Körperkult und die als Obsession suggerierte und als großer Glückshort verehrte unbedingte Fixierung auf Sexualität weiterhin problematische Züge in unseren gesellschaftlichen und kulturellen System und Konstrukten.

Aber ich habe bei den Begegnungen und Diskussionen in meinem Freund*innenkreis (und darüber hinaus) schon das Gefühl, dass viele dieser Mechanismen zwar längst nicht überwunden sind, aber durchaus durchschaut werden von vielen Menschen, auch denen, die nicht mit beiden Beinen auf feministischen (oder feministisch inspirierten) Standpunkten stehen. Bei einigen Punkten bin ich dagegen sicher, dass die meisten Feminist*innen sich dieser Problematiken durchaus bewusst sind. Beispiel:

Will man eine geeinigte feministische Front aufbauen, ist auch Folgendes Teil des Problems: Im Allgemeinen ist die Durchschnittsfeministin eine gebildete weiße Frau aus der Mittelschicht.

Ich glaube nicht, dass sich die Problematiken, die Crispin anspricht, eins zu eins auf europäische Verhältnisse übertragen lassen; andererseits kann ihr Buch nicht ganz als „amerikanisches Problem“ abgestempelt werden. Mit einigen Kritikpunkten stellt sie sich klar gegen – von ihr als virulent empfundene – Phänomene und Erscheinungen in vielen feministischen Bewegungen, zum Beispiel gegen das Gerede über alte weiße Männer:

Wenn wir jemanden abqualifizieren, weil er ein weißer alter Mann ist, sinken wir auf das Niveau von Ideologen. Wenn dieser weiße männliche Sündenbock gleichbedeutend wird mit langweilig, privilegiert und mittelmäßig, denken wir nicht mehr nach, sondern wiederholen nur noch Stereotype.

Ein Denken, das sich langsam aber sicher Scheuklappen überstülpt, so charakterisiert Crispin die Dynamiken in derzeitigen feministischen Diskursen und Zielen. Sie macht es sich an vielen Stellen etwas zu einfach und hüpft manchmal von einem Thema ins andere, argumentiert nicht immer schlüssig und stringent. Ihre Ansprüche sind groß, ihre Beobachtungen teilweise unpopulär und interessant, teilweise vorschnell und bedenklich. Und manchmal alles auf einmal:

Mit den Behinderungen, Diskriminierungen und Diffamierungen, der Gewalt und dem Schmerz, den wir erfahren haben, rechtfertigen wir, dass wir uns jetzt nehmen, was wir wollen, ohne je zu hinterfragen, warum wir es wollen.

Als kritischer Kommentar zu feministischen Diskursen ist dieses Buch sicherlich keine schlechte Lektüre, sofern man die Thesen nicht einfach schluckt, sondern hinterfragt, ja sogar dekonstruiert und/oder auf die Füße stellt. Crispins Kritik an der Kommerzialisierung, Verharmlosung und Vereinfachung feministischer Ziele ist nicht ganz unberechtigt (wobei nicht der Feminismus an sich, sondern lediglich einige Feminist*innen von dieser Kritik betroffen sind).

Vieles andere biegt sie sich zurecht. Ihr Buch ist eben kein Manifest, sondern ein Sammelsurium, eine Polemik, ein Katalog von Sachen, die sie immer schon mal sagen/kommentieren wollte, egal, ob das nun unter einen Hut passt oder nicht. Das nervt teilweise.

Es sollte noch erwähnt werden, dass sich ihr Buch vor allem an Frauen richtet. Männer, so meint sie, sollten sich um ihre eigenen Probleme kümmern und Frauen sollten sich nicht den Kopf über Männer zerbrechen, sich an ihnen abarbeiten, sondern ihre einzigartige Position und Rolle nutzen.

Heute befinden sich Frauen in einer einzigartigen Position. Wir sind halb drin. Wir befinden uns auf beiden Seiten der Dynamik zwischen Mächtigen und Machtlosen. Eigentlich müsste es ganz einfach sein, dieses Mistding zu zerstören, wenn wir nur an beiden Seiten kräftig ziehen.

