Category Archives: Europäische Dichter*innen (außer Englische und Deutsche)
Endlich eine umfassende Anthologie zur dänischen Dichtung
Es ist nur zu hoffen, zu wünschen, dass sich diese Tendenz fortsetzt, vielleicht sogar Schule macht: Mit „Licht überm Land“ bringt der Hanser Verlag die dritte größere Lyrikanthologie in zwei Jahren heraus (letztes Jahr „Grand Tour“ und „Im Grunde wäre ich lieber Gedicht“). Während diese letzten Anthologien eine breite Palette von Autor*innen aus verschiedenen Ländern und Zeiten vorlegten, ist die neuste einem einzigen Land und seinen Dichter*innen gewidmet: Dänemark.
Ich habe vorab ein bisschen recherchiert und festgestellt, dass es zwar einige Lyrikanthologien zur schwedischen (bspw. „Von Nordenflycht bis Tranströmer“, Edition Rugerup oder „Schlittenspur durch den Sommer“, Wunderhorn), zur isländischen („Isländische Lyrik“, Insel Verlag) und zur norwegischen („So schmeckt ein Stern“, Edition Rugerup oder „Sternenlichtregen“, Wunderhorn) Lyrik gibt, aber keine (lieferbare) zur dänischen. Das Buch füllt also eine Lücke.
Und füllt sie fulminant aus. Chronologisch wird hier die ganze Breite der dänischen Dichtung, von den mittelalterlichen Balladen, über Klassiker wie Hans Christian Andersen, Jens Peter Jacobsen und später Inger Christensen, bis zu den neusten Namen (einige der letzten Dichter*innen sind nach 1990 geboren) erschlossen, abgesteckt. Die Herausgeber haben zudem die Strömungen, Moden und Entwicklungen in den Epochen herausgearbeitet und grob voneinander abgegrenzt.
Beim Lesen fällt auf, wie eigenwillig sich die dänische Lyrik in der Nachkriegszeit, bis heute hin, entwickelt hat. Vom Lakonischen bis zum Brachialen lässt sich hier alles finden, aber eben voll der Eigenwilligkeit. In jedem Fall lohnt allein schon die Dichtung dieser Epoche die Anschaffung der Anthologie.
Wie gesagt, ich wünsche mir, dass diese neue tolle Anthologie auf absehbare Zeit nicht die letzte bleiben wird, die Hanser herausbringt, denn wieder fühle ich mich (wie schon zuletzt im Fall der anderen beiden Anthologien, sowie natürlich durch die regelmäßig erscheinenden Bände in der Edition Lyrik Kabinett) reich beschenkt. Ein ganzer Dichtungskosmos ruht hier zwischen diesen hellblauen Einbanddeckeln, wirft Licht über ein Land und seine Zeiten.
Zu der Lyrik-Anthologie “Im Grunde wäre ich lieber Gedicht”
Drei Jahrzehnte Lyrik Kabinett in München (dessen Lyrik-Bibliothek mit mehr als ca. 60.000 Bänden Deutschlands größte Sammlung internationaler Poesie ist), unzählige Lesungen mit unzähligen Gästen aus nah und fern – das schrie förmlich nach einer Anthologie, aber allzu oft verhallen solche Schreie wohl ungehört oder werden barsch, vielleicht mit einem schmalen Jubiläumsheftchen, abgewatscht.
Nicht so in diesem Fall, einem Glücksfall für alle Poesie- und Lyrikliebhaber*innen. Denn Michael Krüger und Holger Pils haben eine Anthologie herausgegeben, die in Umfang und Akkuratesse tatsächlich eine Vorstellung davon geben kann, was für eine wichtige und inspirierende Institution das Lyrik Kabinett war und ist und was für spannende Veranstaltungen dort stattfanden und -finden – nebst einem wunderbaren Einblick in die verschiedensten Formen und Richtungen der Lyrik, deutschsprachig und international.
