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Mit Ingeborg Bachmann in Bildern reden – Die Sämtlichen Gedichte


“Ich bin ein Strom,
mit Wellen, die Ufer suchen.
[…]
Ich bin satt von der Zeit
und hungere nach ihr.
[…]
Tief im Grund verlang ich immer
alles restlos zu erzählen,
in Akkorden auszuwählen,
was an Klängen mich umspielt.
[…]
Ich weiß die Welt näher und still.”

Die besten Dichter lassen uns ständig auf- und untertauchen. Sie heben uns zur Sonne ihrer größten Gedanken und werfen uns in die Wasser der tiefsten Empfindungen. In den besten Gedichten, so finde ich, wandeln sich Stimmungen in etwas um, das man erzählen kann. Zumindest in den besten Gedichten von Ingeborg Bachmann.

“Die Axt der Nacht fällt in das morsche Licht.”

Ingeborg Bachmann, die früh verstorbene Galionsgestalt der Nachkriegspoesie, gehört mit ihrem recht schmalen Werk zu den größten lyrischen Stimmen des 20. Jahrhunderts. In einem manchmal übermächtigen Sturm aus Anbrechendem und Bildern gefangen, gleichzeitig einschneidend mit jedem ihrer Worte, und oft in eine zusammenfaltende Instanz ablaufend, die alles stillt, hat dieses Werk, zärtlich bis suggestiv, kaum einen Punkt, an dem es nicht ungreifbar und rätselhaft wäre, doch an jedem dieser Punkte kann man ebenso in eine tiefe Pupille geraten, eine weitführende Aussage, gebogen, gleich den Krümmungen in den Aussichten des Ich – oder der Sprache?

“Ich bin mit Gott und seiner Welt zerfallen,
Und habe selbst im Knien nie gefühlt,
dass es den Demutfrieden gibt,
den alle anderen sich so leicht erdienen.”

Woher geschieht die Tragik in diesem Werk, die Tragik, die Bachmann umgibt wie eine Kerze die Finsternis und nicht das Licht. Teils ist sie wohl dem biographischen Meißel zu verdanken, der seine Vertiefungen in das Gestein der Texte geschlagen hat. Mit einer scheinbar als permanent zu begreifenden Schwebe tritt Gedicht um Gedicht auf – aber eigentlich fällt alles hier in eine große Tiefe, dem Fallen fast noch mehr als dem Aufprall überlassen; es ist die Fallhöhe, die Bachmann schmiedet, in fast all ihren Texten.

„Es könnte viel bedeuten: wir vergehen,
wir kommen ungefragt und müssen weichen.
Doch daß wir sprechen und uns nicht verstehen
und keinen Augenblick des andern Hand erreichen,

zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen.
Schon den Versuch bedrohen fremde Zeichen,
und das Verlangen, tief uns anzusehen,
durchtrennt ein Kreuz, uns einsam auszustreichen.“

In einer Bewegung, zwischen Ansage, Beschwörung und dem Schreiben des Umtosenden, entsteht die Fliehkraft, die Bachmanns Werk oft einer genauen Bestimmung entzieht. Aus dieser Tatsache entsteht wiederum eine andere Bestimmung, ja, sogar eine Kraft, jene Bedeutung, die Bachmanns Dichtung immer noch innehat, jene einzigartige Komponente, die in ihr enthalten ist wie eine Essenz. Was sie uns sehen lässt, das findet sich nicht dort, wo es zu sehen ist, sondern nur in einem abgewandten Sinn, von dem die Worte ihre Form erhalten, ihre Sprache, ihr Wesen.

Verzweiflung und Ungewissheit, dominante Themen, aber sie schmälern nicht, dass Bachmann eine der poetischsten Lyrikerinnen überhaupt ist, gerade weil sie es „zwischen die Dinge“ schafft; es ist, als würde sie in ihren eigenen Worten erwildern und doch teilt sie ununterbrochen eine Sprache mit uns, eine Wirklichkeit, wie von der Nadel einer Spritze tropfend, die gerade noch in denen Venen allen Geschehens steckte. Bachmann ist weder abstrakt noch klar, sondern schlicht poetisch; manchmal reimt sie, manchmal nicht; es ist schwierig eine überflüssige Zeile zu finden.

