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Der Geschichtenermöglicher


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Bob Dylans 80. Geburtstag ist nun schon eine Weile her und ebenso meine Lektüre dieses Buches (lange fiel es mir schwer dazu etwas zu schreiben; immernoch, wie man wohl sehen wird) mit Geschichten rund um den Sänger mit der quäkigen Stimme und der gewaltigen Fantasie. Den Homer unserer Zeit nennt ihn der Herausgeber Maik Brüggemeyer und noch so einiges anderes, das meiste davon ist allerdings sehr treffend, es ist ein schönes Vorwort, das gerade in seiner Schönheit ein bisschen seinen Schatten auf manche der folgenden Texte wirft.

Denn der Ausbund an Geschichten, der diesem Vorwort dann folgt, ist einerseits beachtlich, andererseits dermaßen wild durcheinandergewürfelt, dass dem Rezensenten schon das Wort “beliebig” auf der Zunge liegt, er sich schon aufs Nörgeln einstellt – aber, halt. Moment.

Denn ist nicht gerade das die einzig richtige und mögliche Form der Huldigung, wenn es um Robert Zimmermann geht: die facettenreiche? Ist der Facettenreichtum nicht auch seine größte Stärke, seine Wandel- und Unberechenbarkeit? Insofern ist die Heterogenität des Bandes gerechtfertigt, vielleicht sogar notwendig.

Trotzdem gibt es natürlich Texte, die herausstechen und andere, die nicht so recht zu überzeugen wissen. Die erste Geschichte von Frank Goosen hat noch eine schlichte, aber wirksame Manier (davon gibt es einige im Buch) und Simple Twist of Fate von Marion Brasch arbeitet gut mit den diffusen Aspekten von Dylans Musik. Aber Tom Kummers Geschichte zu Ballad of a thin man fand ich zum Beispiel reichlich profan, ebenso erschien mir Judith Holofernes Kurzauftritt zu I want you ein bisschen luftleer.

Sehr interessant fand ich dagegen den Text von Stefan Kutzenberger, in dem er, ausgehend von dem Song Let it be me von Dylan, die Geschichte einer Paarbeziehung und gleichsam noch die Geschichte eines übergreifenden Narratives in Hollywoodfilmen, an denen dieses Paar beteiligt ist, erzählt.

Komisch und herrlich ist auch Michael Köhlmeiers Episode über ein Treffen zwischen Dylan und der Schachlegende Bobby Fischer. Und geradezu wundervoll, wie Ilona Hartmann sich einfach vom Topos Dylan löst und trotzdem die Berührungen seiner Musik in ihrer Geschichte mitschwingen lässt.

Auch Stella Sommers Text hat mir gefallen, er ist persönlich und schlägt doch am Ende einen wunderbaren Bogen zu einem der wichtigsten Aspekte von Dylans Anfängen, nämlich dem Einfluss, den Woody Guthrie auf ihn hatte; ich glaube Dylan würde es sehr begrüßen, dass er Erwähnung findet.

Bei manchen Texten ist mir etwas zu viel Selbstdarstellung enthalten (bspw. Knarf Rellöm und Bernadette la Hengst), bei manchen vielleicht auch zu wenig. Einer der wenigen wirklich originellen Texte (was für sich noch nicht unbedingt eine Qualität ist, hier allerdings schon) stammt von Jan Brandt, Darin wird eine alternative Bewegung mit Meinungen von außen, zu ihrer Konzeption und ihren Aktionen, konfrontiert. Ich mag den Text, weil hier auch die Ambivalenz ins Dylans Musik eine Rolle spielt, in eine Geschichte übersetzt wird.

Hat Dylan den Beatles das Kiffen nähergebracht? Hatte er ein geheimes Aufnahmestudio im Süden von Mexiko? Und worum zum Teufel geht es denn nun in “Ballad of a thin man”? Nun, das sind jedenfalls alles gute Geschichten, die von ihm und um ihn, und letztlich geht es bei Dylan ja darum: er erzählt gute Geschichten, die irgendwie alle Rätsel sind und irgendwie alle Parabeln; und gibt auch Anlass zu guten Geschichten, ist, wie Brüggemeyer im Vorwort schrieb, ein Geschichtenermöglicher.

Diese Anthologie zollt dieser Qualität mit ihrer Vielfalt an Texten Respekt und weiß durchaus zu unterhalten, nicht immer, aber oft genug.

