Helene Bukowskis Debüt, das kann man direkt vorwegnehmen, ist eine Geschichte, die noch lange nachwirkt, deren Bildwelten einen tiefen Eindruck hinterlassen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass das Inventar aus einem verdichteten Mikrokosmos an Schauplätzen und Figuren besteht, denen in manchen Fällen der Hauch einer mythischen Dimension anhaftet (auch wenn ich nicht ganz zustimmen kann, dass Bukowski ein „modernes Märchen“ geschrieben hat, wie ein Kommentar auf der Buchrückseite nahelegt, auch wenn die Erzählung reizvolle Ansätze in diese Richtung vorweisen kann).
Im Zentrum des Romans steht Skalde, eine junge Erwachsene, als Kulisse genügen größtenteils ein Haus und der von einer (vermutlich klimatisch bedingten) Katastrophe verheerte Landstrich drum herum. In dem Haus wurde Skalde von Edith großgezogen, hier lebt sie mit ihr allein – in der Gegend gibt es allerdings weitere Gehöfte und Häuser und Gruppen/Individuen, die im lockeren Kontakt stehen und miteinander handeln. Zwar gibt es noch einige Überbleibsel der einstigen, technologisch-entwickelten Wohlstandsgesellschaft und teilweise noch intakte Natur, doch größtenteils ist das Leben in der „Gegend“ ein mit Agonie durchsetztes durch-den-Tag-kommen, ausweglos und heruntergeschraubt. Begrenzt wird die Gegend von einem Fluss, den niemand überqueren darf, denn von der anderen Seite kam immer nur Übles.
In den eh schon fragilen Status Quo aus menschlichen und metaphysischen Perspektiven platzt eines Tages das junge Mädchen Meisis. Skalde nimmt sich ihrer an, doch die Haarfarbe und das plötzliche Auftauchen des Mädchens sorgen schon sehr bald für große Unruhe in der Gemeinschaft und auch in Skaldes eigenem Haus. Vertrauen bricht weg, offene Feindseligkeiten und Aberglaube kommen auf. Stück für Stück spitzt sich die Situation zu, bis ein Bleiben schier unmöglich scheint …
Helene Bukowskis Sprache wirkt schlicht und wesentlich, in ihr lauern jedoch karge und kryptische Serifen. „Milchzähne“ ist zum einen eine gut erzählte Geschichte, aber zum andern auch ein kontinuierlich ausgebautes Rätsel, in das sich die Leser*innen mitverstricken lassen, während sie das Buch lesen. Immer wieder werden Dinge preisgegeben, angedeutet, scheinen nur ein um-die-Ecke-Denken weit entfernt zu sein. Und doch bleiben Stimmung und Atmosphäre des Buches bis zuletzt geheimnisumwittert, auch wenn sich manche Dinge als vermeintlich klar herauszustellen scheinen und man nie das Gefühl hat, diese Atmosphäre sei etwas Vermeintliches.
Gerade diese Ambivalenz macht das Buch zu einer so eindrucksvollen und nachhaltigen Lektüre. Denn sie ist nicht nur Treibstoff und Reiz der Geschichte, sondern lädt dazu ein, sich die beschriebene Welt bis ins kleinste Detail zu vergegenwärtigen und vorzustellen (wenn auch nur in der Hoffnung, so auf ein wichtiges Indiz zu stoßen). Das sorgt für ein dichtes Lesevergnügen und man stößt in vielen kleinen Teilen der Erzählung auf Dinge, die zu größeren Überlegungen Anlass geben oder zumindest die allegorischen Aspekte von „Milchzähne“ hervorheben, vertiefen. Alles in allem: ein spannendes Buch!