besprochen beim Signaturen-Magazin
Monthly Archives: March 2019
Zu Ulf Stolterfohts “fachsprachen XXXVII-XLV”
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WamS-Empfehlung von meinem Gedichtband “Ab hier nur Schriften”
Mit liebem Dank an Barbara Weitzel.
Zu “Jetzt bleiben Fragmente” von Hasune El-Choly
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Zu Katharina Ferners Gedichtbanddebüt
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Zu “Unbelehrbar Mehrzahl” von Louis MacNeice
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Zu Ruth Lasters “Lichtmesser”
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Zu Jonis Hartmanns “Ex”
„Ein Haar fiel von ihrem Haupt. Es fiel und fiel und ich verfolgte es mit meinem Blick. Es landete in einer Schüssel, die sich auf einer Waagschale befand. Daraufhin geriet die Waage in Ungleichgewicht. […] Dann berührte sie den Zünder der komplizierten Vorrichtung, und das war das Ende.“
Von »Adé« bis »zum Heulen« – in Jonis Hartmanns neuem Buch „Ex“ ist die Chronologie der Texte alphabetisch, unterteilt in die Kapitel »Depri«, »Ex«, »Ozon«, »Smrt« und »Taxi«. Hinter dieser Reihung scheint allerdings nicht mehr als eine fröhliche Irritationsabsicht zu stecken, zumindest kann ich keine andere größere Konzeption erkennen. Aber da sind wir eigentlich schon mitten im Thema.
Es soll ja Leute geben, die in Fallen übernachten. Es gibt aber auch Leute, die tragen ihre Alditüten wie Atlas das Universum. Und dann wiederum soll es Leute geben, die stellen der Welt nach, als ob sie ausgeht.
Denn im Prinzip wiederholt sich die Kombination aus Irritation und der Suche nach dem Sinn hinter der Konzeption auch bei den einzelnen Texten. Es sind kurze Szenen und Abläufe – in denen aber ganze (Lebens-)Welten stecken – in die Hartmann uns hineinstößt, auf eine trudelnde Umlaufbahn. Von einer Ausnahme abgesehen, sind die Texte nicht länger als eine Buchseite.
Nando aus Santiago wünscht sich, einmal seinen Kopf auf den drehenden Teller legen zu können. Dann würde die Nadel tastend darüber fahren und Gedankenkaskaden transportieren und wenn es gut lief, würde die Welt dazu tanzen. Das erzählt er einem, während man auf seine Tattoos schaut. Dann versucht man, sich die Nadel vorzustellen.
In der Endgültigkeit, dem unzweifelhaften Ton, mit dem sie vorgetragen wird (und in der Absurdität), erinnert diese Prosa manchmal zart an die kurzen Stücke von Daniil Chams. Sehr selten ist noch Platz für Handlungen, meistens „geschieht“ etwas oder ist einfach da und das war es dann auch schon, manchmal mit Bumm und manchmal mit Puff.
In den Nachrichten erkenne ich ein Wachtelschema. Auch in der Zeitung bedroht der Produktpreis.
Bei manchen Texten hat man schon den Eindruck, dass bloß ein Schema bedient wird (was ja auch nicht verwerflich ist, nur wenn es einem zu sehr ins Gesicht springt, finde ich es immer etwas schade). Aber, um einen weiteren Vergleich zu ziehen: viele der Texte erinnern in ihrer subversiven, nur scheinbar hauptsächlich auf- und abgedrehten Art an die Gedichte und Kurzprosastück des amerikanischen Autors Richard Brautigan, nur mit noch mehr Spin.
Genau wie Brautigans Texte, leisten auch Hartmanns Miniaturen zweierlei: es sind Witze, Komödien, Satiren, aber auch Schlaglichter auf Phänomene der Gesellschaft, der Gefühle und Gefälle, voller kleiner, gut getarnter Gegenmittel gegen Landläufiges und gegen den großen Irrsinn. Es sind die Wirklichkeit krümmende, zersetzende und aus dem Sud neu modellierte Substanzen.
Fee-Louise Wald, lehrbeauftragt in Experimentallogik am Institut und privat dodobegeistert, ist verzweifelt. Seit Tagen will der Gedankenstrom nicht abfließen und am Damm treibt immer dieses eine Wort, funkelnd und begehrenswert: Slapstick.
Außerdem sind sie auf angenehme Weise selbstironisch und trotz ihrer manchmal schematischen Gestalt immer wieder für Überraschungen gut, rotzig und spritzig, zärtlich, dann wieder zackig, nicht zu vergessen: mitunter für Momente auch wunderbar poetisch, eben nicht nur abgedreht, sondern auch eindrücklich – nicht immer gelingt ihnen ein guter Balanceakt, aber wenn er gelingt, dann in bester Manier.