Alben, die ich sehr schätze – Erster Eintrag: “Blood on the tracks”


Bob Dylan - Blood on the tracks

Ich habe in meiner Schulzeit zu den Leuten gehört, die viele CDs hatten (und LPs, allerdings nur ein paar wenige) und in dieser Zeit habe ich sie rauf und runter gehört. Es gibt nicht viele Alben, die man mehr als einmal vom Anfang bis zum Ende hören kann. Alben, die (für das eigene Ohr) fast ohne Schwächen sind, die genügend Abwechslung haben oder eine gelungene Sturktur.1 Alben, bei denen es reizvoll ist, sie immer wieder anzuhören; sie sind wie ein Gedicht oder ein Buch, das man immer wieder liest. Eine Galerie von Klängen, die man immer wieder betreten mag.

Beim letzten Durchsehen meiner Sammlung wurde ich mit der Tatsache konfrontiert, dass ich viele CDs eigentlich weggeben könnte, weil die entscheidenden Lieder längst digital gesichert sind und ich die CDs – sei es zum Hören oder einfach als eine Art Schatz, als Münze oder Juwel in meinem Drachenhort – nicht wirklich haben will; dafür sagen sie zu weniger über das aus, was ich bin(/sein will) und mag(/mögen will?).

Also sortierte ich aus, schmiss weg, verschenkte. Einige Alben überlebten diesen Prozess natürlich und irgendwie habe ich das Bedürfnis, diese Alben zu teilen. Wie meine Lieblingsbücher haben sie mich schon eine Weile begleitet und werden mich weiterbegleiten.

Den Anfang macht direkt ein Album, das ich tatsächlich für perfekt halte. Ich habe irgendwo mal gelesen, dass es unter Bob Dylan-Fans einen Streit gibt, welches Album das beste sei und sich ungefähr gleichviele Fürsprecher*innen für „Blonde on Blonde“, „Highway 61 revisited“ und „Blood on the tracks“ finden lassen (während andere sich noch darüber streiten, ob er singen kann). Trotz großer Sympathie für „Blonde on Blonde“ – „Blood on the tracks“ hätte immer meine Stimme.

Bob Dylan hat in Interviews oft gesagt, dass dieses Album ihm aus einer Schaffenskrise geholfen habe – oder besser gesagt: das Resultat einer beendeten Schaffenskrise ist. Ich muss zugeben, dass mich herzlich wenig interessiert, welche Bedeutung dieses Album in seinem Schaffen einnimmt – die besten Kunstwerke überwinden ihre Kontexte vollends oder gehen ganz und gar in ihnen auf und bei „Blood on the tracks“ trifft ersteres zu. Reporter*innen haben sich den Mund fusselig gefragt, ob er in diesem Album die Trennung von seiner Frau verarbeitet habe und noch jede Menge anderes Zeug.

Aber kein Label – egal ob „Trennungsalbum“ oder „Symbol neuer Schaffenskraft“ – vermögen in meinen Augen dieses Album zu definieren, zu vereinnahmen. Es ist unbeugsam, wüst, es ist fabulierend, es ist zärtlich, rotzig, euphorisch, bitter, aberwitzig, blitzgescheit und noch einiges mehr; vor allem aber kann es für sich selbst stehen.

And everyone of them words rang true
And glowed like burnin’ coal
Pourin’ off of every page
Like it was written in my soul
From me to you
Tangled up in blue

Schon beim ersten Lied „Tangled up in blue“, diesem Gedicht auf das Leben – das Abenteuer, in dem jeder von uns ein/e Protagonist*innen ist – ist alles da: die Heftigkeit und Zartheit, die in Begegnungen liegen. Die herantretende Unvermeidlichkeit und wie es nach ihr doch weiter geht, mit einer neuen Kerbe am Bootsrumpf, die sich wie ein Leck anfühlt.

„Tangled up in blue“ ist ein wunderbarer Startschuss. Der Song fächert auf, worum es in dem Album noch gehen wird, nimmt aber nicht zu viel vorweg; springt von einer Strophe in die nächste, während einem beim Zuhören das Gefühl beschleicht, es gehe Großes, Wichtigeres vor sich, das einem das Lied gleichsam offeriert und entzieht.

