Monthly Archives: January 2022

Zu “Wir haben” (k)eine Wahl” von Franziska Heinisch


9783896677112

Manifeste haben Hochkonjunktur – wie immer in Zeiten der Krise. Und in einer solchen befinden wir uns, auch wenn es die meisten in Westeuropa nicht wahrhaben wollen. Oder: nicht können, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, sich über kommende, drohende, mögliche Krisen zu streiten. Dabei sind wir längst mitten drin.

Als Teil der letzten Generation, die noch ein bisschen im “Alles wird immer besser”-Zeitalter aufgewachsen ist, aber in den heutigen Zeiten der Aussichtslosigkeit sozialisiert und vor allem politisiert wurde, bin ich prädestiniert fürs Aufgeben. Die schlimmsten Verwerfungen des Klimawandels und der entsolidarisierten Gesellschaften werden mich eher nicht mehr betreffen, zumindest erst im hohen Alter; darüber hinaus habe ich eben noch die illusorischen Vorstellungen von der Welt kennengelernt, die für die älteren Generationen prägend waren und kann sogar verstehen, warum sie an diesen Illusionen festhalten wollen.

Es gibt also keine unmittelbaren Gründe zu handeln und ein geringer Glaube an ein Umdenken bei den älteren Generationen, deren Einischt aber gebraucht wird, um wirklich eine Wende in vielen Bereichen voranzutreiben. Zum Glück gibt es aber Bücher wie dieses, die eben nicht nur mit Fakten in die Debatte eingreifen, sondern sie gleichsam auch, anhand dieser Fakten, emotionalisieren.

In einigen Besprechungen zu diesem Buch wurde der Vorwurf laut, das Buch sei eine Art Abrechnung ohne Lösungsansatz. Dem kann ich nicht zustimmen. Ja, ich würde sogar behaupten, das ist eine fahrlässige oder von absichtlicher Ignoranz geprägte Unterstellung. Was all diesen Rezesent*innen wohl sauer aufgestoßen ist: dass die Autorin sich eindeutig links positioniert und keinen Hehl aus ihren mit dem Thema verbundenen Emotionen macht. Daraus wird ihr dann ein Strick gedreht, aber warum eigentlich?

So lange man die Fakten auf seiner Seite hat, ist Emotionalität kein Handikap. Ich verstehe auch nicht, warum man immer ruhig bleiben sollte, wenn man es mit Dummheit und Ignoranz zu tun hat, die bei all den Themen, die Heinisch behandelt, nicht gerade rare Ware sind. Warum sollen gerade die Dummen und Ignoranten die lautesten sein – wir brauchen kluge, junge Stimmen, die auch laut sind, solange sie wie Heinisch einen wertvollen und konstruktiven Beitrag zur Debatte leisten und die pessimistisch-zynische Kultur in intellektuellen Kreisen ordentlich aufmischen.

Zu “doggerland” von Ulrike Draesner


9783328601661

Letztens lass ich einen elektrisierenden Gedanken (in Randall Munroes Buch “What if 2”), nämlich, dass alle jetzt lebenden Menschen zwangsläufig von ein paar wenigen hundert Menschen abstammen müssen, mit denen uns eine nie abgebrochene Fortpflanzungskette verbindet. Kein besonders überraschender Gedanke, aber doch elektrisierend, weil darin die generelle Erkenntnis steckt, dass unsere ganze unübersichtliche Gegenwart aus dem entstanden ist, was sich durchgesetzt und überlebt hat (während vieles andere auf der Strecke blieb). Wir stehen sozusagen nicht auf dem Höhepunkt der bisherigen Schöpfung, wir liegen hinter dem Nadelöhr (oder die Gegenwart ist sogar das Nadelöhr).

Und somit ist auch die Vergangenheit nicht einfach die Geschichte vom Wandel, der zur Gegenwart führt, sondern das Zuhause einer Vielfalt, die heute nicht mehr existiert oder nur noch in Fragmenten und Bruchstücken erhalten geblieben ist. “Doggerland” eine Region zwischen Norddeutschland und Großbritannien, vor über 8000 Jahren vom Meer verschlungen, kann als Sinnbild für diese riesige Vergangenheit, die nur in Teilstücken fortlebt, angesehen werden.

Zum einen lebt sie in den Mythen fort, den Geschichten um Atlantis und den Garten Eden, in den gräulichen Phantasien von Lebensraum und Germanentum. Aber man landet auch zwangsläufig in doggerland, zumindest abstrakt, wenn man sich rückwärts in der Sprache bewegt, in einem Raum, in dem sich das Angelsächische und Deutsche annähern, bis zwischen ihnen zahlreiche Funken von Bedeutung überspringen.

Was erhellen diese Funken? Manchmal nur eine fast schon kalauerische Verwandtschaft, aber oft genug kann man im Lichte dieser Funken einen Blick auf die Vergangenheit erhaschen. Wie in einem Teilchenbeschleuniger, werden die Sprachteilchen aufeinander geschossen, mit der ungeheuren Geschwindigkeit, die Jahrtausende in wenigen Sekunden überbrückt, und die Reaktionen reichen von Verpuffen, über Leuchten bis hin zu stabilen neuen Elementen, unbekannten Bausteinen der Wirklichkeit.

Wie viel kann uns die (Sprach)Geschichte über uns selbst sagen? Was aus der Vergangenheit tragen wir in uns mit und inwieweit sind wir diesem Erbe verpflichtet? Diese Fragen sind schwer zu beantworten, aber Draesner liefert mit Doggerland eine Möglichkeit, sich auf ihren Grund zu begeben. Man muss sich teilweise auf ihre Assoziationen einlassen, teilweise kann man aber auch seine ganz eigenen Wege gehen. In jedem Fall erwartet einen eine spannende Reise.

