Brandtbeschleuniger (von Marcus Neuert, ursprünglich auf Fixpoetry)


Gerade mal ein gutes Jahr nach seinem letzten Gedichtband Ab hier nur Schriftenbei Aphaia hat der sehr produktive Dichter und Rezensent Timo Brandt schon wieder eine Sammlung seiner Lyrik veröffentlicht, diemal beim österreichischen Limbus Verlag, welcher sich durch optisch besonders ansprechende Bücher hervortut, auch wenn sie immer ein wenig nach alten Insel-Bändchen aussehen. Zu Brandts ja oft mit Konventionen und Zitaten spielenden Versen passt das letztlich auch besser als die etwas ausladende Aphaia-Mitlesebuch-Reihe, die beim Blättern mit ihrer dünnen Einbandkartonage immer irgendwie ungünstig zwischen den Fingern herumflappt, und wenn Brandt zwischendurch mal wieder, wie er es gern tut, ordentlich abrilkt und -georget, hat man wirklich für einen Moment das Gefühl, hundert Jahre zurückversetzt zu sein in ein großbürgerliches Wohnzimmer mit hoher Decke, von der ein wenig der Stuck rieselt.

Auch Sinnspruchhaftes, mit Bedeutung Aufgeladenes kommt einem aus Timo Brandts neuem Werk nicht selten entgegen, gerade genügend überzeichnet, um zu konstatieren, dass er das wohl ___STEADY_PAYWALL___ nicht so ganz ernst meinen kann, auch wenn schlichte Gemüter darin nichts weiter als mehr oder weniger gelungene Plagiate altvorderer Dichtweisen erkennen mögen, etwa wenn er sich direkt an seine Lesenden wendet:

“[…] Dein Antlitz werd’ ich nie berühren / und dir die Maske nicht entreißen. / Blindlings werde ich dich führen. / Wie du es nennst, so soll es heißen . […]”

Und wie soll man das nun nennen? Da es tatsächlich in dem ganzen Gedicht keine wirklich entpeinlichende Brechung gibt, gilt es, das Günstigste anzunehmen: ein leichtes Grinsen im Gesicht des Dichters beim Vortrag. Dies vorausgesetzt versprühen diese Verse allerdings durchaus einen altklugen Charme, der in der augenzwinkernden Aufforderung gipfelt:

“[…] Sei du, / was ich nicht bin. / Du / stehst hier drin.”

Solche Zeilen kontrastieren scharf mit denjenigen verarbeiteten Eindrücken, die den Dichter ganz offenbar ehrlich ergriffen haben wie das sich direkt ans obige Beispiel anschließende Gedicht “Hamburger Hafen (für Lena)”, in welchem Brandt zu so schönen Bildern findet wie diesem:

[…]Bring einen Windstoß mit, / eine Sehnsucht, die du angerempelt / hast, bevor du am Hafen saßt, am letzten / wirklich leichten Ort der Welt”

Es ist dieses ständige Changieren zwischen Camouflage und Entblößtsein, das Timo Brandts Gedichte charakterisiert und aus dem eine häufig anzutreffende Lebenshaltung seiner Generation zu sprechen scheint, Dichotomien aus intellektueller Kühle und Gefühligkeit einerseits, aus konventionalisierter Pose und sichtbar gewordener Verletzlichkeit andererseits. Es ist das Agieren in und das Reagieren auf eine Welt, in der sich eine Geschlossenheit nur noch durch ihre Behauptung manifestieren kann, wohl wissend, dass sie (die Welt) im nächsten Moment an einer vermeintlichen Kleinigkeit zu implodieren imstande wäre (und diese Einschätzung ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen, wie uns die aktuellen Corona-Verwerfungen eindrucksvoll vor Augen führen).

Dazu passt die brandtsche eklektizistische Bandbreite, innerhalb derer an Slampoetry und spoken word erinnernde Reime und Assonanzen (“Auf den Hügeln in den Senken / Ohne Flügel die wir uns nicht schenken / Ab Steinen die wir schleudern / In der Zeit und wie wir sie vergeuden”) mit fast schon hermetischen Sprachbildern kontrastieren (“[…] Du bist Wunde, gelegt darauf, ins Licht.[…]”), die einmal von großen, immer wieder neu zu bestimmenden Begrifflichkeiten wie Schönheit, Scheitern, natürlich auch von Liebe erzählt und im nächsten Gedicht winzige Detailbeobachtungen unter ihr poetisches Objektiv legt. Da schrammt mitunter der Antschel-Paul ganz knapp an der Engelmann-Julia vorbei, und der Herr Geheimrat aus Weimar tanzt in Köln einen jener klassischen schwarzen Tangos mit Rolf Dieter aus Vechta. Nicht unbedingt innerhalb ein und desselben Gedichtes, aber doch quasi in Rufweite. Das kann man irritierend nennen. Das kann man kühn nennen. Ein Ausdruck von großer Belesenheit, von Begeisterung für Sprache und ihre Möglichkeiten sind diese Gedichte allerdings ganz zweifellos.

Am eindruckvollsten wird das Brandtsche Schaffen in jenen Versen, in denen er das Schwere, mühsam poetisch Errichtete unvermittelt abwirft und kleine luzide Zeilen die notwendige Luft zum Atmen bekommen:

“mitten auf der strecke endet kein gleis. / warum eigentlich nicht? sieh doch hinaus / auch hier könnte man ankommen”

Oder wenn ihm mit der nötigen Lakonie und leisen Ironie so schöne Mitternachtsgedichte gelingen, in welchen es “immer wieder Chopin [ist], / der uns das mit der Sehnsucht erklärt.”

Was letztlich noch nicht ganz geklärt erscheint an den Gedichten Timo Brandts ist ihr Anspruch an sich selbst. In “Keine Kunst” bezeichnet es das lyrische Ich als Wichtigstes, “[…] dass es wahrer ist / als jeder Vers, der innovativ / wirkt und so bejubelt wird. […]”.In gewisser Weise gleichermaßen schlicht wie programmatisch endet das Gedicht mit einer impliziten Antwort:

“Bevor man vergisst, / was schön ist, / sollte man es / schreiben. // Bevor man vergisst, / was wichtig ist, / sollte man es / sagen.”

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