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Zu Amélie Nothombs neuem Roman “Happy End”


Happy End Es ist kein Kitsch, aber es ist verdammt nah dran! Diese Bemerkung träfe wohl auf einige Bücher von Amélie Nothomb zu und beschreibt außerdem recht gut den unverblümten Sinn für Schönheit und Sinnlichkeit, der ihnen entspringt und den Hauch von frecher Genialität, der sie umgibt.

Amélie Nothomb ist nämlich eine Meisterin der Direktheit, der ungekünstelten Intensität und auch der Brechstangenpsychologie, letztere wendet sie jedoch mit so viel Feingefühl, Witz und einem Gespür für letzte Ambivalenzen an, dass man sie ihr nicht übel nimmt, ebenso wenig wie die Schlichtheit ihrer Plots, sondern vielmehr staunt, wie sie mit diesen einfachen Aufzügen den Sehnsüchten und Dilemmas des Menschlichen so nah kommt.

Nothomb hat nur wenige Themen, aber Schönheit und Hässlichkeit (und ihre Gegenüberstellung) sind eines davon (sie hat diesen Topos schon in Büchern wie “Quecksilber” aufgegriffen). In “Happy End” hüllt sie das Thema in ein paar leicht märchenhafte Faktoren und erzählt, unabhängig voneinander, die Geschichten zweier Einzelgänger*innen, einer strahlenden Schönheit und einem von Geburt an hässlichen Jungen, die beide durch ihr Äußeres auf sich selbst zurückgeworfen sind und sich schließlich mehr in sich selbst als in der Welt einrichten. Während die Schönheit Trémière später Juwelen für sich entdeckt, besser: die Kunst sie zu tragen, verbringt Déodat sein Leben mit dem Beobachten und Studieren der Vögel. Beide sehnen sich, irgendwann einmal mehr verstanden zu werden als bisher. Aber wie soll das möglich sein, schwebt ihr Aussehen doch über ihnen – aber nicht einmal das scheint ein Garant für ein ungeplagtes Herz zu sein.

Eine Kunst, die Nothomb neben Leichtigkeit, Witz und Esprit beherrscht, ist die Kunst der Faszination. Ich werde wohl nie zum Vogelversessenen werden, aber für ein paar Seiten hat mich Nothomb zu einem gemacht (wie sie mich für kurze Zeit schon zu so vielem gemacht hat: zum Champagnersäufer, Briefeschreiber, zum Süßigkeitenanhimmler, zum Japantouristen, ja, zum Monster). Sonderlinge bevölkern ihre Romane, aber sie streift sie uns ohne Schwierigkeiten über und ihre Eigenwilligkeit wird zur Selbstverständigkeit, zum Herz-hochschlagen-lassenden Existenzinhalt.

“Happy End” ist ein weiteres Glanzstück, das kein Nothomb-Fan sich entgehen lassen sollte und jeder Neueinsteiger bedenkenlos zur Hand nehmen kann. Ein Hoch auf Amélie Nothomb!

Zu Vladimir Nabokovs drittem Roman “Lushins Verteidigung”


Lushins Verteidigung Die Angst, man könnte sich nicht mehr zurechtfinden, ist allgegenwärtig, ebenso wie der Wunsch sich zurechtzufinden (sich als etwas Zurechtes vorzufinden). Deswegen gibt es Konventionen, Normen, Regelwerke, Traditionen und Misstrauen gegen alles Neue und auf der anderen Seite das Verlangen nach Neuem, nach Diversität, Freiheit, Emanzipation. Jeder Mensch will in Umständen leben, in denen sein (gewähltes) Verhältnis zur Welt (und zu den Mitmenschen) repräsentiert oder zumindest ermöglicht wird.

Was ist aber, wenn man es nicht schafft, ein Verhältnis zur Welt und zu den Menschen zu entwickeln? Was, wenn alles, was die Gesellschaft und die Welt einem bieten, einen nicht reizt? Was wenn man sich mit dem Zurechtfinden übermäßig schwertut, und keine Basis für eine Teilnahme am Leben finden kann?

Vladimir Nabokovs dritter Roman “Lushins Verteidigung” handelt von einem Sonderling; keinem exzentrischen, aufregenden Sonderling, sondern einem stillen, unkommunikativen Geschöpf. Lushin ist ein seltsames, trübsinniges Kind, findet keinen Spaß am Toben, an Raufereien, zeigt aber zunächst auch keine besonderen, autistischen Begabungen, scheint kein Interesse an irgendwas zu haben, will vor allem in Ruhe gelassen werden. Von den meisten Menschen wird er für beschränkt gehalten und Emotionen scheinen bei ihm unterentwickelt zu sein; selbst den Eltern gegenüber verhält er sich abweisend.