Zu “Hellblazer – Original Sins/Erbsünde 1”


hellblazer - erbsünde Hellbrauner Trenchcoat, Krawatte, eine Zigarette im Mundwinkel oder in der Hand, blondes Haar, dazu eine leicht ignorante Lebenseinstellung, eine Mischung aus C’est la vie und Carpe diem, aus Scheiß-drauf und Muss-halt-sein.

Soweit die Markenzeichen von John Constantine, britischer Magier und Meister des Okkulten, der genau 300 Hefte lang seine eigene Serie Hellblazer bei Vertigo Comics hatte. Kreiert wurde die Figur ursprünglich (anscheinend war das Erscheinungsbild des Musikers Sting eine wichtige Inspirationsquelle) von Graphic-Novel-Legende Alan Moore (u.a. Autor von Watchmen) für the Swamp Thing, wo er in den Ausgaben #37-77 vorkommt (wer einen der wichtigsten ST-Auftritt von Constantine besitzen will, der auch in den ersten Comicnummern von Hellblazer eine Rolle spielt, der sollte sich Vol. 1 der Hellblazer-Sammlung besorgen, wo neben den Ausgaben #1-9 auch zwei Nummern von Swamp Thing enthalten sind, nämlich die Nummern #76-77. Das Cover der Vol. 1 ist unten abgebildet, ISBN 978-1401230067. Mehr zu Constantines ST-Auftritten findet man hier).

Jamie Delano, der erste Autor der Hellblazer-Serie, übernahm Moores Charakterprägung, ging aber eigene Wege bei der Story-Gestaltung und Entwicklung von J. C. In seinen Swamp Thing-Auftritten ist Constantine eine Figur mit viel Persönlichkeit, aber eher wenig Hintergrund. Delano hingegen macht aus ihm schon in der ersten Geschichte (bestehend aus #1-2) einen Person mit Vergangenheit – und schubst uns direkt in seine Welt.

Constantine kommt gerade aus Südamerika zurück und im verregneten London an. Wir wissen schon ein bisschen mehr als er, den auf den ersten Seiten haben wir einem Mann dabei zugesehen, wie er, von einem mehr als animalischen Hunger getrieben, immer mehr Essen in sich hineinstopft und schließlich in einem Restaurant zuerst die Gäste anfällt, dann zusammenbricht und kurz darauf als verhungerte, ausgedörrte Leiche endet.

Constantine wird zunächst von seiner Haushälterin damit konfrontiert, dass ein alter Freund ihn oben in der Wohnung erwartet. Der “Freund” stellt sich als der Junkie Garry Lester heraus, der in Nordafrika einen Dämon gebannt hat, ihm aber dann nicht gewachsen war, mit dem Behältnis nach London kam und es, als er Constantine – von dem er sich Hilfe erhofft hatte – nicht antraf, kurzerhand an eine Freundin in die USA verschickte.

Constantine muss nun also nach Nordafrika (um zu erfahren mit was für einem Dämon er es genau zu tun hat) und schließlich mit Lester in die Staaten, wo bereits einige weitere Menschen verhungert sind, kurz nachdem sie sich Massen von ihren Lieblingsgütern einverleibt haben…

Delano wirft uns in Constantines Leben und in eine Welt, in der rituelle Magie (egal ob für Schamanen oder für New Yorker bzw. Londonder-Autodidakten) etwas Greifbares ist und die Grenze zwischen irdischen und anderen (vor allem infernalischen) Sphären dünn und brüchig sind. Er (und John Ridgway) stellen gekonnt die Schrecken dar, die Besessenheit der Opfer, aber auch an einigen Stellen die Wesenheiten der Dämonen, in manchen Passagen erinnern diese Darstellungen gar an die Werke von H. P. Lovecraft (das Erscheinungsbild von Mnemoth, dem ersten größeren Dämon in Hellblazer, wäre ohne Lovecrafts Werk wohl generell undenkbar).