Ich könnte hier noch eine Weile Vorzüge und mögliche Kritikansätze gegeneinander abwiegen. Fest steht aber, dass „Ex“ mir großen Spaß gemacht hat, bei allem, was sich an den formalen und inhaltlichen Details noch bewerten und besprechen ließe. Also: ein Buch mit viel Drive, vielen amorphen Winkeln, aber vielen scharfen Winkelzügen und flotten Pisten. Dazu jede Menge unterhaltsame Irritation oder irritierende Unterhaltung, eine Kurzprosa mit Monty Python-Einschlag und poetischer Hintersinnigkeit.
Sie hatten sich nach langer Zeit wieder verabredet. Aus jedem Erlebnis wurde ein Witz, aus allen Ängsten eine Geisterbahn. […] Sie berührten sich mit den Zeigefingern und eine Sicherung sprang aus der Luft.
Zu “Hä?” von Christian Koch und Axel Krohn
“Es gibt Wörter, die gibt es gar nicht. Zumindest nicht im Deutschen. Wörter wie das finnische Kalsarikännit, welches die interessante Beschäftigung des Sich-allein-zu-Hause-in-Unterhose-Betrinkens beschreibt. Oder das Wort dissetato, das die Italiener verwenden, wenn sie das Gegenteil von durstig beschreiben möchten. Haben Sie jemals von dem in Lappland verwendeten Längenmaß Poronkusema gehört, welches die Entfernung beschreibt, die ein Rentier zwischen zwei Pinkelpausen zurücklegt?”
(Aus dem Vorwort)
Es ist ein launiges Buch geworden, das die beiden Autoren Christian Koch und Axel Krohn da geschrieben haben und das die Leser*innen rund um die Welt und in viele Sprachen (ent)führt. Tatsächlich ist es erfreulich selten pseudowitzig, sondern kann sowohl mit Schenkelklopfern als auch mit subtilen humoristischen Einlagen aufwarten.
Nebenbei lernt man natürlich auch allerlei „Wissenswertes“, angefangen beim Wort, das im Japanischen für das Testen eines neuen Schwertes an Passanten steht (und hoffentlich wenig Verwendung findet, außer vielleicht in Anime-Serien), über den ältesten Furzwitz und die (wiederum in Japan) sehr gebräuchliche Gepflogenheit bei einem ersten Daten nach der Blutgruppe zu fragen, bis zum Wort für das erste Bier des Jahres im Freien und für die Macht des Aufgießers in Finnlands Saunen.
Aber das Buch setzt nicht nur auf Komik, sondern klärt auch über die Herkunft des Einhorns auf (der Auerochse stand wohl Pate; ich habe da allerdings eine Alternativtheorie, die mit Nashörnern zu tun hat), widmet sich dem Sprachensterben, listet Äquivalente von Sprichwörtern in anderen Sprachen auf und erzählt Geschichte, zum Beispiel über Marienkäfer und warum sie in England Ladybugs heißen. Das alles pointiert, mit vielen Seitenhieben und Esprit. Ein paar Fotos von Übersetzungsunfällen aus aller Welt komplettieren die Orchestrierung.
Kritisch muss angemerkt werden, dass die beiden Herren bei aller Weltgewandtheit anscheinend noch nicht in den Geschlechterdiskursen von heute angekommen sind. Hier wird ein ums andere Mal in die Klischeekiste gegriffen, ironisch vielleicht, aber doch nur allzu bereitwillig; da wäre weniger mehr gewesen.
Auch sehr nervig: es geht auch ein paar Mal um die indigenen Volksgruppen der Polarregionen (die – SPOILER – keine hundert Wörter für Schnee haben …). Korrekt weisen die Herren Autoren daraufhin, dass der Begriff “Inuit” mittlerweile als politisch korrekter Sammelbegriff verwendet wird (wobei die „Inuit“ nur eine Volksgruppe sind) – und schreiben dann, ohne weiteres Daraufeingehen, durchgehend “Eskimo”.
Mir ist bekannt, dass der Begriff “Eskimo” umstritten ist und einige offizielle Vertretungen der Volksgruppen den Namen mittlerweile übernommen haben. Dennoch wirft es einfach kein gutes Bild auf die Autoren, dass sie erst schreiben, dass sie sich der Problematik bewusst sind, dann aber beim Schreiben keine Rücksicht auf dieses Wissen nehmen.
“Hä?” ist aber überwiegend ein sehr unterhaltsames und auch kluges Buch, das auf vielen Gebieten überzeugt und Freude bereitet. Sie können beim nächsten Gespräch (oder in der nächsten Gesprächspause) auf jeden Fall mit der ein oder anderen Erkenntnis aus diesem Buch punkten. Und das wahrscheinlich sogar mit echter Begeisterung.
Zu “Entwicklung der Knoten” von Niklas L. Niskate
besprochen beim Signaturen-Magazin