Category Archives: Moderne Lyrik
Ein Sammelband mit 19 neuen Gedichten von Sarah Kirsch
Endlich eine umfassende Anthologie zur dänischen Dichtung
Es ist nur zu hoffen, zu wünschen, dass sich diese Tendenz fortsetzt, vielleicht sogar Schule macht: Mit „Licht überm Land“ bringt der Hanser Verlag die dritte größere Lyrikanthologie in zwei Jahren heraus (letztes Jahr „Grand Tour“ und „Im Grunde wäre ich lieber Gedicht“). Während diese letzten Anthologien eine breite Palette von Autor*innen aus verschiedenen Ländern und Zeiten vorlegten, ist die neuste einem einzigen Land und seinen Dichter*innen gewidmet: Dänemark.
Ich habe vorab ein bisschen recherchiert und festgestellt, dass es zwar einige Lyrikanthologien zur schwedischen (bspw. „Von Nordenflycht bis Tranströmer“, Edition Rugerup oder „Schlittenspur durch den Sommer“, Wunderhorn), zur isländischen („Isländische Lyrik“, Insel Verlag) und zur norwegischen („So schmeckt ein Stern“, Edition Rugerup oder „Sternenlichtregen“, Wunderhorn) Lyrik gibt, aber keine (lieferbare) zur dänischen. Das Buch füllt also eine Lücke.
Und füllt sie fulminant aus. Chronologisch wird hier die ganze Breite der dänischen Dichtung, von den mittelalterlichen Balladen, über Klassiker wie Hans Christian Andersen, Jens Peter Jacobsen und später Inger Christensen, bis zu den neusten Namen (einige der letzten Dichter*innen sind nach 1990 geboren) erschlossen, abgesteckt. Die Herausgeber haben zudem die Strömungen, Moden und Entwicklungen in den Epochen herausgearbeitet und grob voneinander abgegrenzt.
Beim Lesen fällt auf, wie eigenwillig sich die dänische Lyrik in der Nachkriegszeit, bis heute hin, entwickelt hat. Vom Lakonischen bis zum Brachialen lässt sich hier alles finden, aber eben voll der Eigenwilligkeit. In jedem Fall lohnt allein schon die Dichtung dieser Epoche die Anschaffung der Anthologie.
Wie gesagt, ich wünsche mir, dass diese neue tolle Anthologie auf absehbare Zeit nicht die letzte bleiben wird, die Hanser herausbringt, denn wieder fühle ich mich (wie schon zuletzt im Fall der anderen beiden Anthologien, sowie natürlich durch die regelmäßig erscheinenden Bände in der Edition Lyrik Kabinett) reich beschenkt. Ein ganzer Dichtungskosmos ruht hier zwischen diesen hellblauen Einbanddeckeln, wirft Licht über ein Land und seine Zeiten.
Gedichte über die Schicksale der Menschen
Zu Gedichten von Andreas Okopenko
Wünsche, Träume, dann und wann auch nicht zu saumselig
“Traum von
Namen nackt wie die Dinge die
sie verhüllen”
Ich finde, es ist etwas ungeschickt, wenn der Verlag auf den Rückendeckel dieses Gedichtbandes schreibt, dass die Texte darin als “Antwort und Reaktion auf ihre erzählerische Prosa entstanden sind”.
Das schreckt nicht nur Leser*innen ab, die diese Prosa nicht kennen, es wirkt auch wie ein Eingeständnis, dass diese Text nicht für sich stehen können. Mit diesem Gefühl bin ich in den Band gestartet – und losgeworden bin ich es bis zum Ende nicht.
“Wer möchte es nicht
glauben dass das Gute
Schöne und Wahre sich schütteln lässt
wie Pflaumen vom Baum
aufs Blatt ins Gedicht”
Sentimentalität, das beschreibt einen Zustand, ein Verhalten, in dem auch der kleinste Gegenstand, die kleinste Erinnerung, einen Anlass für Glorifizierung, große Fragen und/oder Rührung darstellt, in jedem Fall für eine als überzogen wahrgenommene Gefühlsverlautbarung.
Die Lyrik, ob es ihr gefällt oder nicht, wird sich in Teilen auch immer im Umfeld dieses Gefühls bewegen, es ist eine ihrer Naturen. Oder, anders gesagt: die Sentimentalität ganz aus der Lyrik zu verbannen, würde ihr viel nehmen, zumal der einzig probate Ersatz für Sentimentalität Zynismus ist, und der ist auf Dauer, zumindest wenn er gegen nichts antritt, genauso unausstehlich wie schrankenlose Sentimentalität.
Aber zurück zu Hahn. Ich habe den Begriff der Sentimentalität überhaupt erst ins Spiel gebracht, weil ich mich gefragt habe, ob das die Gedichte adäquat beschreibt. Bisher hätte ich, was Hahn angeht, immer gesagt: Sie enthalten fast immer ein bisschen Sentimentalität, verstehen es aber blendend, diese auf links zu drehen, plötzlich spitz und schneidend zu machen oder zumindest kurz vorm Kitsch mit einem Lächeln, mit Ironie, Witz oder Klugheit auszustatten.