Hunger und A feast for friends sind Klassiker und wichtige Hellblazer-Figuren wie Papa Midnite und Constantines Freund Chas haben hier gleich ihre ersten Auftritte. Constantine geht auch sofort seiner bekanntesten Tätigkeit nach, auf die auch in der nicht ganz überzeugenden, aber auch nicht völlig misslungen Verfilmung von 2005 der Hauptfokus gelegt wurde: er schickt Dämonen, die in die reale Welt eingebrochen sind, ins Jenseits zurück – mit Risiko, Cleverness und Fatalismus.

Geschickt ist auch (ich habe es bereits erwähnt), wie Delano Constantine gleich in dieser ersten Geschichte als gezeichneten Menschen mit reichhaltiger Vergangenheit darstellt. Nicht nur mit Lester und Midnite verbindet ihn eine Vorgeschichte, die Leser*innen werden zusätzlich mit einigen anderen Geistern aus seiner Vergangenheit konfrontiert und es wird angedeutet, dass viele dieser Freund*innen bei Ereignissen umkamen, die mit Magie zu tun hatten und die Constantine knapp überlebte; das Newcastle-Ereignis hängt wie ein Damokles-Schwert über den ersten Constantine-Erzählungen. Schon diese ersten Geschichten zeigen ihn als Antihelden, der im hohen Maße Rauschmitteln wie Zigaretten und Alkohol zuspricht und der von seiner Tätigkeit elektrisiert ist, darin aufgeht, aber eigentlich durch sie ein Getriebener ist.

#3, Going for it, stellt ein kurzes Einzelstück dar, das vor allem noch einmal verdeutlicht, dass sich in der Welt von Hellblazer oft Dämonen auf der Erde tummeln und dort in vielen Gestalten und Gewändern auftreten und Einfluss nehmen. In diesem Kabinettstück lebte Delano außerdem seine Absicht aus, kritisch über England und das London der damaligen Gegenwart (1988) zu schreiben. So stehen im Zentrum der Geschichte Dämonen, die sich als reiche Yuppies ausgeben und mit den Seelen von Menschen handeln, das alles vor der Kulisse der Oberhaus-Wahlen von 1987. Alan Moore hätte diese scharfzüngig-bittere Satire wohl nicht besser hingekriegt.

#4, Waiting for the man, ist dann der Auftakt zu ersten längeren Storyline von Hellblazer, fortgeführt in den Nummern #5-9. Constantine lernt Zed kennen, eine junge Frau mit einer Frisur wie Cruella Deville, mit der anzubändeln beginnt. Kurz darauf wird seine Nichte entführt. Im Zuge dieser Entführung sieht er sich sowohl mit einer dämonischen als auch einer göttlichen Armee konfrontiert. Es scheint etwas Größeres im Gang zu sein und auch Zed, ebenfalls magisch und vielseitig begabt, sagt nicht alles, was sie weiß…

Der deutsche Verlag Schreiber & Leser hat einige Constantine-Nummern auf Deutsch herausgebracht. Davon wichtig, weil auf Deutsch sonst nicht zu bekommen, sind die ersten neun Hefte (in diesem und dem zweiten Erbsünde-Band zusammengefasst) und ein paar Hefte aus dem Run von Brian Azzarello, der in der Chronologie sehr viel später einzuordnen ist.

Leider sind Farbwahl und Druckqualität der deutschen Ausgabe sehr mangelhaft (teilweise sind dunkle Konturen komplett schwarz gehalten, als wären die entsprechenden Bereiche zensiert) und wer auch auf Englisch lesen kann und mag, dem würde ich die bereits erwähnte und unten abgebildete Vol. 1 empfehlen. John Ridgway ist eigentlich kein schlechter Zeichner, liefert zwar keinen Hochglanz, dafür aber jede Menge kleiner, wilder Innovationen und Ideen.

