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Zu Friedrich Christian Delius neuem Buch “Die Zukunft der Schönheit”


Die Zukunft der Schönheit „Da wollte jemand gehört, verstanden, erlöst werden, da wollte jemand raus aus der Nummer und nicht rein in die Nummer, da stand jemand unter Beschuss des Schlagzeugs und schoss zurück, da steckte jemand wie von Geigensaiten eingeschnürt in der Falle und wehrte sich, da wollte jemand aus dem Feuer gerettet werden –“

Ich bin sehr froh, dass mir vor einigen Jahren das Buch „Warum ich schon immer Recht hatte – und andere Irrtümer“ in die Hände fiel, ein schmaler Sammelband mit Wortmeldungen, Vorwörtern, Kommentaren und anderen Kurztexten von Friedrich Christian Delius.

Nicht nur enthielt dieser Band einige sehr klare, auf den Punkt gebrachte gesellschaftspolitische Analysen, wie ich sie in dieser Schnörkellosigkeit eigentlich nur von George Orwell kannte, den Texten darin war allgemein eine Direktheit zu eigen, ein gleichsam kämpferischer, unbequemer, aber nicht versponnener oder zu weit gehender Ton, der mich richtiggehend begeisterte.

Mittlerweile habe ich viel von Delius gelesen, nicht alles mit derselben Begeisterung, aber immer wieder fasziniert von der Art, mit was für Themen er sich auseinandersetzt und wie er sie anpackt. Großartig sein sarkastischer, kirchenkritischer Monolog in „Die linke Hand des Papstes“, sehr aufschlussreich und spannend der biographische Band „Als die Bücher noch geholfen haben“, aber auch das frühe Buch über Siemens ist genial, etc. etc.

In „Warum ich schon immer Recht hatte“ findet sich auch ein kurzer, wunderbarer Nachruf auf den Schriftsteller Nicolas Born. Ich erwähne dies nicht nur, weil dieser knappe Text eine der schönsten literarischen Liebeserklärungen ist, die ich kenne, sondern auch weil darin eine Dimension von Delius Schreiben aufblitzt, die in seinem neuesten Buch „Die Zukunft der Schönheit“ eine wichtige Rolle spielt. Denn so kritisch, sarkastisch und unbequem Delius oft ist, in vielen seiner Texte zeigt er sich auch anders: als empfindsamer Beobachter, als feinsinniger Chronist.

Ausgehen tut das Buch von einem Erlebnis in New York, am 1. Mai 1966. Delius ist mit dabei, als die Gruppe 47 ihren legendären Amerikaaufenthalt zelebriert (diese Reise hat er sehr genau in „Als die Bücher noch geholfen haben“ geschrieben), in dessen Rahmen sich Handke zum neuen Kafka ausrufen lässt, politische Positionen ins literarische Geschäft Einzug halten und Delius Susan Sontag anhimmelt. Am 1. Mai nun, einem der letzten Tage in den USA, lässt Delius sich von zwei Jazzfans, Schriftstellerkollegen, in einen Jazzclub mitnehmen, um ein Konzert des Saxophon-Avantgardisten Albert Ayler und seiner Band anzuhören.

Das Konzert beginnt und Delius erscheint die Musik sofort fremd, schwer erträglich, mit ihrer Dissonanz, sehr verquer. Aber um nicht wie ein Snob oder undankbar zu wirken, versucht er sich darauf einzulassen. Schon bald regt ihn die Musik zu Überlegungen an – zunächst, weil er auf der Flucht vor ihr ist, dann aber, weil er in ihr die Fragen seiner Zeit, die Elemente seiner Sehnsucht, den Soundtrack zu seinem eigenen Lebensweg zu erahnen beginnt.

Formal ist das Buch ein gezähmter Stream of consciousness, in dem sich Text und Musik die Bühne teilen, ineinandergreifen, aber auch einander überfallen, herüberschwappen, sich durchdringen. Die Musik wird zur fortlaufenden Projektionsfläche für Delius Eindrücke und immer mehr zum Sound für alles, was gerade aktuell ist: Vietnam, sexuelle Befreiung, neue Musik, neue Welt, Atomkrieg, Aufbruch, Repression, Jugend, etc. Sie bringt Delius dazu, sich in Gedanken zu entblößen, seine eigenen Scheidewege zu sehen, seine eigene Entwicklung zu begreifen. In diesen Momenten, im Verlauf des Konzerts, entfaltet sich für ihn die Übersichtlichkeit der Gegenwart, des Lebens, durchzogenen von einigen eigenen Gewissheiten.

Was ist schon die Herkunft gegen die Zukunft? Wir können nicht ändern, woher wir kommen, aber wir können entscheiden, wohin wir gehen, oder? The soul is a streetcar named desire. Delius blickt in seine Vergangenheit und, darauf aufbauend, auf das, was noch kommt, hoffentlich noch kommt. Wir stehen alle täglich vor unserem Leben, einem fortlaufenden Spiel der Ereignisse, an dem wir nur in diesem Moment, der gerade ist, teilnehmen können. Delius fächert sein Leben auf, mit den Szenen, die einem im Gedächtnis bleiben, den prägenden Erlebnissen, die einen nicht loslassen. Da ist so viel, was klar ist und so viel, das unklar bleibt; weshalb geschrieben wird, gedacht, gemalt – und musiziert. Die Zukunft der Schönheit, man hat sie selbst in der Hand.
An der Musik schöpfen heißt oft in uns schöpfen, das dürfte jedem schon einmal aufgefallen sein. Delius zeichnet diese Erfahrung meisterhaft nach.

