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Über Auden und die essayistischen Texte im Band “Ein Bewusstsein der Wirklichkeit”
Gerade bei den Literat*innen, die einem am nächsten sind, deren Werke man liebt und an deren Fähigkeit zur Vision, zur Berührung, zur Größe man glaubt, ist man meist auch ein bisschen vorsichtig, was Erwartungen angeht, und man fürchtet oft enttäuscht zu werden, wenn man ein neues Werk von ihnen aufschlägt.
Ich liebe und schätze Wystan H. Auden, sehr. Es geht nicht einmal darum, dass ich seine Poesie als die vollkommenste bezeichnen würde, die schönste (vielleicht) oder die epischste (ganz gewiss nicht). Aber sie ist die menschlichste und darin zugleich weitreichendste Dichtung, die ich kenne. Es gibt in ihr einen Verschmelzung von Überschwang und Besonnenheit, Zuneigung und Schmerz, Freiheit und Gewissen, die ich als eine Verkörperung der Dimension des Lebens selbst bezeichnen würde – so nah dran ist sie an dem Spiegel, der uns zeigen könnte, was das Leben ist.
Auden wusste, Sehnsucht, das heißt: mit den Ketten, in denen wir liegen, zu rasseln. Auden wusste: We must love each other or die; ein Satz, den er im hohen Alter umänderte in den Satz: We must love each other and die und in dieser Änderung fühle ich mich wieder ertappt in meinem Wesen, in dieser Änderung bin ich enthalten, schwingend zwischen sadness und euphoria.
Auden bekannte: If equal affection cannot be/ let the more loving one be me. Und in seinem Gedicht „As I walked out one evening“ gelingt es ihm, den Wahnsinn und die Macht der Zeit abzubilden, am Beispiel der Liebe. Und er wusste noch vieles mehr, ebenso, wie er vieles nicht wusste. In seinen Essays, deren Auswahl in diesem Band ausnahmslos auf Rezensionen, Aufsätze und Vorwörter hinausläuft, haben dieses Bild, das ich von ihm hatte, noch ergänzt: Jetzt bin überzeugt davon, dass W. H. Auden einer der bescheidensten, einfühlsamsten und gleichsam intelligentesten Menschen war, von denen ich gelesen habe.
Wie bereits erwähnt, fasst der Band Texte, die als Vorwörter zu Büchern geschrieben wurden oder als Rezensionen über neue Publikationen. Dass sich gerade in diesen eher einfachen Formen die ganze Vielfalt von Audens Gaben in Bezug auf Beobachtung, Einschätzung, Differenzierung und Definierung zeigt, verblüfft zunächst und diese Verblüffung verliert auch nie ganz ihren Zauber. Denn egal ob Auden über Oscar Wilde, Virginia Woolf, die griechische Literatur oder über Goethe und die italienische Reise (u.v.a.) schreibt: Keine seiner Betrachtungen gerät zur intellektuellen Ausschöpfung oder Profilierung, sondern mündet jedes Mal nach gewissenhafter Facettenschau in die menschliche Dimension, die Auden der Person des Autors, dem Thema oder dem Buch angedeihen lässt, zuspricht.
Keiner der Texte in diesem Buch ist überragend, alle haben streckenweise ein gewisses Mittelmaß – dass sie dann wieder elegant und unverhofft hinter sich lassen, um in allgemeineren Ausführungen kurz und brillant die metaphysische Seite eines Aspektes zu beleuchten und zu verorten, nur um sich dann wieder ganz dem Beschriebenen unterzuordnen, einen Eindruck von dessen Möglichkeiten und Ideen zu vermitteln.