Leider hat auch die Vol. 1-Ausgabe einen Makel mit der deutschen Version gemeinsam: oft waren die Panels bei den Hellblazer-Originalausgaben so angelegt, dass sie quer über die ganze Doppelseite liefen. In den Buchausgaben wurde dem nur unzureichend Rechnung getragen, man muss die Bände förmlich platt drücken, wenn man das ganze graphische Erlebnis haben will.

Dennoch: Es war ein guter Einstand für John Constantine. Von Anfang an hat zumindest er als Hauptfigur eine Tiefe und Coolnes, die einen dranbleiben lässt.

original sins

Fazit:

Wichtigkeit im Hellblazer-Universum:
🌟 🌟 🌟 🌟 🌟
Grafik:
🌟 🌟 🌟 🌟
Story:
🌟 🌟 🌟 🌟
Aufmachung:
🌟 🌟 (schlechter Druck und im Buchformat problematisch wegen der Doppelseitennutzung der Originale. Ein Stern mehr für die englische Vol. 1 Ausgabe)

Zu den Reden von Michael Köhlmeier


erwarten sie nicht

Es war eines der wenigen Ereignisse, die mir in den letzten Jahren wirklich Mut gemacht haben: Michael Köhlmeiers Rede in der Wiener Hofburg am 04. Mai 2018. Da sprach ein Schriftsteller – kein/e politische/r Kabarettist/in im Gewand der Ironie, kein/e NGO-Vertreter/in aus der Opposition, sondern ein Künstler aus der Mitte der Gesellschaft – offen gegen die Verhältnisse, gegen die politische – und indirekt auch gegen deren Verlängerungen in der gesellschaftlichen – Kultur. Und fast noch wichtiger als das Thema seiner Rede (die Geschichtsvergessenheit der aktuellen österreichischen Regierung, ihre fragwürdigen Verlautbarungen und jüngsten Maßnahmen) war ein Satz, der nun dieser Sammlung mit neun Reden als Titel dient.

„Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle“, sagt Köhlmeier in der Rede. Dieser Satz war an die Regierenden gerichtet, aber er ist deswegen so schneidend, weil er sich darüber hinaus auch an die Regierten richten konnte. Dummstellen (auch als Synonym für Wegschauen) hat in unserem Informationszeitalter und in unseren Wohlstandsgesellschaften Hochkonjunktur – oft ist der Grund Ignoranz, manchmal auch Überforderung, Kapitulation. Wer sich dumm gibt, seine Dummheit schützt und pflegt, der kommt mit bestimmten Debatten nicht in Berührung und kann glauben, er hätte mit vielen Dingen nichts zu tun. Kenntnis zieht die Frage des Verhaltens, der Position nach sich, keiner kann sich dieser Konsequenz entziehen (und es wird oft versucht, meist durch Leugnung oder Verdrehung der Kenntnis).

Köhlmeier ergriff die Gelegenheit zu zeigen, wie das ist, wenn man sich in der Öffentlichkeit, bei einem offiziellen Anlass, nicht dumm stellt, sich nicht servil gibt. Es war Stefan Zweig, der einmal gesagt hat: „Jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig.“ Ob er damit nun recht hatte oder nicht, Köhlmeiers Rede entsprang eben nicht der Geltungssucht, sondern der Gelegenheit. Er nutzte sie und mahnte.

„Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung.“

Seine Rede war dennoch keine Kampfansage und auch die übrigen Reden sind es nicht. Es sind Lektionen in Aufmerksamkeit, Menschlichkeit, Lehrstücke gegen das Vergessen, Elegien der Dialektik – und natürlich ein Stück weit das, was gute Literatur immer ist: Mittel gegen die Scheuklappen und die Ausreden der Ignoranz, gegen die Einseitigkeit.

Zum Beispiel jene Rede, die er 2014 bei der Verleihung des Humanismus-Preis hielt. Eine eher kurze Rede, in der er nach der Grundlage für humanistisches Verhalten fragt und auf den letzten Gesang der Ilias von Homer zu sprechen kommt. Dort schleicht sich Priamos, der König von Troja, in das Lager der Griechen, ins Zelt des Achilles, um ihn um den Leichnam seines Sohnes Hector zu bitten, den Achilles vor kurzem erschlagen hat. Der trauert noch um seinen Freund Patroklos, der wiederum von Hector erschlagen wurde. Als sie sich begegnen, erkennen sie, dass gerade sie den Schmerz des jeweils anderen am besten verstehen können.