Am Ende steht man bei diesem Auftakt wieder vor dem nichts, obwohl so viel aufgefächert wurde. Wie ein Teaser, der die besten Momente des Films einfängt, ist „Tangled up in blue“ ein Portrait des ganzen Albums – und sein Spiegel.

People tell me it’s a sin
To know and feel too much within
I still believe she was my twin
But I lost the ring
She was born in spring
But I was born too late
Blame it on a simple twist of fate

Musik kann auf viele Arten mitreißend sein: Weil sie einen zum Tanzen animiert. Zum Mitsingen. Weil sie eine Lebensweise ausdrückt, eine Haltung, eine Meinung. Weil sie ausgeklügelt ist, ein Ohrenschmaus für Kenner. Oder weil die Melodien mit den Worten zusammen ein Netz weben, in dem, gezogen durch einen riesigen Ozean, sich plötzlich dein Herz befindet, schlagend, zappelnd.

Der zweite Track „Simple twist of fate“ ist so ein Netz für mich. Eine Art Soft-Blues, nicht zu eingängig, nicht zu beschwingt, mit viel Lakonie gewürzt – wenn er ein Gericht wäre, wäre er angenehm scharf. Keine Bitterkeit weit und breit und diese Abwesenheit von Bitterkeit ist beeindruckend, weil doch in diesem Lied alles nur auseinanderbricht. Doch kein Widerstand, nur Abfinden.

Dabei spricht so viel Kleines darin für sich, der Song liest es auf, wie von den Bäumen gefallene Blätter, die sagen: es war Zeit. Das muss akzeptiert werden, dass es Zeit war (oder nicht die Zeit war). Aber über Jahre hinweg bleibt dieser Stich: war es ein simple twist of fate, war es NUR ein simple twist of fate? Solche Gedanken fängt das Lied ein, webt sie in das dünne Leinen, unter dem es sich hin- und herzwälzt. Sanft, bedächtig, geradezu beschaulich, erzählt Dylan die allertraurigste Geschichte: Über das „es hat nicht sollen sein“, in dem sich spiegelt „ich wüsste zu gern, ich hätte gern, ich hab dich gern.“

Time is a jet plane, it moves too fast
Oh, but what a shame if all we’ve shared can’t last
I can change, I swear, oh
See what you can do
I can make it through
You can make it too

“You’re a big girl know” ist eine Zwischenstufe, bedächtig auch, noch nicht wirklich bitter, aber zuckend hier und da, sich zusammenreißend, ins Langen und ins Appellieren driftend, gefangen zwischen Klimpern und vielem, das in der Stimme anschwillt, aus den Worten tropft. Ein Lied, das nicht loslassen will (und für einen Dylan-Song auch ungewöhnlich lange nach dem Ende des Textes noch weiterläuft.)

Gäbe es ein Lied, das man einer Person, mit der man Ähnliches wie in „Simple twist of fate“ erlebt hat, hinterher- oder zuschicken würde, so wäre es wohl dieses. Es ist ein Epilog zum vorangegangenen Track und im Prinzip ein Prolog zu „Idiot wind“. Die Reihenfolge folgt dem Muster jeder unerwünschten Trennung: Zuerst will man nicht weg, dann will man zurück, und wenn man merkt, dass man nicht zurück kann, will man nur noch weiter, will der Vergangenheit, die einen nicht mehr aufnimmt, möglichst demonstrativ den Rücken kehren.

„You’re a big girl now“ ist das Mauerblümchen des Albums und trotzdem ein großartiges Lied, in all seiner Schlichtheit. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie es Dylan in diesem Album gelingt, für jeden seiner Songs den richtigen Umfang, die richtige Art des Kreisens um ein Thema zu finden. Fast scheint es, als würde dieser Song, der weniger ambitioniert und konzipiert daherkommt als „Simple twist of fate“ und „Idiot wind“, weniger geschlossen, ins Banale ragen, zu sehr verankert sein in einer bestimmten Emotion. Aber gerade diese verwaschene Schmalheit macht dieses Lied schön. Es nimmt sich die Freiheit, zwischen den Stühlen zu singen.

