Monthly Archives: December 2019

Zu “Die Toten Hosen” von Thees Uhlmann


Thees Uhlmann Tote Hosen Thees Uhlmann, Sänger und Solokünstler und spätestens seit 2015 auch erfolgreicher Buchautor, ist seit vielen Jahren mit den Toten Hosen befreundet. Wie sich dieses Freundschaft gestaltete und was für Geschichten daraus hervorgegangen sind, das erzählt er in diesem ersten Band der KiWi-Musikbibliothek (aus dieser Reihe auch zu empfehlen: Tino Hanekamp über Nick Cave).

Und es ist tatsächlich gar nicht soo vermessen, wenn Breiti (Gitarrist der Toten Hosen – 2ter Gitarrist, um genau zu bleiben), auf dem Klappendeckel meint, dass Uhlmanns Beschreibung seines ersten Hosen-Konzertes (das Einstiegs-Kapitel) für die Musik das ist, was Nick Hornbys Feverpitch für den Fußball war. Klar, Uhlmanns Buch ist etwas zu kurz, um mit Hornbys Werk mithalten zu können, enthält aber eine sehr verwandte Geschichte, die Geschichte einer Leidenschaft in vielen Nuancen, Aufs und Abs.

Was am meisten gefällt: wie Uhlmann ohne falsche Scheu dahinplaudert, sympathisch vom Leder zieht und inbrünstig und liebevoll auch die kleinsten Aspekte hypt. Manchmal galoppieren ihm Sprache und Bilder etwas davon, Übergänge werden etwas zu assoziativ hergestellt, aber das wirkt meist eher stilecht, mehr wie ein Feature als wie ein Fehler.

In dem Buch geht es nicht nur die Toten Hosen, sie sind vielmehr der rote Faden, der alles zusammenhält. U.a. geht es um die Dorfjugend, den FC Liverpool, Musiker*innenkarrieren, Band Aid 30, St. Pauli, die Große Freiheit, geniale Gitarrenintros, Szenetypen und -kneipen, etc., etc. Launig stolpert Uhlmann von einer Anekdote und einer Ansage in die nächste, cool und gleichsam ein bisschen verpeilt. Das macht Spaß zu lesen, spätestens wenn er alle Songs vom Live-Album „Bis zum bitteren Ende“ einzeln in Geschichten zelebriert.

Ein paar mehr moll-Töne hätten dem Buch vielleicht nicht geschadet, so ist es eine fast schon überwältigende Hymne, ein Anthem.

Zu “Meine Geschichte der deutschen Literatur” von Marcel Reich-Ranicki


Meine Geschichte der deutschen Literatur Unter „Meine Geschichte der deutschen Literatur“ darf man sich keine stringente Rekapitulation vorstellen, es ist auch keine Sammlung von Interviewabschriften oder dergleichen, sondern eine Art Best-of von Reich-Ranickis Artikeln, Rezensionen, Gedichtinterpretationen und Buchbeiträgen, Reden, Vorträgen und Nachrufen aus seiner langen Karriere als Kritiker und Buchautor.

Zur Einführung gibt es direkt zwei sehr spannende Texte über Juden in der deutschen Literatur und Dichtungen von Frauen, die erstaunlich feinfühlig ausfallen, wenn man bedenkt, dass Reich-Ranicki oft und gern auf die Pauke haute. In der Zeit vom Mittelalter bis zur Romantik gibt es viele kurze Portraits, lediglich Lessing, Goethe und Hölderlin bekommen etwas mehr Raum, wobei gerade im Goethe-Teil ein wunderbarer Artikel über seine Positionierung zur Literaturkritik enthalten ist. Auch seine Rühmung von Lessing ist formidable.