Thematik und Erfolg sind natürlich auch von der Zeit bestimmt. Ihre beiden Gedichtbände erschienen 1953 (Gestundete Zeit) und 1956 (Anrufung des großen Bären), also nicht sehr lange nach dem Krieg, wo diese vage ausholende Dichtung, die Motive aufgriff, ohne sie zu plakatieren, verarbeitete, aber nicht aufbereitete, den Zeitgeist traf. Dennoch läge man völlig falsch, wollte man ihre Lyrik als ausschließlich historisch-relevant einsortieren. Bachmann wurde vielleicht -auch- berühmt, weil sie in ihren Gedichte Zeilen niederschrieb wie:

“Wo Deutschlands Himmel die Erde schwärzt,
sucht ein enthaupteter Engel ein Grab für den Hass
und reicht dir die Schüssel des Herzens.”

aber der größte Teil ihrer Verse ist von einer großen Universalität; der Universalität einer Welt, gespiegelt in der Ungewissheit eines einzelnen Individuum, eines einzelnen Wesens.

“In der Dämonen Gelächter gebrannt,
bodenlos, sind die Schalen
dieses glücklosen Lebens,
das bis zum Rand uns bedenkt.”

Bachmann ist, meiner Meinung nach, keine Dichterin, die man rundum verstehen kann, sondern vielmehr eine, die einen immer wieder versucht.
Lassen wir ihr das letzte Wort und diesen vier Zeilen, in denen sie uns Schicksal des Dichters lesen lässt:

“Vielleicht kann ich mich einmal erkennen,
eine Taube einen rollenden Stein…
Ein Wort nur fehlt! Wie soll ich mich nennen,
ohne in anderer Sprache zu sein.”

“Engel im Herbst mit Orangen” und “Die Sekunden vor Augenaufschlag”


Wer Titel wie “Die Dunkelheit knistert wie Kandis” oder “Engel im Herbst mit Orangen” verwendet, könnte von manchen als ein sehr blumiger und sehr banaler Dichter vorverurteilt werden. Dass Hellmuth Opitz in seiner sprachlich-vielfältigen Kombinatorik und seiner überbordenden Individualität beim Finden von Metaphern und Gesten, dennoch zu den schönsten und interessantesten Dichtern Deutschlands gezählt werden kann, möchte ich kurz anhand zweiter Gedichtbände andeuten.

Um ebenfalls seine feine Bewandertheit in Stimmungen und sprachlichen Gefühlseindrücken zu erfahren, empfehle ich die Lesung auf Youtoub von seinem Gedicht “Isarbrücken” http://www.youtube.com/watch?v=tvXQnmVbdj8

1. “Engel im Herbst mit Orangen”

“PSST! Es ist Herbst,
Madame.
Die Nacht spielt schon ein
kühles Saxophon.”

Hellmuth Opitz, Bielefelder Dichter und Autor, gehört zu der Art Poeten, die man sich in Lederjacke und mit Zigarette im Mund vorstellt; ein lockerer Spieler in seinem Metier, der das Leben + einen Sprung Fantasie in seinen Gedichten einfangen will. Seine Sprache, durchaus gezeichnet von der Havarie der modernen Poesie, ist größtenteils sehr eigenständig und aufrichtig gewählt und vor allem auf verdichtende Sprachbilder fixiert/ausgerichtet.

“Mit Blaulicht kommen die Tage,
zerschellen an der kühlen Küste
weißer Villen. Von dort tropft
Langeweile ins Warten, das bebildert
ist mit Palmen, Pools, Terrassen,
den blauen Scherben eines anderen Himmels.”

“Ich
war ein schlechter Vorname in diesen Tagen:
Zu groß. Hallte wie ein Treppenhaus, wenn man ihn
rief.”

Verschiedene Sammlungen von Gedichten wurden in diesem Buch zusammengefasst. Mit “Der 88. Januar”, einer sehr poetischen Sammlung beginnt es und es endet mit den melancholisch-verdrießlichen “Abenden aus dem Ärmel”. Fast alle Gedichte sind nicht länger als eine Seite. Besonders hervorzuheben ist noch der Abschnitt mit Gedichten über die Liebe, der besonders verspielte und deswegen in ihrer Betrachtung nicht weniger eindrückliche Zeilen enthält .

“Springtime sagen die Engländer
springt an und schon hängen der Stadt
hellblonde Strähnen in die Stirn aus frühem Licht.

Dann blüht ein Kaufrausch
und Farben trachten Frauen nach dem Leben.”

Opitz ist auf jeden Fall ein begnadeter Erfinder, einer, der sich in der Sprache wohl fühlt, wenn sie etwas mit all ihren ausdrücklichen Möglichkeiten erschließt. Seine Kombinatorik hat, mir zumindest, immer sehr viel Freude bereitet.

