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Ein lyrischer, komplexer Roman – Borns “Die Fälschung”
“Es ging um Kontraste, immer noch, immer noch um Gut und Böse, obwohl beides nichts mehr bedeutete, da alle nur noch verrückt in den Kategorien der Verrücktheit staken.”
Nicolas Born, gestorben 1979, hätte mit Sicherheit noch ein bedeutendes Werk verfasst, denn schon allein das, was er bis zu seinem Tod geschrieben hat, ist beeindruckend, Gedichte und Vorträge, und (nicht) zuletzt dieser Roman, der von einem Kriegsberichterstatter, Georg Laschen, handelt, den die Entgrenzungen von Sinn und Realität, die Divergenz von Darstellung und Wirklichkeit, umtreiben. (Ort des Geschehens ist der Libanon, während des Bürgerkriegs in den späten 70ern, zwischen christlichen und muslimischen Glaubensanhängern.)
Ledig-Rowohlt der Inhaber des Rowohlt Verlages, sagte auf Borns Grabfeier trefflich, er wäre “auf dem besten Weg gewesen, ein deutscher Camus zu werden”. In der Tat lässt sich dieser Roman in seiner Stimmung, seiner leicht apathischen, dann wieder leicht engagierten Art, durchaus mit Camus Roman “Die Pest” vergleichen.
Man könnte sehr viel über “Die Fälschung” schreiben, denn es ist ein sehr verdichteter Text, eine Prosa, die ständig die Schwerpunkte verschiebt und den inneren Stimmungen des Protagonisten folgt; der Roman spielt zwar hauptsächlich im Libanon und die eine Seite des Buches ist natürlich auch diesem Umstand gewidmet: Aussagen von verschiedenen Beteiligten, die Besuche dieses und jenes Frontabschnittes, die Berichte über Siege und Niederlangen.
“…Recht und Unrecht waren bis zur Unkenntlichkeit vertauscht worden, gab es nicht, schien es nie gegeben zu haben. Nur Räume und Zeiten sollten siegen über Räume und Zeiten, eine Behauptung sollte die andere besiegen, eine Geschichte die andere. Der Tod in Fortsetzungen sollte geschehen, damit eine einzige Wahrheit am Leben bleiben konnte, eine einzige Wahrheit und ihre Darstellung.”
Der Krieg der beiden Parteien, deren Mitglieder Georg Laschen ungehindert aufsuchen kann und die sich dennoch bekriegen – alles, was er darüber schreibt, ist letztlich eine “Fälschung”. Denn wenn er für niemanden eintreten kann, so gibt es auch keine echte Perspektive. Wer nur beobachtet ist eigentlich nicht dabei. (“Obwohl viele starben, starb man selbst doch nie.”) Darin gipfelt Borns Werk immer wieder, unter der Oberfläche, in dieser Empfindung, dass alle Grundlagen des Rechts für einen Beobachter, der nicht auch Akteur ist, obsolet sind, nicht greifbar, nicht erkennbar. Es ist als lebe und berichte er von einem anderen Planeten. Und außerdem ist die berichtete Wirklichkeit stets auch die Vergangenheit…
“Einmal hatte er ihr von seinen Schwierigkeiten erzählt, seine Schwierigkeit sei es oft, das Geschriebene anzuerkennen angesichts der immer ungeschriebenen Realität der Ereignisse.”[…]
Zu erwähnen ist auch noch die andere Seite des Romans, die Person Laschen selbst und ihre Verstrickung zwischen zwei Frauen. Diese eingewobene Geschichte stellt auf wunderbar ehrliche Weise die Kompliziertheit menschlicher Beziehungen dar; sie ist das klarere Highlight des Romans. Überhaupt ist Born ein hervorragender Charakterdarsteller und -nuancier.
So ist dieses Werk demnach auch kein wirkliches Buch -über- den Krieg im Libanon. Jener ist mehr (wie bei Camus die Pest) ein Mittel, um die Unübersichtlichkeit und Ferne der Realität darzustellen und die Handlung in eine Ausnahmesituation zu versetzten; er ist eine Metapher für die -Fälschung- des Lebens selbst. Born hat gewiss sehr gut recherchiert und bestimmt stimmt alles historisch, aber das verfällt neben der Geschichte des Individuums zur Nebensache. Auch das eine Botschaft, die der Roman langsam an sich selbst koppelt: das neben dem Individuum alle Realität eine Wirklichkeit ist, die nicht an ihm haften kann, also nur über Bezüge zu ihm aufschließen, ihn erreichen kann. Was ist der Bezug zu einem weitentfernten Krieg?
Insgesamt ist das Buch jedoch tatsächlich zu komplex um es einfach als Kategoriendiskussion abzuhandeln. Es ist ein Epos, aber ein lyrisches und deshalb knappes. So wie Born hauptsächlich Dichter war, so hat er auch diesen dichten Roman, in der Form und in der Sprache lyrisch inszeniert. Sein Stil ist von einer bildreichen Schroff- und Erhabenheit (“Die Granaten hörte er über den Dächern surren, sie flatterten, meinte er, wie einsame, eine Beute suchende Nachtvögel”) (“In Richtung des Platzes fuhr ein Panzer, das Turmgeschütz geradeaus gerichtet. Bei jedem Schuss rumste der ganze Stahlkörper, als hätte er sich aus einen Eingeweiden befreit”), die Handlungsführung lebt von einer sich stets halb entziehenden Schnelligkeit und Kargheit, die auf frequenzartige Weise in die Tiefe geht.
Es ist ganz ohne Zweifel ein großer Roman, einer dieser Romane, bei dem man stets im hier und jetzt, auf der gerade aufgeschlagenen Seite ist – eine Komposition von bestechender Intelligenz und Vieldeutigkeit.
Und um mit einem sehr wahren, wieder an Camus erinnernden Satz zu enden:
“Laschen kehrte zu einem schon oft gedachten, also vertrauten Gedanken zurück, nichts sei ein Menschenleben wert, täglich gebe es dafür Beweise, aber der Anspruch, Wert zu sein, müsse zeitlebens gestellt werden, verurteilt aber der, der Gegenbeweise liefere.”
*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen.