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Zu William Boyd “Eines Menschen Herz”


Eines Menschen Herz Man sollte vorsichtig sein mit Superlativen, aber “Eines Menschen Herz” ist eines der fesselndsten Bücher, die ich je gelesen habe. Dabei bin ich gar kein großer Freund von dicken Wälzern. Aber ähnlich wie in den besten Büchern von John Irving ergibt sich auch in diesem Buch aus dem Mix von Spannung und allmählicher Vertrautheit mit den Figuren ein Sog, ein epischer Bogen, der einen nach einer Weile nicht mehr loslässt und einen letztlich mit den simpelsten Wendungen und Szenen direkt ins Herz treffen kann, weil das Schicksal der Erzählung daran festgewachsen ist.

Auch ich habe mich, wie wohl manche/r, am Anfang mit der Form schwer getan – das fiktive Tagebuch eines Schriftstellers, das klingt schon ziemlich plakativ. Und in manchen Momenten, in denen Boyd seinen Protagonisten mit großen Namen zusammentreffen lässt (Hemingway, Picasso, Herzog von Windsor, Pollock, etc.) ist das Buch auch nah dran, plakativ zu sein.

Aber gerade in diesen Momenten zeigt sich auch Boyds Klasse, den meist wirken das Zusammentreffen und die Umstände ganz natürlich und klugerweise verlagert Boyd nie das Zentrum des Geschehens auf die populären Namen und Ereignisse, sie geben lediglich Gastspiele in dem Leben, das ansonsten hauptsächlich im Umfeld der Freund*innen & Beziehungen stattfindet. Es liegt ein Funken echter Eleganz in der Art, wie Boyd seine Erzählung immer wieder neu strukturiert, justiert und doch bei aller Weltgewandtheit, immer wieder auf das Wesentliche des einzelnen Lebens zurückkommt.

Es gibt ein paar schwächere Episoden in dem Buch, aber keine dauert sehr lange. Mit seinem langen Atem gelingt es Boyd, einem wirklich Tür und Tor zur Seele seines Protagonisten zu öffnen, ein paar geschickte Unterbrechungen und Zwischenspiele, Takt- und Ortswechsel sorgen für die nötige Authentizität und auch für die nötige Dynamik. Am Ende war ich atemlos, bewegt, erschüttert und zu gleichen Teilen entsetzt und beglückt davon, wie ein Leben im Zeitraffer vorbeiziehen kann, wie es sich füllt und doch immer kleiner wird. Für diese Erfahrung in Buchform bin ich William Boyd sehr dankbar.

 

Zu “Stromern” von Andor Endre Gelléri


Stromern Andor Endre Gelléri starb im Mai 1945, kurz nach der Befreiung seines KZs durch amerikanische Truppen, und wurde nur 39 Jahre alt. In diesem Lebenszeitraum verdingte er sich in zahlreichen Berufen: als Erzieher und Sekretär, aber auch als Fuhrmann, Wäschereiarbeiter und vieles andere – und schrieb nebenbei an die 100 Prosastücke, Novellen und Erzählungen, von denen 31 hier in dieser Ausgabe beim Guggolz Verlag erschienen sind (der mit diesem Buch wieder einmal zur Wiederentdeckung eines vergessenen Autors der Moderne einlädt).

Die meisten der Texte spielen in den 20er und 30er Jahren in Ungarn. Es ist die Zeit der ersten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, jeder ist folglich auf der Suche nach Arbeit und wer eine hat, der muss sich an ihr festhalten, sich an sie klammern. Gelléris Protagonist*innen sind Arbeiter*innen, Angestellte, Rädchen im Getriebe, aber auch ein Fötus oder ein armer Künstler; meist meint es das Schicksal nicht gut mit ihnen, öfters auch die Menschen in ihrer Umgebung nicht. Durchaus virtuos beschreibt Gelléri das fragile Dasein dieser Zeit aus den unterschiedlichsten Perspektiven; manche davon haben etwas dezent Magisches, andere bestechen durch atemberaubende Profanität.

Am beeindruckendsten ist wohl der schmale Witz, die feine Rasanz hier und da. Gelléri war weder ein offener Sozialkritiker, noch ein kalter Geschichtenerzähler, sondern ein Beobachter mit Feinsinn. Seine Figuren gegenüber scheint er eine seltsame, aber doch klare Art von Sympathie empfunden zu haben, die die meisten Texte unterschwellig trägt. Zu entdecken gibt es hier besondere Mikrokosmen aus einer fast vergessenen Zeit, spielerisch und kühn und doch mit jenem menschlichen Nachdruck, den Literatur haben muss, um zeitlos zu sein.

Zu Vladimir Nabokovs zweitem Roman “König Dame Bube”


König Dame Bube Vladimir Nabovos zweiter Roman spielt, wie schon der erste, im Berlin der 20er Jahre, wo sich auch der Autor zur Zeit der Niederschrift aufhielt. Während der erste Roman “Maschenka” unter russischen Emigrant*innen spielt, werden die Lesenden in “König Dame Bube” Zeugen/innen einer Dreiecksgeschichte in einem gewöhnlicheren Milieu.

Franz kommt nach Berlin, um für seinen Onkel Dreyer zu arbeiten, der einige gute Geschäfte macht und in einem großen Haus am Stadtrand lebt. Dort begegnet Franz auch zum ersten Mal Martha, Dreyers Frau und seiner Tante, und ist, als Unschuld vom Lande, von ihrer Schönheit sofort in Beschlag genommen.

Sie ist erfreut über diese unerwartete, jugendliche Schwärmerei und bald begierig darauf, ihre Chance auf eine Romanze mit Franz zu bekommen, wo doch ihr eigener Mann sie erotisch (und auch ansonsten) überhaupt nicht reizt. Und sie beginnt darüber nachzusinnen, wie perfekt alles wäre, wenn Dreyer nicht mehr unter ihnen weilen würde…

Auf der Rückseite des Buches steht etwas davon, dass Nabokov sich in diesem frühen Werk als “Meister delikater Psychologie” zeigt. Das finde ich etwas hochgegriffen. Es ist ohne Frage eines von Nabokovs ausgelasseneren Büchern, mit viel Witz und einer eher leichtfertigen, wenngleich beschwingten Psychologie. Er zeigt seine Figuren als mitunter einfältige, eitle, emotionsbefeuerte Wesen, die in den seltensten Fällen auf Feinsinn oder Reflexion zurückgreifen. Sie tragen alle einen gewissen Übermut in sich – oder das Gegenteil, Angst oder Verzweiflung – die das Buch lebendig halten.

Dennoch (oder gerade wegen dieser Machart) ist “König Dame Bube” ein unterhaltsamer Roman, der hier und da mit Sprachverliebtheiten und Beschreibungsfiligranitäten auftrumpft, die einen Nabokov in der Probierphase verraten, der es sich bei diesem Buch anscheinend gegönnt hat, weniger Balance und mehr Esprit walten zu lassen. Immer wieder macht der Roman Spaß, hat aber auch gewisse Längen. Nicht der beste Nabokov und wenn man etwas von den früheren Werken lesen will, dann sollte man eher zu “Maschenka” oder “Lushins Verteidigung” greifen.