Dann findet sich doch noch ein Fixpunkt für sein Leben: Schach. Er ist sofort fasziniert von diesem Spiel und nach kurzer Zeit brilliert er nicht nur darin, sondern findet auf dem Brett und in den Figuren einen Lebensraum, eine Wirklichkeit, in der er sich zurechtfinden, in der er existieren kann. Über Jahre spielt er Turnier um Turnier, beheimatet in der Welt der Diagonalen und Geraden, der Züge und Stellungen, der Abläufe und Möglichkeiten. Schließlich setzt seinem Verstand die permanente Auseinandersetzung damit zu, die Welt der Schachformen droht ihn zu verschlingen. Doch wie soll Lushin die Welt anders begreifen…

Der Roman ist nicht unbedingt ein Unterhaltungsglanzstück, aber das großartiges Portrait eines Menschen mit Inselbegabung. Nabokov lässt sich Zeit mit der Beschreibung von Lushins Innenwelten, vermittelt keine frontalen Erkenntnisse über und von ihm, sondern kleidet seine Narration in fast schon beiläufige Schilderungen, bevor sie sich an bestimmten Stellen zu Erkundungen von Lushins Wesen verdichtet; Leser*innen sollten eine Freude an Detailverliebtheit und psychologischer Finesse mitbringen.

Lushin wurde mit bestimmten Anlagen geboren, aber machten die Reaktionen seiner Umwelt ihn zu dem Menschen, der er am Ende ist? Nabokovs filigrane Erzählung wirft, neben vielen anderen, auch diese Frage auf, hütet sich aber, den Fall in die eine oder in die andere Richtung auszudeuten und streut lediglich ein paar Hinweise. So bleibt das Buch für die Lesenden bis zum Schluss eine Erforschung von Lushins Psyche und man schwankt zwischen Erbarmen und Unverständnis.

“Lushins Verteidigung” ist wohl Nabokovs erstes Meisterstück. Hier zeigt sich auch zum ersten Mal sein Faible für Außenseiter und Querköpfe, die in seinen bedeutendsten Romanen (wie “Lolita”, “Pnin” und “Fahles Feuer”) die Protagonisten stellen werden. Leicht hätte der Stoff des Buches zu einer leeren Hybris werden können, aber Nabokov gelingt es, die Aufmerksamkeit auf Lushin als Mensch zu konzentrieren und nicht auf Lushin als Schachgenie.
Somit ist “Lushins Verteidigung”, ähnlich wie Stefan Zweigs “Schachnovelle”, kein Buch in dem es primär um Schach geht. Aber in beiden Büchern wird Schach zu einer großartigen Metapher für die jeweiligen Inhalte.

“Lushins Verteidigung” ist ein sinnliches, mitunter betont langsames Werk, das seine volle Wucht in den Untertönen, den unauffälligen Umwälzungen entwickelt. Es ist keine mitreißende oder einnehmende Lektüre, aber so filigran, dass man durchaus gebannt ist von der Entwicklung in jedem neuen Abschnitt, auch wenn eigentlich nicht viel passiert. Wie gesagt: man sollte Interesse an einer Seelenerkundung mitbringen – denn nichts anderes ist dieses vortreffliche Werk.

Zu Marcel Reich-Ranickis “Der Fall Heine”


Für viele ist er ein Euphemismus, ein überschätzter Kandidat auf den Posten eines großen deutschen Dichters. Die Ignoranz, sie ist schnell bei der Hand, wenn der Name Heinrich Heine in Literatenkreisen fällt. Dann wird gemäkelt: zu geringer Wortschatz, zu parfümiert, zu heiter, zu einfach, zu sehr Sing-Sang und die schrägsten Reime.

Marcel Reich-Ranicki gelingt es bereits in den ersten Sätzen seines Einleitungsessays den wahren Charakter, die wahre Schönheit und Vortrefflichkeit, die Einzigartigkeit und umfassende Pionierleistung von Heine hervorzuheben, was nicht einmal ein Kunststück ist, denn dieser Dichter war ein Unikum, ein widersprüchliches und leuchtendes. Die einzelnen Verdienste und Qualitäten von Heine werden in den vier Aufsätzen dieses Bandes immer wieder erwähnt, betont und veranschaulicht und auch wenn das Büchlein nicht als „Einführung“ in das Werk von Heine taugt, machen sie Lust darauf, die verschiedenen Teile seines Werks zu erforschen.

