Die 13. und 14. Ausgabe der “Mütze”, der Literaturzeitschrift von Urs Engeler, besprochen bei fixpoetry
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Die Auswahl der Ginsberggedichte aus dem Rowohlt Verlag
“Denn wir können zusammen
die Schönheit der Seelen sehen
verborgen wie Diamanten
in dem Uhrwerk der Welt”
Allen Ginsberg, Poet und zerfleischender Hymniker, beteiligt an den Proklamationen von freier Liebe, von Drogenkonsum und Anarchie und in seinem Leben dem jüdischen, buddhistischen und atheistischen Glauben abwechselnd zugetan – sein Name dürfte selbst unbelesenen Leuten ein Begriff sein. Seine Haupt- und Blütezeit waren die 50er und 60er Jahre, die Zeit der aufkommenden Beat-Generation, an deren Konzeption und Entstehung er selbst, zusammen mit Jack Kerouac und William S. Burroughs, großen Anteil hatte (auch wenn Ginsbergs literarische Vorbilder nicht in irgendeinem ästhetischen Programmheft standen. Sie waren klassischer und hießen Whitman, Rimbaud, Dante und William Blake); jedoch: er war ein sehr viel versierterer und vielfältigerer Dichter, was oft vergessen wird.
“Hipster mit Engelsköpfen, süchtig nach dem alten himmlischen Kon-
takt zum Sterndynamo in der Maschinerie der Nacht”
“und die einäugige Vettel,
die bloß auf ihrem Arsch sitzt und am Webstuhl des
Schöpfers die geistigen Goldfäden durchschnipst”
Die zwei gewaltigen, bekannten Gedichte führt man fast schon mit ihm Mund, wenn man auf Ginsberg zu sprechen kommt: zunächst Howl (dt. Das Geheul), ein Abgesang und doch gleichzeitig auch eine Beschwörung, Anrufung; darin die Abgründe in der amerikanischen „fast and easy“ Nachkriegsgesellschaft, die zerschmetterte Traumrealität, das Zerfasern, abgehend, die verlorenen Geister und Genies im Schritt, im Blick; das in die Drogen flüchten, die Haltlosigkeit des Stadt- und Überschusslebens, mit großflächig-lyrischem Vollzug und kochender Phantasie beschrieben, nah an den Menschen, irgendwo zwischen Scheiterhaufen und Wehmutszonen. Ein Gedicht, das so viel Appell hat und so wenig einer ist, das von Generationsrandflächen spricht, die zerbrachen,
“oder
von den besoffenen Taxis der Absoluten Realität überfahren
wurden”.
Und dann das zweite, formal noch radikalere, im Inhalt aber eher sehr berührend-zerrissene Gedicht “Kaddish”, in dem Ginsberg die Krankheit seiner Mutter, ihre Neurosen, Ängste und Schizophrenien aufarbeitet und beschreibt und den Versuch ihr immer wieder zu helfen. Diese Werke gehören, zusammen mit “The Waste Land”, Garcia Lorcas “Dichter in New York”, Walt Whitmans „Song of myself“, zu den eindrucksvollsten und dichtesten Lang-Gedichten des vergangenen Jahrhunderts.
“und das absolute Herz des Lebensgedichts, das sie sich aus dem Leib
rissen, bietet Nahrung für tausend Jahre”
Dieser Band ist jedoch auch eine Chance den anderen Ginsberg zu entdecken. Den Ginsberg der schrieb:
“Was als Begierde
begann
wird weiser
enden.”
Ein Ginsberg, der über die Liebe, die nächtliche Verlorenheit schreibt, über das Altern und den Tod, über den Ruhm und die Fragen, die bleiben. Der reimt und Sätze von seltsam klarer Verrücktheit und Wahrheit schreibt, die nichts zu entstellen braucht.
“Sei freundlich zu den Helden,
die ihre Namen
in der Zeitung verloren haben.”
Sehr bewegend seine einfachen Liebesgedichte, die in der einsprachigen Rowohlt-Auswahl ebenfalls zu finden sind; die hautnahe Schilderung eines Straßenraubs, bei dem Ginsbergs Gedanken sich urplötzlich auf sein Leben erstrecken und doch nur in dem kleinen Gegenstand pochen, der sein Verstand ist – in der Bedrohung wiegt er fast ein Nichts, wiegt nichts mehr auf, was Ginsberg eindrucksvoll beschreibt. Oder auch sein Gedicht “Der richtige Löwe”, eine wunderbar surreale metamorphe Lebensdröhnung.
“Ich kam nach Hause und fand einen Löwen in meinem Wohnzimmer
stürzte raus auf die Feuertreppe, schrie Löwe! Löwe!
Zwei Stenotypistinnen rauften sich die Haare und knallten das Fenster zu
Ich eilte heim nach Paterson und blieb dort zwei Tage.
[…]
“Ich ging zu meinem alten Liebhaber wir betranken uns mit seiner Freundin
Ich küsste ihn und verkündete ich hätte einen Löwen, meine Augen funkelten gefährlich,
Wir landeten kämpfend auf dem Boden ich biss in seine Braue & er warf mich raus
Zum Schluss saß ich w-ichsend in seinem Jeep auf der Straße und stöhnte „Löwe“. ”
Vor dem “Geheul” von Ginsberg ist man fast stumm und taub, “Kaddisch” gräbt sich tief und tiefer; vieles andere in Ginsbergs Werk lässt einen etwas hören, was vielfach nach Songs, Geschichten und einfachen Stimmen, die das Leben intensivieren und doch einfach nur spüren wollen, klingt. Zu viel könnte man hier noch sagen, was zögernd, unbestimmt, überbegeistert oder verloren wirken könnte. Viel könnte man ausschweifend zitieren, aber ich hoffe, dass es die paar kleineren Beispiele auch tun.
Es sei gesagt: Ginsberg, das ist nicht nur “Howl” und “Kaddish”, das ist nicht nur Exzess und brodelnde Phantasie – auch, aber nicht nur. Es sind Ginsbergs Kathedralen, aber er hat auch einige schöne Kirchen gebaut, manchmal ebenso abspenstig, manchmal zärtlich verständig.
“Währenddessen ging ich auf Broadway stellte mir Endlosigkeit vor als Gummiball ohne Raum dahinter”