In Teilen hat mich „Die Zukunft der Schönheit“ an eine Erzählung von Julio Cortázar erinnert: „Der Verfolger“, ein Buch über des Saxophonisten Charlie Parker und die Unmöglichkeit der Perfektion, die Sehnsucht nach dem genau-getroffenen Ton und der Aufhebung der Zeit im Moment größter lautlicher Schönheit. In Delius neuem Buch wird die Zeit nicht durch den perfekten Ton, sondern durch das Gegenteil aufgehoben: eine Kakophonie, in der doch wieder der Wunsch nach Ausdruck mitschwingt, die Themen der Zeit sich artikulieren. Natürlich ist der Mensch unentwegt auf der Suche nach Perfektion – aber er selbst ist und bleibt ein Chaos. Ein Chaos, ohne das es wohl das Potenzial für Schönheit nicht gäbe; wobei genau dieses Chaos, das die Zukunft der Schönheit sichert, die Gegenwart der Schönheit schnell übersieht, sie verschleißt, verliert. Traurig, aber schön: gibt es eine bessere Definition für die Musik? Für unsere Existenz?

Delius ist ein eindringliches Portrait der seelischen Zusammensetzung eines Menschen gelungen. Mit seiner unruhigen Sprache, allgemein mit seiner Unruhe, ist es eine belebende Leseerfahrung. Eine Lektüre, die, neben allerlei Denkanstößen, kleine Rückstände von Ewigkeit im eigenen Empfinden zurücklässt.

Zu Wolfgang Koeppen und “Tauben im Gras”


Wolfgang Koeppen ist ein einzigartiger Fall in der Literaturlandschaft. Nicht nur seine schwierig-brillante Prosa, die von Umwelt und Bewusstsein an einem Strang durchzogen wird (nach Art von Joyce Bewusstseinstrom, ein Autor, mit dem man Koeppen ein wenig vergleichen kann, was die Erzählhaltung und -art angeht; Ulysses und Tauben im Gras haben durchaus, wenn Joyce auch das monumentalere, vielgestaltiger Werk geschaffen, Parallelen. Vielfach frönt seine Prosa auch dem Mythenspiel und der beeindruckenden Metapher, ebenso ist da eine tiefmelancholische Sicht auf die Dinge), sondern auch sein Position in der deutschen Literaturgeschichte ist unumstritten groß, wobei gleichzeitig seine Bekanntheit mit den Jahren immer mehr abgenommen hat und sein Name eher im Zusammenhang mit seiner jahrzehntelangen Koeppernikane in Verbindung gebracht wird (Man muss dazu wissen das Koeppen dem Suhrkamp Verlag über Jahre einen neuen Roman versprach, aber bis zu seinem Lebensende nach “Der Tod in Rom” keinen mehr fertig stellte, jedoch noch viele Zahlungen und Vorschüsse von Suhrkamp bezog; dazu auch sehr aufschlussreich ist der vor kurzem erschienene Briefwechsel zwischen dem Verleger Siegfried Unseld und Koeppen.)

In diesem ersten Buch seiner Bonner-Triologie ( 2. Das Treibhaus, 3. Der Tod in Rom) beschäftigt sich Koeppen kaleidoskopartig mit einem Tag im Nachkriegsdeutschland im Jahre 1949. Wechselnde Figuren, die über verschiedenste soziale Grenzen miteinander verknüpft sind und sich im Laufe des Tages hier und dort begegnen, beschreiben die Dinge jeweils aus ihrer eigenen abgeschotteten Welt; der Erzähler bewegt sich dabei wie ein Geist durch die Szenerie, beschreibt was außen vorgeht, um dann ganz plötzlich in eine der Personen zu fahren… und dann wieder in die nächste. Das macht den Roman zu einem intensiven und doch sehr verzerrten Erlebnis, denn wenngleich die Personen an ihren Standpunkten erkennbar sind und sie sich ein wenig herauskristallisieren, bleibt doch jeder Figur die Rolle eines Nebendarstellers beschieden, einer Reflexion der Welt, wie wir alle es sind, was Koeppen sehr gut zeigt; ein wirklicher Protagonist fehlt ebenso wie ein kontinuierlicher Erzähler.

Über die Erzählstränge sollte man sich nicht einzeln auslassen, sie sind auch größtenteils nicht nacherzählbar und in ihrer Dichte nur beim Lesen erfahrbar; bemerkenswert ist Koeppens Gefühl für jede einzelne Geschichte und ihre Fluidum, sowie für die Verknüpfung und Überschneidung der einzelnen Stränge – alles scheint wie von selbst zu geschehen. Auch wenn seine syntaktischen Virtuositäten, ja die Sprachhandhabung allgemein, ihr Tempo, ihre Konzentration, manchen in eine visuelle und geistige Desorientierung stürzen mag, so entsteht an den wirklichen Knackpunkten des Buches gerade durch diese Erzählart ein unverstelltes Erlebnis, eine perfekte Kommunikation zwischen Vorstellung und sprachlicher Aussage; ein wahrer Sturm an Mitteilungs- und Darstellungsmöglichkeiten durchwirkt das ganze Buch.

Marcel Reich-Ranicki lobte Koeppens Buch als einen der herausragenden Romane des 20. Jahrhunderts. Ganz gleich was man von Herrn Ranicki halten mag, mit dieser einfachen Formulierung hat er definitiv ins Schwarze getroffen. Koeppen gehört wie Franz Kafka und Thomas Mann oder auch Thomas Bernhard zu den bedeutenden und gewiss auch schwierigen Literaten des vergangenen Jahrhunderts, die mit ihrer Sprache und ihren Themen einer ganz neuen Form der Daseinsbeschreibung den Weg geebnet haben. Wo, Wo sind ihre Erben hin?