“sogar die Traurigkeit ist ganz aus
Schrott gemacht.”

“Auf den Schultern der Bäume saß ein großer
Sommer.”

Opitz ist ein wirklich lesenswerter Dichter. Ich empfehle ihn und hoffe, dass seine Leserschaft weiter wächst.

“Ein Kirchturm wirft eine Tonleiter herab
zu den keltischen Gräbern. Hier sind im Laufe
der Jahre der Trauer Kreuze gewachsen,
Hortensiengebüsch, zutiefst blaßblau
zu Sehnsucht verwilderter Tod.”

2. “Die Sekunden vor Augenaufschlag”

Hoffentlich zum Ausdruck bringend, wie bereichernd Lyrik doch sein kann, beginne ich:

“Auf einen Wink erhob sich der Wind,
sein Komplize, die Steppdecke der Wolken
weit von sich wirbelnd fuhr er in die
Fahnen. Alle Masten machten einen Knicks
vor ihm, als er sich den Himmel unter den
Nagel riss, den Mond, der wie ein Scheibchen
Zitrone in einem dunklen Drink versank.”

Sinnbildlich ist die Art wie Opitz nahezu alle seine Gedichte angeht. Mit visuellen Querschlägern, anschaulich-innovativen Metaphern, Vergleichen und Allegorien und einem stets halb prägnanten, halb sinnlichen Ton, schafft er es immer wieder einen in die Bilder seiner Gedichte hineinzuziehen – nicht nur einzuladen, sondern sie einem wirklich ins Blut gehen zu lassen, für einige Herzschläge.

“Wenn es stimmt
was geschrieben steht
dass wir den Frauen
die wir geliebt haben
nie wieder begegnen
können, weil sie nicht
im Raum gelebt haben
sondern in der Zeit,
was mach ich dann hier?”

Herzschläge, das ist auch, metaphorisch, die Hauptthematik in Opitz Lyrik und auch vielfach im Band “Sekunden vor Augenaufschlag”. Herzschläge der tiefen Empfindung, der Liebe, aber auch der Aufregung und der leisen Verzweiflung – ich glaube, er ist einer der wenigen heutigen Dichter, der so gekonnt und gefühlsecht alle Seiten des Liebens (das starre Lieben, das plötzlich, das tiefe, das tröstliche, das nagende, das unbeschwerte, das veruntreute etc.) darstellen kann und dabei die Konfrontation mit dem letztlich schon sehr oft beschriebenen Thema nicht scheut, mit der Überzeugung, dass jede wahrhaftige, präzise Beschreibung eines Glücks- oder Unglücksmomentes aus diesem Gebiet, zugleich einzigartig und sinnbildlich für das Phänomen in ganzen stehen kann. Zumindest erscheint dieses Buch im Ganzen immer wieder auch eine Art Querschnitt durch die verschiedenen Arten von Liebe zu sein, wie sie sich im Leben des Menschen bewegt, geht, kommt und wie sie sich anfühlen kann, in den verschiedensten Situationen und Stimmungen.

“Doch nichts hilft
[…]
Ja, nicht einmal die Kellnerin, die gerade
Kaffee serviert und mir mit den Augen
ein lächeln zusteckt, mir und dem Japaner
am Tisch nebenan. Ein Lächeln wie aus
dem Gesicht geschnitten, ihrem Gesicht,
der benutzerfreundlichen Oberfläche für
jeden hergelaufenen Blick.”

Nun soll keineswegs der Eindruck entstehen, Opitz schreibe nur Liebesgedichte (auch wenn ich diese oftmals für seine besten halte). Nein, es gibt auch hier kritische, spielerische Gedichte, Naturgedichte, Gedichte über das Schreiben; außerdem ein Kapitel dichter Kurzprosa.

Wer nach visueller, schlichter, naher Poesie sucht, der ist in diesem Band gut aufgehoben und wird sich von dem einen oder anderen Vers mitreißen lassen.

“Allein der Rest von Morgenlicht
heut morgen hätte ein Gedicht
gebraucht und nicht dies
Gebrauchtgedicht, das schon
erschrocken innehält und lauscht,
wenn ein Bikiniträger von
irgendeiner Schulter fällt und
durch die Brandung deiner
Blicke rauscht. Die Hitze tauscht
doch jeden deiner Sätze in
kräftigere Farben um.”

Kurz zu Gehard Meiers Gedichtwerk in “Einige Häuser nebenan”


“Der Acker hißt die Maisblattsegel
mittschiffs
einsamer Passagier
die
Vogelscheuche.”