„Sich des anderen zu erbarmen heißt, das gemeinsame Los aller Sterblichen an sich selbst zu erfahren“

Auch als Redner hält Köhlmeier an den Werten und der Aufgabe des Schriftstellers, des Erzählers fest. Was u.a. heißt: nicht nur den Spiegel vorhalten, sondern auch in ihn hineinschauen; den Spiegel nicht aus Eitelkeit ergreifen, sondern weil er etwas birgt, was wir normalerweise nicht zu Gesicht bekommen, mit dem wir selten konfrontiert werden. In einigen Reden spricht Köhlmeier über das Erbe des 20. Jahrhunderts, darüber wie sich Apathie und Schrecken angenähert haben, verschmolzen sind – so fest mittlerweile, dass sie kaum noch zu trennen sind.

„Wir sind begriffslos, seit wir das Böse nicht mehr von dem unterscheiden können, das uns ansieht, wenn wir in den Spiegel schauen.“

Köhlmeier erzählt von seiner Mutter und von dem Gegensatzpaar Leben und Historie. Er spricht über Toleranz und Individualität, über Empathie und Verdrängung. Er redet über Verbrechen und er redet über die Schönheit. Und alle seine Reden weisen uns, unter der Hand, an, uns nicht nur unserer Feinde zu vergewissern, sondern vor allem dem, was wir bewahren und bewirken wollen. Thomas de Quincey schrieb: „Feinde glauben, einander zu kennen. Es besteht die Gefahr, dass sie diesen Kenntnissen irgendwann mehr Bedeutung beimessen als den eigenen Erfahrungen.“ Sich nicht dummstellen will gelernt sein, aber ebenso, zu erkennen, dass die Wirklichkeit komplexer ist als der eigene Einblick in den Verlauf der Dinge.

Und gegen wen wir kämpfen darf nie verdrängen wofür wir kämpfen. Hier hat Köhlmeier in einer Rede eine schöne Anekdote parat:

„Mitten im Krieg gegen Hitler wurde im britischen Unterhaus der Antrag gestellt, das Kulturbudget zu kürzen. Churchill, Premierminister und Verteidigungsminister, empörte sich dagegen: „Wofür kämpfen wir denn?“, soll er ausgerufen haben. Und der Antrag war vom Tisch.“

Gedichtband “Ab hier nur Schriften”


ab hier nur schriften

Anfang Februar erscheint mein zweiter Gedichtband “Ab hier nur Schriften” beim Berliner Aphaia Verlag. Auf der Verlagswebsite kann man jetzt bereits einen kleinen Eindruck bekommen.

“Die man nicht sieht”, der neue Roman von Lucía Puenzo


die man nicht sieht Meine erste Begegnung mit Lucía Puenzo hatte ich, als ich ihren Roman “Das Fischkind” las, ein Buch, das mich nachhaltig beeindruckte. Später sah ich dann ihren Film “XXY”, den ich nach wie vor großartig finde – eine einzigartige Coming-of-Age-Geschichte, verstörend und einfühlsam.

“Die man nicht sieht” ist im Gegensatz zu diesen beiden eigenwilligen Werken fast schon konventionell (in seinem Plot, in seiner Narration) – was nicht heißt, dass nicht die übliche Finesse der Autorin zu erkennen wäre. Sie erzählt schnörkellos und beweist durchgehend ein Gespür für die Fragilität ihrer Figuren, ihr Nachgeben und ihr Drängen. Gerade bei einer Geschichte über drei Kinder kommt dieses Gespür voll zum Tragen.