Das Kapitel „Vormärz und Realismus“ fällt sehr karg aus, die meisten Seiten bekommt Richard Wagner. Oft liebevoll und klug geht es dagegen bei den Texten zur Literatur von 1900-1933 zu, von Arthur Schnitzler bis Erich Kästner. Deutsche Literatur nach 1945 war dann ja Reich-Ranickis Tagesgeschäft und hier findet sich einfach ein Best of aus dem ebenfalls erschienenen Band „Meine deutsche Literatur seit 1945“ – mit dabei der Blechtrommelverriss (allerdings plus späterem Eingeständnis des Irrtums), Texte zu Böll, Lenz, Bachmann, Walser, allerdings auch einige Überraschungen, wie etwa ein Nachruf auf Ernst Jandl und Texte zu Ulla Hahn und Elfriede Jelinek.

Es ist vermutlich die beste Sammlung von Texten von Reich-Ranicki und wer eine gute Portion Kritikerpapst im Regal stehen haben will, der ist mit dieser Ausgabe gut bedient und hat das Wichtigste beisammen.

Zu Roxane Gays Essays in “Bad Feminist”


Bad Feminist „Ich bin eine schlechte Feministin, weil ich nicht auf einen feministischen Sockel gestellt werden will. Von Menschen, die man auf Sockel stellt, wird erwartet, dass sie etwas darstellen, und zwar perfekt. Und wenn sie es versauen, stürzt man sie. Ich versaue es regelmäßig. Betrachten sie mich also als bereits gestürzt.“

Wer nach diesen Eingangsworten fürchtet, Roxane Gays Essays könnten ein weiteres unausgegorenes antifeministisch-feministisches Manifest (wie etwa Jessa Crispins „Warum ich keine Feministin bin“) sein, den kann ich sofort beruhigen: sie sind weit davon entfernt.

Denn obgleich Gay im Vorwort lang und breit ihre Schwierigkeiten beschreibt, zu dem Begriff und der Idee des Feminismus eine gesunde Beziehung aufzubauen, zeigt sich im Verlauf des Buches, dass gerade dieser anfängliche Zweifel die Grundlage einer vielschichtigen und sehr tiefgehenden Auseinandersetzung ist.

Wenn man mich [früher] als Feministin bezeichnete, hörte ich: » Du bist ein zorniges, Sex und Männer hassendes weibliches Opfer. « Diese Karikatur haben Menschen aus Feministinnen gemacht, die den Feminismus am meisten fürchten.

Der Kern des Problems, den Gay mit dem derzeitigen US-amerikanischen Feminismus hat, ist sein mitunter einförmiges Denken, kurzum: seine Heteronormativität und das oftmals fehlende Bewusstsein für Klasse und Race. Wie Gay schreibt:

Frauen of Color, queere Frauen und Transgender-Frauen müssen im feministischen Projekt besser verankert werden. Frauen aus diesen Gruppen sind vom Ideal-Feminismus beschämenderweise immer wieder vernachlässigt worden.

Auch finde keine differenzierte Auseinandersetzung mit den Verhältnisse in unterschiedlichen kulturellen Kontexten statt oder mit der Lage in anderen Ländern:

Ich glaube, dass Frauen nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern überall auf der Welt Gleichheit und Freiheit verdienen, aber ich weiß auch, dass ich nicht befugt bin, Frauen aus anderen Kulturen zu sagen, wie diese Gleichheit und diese Freiheit aussehen soll.

Nachdem Gay im Vorwort viele kleinere bis größere Kritikpunkte an der derzeitigen Perspektive des US-amerikanischen Feminismus vorgebracht hat, kann man die folgenden Essays u.a. als Versuch begreifen, einige Felder zu er- und einige von ihr genannte Lücken zu schließen. Sie betritt kein feministisches Neuland, aber bereichert den Feminismus um eine wichtige Perspektive.

Folgerichtig steuert Gay konsequent nur etwas zu den Themen bei, zu denen sie einen klaren Bezug hat: als Autorin, als Frau, als People of Color, etc. Ein Großteil der Essays sind bspw. authentische und gewissenhafte Dekonstruktionen und Analysen von Race in den Kontexten von Literatur und Film, Gesellschaft und Politik.

Hier leistet sie in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit (zumindest für mich, der ich vermutlich viele andere Autor*innen, die dasselbe Feld bearbeitet haben und bearbeiten, mangels Übersetzungen und/oder Publicity nicht kenne), schreibt über Reality-TV, Filme wie „The Help“ und „Twelve Years a slave“, Serien wie „Orange ist the new black“ und erzählt, wie sie Tarantinos „Django“ überlebte und warum sie der Serie „Girls“ zwiespältig gegenübersteht.

In der Literatur äußert sie sich zu Guilty Pleasures wie etwa Teenager-Schundromanen, schreibt über die Diskrepanz zwischen der Rezeption von männlichen und der von weiblichen Romanfiguren, bekennt sich ungeniert zu Die Tribute von Panem und nimmt in einem meisterhaften Text Fifty Shades of Grey, auf mehr als nur der literarischen Ebene, auseinander.

Es geht in Fifty Shades um einen Mann, der Glück und Frieden findet, weil er endlich eine Frau findet, die gewillt ist, seinen Scheiß lange genug zu ertragen. […] Ich lache nur bis zu einer gewissen Grenze über Fifty Shades. Die Bücher sind im Wesentlichen ein detaillierter Leidfaden, um Beziehungen zu führen, in der Kontrolle und Missbrauch an der Tagesordnung sind.

Zusätzlich schreibt sie auch noch über sexistische Lyrics und setzt sich mit Vergewaltigungs- und anderen problematischen Witzen in der Comedy-Kultur auseinander.

Aber auch mit dieser Bandbreite an kulturellen Themen ist der Band noch nicht ausgeschöpft. Gay schreibt auch noch über ihre große Liebe zum Spiel Scrabble und wie sie in der dortigen Community eine neue Familie fand, schreibt über Abtreibungspolitik und Polizeigewalt, Racial-Profiling und erzählt Geschichten von Männern, die von Männlichkeitsbegriffen kaputtgemacht werden.

In einigen sehr bemerkenswerten Texten setzt sie sich außerdem mit sexueller Gewalt auseinander, u.a. auch mit dem Phänomen des Verschweigens und Herunterspielens, wenn es sich bei den Tätern um große Persönlichkeiten oder einfach lokale „Helden“ oder Mitglieder in bestimmten Organisationen handelt, bspw. Footballspieler.

In den meisten Fällen entschuldigt man die Drogen- und Alkoholvergehen der Spieler, die Anschuldigungen gegen sie wegen sexueller Übergriffe und Vergewaltigung wurden fallengelassen, weil sie fähig waren, auf dem Footballfeld Punkte zu machen. […] Sie konnten für unser Team die Meisterschaft gewinnen, immer wieder.

Auch nach all diesen Aufzählungen habe ich das Gefühl, gerade mal an der Oberfläche von Gays Themenvielfalt gekratzt zu haben. Egal ob Popkultur oder Politik, Race oder Gender, Gay behandelt jeden dieser Themenkomplexe mit der gleichen Sorgfalt und dem gleichen Ernst, ist selbstkritisch, spricht aber auch im richtigen Moment unverhohlenen Klartext.

„Bad Feminist“ ist eine Sammlung von Essays, die weit über den Titelbegriff hinausweist. Gays aufrichtige, unverstellte Beschäftigung mit ihren Themen macht ihre Texte nicht nur unterhaltsam, lehrreich und lesenswert, sondern ist auch beispielhaft und sollte Schule machen.

Ich erzähle einige Geschichten immer und immer wieder, weil mich bestimmte Erfahrungen tief berührt haben. Manchmal hoffe ich, dass ich durch das wiederholte Erzählen dieser Geschichten besser verstehe, wie die Welt funktioniert.