“Ach einmal noch
es rausschnippen aus
dem Brustkorb raus
aus dem Rippengitter
in die Wiese kicken
das rote Klümpchen
runter rollen
ins Wasser ans
andere Ufer”
In diesem neuen Band aber verwischen die Grenzen zwischen Kitsch und Kunst bei Hahn hier und da dann doch. Das habe ich schon oft so gesehen, diese Verwischung, sie ist nicht selten ein Beikraut des Alterswerks – und als solches auch weder zu verachten, noch zu belächeln, in Maßen.
In manchen Gedichten hält Hahn Maß und dann haben ihre Verse zwar etwas Nostalgisches, aber verstehen sich wie sonst auf Witz und Verstand und können, obgleich sie von vielen Lyrikleser*innen als leichte Kost bezeichnet würden, unterhalten und zum Nachdenken bringen.
Aber in manch anderen Texten, da gibt es keine Brechung, da wird uns die “noch am Halme wogenden Gefühle” präsentiert, um Kästner zu zitieren, der einmal ein bitterböses Epigramm über solche Texte geschrieben hat. Hier fühle ich mich dann wieder an den Klappentext erinnert, bin aber mehr schlecht als recht damit getröstet, dass das alles vielleicht im Kontext von Hahns Prosa Sinn und Kunst ergibt.
“Ein Wort
ergibt zu viele andere Ihr sentimentales Flehen
aus dem Staub von Jahrhunderten”
Womit wir zur schwersten Frage kommen: ist der Band überhaupt empfehlenswert? Ich will, nicht etwa aus falscher Gutmütigkeit, sondern aus Überzeugung, betonen, dass es in diesem Band sehr wohl gute Gedichte gibt. In der Summe würde man die Texte wohl als hübsch, als nett bezeichnen, was auch abwertend klingt, hier aber nicht (unbedingt) so gemeint ist. Es sind Vierzeiler wie dieser, die den Band lesenswert machen, allerdings nur, wenn man über manche Texte einfach hinweglesen kann:
“In der Sonne sitzen nichts tun
abwarten sich wärmen lassen
reif werden wie der Apfel im Baum
Der Pflücker wird keinen vergessen”
Zu “Fährten ins Zeitdämmerareal” von Manfred Peter Hein
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu der Lyrik-Anthologie “Im Grunde wäre ich lieber Gedicht”
Drei Jahrzehnte Lyrik Kabinett in München (dessen Lyrik-Bibliothek mit mehr als ca. 60.000 Bänden Deutschlands größte Sammlung internationaler Poesie ist), unzählige Lesungen mit unzähligen Gästen aus nah und fern – das schrie förmlich nach einer Anthologie, aber allzu oft verhallen solche Schreie wohl ungehört oder werden barsch, vielleicht mit einem schmalen Jubiläumsheftchen, abgewatscht.
Nicht so in diesem Fall, einem Glücksfall für alle Poesie- und Lyrikliebhaber*innen. Denn Michael Krüger und Holger Pils haben eine Anthologie herausgegeben, die in Umfang und Akkuratesse tatsächlich eine Vorstellung davon geben kann, was für eine wichtige und inspirierende Institution das Lyrik Kabinett war und ist und was für spannende Veranstaltungen dort stattfanden und -finden – nebst einem wunderbaren Einblick in die verschiedensten Formen und Richtungen der Lyrik, deutschsprachig und international.
Das Buch geht chronologisch vor. Während im unteren Bereich der Buchseite eine Liste mit den Veranstaltungen des Jahres mitläuft, sind darüber Gedichte (nebst Original, falls sie aus einer Fremdsprache stammen) abgedruckt, die von einem/r Autor*in stammen, die an einem dieser Termine gelesen hat/Thema der Veranstaltung war. Die jeweiligen Jahreskapitel werden eingeleitet von kurzen, meist poetologischen Abschnitten aus Reden und Essays von Dichter*innen.
Nur wenige Anthologien sind in Sachen Lyrik unverzichtbar, aber der Hanser Verlag beschenkt uns seit einer Weile mit einigen solcher Anthologien, sei es zur italienischen Dichtung („Die Erschließung des Lichts“), zum Minnesang („Unmögliche Liebe“) oder zur europäischen Dichtung („Grand Tour“) – bald kommt eine umfassende Anthologie zur Dänischen Lyrik („Licht überm Land“) hinzu. „Im Grunde wäre ich lieber Gedicht“ ist ein weiterer dieser kostbaren Schätze, dem ich jeder/m ans Herz legen möchte. Es ist nicht nur selbst eine Reise, sondern lädt durch die Auflistung der vielen Namen am unteren Rand auch zu weiteren Reisen in die große, weite Welt der Lyrik ein.
Zu “Ich habe große Städte gesehen” von Jörg Fauser
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu “Der Mantel der Dichterin” von Gabrielle Alioth
besprochen beim Signaturen-Magazin