Auden war ein Schriftsteller durch und durch und doch könnte man fast meinen, dass es ihm fast vollständig an Eitelkeit gemangelt hätte. Natürlich stimmt das nicht. Aber woran es ihm nie fehlte, ist das Bewusstsein für die eigene, die fremde, die Eitelkeit an sich. In der Bescheidenheit und Arriviertheit seines Schreibens und Dichtens schwingt immer dieses Bewusstsein mit, das jeden Gegenstand erschließt, aber ihn nicht ergreift und für sich beansprucht, sondern sorgsam innerhalb Perspektive, hinter der die fernen, großen Entitäten stehen, einordnet. Dieses Bewusstsein, sanft und doch bestimmt, erhellend und ohne Zwang zur Größe, ist eine Erfahrung, in deren Bann ich gern ganz lange verweilen und der ich Seltenheitswert zusprechen würde
Würde man nach der Lektüre dieses Bandes fragen: War Auden ein Kommunist? Ein Feminist? Ein religiöser Mensch? Ein Opportunist? Ein Unruhestifter? Ein Konservativer? Ein Intellektueller? – Auf all diese Fragen würde man keine Antwort erhalten, denn obwohl manche Themen und Bücher und Ausführungen Ansätze in die eine oder andere Richtung erkennen lassen: in Audens Texten findet sich keine Agenda, sondern nur der Wunsch, den Dingen gerecht zu werden – und gerade in den Endprodukten dieses Wunsches spiegelt sich wiederum ein umfassendes Bewusstsein von gefährlichen Ideen, fatalen Entwicklungen und gesellschaftlichen Missständen, sowie von Ignoranz, die diese Texte weder ignorieren, noch provozieren. Sie stellen sich in ihren Raum und dieser Raum füllt sich mit Verständnis und Bedeutung; einer Bedeutung, die von innen kommt, nicht von außen gegeben wird.
Man lese Auden. Man lese Auden. Was soll ich sonst noch sagen.
Zu Audens Gedicht “As I walked out one evenig”
A poet, qua poet, has only one political duty, namely, in his own writing to set an example of the correct use of his mother tongue, which is always being corrupted. When words lose their meaning, physical force takes over. (Auden im Paris Review Interview 1972)
Wie klein kommt man sich vor, wenn man morgens in Amerika an einem Schreibtisch sitzt, Billy Joel hört und überlegt, über Wystan H. Auden zu schreiben. Eine große Idee und darin das eigene Gespür wie ein winziges Nirgendwo, baut sich vor einem auf; im Angesicht schon eines seiner Gedichte, welche so viel tender mit so viel omnipresence kombinieren und doch sich selbst stets reduzieren auf das Wesentliche.
So weit entfernt erscheint dieser Dichter und so nah ist einem seine Dichtung, sein Wesen – mit jedem Reim, kaum, dass man beginnt seine Zeilen zu lesen.
Wie mit diesen Distanzen arbeiten? Wie über die Nähe in diesen Zeilen obsiegen wollen und darüber schreiben?
As I walked out one evening
Walking down Bristol Street,
The crowds upon the pavement
Were fields of harvest wheat.
And down by the brimming river
I heard a lover sing
Under an arch of the railway:
'Love has no ending.
Seine Metaphern: eigentlich immer ein bisschen exzentrisch, aber stets so leicht, im Vertrauen darauf, dass die Implementierung von Ansicht, Assoziation und Metaphysik in die Form der Eingebung, in diesem einen Bild gelingt; dass seine Aussage nicht wie ein Stein ins Wasser fällt, sondern im letzten Schwung der Zeile klar wird, wie der Geschmack einer Erdbeere, in dem Moment, wo du hinein beißt.
“Die Leute auf dem Bürgersteig/ sind ein Feld abgeernteten Weizens.” Eine melancholische Vorstellung. Aber auch ein Bild, welches in die Stimmung dieser Leute, die sich von diesem Tag verabschieden, ihn hinter sich lassen, hineingeht, mit ihnen geht, statt sie bloß als eine Beschreibung hinter sich zu lassen. Wie so oft unterschätzt man Auden, wenn man allein auf die Originalität seiner Reime schaut und nicht auf die schlichte Brillanz, die in diesen einfachen Bildern liegt, in der Geste, mit der sie Bleibendes einfangen.
Warum pavement und nicht z.B. footpath?
Pavement ist sehr viel weicher. Dies gehört ebenfalls dazu, wenn man Auden liest: Sich bewusst zu machen, wie sehr er die englische Sprache in ihren Feinheiten liebte und diese Feinheiten zu verwenden wusste. Pavement unterstreicht die leichte Melancholie der Szenerie noch, während footpath daraus eher eine fatalistische Sequenz gemacht hätte. Es sind nicht selten solche Kleinigkeiten, die den Raum einer Dichtung vergrößern oder verkleinern, den Klang in die Dichtung mit einbringen oder ihn versagen lassen. Auden besaß sehr viel Sprachgefühl – es lohnt sich, immer auf die kleinen Resonanzen in seiner Dichtung zu achten; sie bauen Melodien, wo es bei anderen nur Töne gibt.
'I'll love you, dear, I'll love you
Till China and Africa meet,
And the river jumps over the mountain
And the salmon sing in the street,
'I'll love you till the ocean
Is folded and hung up to dry
And the seven stars go squawking
like geese about the sky.