I ran into the fortune-teller
Who said beware of lightning that might strike
I haven’t known peace and quiet
For so long I can’t remember what it’s like
There’s a lone soldier on the cross
Smoke pourin’ out of a boxcar door
You didn’t know it, you didn’t think it could be done
In the final end he won the wars
After losin’ every battle

I woke up on the roadside
Daydreamin’ ’bout the way things sometimes are
Visions of your chestnut mare
Shoot through my head and are makin’ me see stars
You hurt the ones that I love best
And cover up the truth with lies
One day you’ll be in the ditch
Flies buzzin’ around your eyes
Blood on your saddle

Es gibt viele bittere Lieder, viele von ihnen sind gleichzeitig auch melancholisch, andere schrill. „Idiot Wind“ ist nicht melancholisch und nicht wirklich schrill. Es ist eine Ballade reiner Bitterkeit, musikalisch großartig arrangiert und von einer Stimme getragen, die sich die Seele aus dem Leib zu singen scheint, weil sie sonst anfangen müsste zu brüllen. Das Lied lädt seine Bitterkeit aber nicht einfach ab, sondern schneidet mit ihr, zerreißt, schmeißt sie. Es ist Befreiung und Verurteilung, torture und cure in einem.

Schlicht eine Wucht. Ein Song, bei dem das Wort „großartig“ auf jeder Ebene zutrifft. Mitreißend. Und am Ende, in genau dem richtigen Moment, einsichtig, wenn man es gar nicht mehr erwartet.

Was kann auf so eine bittere, tosende Stafette folgen?

I’ve seen love go by my door
It’s never been this close before
Never been so easy or so slow.
Been shooting in the dark too long
When somethin’s not right it’s wrong
Yer gonna make me lonesome when you go.
[…]
Situations have ended sad,
Relationships have all been bad.
Mine’ve been like Verlaine’s and Rimbaud.
But there’s no way I can compare
All those scenes to this affair,
Yer gonna make me lonesome when you go.

Mundharmonika und sanfte Fröhlichkeit. Der Wind hat sich gedreht, Ring frei für eines der schönsten Liebeslieder überhaupt. Ein Text voller einfachster, funkelnder Sätze und ein Refrain, der ein schlichtes Bekenntnis ist, leichter als Luft, und doch so schwer, wie einem das Herz werden kann: „You’re gonna make me lonesome when you go“.

Ein Satz, der ein Ruf ist, eine Narbe, ein Nagel, ein Winken, eine Inschrift, ein Fluch. Was da alles drinsteckt, wie viele Emotionen dieser einzelne Satz (und erst das ganze Lied) transportiert: Einsamkeit, Zuneigung, Angst, Hoffnung, Melancholie, Dankbarkeit, etc.

Und das alles haut uns Dylan mit einem beschwingten Lied von unter drei Minuten um die Ohren, tänzelnd auf einem dünnen Seil, auf sechs dünnen Saiten, süßlich, ohne ein Spur von Klebrigkeit. Kurzweilig, wie etwas Unverhofftes, begegnet uns dieses Lied. Auf gewisse Weise ist es das Schönste des ganzen Albums.

Look at the sun
Sinkin’ like a ship
Look at the sun
Sinkin’ like a ship
Ain’t that just like my heart, babe
When you kissed my lips?

Wenn das Album ein Schulhof wäre, dann wäre “Meet me in the morning” der Typ, der auf cool macht, cool rüberkommt, aber eigentlich gar nicht so cool ist. Ich mag die Lässigkeit dieses Stücks und auch die Seltsamkeit des Textes, den leichten Aberwitz. Trotzdem ist diese dubiose Hymne sicher der schwächste Song. Er zwinkert einem zu, sieht gut aus, aber man hat nicht das Gefühl, dass da wirklich „blood on the track“ ist.

Trotzdem – wenn „Meet me in the morning“ nicht da wäre, würde es fehlen. Es ist die staubige Straßenkreuzung, der Moment im Nirgendwo, den das Album braucht. Etwas Übliches, unverfängliches. „Meet me in the morning“ verschafft den Zuhörer*innen eine kurze Pause und liefert außerdem ein ordentliches Pausenprogramm. Man kann sich anschauen, was war und sich auf das freuen, was noch kommt, während man nebenbei der Lässigkeit des Stückes lauscht.

Backstage the girls were playin’ five-card stud by the stairs
Lily had two queens, she was hopin’ for a third to match her pair
Outside the streets were fillin’ up, the window was open wide
A gentle breeze was blowin’, you could feel it from inside
Lily called another bet and drew up the Jack of Hearts

Das längste Stück, platziert an siebter Stelle: “Lily, Rosemary and the jack of hearts”. Eine rasante Ballade, ein Narren- und Schurkenstück, eine Wild-West-Erzählung mit viel Couleur. Fast beiläufig beginnt es, steigert sich mit jeder Strophe, unbarmherzig und fabulierend, in der Intensität, in welcher viele kleine Pointen und Wendungen funkeln.

Der „jack of hearts“ ist einerseits der Herzbube im herkömmlichen Kartenspiel, andererseits auch der gutaussehende Verführer, der gerissene, sympathische, aber skrupellose Jüngling (und, btw: eine Marvelfigur).

Obwohl es nicht mein liebstes Stück ist, habe ich es öfter gehört als alle anderen (außer vielleicht „Tangled up in blue“). Es lässt einem kaum Zeit zum Luftholen und am Anfang hörte ich es vor allem deshalb mal um mal, um den Text Stück für Stück nachzuvollziehen, herauszuhören. Auch heute entdecke ich noch neue Kleinigkeiten oder erfreue mich an alten Lieblingsstellen.

We had a falling-out
Like lovers often will
And to think of how she left that night
It still brings me a chill
And though our separation
It pierced me to the heart
She still lives inside of me
We’ve never been apart
[…]
If she’s passin’ back this way
I’m not that hard to find
Tell her she can look me up
If she’s got the time

Manchmal werden Menschen unerreichbar für uns. Gäbe es nur jemanden, der ihnen Hallo von uns sagen könnte oder: Wie geht es dir? fragen könnte. Vielleicht sogar ein „Vermisst du mich?“ überbringen könnte, ganz unproblematisch. „If you see her, say hello“ ist ein Lied des Haderns, schafft es aber, dieses Hadern von seiner liebevollsten Seite zu präsentieren, auch wenn der ganze Umfang seiner Problematik durchscheint. Es steht an der Schwelle zum Verzagen, blickt aber fast die ganze Zeit über die Schulter.

Die Stimme versucht stark zu sein, fliegt sich aber selbst davon. Es ist das haltloseste Stück des Albums. Mit Gitarrenklängen, die klingen, als würde jemand mit baren Händen etwas ausgraben, während die Stimme versucht ruhig zu bleiben, unverfänglich, sich nicht zu verhaken in den Nachfragen, der verlassenen Hoffnung, in der sie immer noch steht, ohne zu warten, ohne zu wissen warum, aber noch nicht bereit, wegzugehen.

I’ve heard newborn babies wailin’ like a mournin’ dove
And old men with broken teeth stranded without love
Do I understand your question, man, is it hopeless and forlorn
Come in, she said
I’ll give ya shelter from the storm

Popsongs are cheesy or corny. Eine solche Bemerkung fegt “Shelter from the storm” einfach vom Tisch. Ich bin verliebt in dieses Lied (in die Studio-Version und die Live-Version vom Album „Hard Rain“ gleichermaßen), seinen zärtlich-lapidaren Stil, seine Fülle, seine Offenheit. Wäre der Song eine Person, ich würde sie wunderschön finden – nicht im begehrlichen Sinne, sondern unverfänglich – ihre Art, ihre Ausstrahlung. Gut, diese Liebeserklärung ist jetzt schon etwas corny.

Um es noch schlimmer, aber auch eindeutiger zu machen: In einem Gedicht von W. H. Auden heißt es: „life remains a blessing/although you cannot bless“. Ich kann und will sagen: This song blessed me and blesses me.

Mehr kann ich auch gar nicht sagen. Hört ihn euch an. Lasst euch einspinnen. Lasst euch wiegen von diesem Lied, in dem Grausamkeit und Seligkeit, Heimatlosigkeit und tiefe Zuneigung vorbeiziehen wie Autos auf einer Straße vor der Tür, unterlegt vom Klang einer Gitarre, die sagt: „Es wird nicht alles gut, aber es wird alles und geht wieder vorbei.“ Und: “Lass zu, was dich liebt.”

Buckets of rain
Buckets of tears
Got all them buckets comin’ out of my ears
Buckets of moonbeams in my hand
You got all the love
Honey baby, I can stand

I’ve been meek
And hard like an oak
I’ve seen pretty people disappear like smoke
Friends will arrive, friends will disappear
If you want me
Honey baby, I’ll be here

Nachdem am Ende von “Shelter from the storm”, in den letzten Tönen, die Hand von der Gitarre abzurutschen scheint, könnte das Album eigentlich zu Ende sein. Es ist doch alles gesagt, geschrien, geflüstert, gebeichtet. Aber nein.