Ein weiteres Talent von Puenzo ist die Verbindung einer spannenden Erzählung mit sozialkritischen Ansätzen. In “Die man nicht sieht” ist diese Verbindung besonders geglückt. Hier wird die Kluft zwischen arm und reich, zwischen dem Überfluss und der Armut – die in südamerikanischen Ländern längst schon gewaltige Ausmaße erreicht hat – am Beispiel einer Bande von einbrechenden Kindern geschildert, die den Reichen gerade so viel wegnehmen, dass sie es nicht bemerken.

Diese Geschichte wird im Verlauf des Buches durchaus noch recht brutal und Puenzo kombiniert die Sympathie für die Figuren geschickt mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit. Der Mix passt: “Die man nicht sieht” ist ein spannendes, realistisches und gleichsam aufrüttelndes Portrait südamerikanischer Gesellschaften, fesselnd und erschütternd, direkt und doch mit dem richtigen Maß an Entfaltung in den Beschreibungen. Lesenswert.

Zu “Junger Mann” von Wolf Haas


junger mann „Junger Mann“, das kann man direkt vorweg sagen, ist eine Wehmutsgeschichte, eine Geschichte über die Jugend, die erste Liebe. Es ist keine schlechte Geschichte, aber wer den wilden Wolf Haas kennt, den Haas von „Das Wetter vor 15 Jahren“ oder „Ausgebremst“ oder „Die Verteidigung der Missionarsstellung“, den Haas der schiefen Komik, dem wird dieses schöne Buch, trotz gewisser Schnörkel und dem ein oder anderen eigenwilligen Witz, doch allzu brav erscheinen.

Aber eins nach dem anderen, zunächst zum Inhalt: Haas junger Mann lebt Anfang der 70er Jahre in der Nähe des Deutschen Ecks in Österreich und jobbt bereits mit zwölf Jahren an einer Tankstelle. Oft frequentiert wird diese Tankstelle von Tscho, einem Lastwagenfahrer, der oft die Strecke bis hinunter nach Griechenland fährt und in seiner Freizeit an Autos herumschraubt, Totalschäden wieder auf Vordermann bringt. Tscho ignoriert den jungen Mann, den viele wegen seiner blonden Locken und seiner fülligen Figur nur „junges Fräulein“ nennen. Als der junge Mann aber zum ersten Mal Tschos neue Freundin Elsa erblickt, ist es um ihn geschehen – er will abnehmen und er will vor allem: Elsa …

Der in vielen anderen Büchern so originelle Haas gibt sich kaum Mühe, diesem schon oft gestrickten Plot einen eigenen Stempel aufzudrücken. All die üblichen Zutaten finden sich: leicht skurrile Figuren, Scham und Neugier des jungen Mannes, Anekdoten und Anekdötchen, schließlich eine Heldenreise, auf der sich das Erwachsenwerden einzustellen beginnt, ein dunkles Geheimnis, viel Hoffnung, viel Jugend.

Natürlich hat jeder Autor (und jede Autorin) das Recht auch so ein Buch zu schreiben, ein leichtes, aber nicht allzu leichtes Buch, einen harmlosen, aber berührenden Entwicklungsroman light. Weder wird die Fettleibigkeit des jungen Mannes über Gebühr thematisiert, noch gibt es sonst irgendwelche größeren Konflikte. Wäre mit diesem Wort nicht auch Verachtung verbunden, die dieses Buch nicht verdient hätte, könnte man es ganz einfach mit einem Adjektiv beschreiben: seicht.

Seicht nicht im Sinne von belanglos. Aber schon in dem Sinne: ohne Beißen und Stechen, ohne eine Spur wirklicher Tragik. Es ist eine heile Welt, die Haas da serviert, so sehr sie auch von kleinen Erschütterungen durchzogen ist. Diese Erschütterungen halten zwar den Plot in Bewegung, dringen aber nicht bis zu den Lesenden vor, die sich einfach in der schönen Spannung der Liebesgeschichte und der Abenteuergeschichte sonnen können. Warmherzig hat jemand darüber geschrieben – ja, das stimmt. Wem danach ist, wer ein solches Buch lesen will: Voila.