Gerade die drei letzten Texte werfen aber auch noch ein weiteres Kapitel der Person Heines auf und forschen nach den Wurzeln, den Antrieben seines Wirkens als Weltliterat, Kritiker und erotisch-sinnlicher Dichter. Eine große Rolle spricht Reich-Ranicki hier Heines emanzipiertem Judentum zu, ja macht es sogar zum Dreh- und Angelpunkt seiner geistigen Biographie. Im Zuge dieser Theorie gelingen viele Einblicke in Heines Persönlichkeit und es scheint am Ende gar nicht mehr so verwegen, Heine als Dichter der nie gefundenen Heimat, als ewig Unassimilierten zu sehen, der die Abweisung der Gesellschaft in seinen Liebesgedichten verarbeitet hat.

Um von Heine begeistert zu sein, muss man ihn selbst lesen. Aber um eine Ahnung dieser Begeisterung zu bekommen und auch ein bisschen mehr Background zu haben, lohnt es sich, diese gesammelten Aufsätze von Reich-Ranicki zu lesen.

“Alexander oder Was ist Wahrheit?” – Eine kleine Erinnerung an die Reminiszenzprosa von Arno Schmidt. Oder: W.ie I.ch e.uch h.asse


Es gibt drei zentrale Schriftsteller in der modernen deutschsprachigen Literatur, die nicht nur Außenseiter waren und ihre speziellen Stile und Charakteristika ihrer Prosa pflegten, sondern die auch (mit unterschiedlicher Vehemenz) konkret anders sein wollten, auf der Suche nach neuer sprachlicher Dichte in der Prosa.

Diese drei Schriftsteller sind der Österreicher Thomas Bernhard (Als Beispiel: Watten), der Hamburger Hans Henry Jahnn (bekannt durch Fluß ohne Ufer) und eben Arno Schmidt..

Von all diesen dreien ist Schmidt wohl der sprachoperativste, der eigene Typographien erfand und sein Schriftbild seiner eigenen Empfindung von sprachlicher Dichte anpasste – er war aber auch thematisch auf sehr abwegigem Terrain unterwegs. Vielen dürfte er am Rande nur aufgrund seines Machwerks Zettels Traum bekannt sein. Dabei war Schmidt nicht nur ein radikaler und vielschichtiger, sondern vor allem ein einzigartiger Erzähler, von überragender Substanz. Einer der nicht nur unglaublich kompliziert Bücher, sondern auch großartige Erzählungen schrieb.

In diesem Band sind drei sehr frühe Texte versammelt.. Alle sind mehr oder weniger in der Antike angesiedelt und alle zeichnen sich durch eine geradezu frontale Bildsprache, Interpunktion und Poesie aus. Es sind eigentlich keine Erzählungen, sondern wandelnde Eingebungsüberblendungen, die Eindrücke, Bewusstsein, Ideen und Welterfahrung in einem einzigen Prosagemisch vermitteln.

“Goldmond brennt auf am Festungsturm; in Märchenfernen reist ein Sturm, zaust und zaubert. Ich trage Krüge weinbelaubt; der Wein schwatzt innen laut. Mond reitet an mit Söldnerstern; das rasche Heer versteckt sich gern hoch in den Wolken. Die wilde Wolkeninsel steht mit Pässen, die kein Mensch begeht und schroffen Silberklippen. Mond landet im Wacholdermeer; die kleine Stadt schläft hell und leer hoch im Bergland. Ich steige leicht wie Wind empor, zum Wolkenwald, zum Wolkentor; weiß nicht, wie meine Spur verlor. Ich wandere mit der Wolke. – -“

Neben den stark expressiven Beschreibungen, sind Schmidts zweiter Angelpunkt seine exzentrischen Figuren, die vor allem als eine Synthese aus Gedanken und Meinungen, die sie laufend von sich geben, auftreten. Schmidt führt diese, obgleich sie alle in antiken Zeiten leben, nicht historisch, sondern alltäglich an uns heran; dabei geht es ihm, so scheint es, vor allem um die Aufhebung der Distanz, denn er lotet clever die Möglichkeiten von Unverblümtheit und Arroganz aus und so erscheinen einem die Personen bald nicht als verblasste geschichtliche Vorgänger unseres Geschlechts, sondern als Charaktere ihrer Zeit wie wir in der unseren, mit ganz eigenen und ebenso breiten Spektren an Annahmen, an Wissen, Illusionen, Interessen und gesellschaftlichen und intellektuellen Problemen.