 

Zu “Untrue” von Wednesday Martin


untrue „Aber wenn man aus dem Mund einer fest liierten Frau nach der anderen hört, sie sei in sexueller Hinsicht ungewöhnlich – weil sie mehr Sex möchte, als sie sollte, weil sie den Drang, die Versuchung zum Fremdgehen verspürt –, dann wird man das Gefühl nicht los, in Sachen weiblicher Lust, Sexualität und insbesondere Monogamie sei das »Ungewöhnliche« das »Normale« und das »Normale« bedürfe dringend einer Neudefinition.“

Untreue, Fremdgehen – das sind nach wie vor, auch in unseren liberalen, aufgeklärten und in Teilen sexpositiven Gesellschaften, zwei mächtige Begriffe. Worte sind schließlich nicht nur Namen für etwas, sondern oft auch Chiffren, die im kulturellen/sozialen Kontext etwas darstellen/abbilden, im Fall dieser beiden Worte eine Erschütterung, zumindest eine Verunsicherung, eine Krise (und natürlich, medial angewandt, blinkt das Wort Skandal bei ihnen mit).

Das ist ein Narrativ, Geschichten, die das Wort scheinbar erzählt/erzählen muss, sobald es auftaucht. Dieses Narrativ hat natürlich eine ideologische Komponente, mit vielen Ausläufern. Diesem ideologischen Faktor geht Wednesday Martin in „Untrue“ nach, beschreibt ihr Selbstverständnis des Buches wie folgt:

„Wir haben es hier also mit einem Werk der interdisziplinären Kulturkritik zu tun. Es filtert und verdichtet eine ganze Bandbreite gelehrter Forschungsergebnisse zur weiblichen Untreue und verwebt sie mit meinen ganz persönlichen Ansichten, meinen Interpretationen von Artikeln in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, sozialwissenschaftlichen Studien, aber auch von Songs und Filmen der Popkultur.“

Das Buch ist allerdings, bei aller Gelehrtheit und Struktur, eine ziemlich wilde Mischung aus Erfahrungsberichten, wissenschaftlich-theoretischen Ausführungen und anekdotischen Abschweifungen. Es kommt immer wieder zum Punkt, verzettelt sich aber auch hier und da in faszinierenden bis abenteuerlichen Ideen, die in manchen Fällen ein ganzes eigenes Buch zur Ausarbeitung bräuchten.

So entsteht allerdings ein spannender Überblick mit vielen Anregungen, nicht nur was weibliche Sexualität, sondern vor allem was das Selbstverständnis unserer westlichen Kulturen betrifft. Martin weißt immer wieder darauf hin, dass auch sie sich möglicherweise noch auf zu eingefahrenen Bahnen bewegt, wenn es darum geht, dieses Selbstverständnis zu hinterfragen.

„Und was soll »weibliche Untreue« überhaupt bedeuten in einem Kontext, in dem sich immer mehr Millennials als Postgender bezeichnen – also die säuberliche Trennung in zwei gegensätzliche Kategorien ablehnen, die bisher unser Leben definiert und Bedeutungen wie Heterosexualität und Homosexualität, männlich und weiblich, treu und untreu gestiftet haben?“

Über Fragen der Beziehungsgestaltung und historische und ethnologische Betrachtungen bis zur Psychologie von Sexualität spannt Martin einen teilweise schlingernden Bogen, der letztlich zwar kein konsistentes Gedankengebäude mit zwingenden Schlussfolgerungen tragen kann, aber dennoch in Staunen versetzt und (again) allerhand Anregungen bereithält (ebenso ihre umfangreichen Quellenangaben).

Die Mammutaufgabe, die weibliche Sexualität aus den bequemen Vorstellungen und lange zementierten Grundsätzen patriarchaler Bestimmungen herauszusprengen, geht sie mit viel Verve und Fakten an, viel Enthusiasmus und kämpferischen Ansagen, viel Feuer, aber auch mit unterschiedlichsten Ansätzen. Manche Darstellungen und Annahmen sind etwas zu einseitig und sollten im Hinblick auf Ideen einer individuell und nicht nur kulturell bedingten Sexualität überdacht werden. Aber es stimmt schon, unsere Sexualkultur bedarf einer rigorosen Überarbeitung und dieses Buch leistet hier einen wichtigen Anstoß.

„Es ist frustrierende, wenn man in Endlosschleife zu hören bekommt, Männer hätten eine stärkere Libido als Frauen, als wäre das eine schlichte Tatsache.“