Die Gitarre setzt noch mal ein. Sehr bestimmt, mit einem Hauch Verspieltem. Und direkt das erste Bild wirft seinen Schatten über das ganze Lied: Eimer voller Regen, die eigentlich Eimer voller Tränen sind. Tränen, die einem „zu den Ohren wieder rauskommen“.

„Buckets of rain“ summiert noch einmal die vielen Emotionen des Albums in wenigen, fastschon kargen Strophen. Bitterkeit, Verlassenheit, Zuneigung und Hoffnung dämmern in den Versen, die wie Wassertropfen von den Saiten der Gitarre perlen. Unfertig wirkt der Song, verstreut alle Erkenntnisse des Albums, anstatt sie zu bündeln.

Ich denke, dass das meine ganz persönliche, nicht im Text oder in der Musik zu verortende Phantasie ist – aber sobald das Lied beginnt, sehe ich eine Person, die Eimer eine Treppe hinauf oder eine Straße entlang trägt. Über den Rand schwappen die Tränen, laufen herunter. Er trägt diese Eimer überall mit sich herum, alle anderen tragen auch welche mit sich herum, aber niemand kann die Eimer der anderen sehen. Nur wenn sie übervoll sind oder etwas über den Rand schwappt, sieht man die Tropfen, die über die Wangen gleiten.

Schön, traurig, meditativ. Der letzte Track bleibt hinter den meisten anderen zurück, macht nicht viel her. Aber mit seiner rustikalen Art bleibt er einem fast am längsten in Erinnerung. Sein Klang erstreckt sich auf die nächsten Stunden, wie ein Zauber. Eine Tür die ins Schloss fällt. Ein würdiger Schluss.

Just some Lyrics for today ….


“They say that these are not the best of times
But they’re the only times I’ve ever known
And I believe there is a time for meditation
In cathedrals of our own” (Billy Joel, “Summerhighland falls”)

“It’s not having what you want
It’s wanting what you’ve got.” (Sheryl Crow, “Soak up the Sun”)

“But it was long ago and it was far away, oh God it seems so very far
And if life is just a highway, and the soul is just a car:
Objects in the rear view mirror may appear closer than they are.” (Meat Loaf, “Objects in the rear view mirror”)

“On his right hand Billy’d tattooed the word love and on his left hand was the word fear
And in which hand he held his fate was never clear.” (Bruce Springsteen, “Cautios Man”)

“I don’t give a damn ’bout my reputation
I’ve never been afraid of any deviation
An’ I don’t really care if you think I’m strange
I ain’t gonna change” (Joan Jett, “Bad reputation”)

“Never is a long time.” (Roxette, Same)

“Well I woke up in the morning
With an arrow through my nose
There was an Indian in the corner
Tryin’ on my clothes.” (Neil Young, “Last trip to Tulsa”)

“Fernsehen und Statements, die allen gefallen,
und Banken und Ämter,
und alles in allem

hab ich viel zu viel Ärger
und viel zu wenig Wut,
ich habe viel zu viel Ärger
und viel zu wenig Wut.” (Dota, “Utopie”)

“We got loud guitars and big suspicions,
Great big guns and small ambitions,
And we still argue over who is God
And I say, “Hey there Miscreation,
Bring a flower time is wasting
we all need a revelation” (Sheryl Crow, “Hard to make a stand”)

“Let’s feel small in the world tonight
Beneath a giant sky
Forget for once who is wrong or right
Just let it all go by

Close our eyes when we grow tired
And dream of where we’ll be
When night gives way to another day
Have we ever woken up this free?” (Mary Chapin Carpenter, “We’re allright”)

“Well, I’ll never be a stranger
And I’ll never be alone
Where ever we’re together that’s my home

Home can be the Pennsylvania Turnpike
Indiana early morning dew
High up in the hills of California
Home is just another word for you” (Billy Joel, “You’re my home”)

“I talk to God as much as
I talk to Satan
‘Cause I want to hear both sides” (Biffy Clyro, “God & Satan”)

“I wish a was a trapper
I would give thousand pelts
To sleep with Pocahontas
And find out how she felt
In the mornin’
on the fields of green
In the homeland
we’ve never seen.