'The years shall run like rabbits,
For in my arms I hold
The Flower of the Ages,
And the first love of the world.'
Songs. Viele von Audens Liebesgedichten haben den Charakter von Liedern und Balladen – diese Art sich dem Fluss der Reime hinzugeben, hold im Überschwang auf world zu reimen und es in den Bildern der Verse ein wenig Fantasie schneien zu lassen.
Der Wille zum Bekenntnis eben, welches stets in der Liebe selbst, bedeckt von all der erlernten Furcht und Zurückhaltung – und mit dem Risiko, sein Gedicht quasi frei fallen zu lassen, gelingt ihm ein Abschnitt purer Schönheit, der trotzdem mit einem bemerkenswerten, trefflichen Vierzeiler endet, vielleicht einem der besten Vierzeiler über die Liebe überhaupt. Man würde sich wirklich wünschen, dass Dichter öfter dieses Risiko eingehen würden.
Allein schon die Wendung The years shall run like rabbits hat eine ungebundene, authentische Kraft in sich – aber wie so oft in Gedichten, ist es erst die Wendung, die ihr folgt, die eine solche Geste wirklich groß und berührend macht. Hier ist es der Widerpart, der den Jahren, die wie Hasen davonlaufen – unerreichbar, wenn einmal entgangen – hinterher ruft: mein Arm jedoch noch hält/ die Blume aller Jahre Zeiten/ und die erste Liebe der Welt.
Die Blume aller Zeiten. Für einen selbst, ganz plötzlich, ist sie da, die erste Liebes des Lebens, die erste Liebe der Welt. Können wir denn, die wir, wie Brodsky sagte, die einzige Chance der Welt sind, wahrgenommen zu werden, leugnen, dass unserer Berührungspunkt mit der Liebe nicht stets wie die erste und gleichsam älteste Erfahrung von ihr ist?
But all the clocks in the city
Began to whirr and chime:
'O let not Time deceive you,
You cannot conquer Time.
'In the burrows of the Nightmare
Where Justice naked is,
Time watches from the shadow
And coughs when you would kiss.
'In headaches and in worry
Vaguely life leaks away,
And Time will have his fancy
To-morrow or to-day.
Nun beginnen die Glockentürme also zu läuten und zu schreien.
Wir sind aus dem Zauber des Songs in die Ballade der Nacht getreten. Die Lebensrealität, die sich eben in der Liebe aufschwang, landet nun wieder auf dem Pflaster der Stadt, unter jenem arch of the railway. Sie ist klein geworden im Aufbäumen dieses Klanges, geschnitten von Zeit und ihrer Geschwindigkeit. Und dies Läuten der Glockentürme, tief und unheilsschwanger, doch auch vertraut, in der Nacht, sagt: “O lass dich von der Zeit nicht täuschen/ nie besiegst du die Zeit.”
Und der, der da nachts durch die Stadt geht, einem alten Song von Liebe lauschte: weiß er nicht, dass es wahr ist? Ahnt er es nicht? “Zeit beobachtet aus den Schatten heraus/ and hustet, wenn du gerade küsst.” Sie tut dies in den “Stollen der Alpträume”, wo “die Gerechtigkeit nackt ist”.
Schwermut, aber keine bizarre, keine aufbäumende, sondern eine folgerichtige, eine Schwermut als früh erkanntes, geglaubtes Resultat, als Preis für das Liebesglück, das gesungene Lied. Panta rhei – alles fließt. Und weil wir das nicht ändern können, ist jeder Höhenflug ein unwiederholbares Ereignis, dem der Sturz folgt und dass in der Erinnerung lebendig ist, aber im Augenblick, da wir erneut in den Fluss steigen, eine zweischneidiges Bewusstsein von dem Gefühl wiederbelebt und hinterlässt.
Time will have his fancy – die Zeit tut, was sie will, sie bekommt nahezu immer ihren Willen. Wann immer nicht, ist es ein kleiner Sieg. Wie Auden in einem anderen Gedicht schrieb: Victory! That is love.
'Into many a green valley
Drifts the appalling snow;
Time breaks the threaded dances
And the diver's brilliant bow.
'O plunge your hands in water,
Plunge them in up to the wrist;
Stare, stare in the basin
And wonder what you've missed.
'The glacier knocks in the cupboard,
The desert sighs in the bed,
And the crack in the tea-cup opens
A lane to the land of the dead.