Zu “Averno” von Louise Glück


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Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.”

Wer kennt es nicht, das berühmte Hölderlin-Gedicht, in dem sich die Hoffnungen und Ängste sich im Sinnbild der Jahreszeiten treffen. Was bei Hölderlin sehnsuchtsvolle Beschreibung der Natur im Geiste des Ideals ist, war bei den alten Griechen und später Römern noch teilweise ein Werk der Götter, vor allem einer Göttin, nämlich Demeter.

Die verfiel nämlich in einen solchen Gram, als ihre Tochter Kore/Persephone vom Gott der Unterwelt, Hades, geraubt wurde, dass alle Pflanzen auf der Erde zu verblühen begannen und die Temperatur stetig sank. Zeus erreichte mit seinem Bruder Hades schließlich einen Kompromiss: Die eine Hälfte des Jahres (Sommer und Frühling) verbringt Persephone bei ihrer Mutter auf der Erde, die andere Hälfte des Jahres als Hades Frau in der Unterwelt (Herbst und Winter).

Was hat das alles mit Louise Glück und “Averno” zu tun? Nun, der Kratersee galt den Römern einst als Eingang zur Unterwelt. Und genau wie bei Hölderlin (bspw. im Titel) noch die alte Sage von Persephone mitschwingt – die Idee von einem halben Leben an der Schwelle des Todes, einem halben Leben umgeben von der Erfüllung des Lebens – ist sie auch bei Louise Glück sehr präsent.

Sie ist die Figur, die zwischen den beiden Gegensätzen steht, die Naht zwischen Tod und Leben, die auch wir sind, verkörpert (zumindest als Mythos). Wir alle sind Persephone und wir alle sind gleichsam geraubt und verbannt und können doch platznehmen in den Freuden der Welt, zumindest für eine Zeit.

„ Komm zu mir, sagte die Welt. Ich stand

in meinem Wollmantel an einem hellen Portal –

endlich kann ich sagen

vor langer Zeit; es bereitet mir großes Vergnügen.“

Glücks Poesie hat etwas Martialisches, teilweise auch übertrieben Saumseliges. Aber es gelingt ihr dennoch eine spannende Philosophie des Lebens, das dem Tod versprochen ist, zu entwerfen. Wie gehen wir um mit dieser Endlichkeit, die umgeben ist von einer Unendlichkeit? Was können wir hoffen, was müssen wir glauben, was sehen wir und was sehen wir ein?

Vieles wiegt schwer bei Glück und wer sich auf solch eine schwere Poesie nicht einstellen kann, wird wohl wenig Freude an ihren Gedichten haben. Für wen Poesie aber immer auch eine Auseinandersetzung mit der Geworfenheit des Menschen ist, der oder die wird hier viel Nachdenkenswertes vorfinden, viel poetische Kraft, geschmiedet im Feuer des Dilemmas, der Hoffnung, der Verzweiflung.

Zu “Dinosaurier auf anderen Planeten” von Danielle McLaughlin


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Wenn einige Rezensent*innen diese Debütautorin mit den unnachahmlichen Alice Munro und dem berühmten William Trevor vergleichen, sind die Erwartungen zwangsläufig hoch. Ich glaube nicht, dass Danielle McLaughlin diesen Standard ganz erfüllt, dennoch handelt es sich bei “Dinosaurier auf anderen Planeten” um eine vielversprechende Sammlung von Geschichten, die im Laufe der Zeit an Schwung gewinnt.

Wollte man die Geschichten in etwa auf einen Nenner bringen, könnte man sagen, dass diese meist eher leisetretende Sammlung vor allem vom vereinzelten Individuum erzählt, ihren sich entwickelnden Platz in einem oft ungewissen, immer geheimnisvollen Universum beschreibt. Wie einst bei Raymond Carver ist die titelgebende Geschichte die letzte und enthält folgende Beschreibung (es geht in der Geschichte um einen kleinen Jungen, der glaubt, einen Dinosaurierschädel entdeckt zu haben): “Es gab Sterne, Millionen von ihnen, die vertrauten Konstellationen, die sie seit ihrer Kindheit kannte. Sie waren weißglühende Wolken aus Staub und Gas, und wenn man ihnen zu nahe kam, konnte das Licht einen blenden.”

Tiere kommen in Dinosaurier auf anderen Planeten nicht gut weg, ebenso wenig wie in vielen Fällen Eltern-Kind-Beziehungen oder Beziehungen zwischen Liebenden. Eine besonders beunruhigende Geschichte, “Eine andere Gegend”, handelt von einer unbedarften, naiven Frau namens Sarah, die mit ihrem neuen Freund Jonathan zum Haus seines Bruders Aidan und dessen hochschwangerer Freundin Pauline reist. Während die Wehen bei Pauline einsetzen, wird Sarahs Unschuld erschüttert, als sie von den beunruhigenden und geheimnisvollen Aktivitäten der Brüder erfährt.

Ein andere Geschichte handelt von einer gestressten Ehefrau, deren arbeitsloser Ehemann mit ihrem psychotischen kleinen Sohn zu Hause bleibt. Die Spannung steigt, während wir die Besessenheit des Sohnes von toten Enten miterleben und ein Wanderprediger, der wie Angelina Jolie aussieht, auftaucht, ebenso wie ein verdorbener Mann, der der Grund für das Unglück sein könnte.

Mit psychologischem Scharfsinn gestaltet Danielle McLaughlin ihre Geschichten, die gegen Ende – größtenteils – Auflösung, Entfremdung und in einigen Fällen Erlösung mit sich bringen.