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Zum Tod von Kurt Marti
Am Sonntag ist der großartige Dichter Kurt Marti gestorben. Seit mehreren Jahren lese ich in seinen Notizen, dem Band “Zärtlichkeit und Schmerz” (Luchterhand, erschienen 1981) und bin immer noch am Staunen.
Er ist außerdem einer der Dichter, von denen ich ein Zitat im Herzen trage, eine Weisheit, die ich in meinen Dachbalken einbrennen ließe, wenn ich dergleichen hätte – sie lautet:
“Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen”.
Dieser Spruch wird mich noch lange begleiten.
Poesie ist Arbeit an der Zukunft. Wie wahr.
Über einen kleinen Meister der Sprache und des Humanismus: Alfred Polgar und den 1. Band seiner Werkausgabe: Musterung
“Was ist Erkenntnis? Doch zumeist nur der Trugschluss, dem man’s nicht anmerkt. Wahrheit? Der Irrtum, auf den noch keiner gekommen ist. Und welcher Beweis gilt? Jener, der schlauer geführt wird, als sein Gegenbeweis.”
Polgars viel zitiertes, amüsiertes Glaubensbekenntnis.
“Ich glaube an das Gute im Menschen, rate aber, sich auf das Schlechte in ihm zu verlassen.”
“Sonderbar, dass die kleinen Nuancen des Lebens so viel Feindseligkeit unter den Menschen bewirken – und das allen gleiche “Sterben-Müssen” so wenig Solidarität.”
Es gibt wenige Schriftsteller, die es in der kleinen, kurzen Textform zu Ruhm brachten und bringen. Augusto Monterrosso fällt ein, überhaupt die spanischen Minimalisten. Im deutschen ist ein Triumvirat, deren Mitglieder alle etwa zur selben Zeit lebten und wirkten: Robert Walser mit seinen poetischen Nuancierungen, Träumereien und Spielen (siehe: Der Spaziergang), Franz Kafka mit seiner alles erschließenden und alles verklitternden Optik, und als ungekrönter Caesar: der Autor, Essayist und Aphoristiker Alfred Polgar.
Genremäßig gehört Polgar allerdings eher zu einer anderen Riege – zu den berühmtes Caféhausliteraten und Feuilletonisten, die sich in den 20er und 30er Jahren in der Weimarer Republik und Österreich hauptsächlich als Freelancer für Zeitungen und Zeitschriften, mit Theaterkritik, sowie dem Kabarett verdingten. Viel von dem, was hier in diesem ersten Band seiner Werkauswahl enthalten ist, hat die Länge eines Zeitungsartikels, vieles davon wurde auch in diesem Medium zuerst veröffentlicht.
Was die Art angeht, habe ich lange überlegt, mit wem Polgar zu vergleichen wäre. Er ist Oscar Wilde nicht unähnlich, allerdings nur, wenn es um seine Beobachtungsgabe und die Genialität und Knappheit seiner Bonmonts und Beobachtungen geht; anders als Wilde war er ein gemäßigter Dandy, lange nicht so monströs und geltungssüchtig, beflissener, wiederum aber wie Wilde von einer festen Größe, nur ohne die großen Gipfel und Abgründe. Scharfsinn und Zweifel sind immer Polgars vorrangige Waffen; mit ihnen geht er die unterschiedlichsten Themen an.
Dieser erste Band Musterung enthält hauptsächlich engagierte Essays/Prosa; im ersten Teil vor allem pazifistische und antifaschistische Glossen, Satiren, Berichte und Betrachtungen, im zweiten Teil allgemeine Zeitspiegel, wie etwas Strafprozesse, Wiener Lebensart, Anekdoten & politische Vorkommnisse. Wer sich an schöner, geschliffener Sprache erfreuen kann und subtilen Witz und Esprit schätzt wird hier immer wieder auf seine Kosten kommen und eine, vor allem stets sehr anregende, Kurzlektüre finden – wer allerdings mehr auf kleine Geschichten, denn auf Zeitgeschehen und Feuilleton setzt, sollte den Band 2: Kreislauf wählen. Irrlicht: BD 3 enthält Literaturkritiken und Szenen aus dem literarischen Leben.
Wer einen kleineren, beschaulicheren Überblick über Polgars Art und Ceuvre erhalten will, kann auch mit diesem schmalen Band beginnen: Im Lauf der Zeit
Es gibt ein Faustfragment von Lessing, in dem der Geist dem Faust auf die Frage: “Was ist das schnellste auf Erden?” die Antwort erteilt: “Der Übergang vom Guten zum Bösen.”
Um diesen schnellen Übergang weiß und gegen ihn kämpf Polgar mit aller aufgeboten Menschlichkeit und Bissigkeit. In seinem Engagement steht er dem etwas rauerem Tucholsky und auch Karl Kraus nah, auch Erich Kästner und seine weimarer Lyrik bieten sich als Vergleich an; Polgar stemmte sich gegen Gewalt, Willkür und falsche Objektivität, sowie überschüssige Subjektivität. Errare humanum est – jeder unterliegt dieser Bedingtheit und Alfred Polgar wieß die Menschen nur zu gerne süffisant auf ihre Fehler hin, ohne dabei das Augenzwinkern zu vergessen und dem großen Ideal seines lateinischen Credos mit der Besonnenheit eines Mark Aurel zu folgen, der in seinen Selbstbetrachtungen schrieb: “Die Menschen sind füreinander geboren, also belehre oder ertrage sie.”
Kurz gesagt zu La Rochefoucault Aphorismen – oder: “Glück und Laune regieren die Welt.”
“Jedermann klagt über sein schlechtes Gedächtnis, aber niemand über seinen schlechten Verstand.”
Man spricht oft von Büchern, die “ihren Reiz nicht verlieren” oder “immer noch aktuell (oder zutreffend) sind.” Nun, bei La Rochefoucaulds Aphorismen ist dies allerdings der Fall; ihnen bleibt ihre 300 Jahre alte Geltung und Wahrheit weiterhin.
“Unser Glück liegt nicht in den Dingen, sondern in deren Bewertung durch uns; und der Besitz dessen, was wir lieben, macht glücklich, nicht dessen, was andere liebenswert finden.”
Obwohl manchmal zynisch und fast schon übertrieben auf der Suche nach Hintergedanken, war La Rochefoucauld sicherlich einer der wichtigsten Moralisten seiner Zeit. Seine feine Polemik, kombiniert mit ironischen und sarkastischen, sowie belebenden und flotten Annoncen, kann uns bis heute noch bezaubern und lehren, was wir im Leben an Offensichtlichem bisher übersehen haben.
Rochefoucauld wusste um seine Grenzen (“Wer seinen Verstand kennt, kennt nicht immer sein Herz”) und gerade Liebe und Leidenschaft, zwei seiner häufigsten Themen, bewahren in seinen Betrachtungen trotz aller Empirik und Satirik einen liebevollen Anklang. Und weise weiß er stets zu sein, obwohl (und weil): “Es ist leichter, für andere weise zu sein als für sich selbst.”
Eine Zitatsammlung, die keine eklatanten Lücken aufweisen will, kommt um La Rochefoucauld nicht herum. Einige seiner trefflichsten Sätze scheinen auf jede Zeit, übergreifend, münzbar zu sein und verlieren und erschöpfen sich nicht, da sie weder pessimistisch, noch überironisch sind – wenn ihnen eine Bezeichnung geben müsste, so wäre es: moralisch.
“Die Wahrheit stiftet nicht so viel Gutes in der Welt wie ihr Schein Böses.”