'Where the beggars raffle the banknotes
And the Giant is enchanting to Jack,
And the Lily-white Boy is a Roarer,
And Jill goes down on her back.
'O look, look in the mirror,
O look in your distress:
Life remains a blessing
Although you cannot bless.
Dieser Abschnitt – vielleicht die einzige Länge des Gedichtes. Sie ist wiederum sprachlich sehr stark, mit zahllosen Untiefen und nicht minder zahlreichen eingängigen Reimen.
Schnee dringt ein in viele grüne Täler. Jemand beugt sich über einen Wassertrog, schaut auf Tiefe, die Oberfläche (gleichzeitig auf beides), taucht die Hände ein, ganz wenig, ganz tief und es ist nicht zu greifen, was alles verloren gegangen ist, auch wenn es einem in diesem Moment so nahe zu sein scheint. Plunge them in up to the wrist; dieses: stare(!), stare(…) in the basin/ and wonder what you’ve missed.
Wieder kann man hier ein wenig auf die Wortwahl achten und sehen, wie sehr Poesie allein aus kleinen Dingen geschehen kann, aus der Magie eines einzelnen Wortes selbst oder einer schlichten Wiederholung; Poesie ist mitunter auch unbemerkte Präzision . Stare, stare, diese halb vergebliche, kopflose, halb beschwörende, sinnliche Geste und dann der Satz wonder what you’ve missed. Nicht remember oder think of wohlgemerkt. Denn darum geht es auch nicht. Das, was Auden in diesem Reim, dieser Wendung zusammengebracht hat, es steht und fällt mit diesem Wort, das das Wesen dieser Zeile bestimmt.
“Der Gletscher poltert in der Lade/ Die Wüste seufzt(ächzt) im Bett/und der Bruch in der Teetasse öffnet/ eine Straße zum Land der Toten”.
Und all diese Szenen von Vergeblichkeit, sie enden erneut in einer übergreifenden Idee: “Leben ist dir ein Segen(oder: Leben hinterließ dir einen Segen)/dir, der nicht segnen kann”.
Ich wiederhole mich, ich weiß, und muss dennoch noch einmal sagen: eine solche Zeile ist es, worin Audens Größe besteht, worin sie, vielleicht auf ewig, bestehen wird. Diese Zeile, eine Idee von Wahrheit, die man nicht Kunst nennen kann, weil sie viel zu einfach, zu schön ist, zu ursprünglich. Und dennoch ist es Kunst. Kunst, für die man dankbar ist.
'O stand, stand at the window
As the tears scald and start;
You shall love your crooked neighbour
With your crooked heart.'
It was late, late in the evening,
The lovers they were gone;
The clocks had ceased their chiming,
And the deep river ran on.
Ich werde jetzt nicht versuchen, die liebevolle Wendung You shall love your crooked neighbour/ with your crooked heart zu übersetzen; ihr schlichter Glanz kann sich im Deutschen nur verlieren, im Prozess des Übersetzens (als würde man versuche den Applaus für eine bewegende Rede in Buchstaben zu übersetzen). Ohnehin dürfte ihre inneren Bedeutung fast schon universell sein.
Am Ende: “Die Glocken beenden ihr rufen/ der tiefe Fluß fließt weiter fort”. Am Ende vieler anderer Gedichte wären diese Sätze ein bloßer Schlusspunkt. Hier schließen sie einen Kreis, eine Geschichte der Liebe. Ein Idee von Liebe, über den Tag getragen, die in der Dunkelheit verschwindet, vielleicht in ihr besiegt, vielleicht in ihr geborgen.
Ohne Zweifel war und ich Auden ein Dichter, ein Diener, ein Orator der Liebe, der Liebe als Mittel, das Leben zu erretten von allem, was ihm entgegenwirkt; er unterscheidet nur wenig zwischen allgemeiner und geschlechtlicher Liebe. Die beiden verhalten sich bei ihm zueinander wie Einsteins allgemeine und spezielle Relativitätstheorie.
In seinen „speziellen“ Liebesgedichten ist ein Ton, der immer leicht tanzt, zwischen: kind und: cruel und der in diesem Gedicht gut zu sehen ist. Diese beiden Begriffe sind die zwei Seiten der Liebe: die eine steht im Licht steht und die andere ist der Schatten, den die erste wirft – je höher das Licht, desto kürzer der Schatten. Doch wenn es dann tiefer sinkt, wächst die dunklere Seite, wird länger und länger.