And maybe Marlon Brando
Will be there by the fire
We’ll sit and talk of Hollywood
And the good things there for hire
And the Astrodome
and the first tepee
Marlon Brando, Pocahontas and me” (Neil Young, “Pocahontas”)

“Früher da gabs noch keine grün-gelbe Mitte
Da verteilte Professor Fischer noch persönlich Tritte.
Doch die Blumenkinder, wer konnt das ahnen
gingen den Weg                          aller Bananen:
Heute grün und morgen gelb und übermorgen schwarz” (Marc-Uwe Kling, “Zug der Opportunisten”)

“And there’s always some evil mothers
They’ll tell you life is made out of dirt.
And the women never really faint,
And the villans always blink their eyes.
Children are the only ones who blush.
and life is just to die.
But, anyone who has a heart
Wouldn’t turn around and break it
And anyone who ever played the part
wouldn’t turn around and fake it.” (Lou Reed, “Sweet Jane”)

“Sorridi” (Gianna Nannini, Same)

“Ich versteh hier so viel: Geld ist Tyrannei.
Es geht nicht um ein Stück vom Kuchen,
es geht um die ganze Bäckerei.” (Dota, “Utopie”)

“And if a double-decker bus
Crashes into us
To die by your side
Is such a heavenly way to die
And if a ten-ton truck
Kills the both of us
To die by your side
Well, a pleasure – the privilege is mine” (The Smiths, “There is a light and it never goes out”)

“I remember we were driving, driving in your car
Speed so fast I felt like I was drunk
City lights lay out before us
And your arm felt nice wrapped ’round my shoulder
I had a feeling that I belonged
I had a feeling I could be someone, be someone, be someone…” (Tracy Chapman, “Fast Car”)

“I’m standing here freezing at a phone booth baby
In the middle of God knows where
I got one quarter left your machine packs up
But baby I know you’re there

And I just start crying ‘cause it makes no sense
To waste these words and twenty-five cents
On a losing game” (Mary Chapin Carpenter, “You win again”)

“What kind of father would take his own daughter’s rights away?
And what kind of father might hate his own daughter if she were gay?
I can only imagine what the first lady has to say
You’ve come a long way from whiskey and cocaine.

How do you sleep while the rest of us cry?
How do you dream when a mother has no chance to say goodbye?
How do you walk with your head held high?
Can you even look me in the eye?” (Pink, “Dear Mr. President”)

“I was trying far too hard
To be what I thought I should be
I was playing wild cards and
Seeing things that weren’t in front of me
Like a little tiger, play fighting,
I was hurting myself, again and again

Because I’m hopeless.” (K.T. Tunstall, “Hopeless”)

“In the middle of the night
I go walking in my sleep
From the mountains of faith
To the river so deep
I must be lookin’ for something
Something sacred i lost
But the river is wide
And it’s too hard to cross
even though I know the river is wide
I walk down every evening and stand on the shore
I try to cross to the opposite side
So I can finally find what I’ve been looking for” (Billy Joel, “The River of Dreams”)

“San Quentin may you rot and burn in hell
May your walls fall and may I live to tell
May all the world forget you ever stood
And the whole world will regret you did no good” (Johnny Cash, “San Quentin”)

“This isn’t for the ones who buy their six-packs
At the 7-Eleven where the clerk makes change
Whose accent makes clear he sure ain’t from here
They call him a camel jockey instead of his name

No, this is for the ones who stand their ground
When the lines in the sand get deeper
When the whole world seems to be upside down
And the shots being taken get cheaper

This isn’t for the ones who would gladly swallow
Everything their leader would have them know
Bowing and kissing while the truth goes missing
“Bring it on,” he crows, putting on his big show

This isn’t for the man who can’t count the bodies
Can’t comfort the families, can’t say when he’s wrong
Playing ‘I’m the decider’ –
like some sort of Messiah
While another day passes and a hundred souls gone” (Mary Chapin Carpenter, “On with the song”)

“Gather ’round people
Wherever you roam
And admit that the waters
Around you have grown

And accept it that soon
You’ll be drenched to the bone
If your time to you
Is worth savin’

Then you better start swimmin’
Or you’ll sink like a stone
For the times they are a-changin’

Come writers and critics
Who prophesize with your pen
Keep your eyes wide
The chance won’t come again

Don’t speak too soon
For the wheel’s still in spin
And there’s no tellin’ who
That it’s namin’