Das Buch geht chronologisch vor. Während im unteren Bereich der Buchseite eine Liste mit den Veranstaltungen des Jahres mitläuft, sind darüber Gedichte (nebst Original, falls sie aus einer Fremdsprache stammen) abgedruckt, die von einem/r Autor*in stammen, die an einem dieser Termine gelesen hat/Thema der Veranstaltung war. Die jeweiligen Jahreskapitel werden eingeleitet von kurzen, meist poetologischen Abschnitten aus Reden und Essays von Dichter*innen.
Nur wenige Anthologien sind in Sachen Lyrik unverzichtbar, aber der Hanser Verlag beschenkt uns seit einer Weile mit einigen solcher Anthologien, sei es zur italienischen Dichtung („Die Erschließung des Lichts“), zum Minnesang („Unmögliche Liebe“) oder zur europäischen Dichtung („Grand Tour“) – bald kommt eine umfassende Anthologie zur Dänischen Lyrik („Licht überm Land“) hinzu. „Im Grunde wäre ich lieber Gedicht“ ist ein weiterer dieser kostbaren Schätze, dem ich jeder/m ans Herz legen möchte. Es ist nicht nur selbst eine Reise, sondern lädt durch die Auflistung der vielen Namen am unteren Rand auch zu weiteren Reisen in die große, weite Welt der Lyrik ein.
Zu Mathias Énards “Letzte Mitteilung an die Proust-Gesellschaft von Barcelona”
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu Natur-Gedichten von Harry Martinson
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu “Flirrende Visionen” von Admrial Mahić
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu “Lyrischer Wille”, hrsg. von Matthias Vieider und Arno Dejaco
Direkt vorweg: „Lyrischer Wille“ ist sicherlich nicht der Lyrikband, mit dem man leichtes Spiel hat – und doch ist es ein Lyrikband, in dem genau dergleichen stattfindet: ein leichtes Spiel. Wobei „leicht“ hier nicht wertend gemeint ist, sondern die spielerische Note des Ganzen, die Poesie des Projekts und nicht nur seiner Erzeugnisse, hervorheben soll.
55 Dichter*innen, alle mehr oder weniger verortet im Raum Südtirol, treten mit ihren 15 Sprachen und ihren vielen individuellen Ausformungen an und ihre Texte/Übersetzungen bilden in sieben Kapiteln jeweils die faszinierende Transformation ab, die ein Text und sein Inhalt, seine Gestalt und seine Betonung, von Sprache zu Sprache und von Dichter*in zu Dichter*in durchlaufen.
Am Anfang jedes Kapitels steht ein Ausgangstext, der dann von dem/der jeweils nächsten Dichter*in in seine Sprache und/oder die von ihm gewählte Form (vom Lauttext bis zum Notenstück ist alles dabei) übertragen wird. Der/die Nächste kennt schon nicht mehr den Ausgangstext, sondern nur die erste Übertragung – und so spinnt sich munter ein Reigen fort und der Text kann im nächsten Schritt schrumpfen oder wachsen und allerhand mehr, je nachdem, was Sprache und Poetik der nächsten Person ermöglichen/diktieren.
Man wünschte, dem Buch wäre ein Hörbuch beigelegt oder das Projekt wäre direkt als Hörbuch (mit Textbeilage) realisiert worden. Die Faszination der Idee und teilweise auch deren Umsetzung, vermag zwar auch das Buch zu vermitteln, aber natürlich werden die wenigsten Leser*innen alle oder auch nur die Hälfe der Sprachen beherrschen, die die Dichter*innen hier anwenden.
Natürlich kann man trotzdem meist die Transformation nachverfolgen, da Deutsch zu den häufigsten Beitragssprachen gehört. Als Hörbuch würden sich aber, so glaube ich, die Schönheit und der „lyrische Wille“ der Textketten am deutlichsten zeigen. Nichtsdestotrotz bleibt dieses Buch ein Unikum und ich wünsche ihm und den beiden Herausgebern Matthias Vieider und Arno Dejaco noch einige faszinierte Leser*innen.
Zu Ruth Lillegravens “Sichel”
besprochen beim Signaturen-Magazin