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Zu “Fremdes Licht” von Michael Stavarič


Fremdes Licht Michael Stavaričs neuer Roman „Fremdes Licht“ hält nicht lange mit der Katastrophe hinterm Berg: schon auf den ersten Seiten befinden wir uns in einer Endzeitwelt aus Kälte und Schrott, in der nur noch ein letztes menschliches Bewusstsein glimmt und flackert: Elaine, eine Genforscherin, und mit ihr ein letzter menschlicher Monolog, eine letzte menschliche Erinnerungskammer in einer unwirtlichen Welt. Ihr Großvater, der eine wichtige Bezugsperson war, hat ihr einst das Überleben in Eis und Schnee beigebracht, denn er lebte lange bei den Inuit …

Soweit die Ausgangslage, die man auch dem Klappentext entnehmen kann und die sicherlich bei dem/der ein oder andere/n Interessierten für gehobene Augenbrauen gesorgt hat – und auch für mich klang das alles zwar spannend und auch nicht abwegig, aber doch ein bisschen dubios. Nun ist es aber so, dass die Zusammenfassung eines Romans wenig aussagt, denn es geht ja darum, wie ein Roman diese Inhalte vermittelt, wie die Geschichte, so dubios sie auch erstmal klingen mag, umgesetzt wird.

„Fremdes Licht“ ist in dieser Hinsicht ein durchaus anspruchsvoller Roman, denn Stavarič erzählt mit einer Langsamkeit und Intensität, die zwar atmosphärisch den Welten entsprechen, die er beschreibt – und auch dem Zustand, der existenziellen Lage der Protagonistin (*innen) – trotzdem sorgt diese stilistische Entscheidung in einigen Passagen für etwas, das manche Leser*innen wohl als „Längen“ empfinden könnten. Auch ich habe hin und wieder ein bisschen gehadert mit diesem Stil – und bewundere umso mehr, was er letztendlich, auf seine meditative und zugleich erbarmungslose Art, herausarbeitet, hervorbringt: einen sehr tiefen Ein/Abdruck von Menschlichkeit, in einem Universum, dass abseits des Menschlichen, jenseits der dünnen Haut mit allen Träumen, Illusionen und Empfindungen darin, sehr lebensfeindlich ist, ohne Entsprechung für all das, was wir darin suchen – und doch ist diese Suche vielleicht das Einzige, was das Menschliche letztendlich ausmacht.

Man könnte hier noch einige Bezüge einflechten, zu Sci-Fi Filmen wie Kubricks „2001: A Space Odyssey“, „Eden Log“, etc. oder auch zu dem Inuit-Film „Atanarjuat – Die Legende vom schnellen Läufer“. In dieser Rezension werde ich es aber bei einer Empfehlung belassen, einer eingeschränkten wohlgemerkt, denn auch wenn das Buch keineswegs langweilig oder manieriert ist, so ist es doch, in meinen Augen, keine Unterhaltungsliteratur und wer nach einer solchen sucht, der/die ist mit „Fremdes Licht“ nicht gut beraten. Wer aber mit Literatur einzigartige Erfahrungen machen möchte, wer es mag, dass Inhalte auch über sich hinausweisen, dem/der kann ich das Buch bedenkenlos empfehlen. Es ist mythenreich, philosophisch, abenteuerlich und hinterlässt viele bleibende Eindrücke.

Zu John Wrays “Gotteskind”


Gotteskind John Wrays neuster Roman kreist um das Schicksal einer jungen Amerikanerin, die (aus Trotz/aus jugendlichem Leichtsinn/aus religiöser Überzeugung/um ihren Eltern zu entfliehen/im Zuge einer Sinnsuche, all diese Motive spielen eine Rolle, die Gewichtung bleibt der Interpretation der Leser*innen überlassen) ihr Leben in den USA hinter sich lässt und zusammen mit einem Freund nach Pakistan aufbricht, um dort (verkleidet als junger Mann) in einer Medrese (Koranschule) den islamischen Glauben zu praktizieren. Von Anfang an ist sie aber auch faszinierend von den Gläubigen, die die Grenze überqueren und in Afghanistan für den Gottesstaat kämpfen, eine Faszination, die immer mehr zu einem Vorhaben wird…

In der Literatur, so sagt man, werden die ersten guten Romane über historischen Ereignisse und ihre Kontexte 5-10 Jahre nach den Ereignissen vollendet/veröffentlicht. Insofern ist John Wray mit “Gotteskind” fast schon “spät dran”, den der Roman spielt in dem geschichtsträchtigen Jahr 2001:

11 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks herrscht in Afghanistan immer noch Bürgerkrieg. Während des Kalten Krieges (genauer ab 1979) hatten (von der amerikanischen Regierung finanzierte) Mudschahedin gegen die Besatzer aus der UdSSR gekämpft, viele davon Söldner, die nach dem Abzug der russischen Streitkräfte blieben und weiterkämpften; viele schlossen sich den Taliban an, die mit der Unterstützung Pakistans bald große Teile des Landes beherrschten.

Wray lässt diese Backgroundinformationen außen vor, sein Roman ist nicht der Versuch eines großen Panoramas oder einer vielschichtigen historischen Aufarbeitung. Er legt den Fokus ganz auf die Empfindungen und Erlebnisse seiner Protagonistin Aden Sawyer (die sich vor Ort Süleyman nennt), wir erleben alles nur durch ihre Augen (obgleich Wrays Roman keine Ich-Perspektive hat, sondern in einer personellen Erzählhaltung verfasst ist).

Das ist die Bravour und der Reiz dieses Romans, denn durch diesen Fokus, zusammen mit Wrays guter Charakterzeichnung, manifestiert sich Aden als eine sehr lebendige Figur, die einen ebenso in Erstaunen versetzen wie auch zur Weißglut treiben kann, mit ihren klugen Fragen oder ihrem unvorsichtigen Verhalten. Wray lässt uns teilhaben an Momenten, in denen sie über sich hinauswächst, während sie bei anderen Gelegenheiten ganz und gar ihren Schwächen unterliegt. Der Roman ist die langsame Entschlüsselung, Entblätterung von Adens Charakterfacetten und lässt doch Spielraum für viele Fragen, Spiegelungen, Ambivalentes.

Trotz dieser guten Charakterzeichnung, die mich gefesselt hat und das Buch in jedem Fall zu einem lesenswerten Roman macht, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass mich die letzten 50-60 Seiten des Buches doch ein wenig enttäuscht haben. Ich habe das Gefühl, Wray konnte sich nicht entscheiden, wie er den Stoff zu Ende spinnen soll, wie und ob er einige größere und kleinere Fäden kreuzen soll, ob die Geschichte kulminieren oder in sich zusammenbrechen, sich verlaufen soll und so geschieht alles und nichts zugleich – die endgültige Transformation der Figur gelingt in meinen Augen dadurch auch nicht.

Es ist natürlich immer leicht, Romane nach einmaliger Lektüre für das zu kritisieren, was sie nicht ausgelöst oder befriedigt haben. Ich möchte daher betonen: es ist bemerkenswert, was Wray hier an Charakterzeichnung leistet, wie gut er bei seiner Figur bleibt, wie umsichtig er vorgeht. Unbestritten. Gerade deshalb ist der Abfall am Ende auch so deutlich, in meinen Augen. Er negiert nicht das literarische Erlebnis der ersten 300 Seiten, das ich jeder/m ans Herz legen kann, aber es bleibt ein leicht unwillkommener Nachgeschmack.