Im März dieses Jahres jährte sich ihr Todestag zum 80ten Mal. Virginia Woolf, Ikone der Frauenbewegung und der literarischen Moderne, ist sicherlich nicht das, was man eine gefällige Schriftstellerin nennen könnte. Ihre Romane experimentierten mit Sprache und Form, ihre Essays sind Musterbeispiele an brillanter Eigenwilligkeit.
Immer etwas stiefmütterlich wurden und werden ihre Erzählungen behandelt, von den 15 in diesem Band versammelt sind. Wobei, kann man überhaupt Erzählungen zu diesen Texten sagen? Sind das Stories? Wohler würde ich mit der Bezeichnung Prosa oder Kurzprosa fühlen, manche der Texte bewegen sich auch schon in einem Zwielicht aus erzählender und essayistischer Prosa.
Ich würde die Texte auch deswegen eher als Prosa bezeichnen, weil Woolf eben selten eine lineare Plotline pflegt, sich vielmehr gern in Abschweifungen ergeht und es vor allem liebt, die Leser*innen mal hierhin und mal dorthin zu dirigieren, zu diesem Gedanken und zu diesem Bild, und weniger darauf aus zu sein scheint, ihm konkret eine Geschichte zu erzählen (nicht in allen Texten, ich beschreibe eher eine vorherrschende Ausprägung).
Für manche Leser*innen deckt sich dergleichen wohl nicht mit ihren Vorstellungen von “Geschichten”. Allerdings übersieht man bei solcher einer Kritik leicht, wie spannend und feinbeobachtet die Texte sind, wie gewagt und spielerisch, wie Schönes und Schreckliches aus ihren Winkeln in die Ahnung huscht.
Vielleicht wäre “Erkundungen” das richtige Wort, um Woolfs Texte zu beschreiben. Erkundungen des Bewusstseins, der Wahrnehmung, der Dinge, über die es halt auch Geschichten zu erzählen gibt. Sie scheint nur zu skizzieren, aber mit einem Mal merkt man, dass ihre Linien ein paar zentrale Ausprägungen sehr genau betont und hervorgehoben haben.
Es gibt durchaus auch gute Gesellschaftsporträts und Plots in diesem Band, ich habe einfach das stärkste Merkmal hervorgehoben. Sehr schön auch, dass der Band zweisprachig ist und eine neue Übersetzung besorgt und keine alte verwendet wurde.
Enthalten sind:
Der Fleck an der Wand
Key Gardens
Feste Gegenstände
Ein ungeschriebener Roman
Ein Geisterhaus
Eine Gesellschaft
Montag oder Dienstag
Das Streichquartett
Blau & Grün
Das neue Kleid
Augenblicke des Daseins
Die Dame im Spiegel
Die Herzogin und der Juwelier
Die Jagdgesellschaft
Lappin und Lapinova