Zu “Averno” von Louise Glück


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Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.”

Wer kennt es nicht, das berühmte Hölderlin-Gedicht, in dem sich die Hoffnungen und Ängste sich im Sinnbild der Jahreszeiten treffen. Was bei Hölderlin sehnsuchtsvolle Beschreibung der Natur im Geiste des Ideals ist, war bei den alten Griechen und später Römern noch teilweise ein Werk der Götter, vor allem einer Göttin, nämlich Demeter.

Die verfiel nämlich in einen solchen Gram, als ihre Tochter Kore/Persephone vom Gott der Unterwelt, Hades, geraubt wurde, dass alle Pflanzen auf der Erde zu verblühen begannen und die Temperatur stetig sank. Zeus erreichte mit seinem Bruder Hades schließlich einen Kompromiss: Die eine Hälfte des Jahres (Sommer und Frühling) verbringt Persephone bei ihrer Mutter auf der Erde, die andere Hälfte des Jahres als Hades Frau in der Unterwelt (Herbst und Winter).

Was hat das alles mit Louise Glück und “Averno” zu tun? Nun, der Kratersee galt den Römern einst als Eingang zur Unterwelt. Und genau wie bei Hölderlin (bspw. im Titel) noch die alte Sage von Persephone mitschwingt – die Idee von einem halben Leben an der Schwelle des Todes, einem halben Leben umgeben von der Erfüllung des Lebens – ist sie auch bei Louise Glück sehr präsent.

Sie ist die Figur, die zwischen den beiden Gegensätzen steht, die Naht zwischen Tod und Leben, die auch wir sind, verkörpert (zumindest als Mythos). Wir alle sind Persephone und wir alle sind gleichsam geraubt und verbannt und können doch platznehmen in den Freuden der Welt, zumindest für eine Zeit.

„ Komm zu mir, sagte die Welt. Ich stand

in meinem Wollmantel an einem hellen Portal –

endlich kann ich sagen

vor langer Zeit; es bereitet mir großes Vergnügen.“

Glücks Poesie hat etwas Martialisches, teilweise auch übertrieben Saumseliges. Aber es gelingt ihr dennoch eine spannende Philosophie des Lebens, das dem Tod versprochen ist, zu entwerfen. Wie gehen wir um mit dieser Endlichkeit, die umgeben ist von einer Unendlichkeit? Was können wir hoffen, was müssen wir glauben, was sehen wir und was sehen wir ein?

Vieles wiegt schwer bei Glück und wer sich auf solch eine schwere Poesie nicht einstellen kann, wird wohl wenig Freude an ihren Gedichten haben. Für wen Poesie aber immer auch eine Auseinandersetzung mit der Geworfenheit des Menschen ist, der oder die wird hier viel Nachdenkenswertes vorfinden, viel poetische Kraft, geschmiedet im Feuer des Dilemmas, der Hoffnung, der Verzweiflung.

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