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Die Worte der Stimme des Schweigens … Ein klein wenig zu den Gedichten von Nelly Sachs


“Welt, frage nicht die Todentrissenen
wohin sie gehen,
sie gehen immer ihrem Grabe zu.”

“Nach Auschwitz”, schrieb Adorno, “darf man kein Gedicht mehr schreiben.” Eine polemische, polarisierende Aussage, die der Philosoph später zwar revidierte, die aber wie ein Damoklesschwert ohne Faden über den deutschen Dichtern der Nachkriegszeit hing und vielleicht noch immer, wie ein drohender Rauchschwall aus dem Schlot der Vergangenheit, unsere Himmelsdeutungen bestimmt.

Nelly Sachs, Erich Fried und Paul Celan taten es trotzdem: sie schrieben Gedichte. Während viele Deutsche Autoren die Vergangenheit zu umgehen suchten, machten sich ein in Rumänien geborener Deutscher, ein nach England emigrierter Österreicher und eine Deutsch-Schwedin daran, die Trümmer der Zivilisation und die Trümmer ihres jüdischen Volkes aufzusammeln und den Staub zu durchleuchten – auf der Suche nach einer Heimat für Worte in Taten, die unaussprechlich anmuteten …

“Wer von uns darf trösten?
Gärtner sind wir, blumenlos gewordene
Und stehen auf einem Stern, der strahlt
Und weinen.”

Nelly Sachs kam noch zweimal nach ihrer Emigration nach Deutschland. Beim ersten Mal wurde sie psychisch krank, beim zweiten Mal konnte sie immerhin bleiben. In dieser Person, dem Schicksal und der Wirkung dieser Frau mag man, wie in einer schwachen Ahnung des eigenen Bewusstseins, sehen, was Auschwitz für die Welt bedeutete, was es für Überlebende bedeutete; Leute, wie Nelly Sachs, die zu begreifen versuchten, indem sie es nicht konnten:

“Und Sonne und Mond sind weiter spazierengegangen –
zwei schieläugige Zeugen, die nichts gesehen haben.”

Dieser Aspekt macht dann schließlich auch zu großen Teilen ihre Lyrik aus: das Unbegreifen, ausgedrückt in Himmelskörpern, einfachen Wörtern, sehr großen und dadurch sehr wenigen und gleichsam anspruchsvollen und anspruchslosen Metaphern. In ihrer zerrissenen, geebneten Dynamik erschafft diese Sprache eine ruhelose Atmosphäre der Stille, des Gedenkens und des Verlassenseins, des Stillstands und der Drehung aller Welten, die das Phänomen des Todes in so großer Vielzahl zusammenballte und nur Staub zurückließ.

“O ihr Finger,
Die ihr den Sand aus Totenschuhen leertet
Morgen schon werdet ihr Staub sein
in den Schuhen Kommender!”

Nelly Sachs Lyrik ist eine ungebundene. Wie eine Flagge im Wind, mit nur einigen, sich wiederholenden Angelpunkten, wie Wind und Staub und Sturm untertan. Mit einem leicht-schweren Tanz zwischen Metaphorik und Ausdruck, hat sie eigentlich nur an vier oder fünf großen, endlosen Gedichten geschrieben; kaum einer ihrer Texte trägt einen Titel und man kann die einzelnen Stücke jeweils als ein Ausschnitt, ein neues Ansetzen, eine fragmentarische Idee ihres Gesamtstrebens sehen. So besteht die Stärke und Kraft ihrer Lyrik auch weniger aus Gedichten, als aus Zeilen, Ausschnitten, unvergesslichen Bildern und Akzenten.

“denn das Schicksal
hat das Rad der Zeit
vermummt –
hebt sich
an seinen Atemzügen.
[‘]
schwarz flaggen die Schornsteine
das Grab der Luft.”

“Wie leicht
wird Erde sein
nur eine Wolke Abendliebe
wenn schwarzgeheizt Rache
vom Todesengel magnetisch
anzgezogen
an seinem Schneerock
kalt und still verendet.”

Vielleicht stammt die beste Definition des Eindrucks und der Wirkung ihrer Dichtung unbeabsichtigt von ihr selbst:

“Minute,
darin das Weltall
seine unlesbaren Wurzeln schlägt”

Nelly Sachs ist weder eine kryptische, intellegible, noch eine Dichtern des vollendeten Bildes. Sie ist eine Dichterin der Schemen, eine Sammlerin der Metaphern, der Mythologie ihres Alptraums. Es kann manchmal harter Tobak sein sie zu lesen, und manchmal kann es mythisch-erhebend, unergründlich und wie ein Weltall weit und unbegehbar sein. Doch auf jeden Fall ist die Lektüre in manchen Momenten eine Stille, die das Wort Demut in eine verhaltene Form von Wahrheit legt, die einfachste und doch größte, die man aus Staub und Wind bauen kann.

“Frieden
du großes Augenlid
das alle Unruhe verschließt
mit deinem himmlichen Wimpernkranz

Du leiseste aller Geburten.”