In “Alexander oder Was ist Wahrheit” um noch einmal etwas konkreter zu werden, geht es zum Beispiel um die Wahrheit über Alexander den Großen: War er tatsächlich ein Held und weiser Mann, oder ein mordender, macht- und besitzhungriger, hitziger Jüngling, ohne auch nur einen der ihm zugeschriebenen Vorzüge (es historisch zu akzeptieren ist ja das eine, aber es zu seinen Lebzeiten zu erleben eine ganz andere)? Der Erzähler, ein Verehrer Alexanders, der diesem auch nun bald zum ersten Mal persönlich begegnen soll, glaubt einem großen, übermenschlichen Mann zu begegnen, doch schon auf der Fahrt zum Lager Alexanders wird ihm von Mitreisenden die ganze Idiotie und der Wahnsinn des Heroen, an historisch belegten und von Schmidt interpretierten Beispielen, süffisant und ironisch unter die Nase gerieben. “Kein Platz für Heldentum, nur Größenwahn, in der Welt”, wie eine der Figuren sagt.

Warum Schmidt lesen? Nun, er ist ungeheuer (im wahrsten Sinne des Wortes) poetisch und kann einem eine ganz neue Erfahrung von Sprache und Erleben in Prosa bieten. Seine eigenwillige Art der Erzählens, die zwischen sprachlich-vollkommener, beklemmender Eleganz und undurchsichtigen Prosaströmen hin und her tendiert, ist vielleicht nicht so leicht zu lesen, bringt einem dafür aber eine Fülle an Ideen dar und übermittelt einem mehr als einmal eine völlig neue Vorstellung des “Lesens” an sich.

“Kühler Wind ging nah vorbei, wie ein schlanker Knabe mit Sternen in den Händen;”

“Himmel mit weißen Wolkennelken bedruckt. … der Wind riss aus wie ein Hengst.”

“Keuchend hoch: der Mond schwamm, schon halb aufgelöst, in gelben Lichtbrühen. Ein Trupp besoffener Nachtwinde randalierte drüben im Obstgarten, hieb sich mit Zweigen und pfiff zuhältrig: hoffentlich bleibt’s schön morgen! “

“Ein alter Bauer mit Fuchspelzmütze, ganz langlebiger Thrakier, zeigte uns eine getötete Schlange: aus der aufgeschnitten kroch eben eine Kröte hervor: die Hinterbeine bereits vollständig verdaut!!! >>(Und siehe, es war alles gut)<< : oh derLuderlump ! ! !”

Walter Jens schrieb in einem Feuilleton des Jahres 1950, er habe Schmidts Schreibstil zunächst für “Blödsinn” gehalten und sich darüber geärgert, dann aber Entzücken über Schmidts Bilder, seinen Snobismus und seinen lebendigen Expressionismus empfunden.
Genauso ging es mir und deshalb muss man am Ende sagen: Wer wirklich, unter Anstrengung und Genuss, mal etwas ganz anderes, fast rätselhaft Bedeutendes und gleichsam Anregendes lesen will, der sollte sich an Arno Schmidt einmal versuchen – vielleicht mit diesen ersten Erzählungen. Wer in irgendeiner Weise eine unterhaltsame, geradlinige Form der Prosa sucht, dem ist natürlich abzuraten. Denn Schmidt zu lesen ist eine, ich betone es noch mal, weil es essentiell ist, einzigartige, aber sehr abnormale Erfahrung.

Inhalt:

1. Enthymesis oder W.I.E.H. (Erzählung über eine Weltvermessung zu Fuß, von jemandem, der nicht glaubt, dass die Erde rund sein kann – um 200 v.Chr.)
2. Gadir oder Erkenne dich selbst (Erzählung eines 95-jährigen Gefangenen, der seine Flucht plant und, schon halb Irre geworden, in seinen Gedanken die Welt und ihre Irrsinnigkeiten aufzudecken meint)
3. Alexander oder Was ist Wahrheit

Link zum Buch: http://www.amazon.de/Alexander-oder-Was-ist-Wahrheit/dp/3596291119/ref=cm_rdp_product

*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen