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Zu Julian Barnes “Der Lärm der Zeit”


lärm der zeit Julian Barnes beste Romane, zu denen auch “Der Lärm der Zeit” zählt, sind oft eigenwillige Kompositionen. Man merkt ihnen aber an, dass es Barnes dabei nicht um Formexperimente geht, sondern darum eine Geschichte genau auf die Art und Weise zu erzählen, die die wesentlichen Motive und Stimmungen, die hervorgehoben werden sollen, am besten trägt und für die Lesenden greifbar macht.

In “Der Lärm der Zeit” ist diese Form ein Gedankenstrom, ein Monolog, der einen sprunghaften, anknüpfenden und wabernden Erinnerungsprozesses simuliert. Der sich da erinnert, war einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts: Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch. Von drei Zeitpunkten ausgehend, werden seine Lebens- und Gedankenwelten vor uns ausgebreitet, immer wieder von wiederkehrenden, variierten Motiven durchzogen, wie bei einem Musikstück.

Das erste Mal: 1936 – gerade ist Schostakowitsch beim Regime um Stalin in Ungnade gefallen und rechnet jeden Moment mit seiner Verhaftung, weshalb er mit gepackten Koffern beim Fahrstuhl auf die Beamten wartet, Nacht für Nacht. Es geht um seine erste Oper, die in der größten russischen Zeitung verhöhnt und als westlich-dekadent gebrandmarkt wurde. Er droht dem Wahn der Denunziation und den großen Säuberungen Stalins zum Opfer zu fallen
Das zweite Mal: 1948 – nach dem großen Krieg und seiner Etablierung in der UdSSR kehrt er gerade aus den USA von einer Friedenskonferenz zurück. Er ist wiederum teilweise in Ungnade gefallen, sein Name ist von der Partei und dem Regime nie gänzlich reingewaschen worden. Er fürchtet, dass alles wieder von vorne beginnt, weiß immer noch nicht, wie er sich gegen das Regime wehren soll.
Das dritte Kapitel erstreckt sich dann nicht wie die vorangegangen hauptsächlich rückwärts, sondern von 1960 bis zu seinem Tod.

In allen Kapiteln sind die gewählten Momente und die räumlichen Festlegungen (das erste Kapitel heißt “Auf der Treppe”, das zweite “Im Flugzeug”, das dritte “Im Auto”) nur Ausgangspunkte für die Rückschau auf die vor den Kapiteln liegenden Jahre und die Schilderungen der Verstrickungen und Auseinandersetzungen zwischen Schostakowitsch und dem jeweiligen sowjetischen Regime. Er will vor allem Musik machen, muss sich aber immer vor den jeweiligen Herrschenden verantworten, wird von ihnen gefordert, bedroht, gehätschelt oder getadelt. Ständig lebt er mit dem Rücken zum Abgrund.

Barnes Roman ist das meisterhafte Porträt eines Künstlers in den schwierigen Wassern des 20. Jahrhunderts. Mit Schostakowitsch hat er sich dabei einen Charakter, einen Menschen ausgesucht, der weder ein großer Dissident, noch Anhänger einer Ideologie oder Politik war. Er war auch kein klassischer Mitläufer und kein unbequemer Geist im eigenen Haus. Das Buch zeigt auf, wie die jeweilige politische Macht sein Leben bestimmt und wie er versucht, zumindest seine Liebsten, zumindest seine Integrität und am Ende zumindest seine Musik zu retten. Er wird nicht ermordet, nicht eingesperrt, nie wirklich angegangen. Aber Stück für Stück zermürbt das System auch ihn, begleitet ihn zumindest immer, egal wo er hingeht. Er, der als Mensch gern der Musik gehören würde, seinen eigenen Gefühlen, den Menschen, denen er sich anvertrauen, mit denen er zusammen sein will, gehört doch letztlich immer dem Staat, in dem er lebt.

Das Großartige an diesem Buch ist, dass es den Menschen Schostakowitsch nicht nur darstellt, nicht nur seine Biographie einfühlsam wiedergibt. Sondern dass es eines dieser Bücher ist, denen es gelingt, den Lärm der Zeit, die profanen Kräfte der Politik und des Weltgeschehens spürbar zu machen, aber währenddessen vor allem über das menschliche Wesen, das menschliche Glück, die menschliche Würde zu sprechen, davon Zeugnis abzulegen. Barnes Schostakowitsch ist keine historische Figur, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut und bleibt es von der ersten bis zur letzten Seite; er wird nicht als tragisches Beispiel inszeniert – Barnes verleiht seinem Leben wirklich eine Stimme, eine unverwechselbare. Diese große Leistung, die man leicht als etwas Selbstverständliches hinnehmen könnte, macht das Buch zu etwas Besonderem.

Lars Gustafssons “Die Tennisspieler”


Lars Gustafsson liebt es in seine Romane und Erzählungen philosophische Erwägungen und Gedankenspiele, historische Problemstellungen und geistesgeschichtliche Verknüpfungen einzubauen. Das folgende kleine Beispiel einer solchen Einbindung beschäftigt sich mit der Frage, was passieren würde, wenn ein moralisch hochentwickeltes Alien auf der Erde landen würde:

“Ich wollte folgendes sagen: Wenn ein solches Überwesen hierherkäme, gäbe es vermutlich nicht viel, was seine Bewunderung erregen würde. Wolkenkratzer – bah! Das Flächenbombardement von Dresden im Februar 1945 – pfui Teufel! Atombomben – widerlich! Hendrick Abels Beweis für die partielle Unlösbarkeit von Gleichungen fünften Grades – ja, ja, lieber Freund!
Es gibt eigentlich nur zwei Dinge, von denen ich mir vorstellen könnte, dass sie vielleicht die Bewunderung eines solchen Besuchers erregen würden. Das eine ist Mozarts Don Juan. Das andere ist der Aufschlag beim Tennis.”

Man hat bei den Romanen von Gustafsson das starke Gefühl, dass es ihm Spaß macht, sich selbst in eine erweitere, übers Form seiner eigenen Biographie hineinzuschreiben. Wie in dieser Erzählung behauptet, war Gustafsson tatsächlich 1974 Professor in Austin, Texas. Vielleicht hat er dort sogar so viel Tennis gespielt, wie er behauptet hat und vielleicht war er braungebrannt und muskulös. Vielleicht hat er tatsächlich ein ominöses Buch gefunden, das den Wahnsinn in Strindbergs Inferno erklären könnte. Vielleicht hat er wirklich einmal den mächtigsten Rechner der Verteidigungsabteilung der US-Luftstreitkräfte gesehen. Vielleicht hat er sich auf den ärmlichen Parktennisplätzen tatsächlich mit einigen großen Spielern gemessen, die einst Weltturniere spielten und dann lieber im Park spielen wollten.

Was an der Erzählung, die sich um diese Ereignisse windet, eine biographische Grundlage hat und was von dort aus fortgesponnen wurde, ist letztlich unwichtig. Aber es bedingt die ungewöhnliche und interessante Form, in der dieses schmale Büchlein auftritt und den Leser in einem Zwiespalt lässt, ob er es mit einer phantastischen oder sehr realen Erzählhaltungen zu tun hat. Diese Metaform macht, zusammen mit den vielen kleinen Anspielungen und geisteswissenschaftlichen Zwischenspielen, den großen Reiz dieses Buches aus.

Die Tennisspieler sind eine kurzweilige Erzählung und wollen, wie viele Texte von Lars Gustafsson, auf nichts Bestimmtes hinaus, haben aber eine Bestimmtheit in ihrer Form, die alles, was sie erzählen, wie eine kleine Eingebung zum Weltgeschehen wirken lässt. Viel wird angespielt und wie nebenbei aufgeworfen, manches formt sich zu einem faszinierenden Bild aus, manches wird direkt wieder fallengelassen. Dazwischen breitet sich, unnachahmlich leicht und beständig, das Lesevergnügen aus.