For the loser now
Will be later to win
For the times they, they are a-changin’

Come senators, Congressmen
Please heed the call
Don’t stand at the doorway
Don’t block up the hall

For he that gets hurt
Will be he who has stalled
There’s a battle outside
And it’s ragin’

It’ll soon shake your windows
And rattle your walls
For the times they are a-changin’

Come mothers and fathers
Throughout the land
Don’t criticize
What you can’t understand

Your sons and your daughters
Are beyond your command
Your old road is
Rapidly agin’

Please get out of the new one
If you can’t lend a hand
For your times they are a-changin’

The line it is drawn
And the curse it is cast
The slow one now
Will later be fast

As the present now
Will later be past
The order is
Rapidly fadin’

And the first one now
Will later be last
For the times they are a-changin'” (Bob Dylan, The times they are a-changin)

“Lisa likes brandy and the way it hits her lips,
She’s a rock ‘n’ roll survivor with pendulum hips,
She’s got deep brown eyes,
That’ve seen it all.

Working at a night club,
That was called The Avenue,
The bar men used to call her, “Little Lisa, Looney Tunes”

She went down                                    on almost anyone.

From the hard time living,
’til the Chelsea days,
From when her hair was sweet blonde,
’til the day it turned grey
She said :

L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.

You’ve got more than money and sense, my friend,
You’ve got heart and you’re going your own way

L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.

What you don’t have now will come back again,
You’ve got heart and you’re going your own way.” (Noah and the whale, “L.I.F.E.G.O.E.S.O.N”)

“Cos there are so many lessons
That I just never get to learn
And there are so many questions that still burn,

like:

Will you hold my hand when I go?” (Slow Club, “When I go”)

Just a simple Track for Bob Dylan und “Blood on the tracks”


“Early one mornin’ the sun was shinin’
I was layin in bed
Wondrin if she’d changed at all
If her hair was still red”

Blood on the Tracks gehört zu den Alben, die nicht nur in keinem Plattenschrank, sondern auch in keiner Sammlung genialer und poetischer Texte fehlen dürfen. Was Dylan hier geschaffen hat, ist die wunderschöne Symbiose von kraftvoller und doch schlichter Musik, zu Texten, die zwischen Gedicht und Ballade melodisch hin und her pendeln.

Egal, ob Dylan in diesem Album nun seine Ehe verarbeitet hat oder nicht – so kompromisslos, kryptisch und episch-poetisch sind die 10 Texte, die hier versammelt sind, so fein die Stimme, die Gitarre – wenn kümmert’s warum er sie schrieb?
Es hat etwas von Regen und leichtem Licht, wenn Dylan singt: “And if I pass this way again, you can rest assured/ I’ll always do my best for her, on that I give my word”.
Wie oft habe ich diese CD schon nebenher gehört, während ich Bücher einsortierte, im Auto fuhr, ein Comic las oder gar meine eigenen kläglichen Gedichte schrieb.
Wann immer ich traurig war, tröstete mich Dylans Stimme im rasanten Klang:

“Suddenly I turned around and she was standin’ there
With silver bracelets on her wrists and flowers in her hair
She walked up to me so gracefully and took my crown of thorns
Come in, she said, I’ll give you shelter from the storm'”

wann immer ich wütend war, begleitete mich der -Idiot Wind- und ließ mich abflauen:

“You’ll never know the hurt I suffered nor the pain I rise above
And I’ll never know the same about you, your holiness or your kind of love
And it makes me feel so sorry”

und wann immer ich froh war, schenkte mir -You’re gonna make me lonesome when you go- eine kleine Melancholie:

“Situations have ended sad
Relationships have all been bad
Mine’ve been like Verlaine’s and Rimbaud
But there’s no way I can compare
All those scenes to this affair
You’re gonna make me lonesome when you go”

und auch gaben einem, alle immer, irgendwo, ein Verständnis.

Ich will nicht sagen, Dylan hätte den Literatur-Nobelpreis bekommen müssen. Aber er hätte ihn verdient. Allein schon (und dabei ist es ganz gewiss nicht alles, wenn man noch Desire nimmt, oder Nashville Skyline oder oder oder) für Blood on the tracks.

Ein Album für alle Stimmungen, ein Album für alle Poeten und/oder alle Leute, die die Musik nicht nur als Geräusch, sondern auch als Raum, als Buch, als Geschichte wahrnehmen.