Direkt vorweg: „Lyrischer Wille“ ist sicherlich nicht der Lyrikband, mit dem man leichtes Spiel hat – und doch ist es ein Lyrikband, in dem genau dergleichen stattfindet: ein leichtes Spiel. Wobei „leicht“ hier nicht wertend gemeint ist, sondern die spielerische Note des Ganzen, die Poesie des Projekts und nicht nur seiner Erzeugnisse, hervorheben soll.
55 Dichter*innen, alle mehr oder weniger verortet im Raum Südtirol, treten mit ihren 15 Sprachen und ihren vielen individuellen Ausformungen an und ihre Texte/Übersetzungen bilden in sieben Kapiteln jeweils die faszinierende Transformation ab, die ein Text und sein Inhalt, seine Gestalt und seine Betonung, von Sprache zu Sprache und von Dichter*in zu Dichter*in durchlaufen.
Am Anfang jedes Kapitels steht ein Ausgangstext, der dann von dem/der jeweils nächsten Dichter*in in seine Sprache und/oder die von ihm gewählte Form (vom Lauttext bis zum Notenstück ist alles dabei) übertragen wird. Der/die Nächste kennt schon nicht mehr den Ausgangstext, sondern nur die erste Übertragung – und so spinnt sich munter ein Reigen fort und der Text kann im nächsten Schritt schrumpfen oder wachsen und allerhand mehr, je nachdem, was Sprache und Poetik der nächsten Person ermöglichen/diktieren.
Man wünschte, dem Buch wäre ein Hörbuch beigelegt oder das Projekt wäre direkt als Hörbuch (mit Textbeilage) realisiert worden. Die Faszination der Idee und teilweise auch deren Umsetzung, vermag zwar auch das Buch zu vermitteln, aber natürlich werden die wenigsten Leser*innen alle oder auch nur die Hälfe der Sprachen beherrschen, die die Dichter*innen hier anwenden.
Natürlich kann man trotzdem meist die Transformation nachverfolgen, da Deutsch zu den häufigsten Beitragssprachen gehört. Als Hörbuch würden sich aber, so glaube ich, die Schönheit und der „lyrische Wille“ der Textketten am deutlichsten zeigen. Nichtsdestotrotz bleibt dieses Buch ein Unikum und ich wünsche ihm und den beiden Herausgebern Matthias Vieider und Arno Dejaco noch einige faszinierte Leser*innen.