Es ist mir immer sehr schwer gefallen über Lyrik als ein Spiel der Symbole zu schreiben. Wenn der Winter (pauschal) die Trauer, der halbe Mond über dem abgebrochenen Zweig die Liebe ist und die See das Ewige, was ist dann der Inhalt des Gedichts? Eine geometrische Figur der Fingerzeige?, ein Konstrukt, dessen Schönheit sich aus dem Folgen mit den Fingern entlang der eingeritzten Linen erweist.

Nein, zumindest für mich nicht. Denn die besten Gedichte treffen einen doch wie die anderen großartigen Erlebnisse und Ereignisse ganz plötzlich, ja die Kraft und Weite dieser Momente ist oft erst im Nachhinein voll erfassbar, weil man es währenddessen erstmal total genießt, total darin ist. Der Zauber eines Gedichts ist in etwa wie ein tiefenräumiges Bild: zuerst schaut man nur und dann erst fängt man an zwischen den Farben und dem Sinn und der Form zu differenzieren.

Gerhard Meier, geboren 1917, gestorben 2008, war ein Meister der Prosa. Seine Amrainer Tetralogie ist bis heute ein wichtiges Werk der knappen, deutschen Innerlichkeit. Bevor er diese Vollendung seines Werkes erreichte und bevor er seine ersten Romane schrieb, veröffentlichte er zwei Gedichtbände und einige Bände mit kurzen Prosacapriccios. Gerade auch die letzteren sind von großer poetischer Schönheit und können zum dichterischen Frühwerk gezählt werden.

“Am Kran
hängt der Mond
an Wänden der WCs
van Goghs vervielfältigte Zugbrücke
In Schneedünen liegen Häuser
An Cheminées spricht man
vom einfachen
Leben

Wind
Sanftmütiger
seit langem versuchst du
den Bäumen das Gehen beizubringen du
Unbelehrbarer”

Insgesamt ist das lyrische Werk Meiers leider sehr übersichtlich, obwohl sich seine Poesie, wie bereits erwähnt, in der Prosa fortsetzt. Hier und da ist auch etwas gereimt, aber am sichersten sitzen die einfachen, freien Verse, da muss Meier keine Abstriche bei seiner eigenwilligen Stilistik machen.

Die meisten der Gedichte sind Momentaufnahmen; kaum eines ist länger als eine Taschenbuchseite, viele nur halb so lang. Eingefangen wird jedoch sehr viel, von der Stimmung am Anfang und Ende der Jahreszeiten, über viele bezeichnende Nebenattitüden (“Gehirne müllern/wie immer/Geist” – “Alte tragen ihr Weltbild/ durch die Städte”) bis hin zu eindrucksvoll-melancholischen Rahmungen des Weltgefühls. Wirkliche Geschichten gibt es nicht, auch keine Meinungsgedichte. Es ist der leise und doch immer wieder mit wunderbaren Wendungen aufwartende Ton (“Im Panzerschrank des Zivilstandsbeamten/ blühen die Stammbäume”), der die meisten dieser Gedichte zu kleinen Perlen macht, und sei es auch nur um sie einmal mit viel Genuss zu lesen und im Geist zu spüren.

In der Art der Diktion und kargen, melancholischen Schönheit, haben mich diese Gedichte vielfach an den Dichter Rainer Malkowski erinnert, auch er ein wunderbarer Maler von Skizzen, denen man die Farben selbst zugibt. Ich empfehle ihre beiden Werke weil ich der Überzeugung bin, dass wir Gedichte brauchen, um uns selbst immer wieder einen Eindruck von der Schönheit der Sprache und den Zügen der Wirklichkeit zu geben. Dafür müssen wir, wenn wir wollen, nicht einmal abstrakte Worte im Kopf hin und her wenden oder unsere Zähne in die Lyrik ausländischer Autoren in schlechter Übersetzung schlagen (was hier nicht polemisch, sondern augenzwinkernd gemeint ist), denn es gibt so viele gute deutsche Dichter, bei denen es einfach reicht ihre Bücher in die Hand zu nehmen, sie aufzuschlagen und einfach nur zu lesen und zu staunen. Gerhard Meier gehört zu diesen Dichtern. Auch nicht jedes seiner Gedichte kann gut sein, aber wer suchet der findet. Wie Erich Fried schrieb:

“Wer von einem Gedicht seine Rettung erwartet,
der sollte lieber lernen, Gedichte zu lesen.
Wer von einem Gedicht keine Rettung erwartet,
der sollte lieber lernen, Gedichte zu lesen.”

Link zum Buch