besprochen beim Signaturen-Magazin
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Zu “Die Mutter aller Fragen” von Rebecca Solnit
„Dies hier ist ein feministisches Buch, aber keines, das nur mit der Erfahrungswelt von Frauen zu tun hat, sondern mit der von uns allen – mit Männern, Frauen, Kindern und von Menschen, die Geschlechterbinarität und -grenzen infrage stellen.“ (aus dem Vorwort)
Mit jedem neuen Buch avanciert Rebecca Solnit für mich ein Stück weit mehr zu einem wichtigen Fixstern am Himmel derer, die wichtige Impulse und Ideen zu den Debatten unserer Zeit liefern. Schon ihre Bücher „Wenn Männer mir die Welt erklären“, „Die Dinge beim Namen nennen“ und „Wanderlust“ habe ich mit großen Gewinn gelesen und „Die Mutter aller Fragen“ reiht sich hier nahtlos ein und gibt mir dieses ganz besondere Gefühl der Dankbarkeit, das man mit den Autor*innen verbindet, die einen immer wieder aufs Neue prägen.
Wie auch schon bei „Wenn Männer mir die Welt erklären“ ist in „Die Mutter aller Fragen“ der Titelessay nur einer von vielen und der Band dreht sich nicht allein um Mutterschaft und deren zentrale Rolle bei der Bewertung weiblicher Existenzen; er ist sogar separiert und den beiden, sehr viel umfangreicheren Kapiteln des Buches wie ein Prolog vorangestellt.
In diesem Titelessay setzt sich Solnit mit der Vorstellung auseinander, zum Glück einer Frau gehöre unausweichlich auch die Mutterschaft und ihre Abwesenheit sei ein wichtiges Indiz – Ausgangspunkt ist (wie auch beim Essay „Wenn Männer mir die Welt erklären“) ein persönliches Erlebnis: bei einer Lesung wird sie vom Moderator anschließend direkt auf ihre Kinderlosigkeit angesprochen, statt auf ihr Werk. Von diesem Fall und ihrer persönlichen Geschichte ausgehend, dekonstruiert sie verschiedene herkömmliche Vorstellungen von Familienglück und stellt ihnen gleichsam die Freiheit der Wahl (ob Kind oder kein Kind) und weiterentwickelte Be- und Erziehungsmodelle gegenüber.
Der inbrünstige Glaube, der heterosexuelle Zwei-Eltern-Haushalt sei für Kinder etwas geradezu magisch Tolles, sitzt tief, und zwar in viel zu vielen Teilen dieser Gesellschaft. Das führt dazu, dass viele in unglücklichen Ehen verbleiben, was sich auf alle Beteiligten zerstörerisch auswirkt. Ich kenne Menschen, die lange gezögert haben, eine schreckliche Ehe zu beenden, weil eine Situation, die für einen oder sogar beide Elternteile unerträglich ist, sich angeblich auf Kinder segensreich auswirke.
Nachdem sie mit ein paar Gemeinplätzen aufgeräumt hat, geht sie noch einen Schritt weiter und legt durch einige Statistikern und Beispiele den Leser*innen nahe, die herkömmlichen Glückskonzepte (und dazugehörigen Narrative) der derzeitigen Gesellschaften generell zu hinterfragen:
Die Rezepte für ein erfülltes Leben, die uns unsere Gesellschaft anbietet, verursachen offenbar eine ganze Menge Unglück, sowohl auf Seiten derer, die nicht in der Lage oder willens sind, diese Rezepte zu befolgen, und deswegen stigmatisiert werden, als auch auf Seiten derer, die brav nach Rezept leben, aber das Glück trotzdem nicht finden.
So viel zum Eingangstext. Das erste Kapitel des Buches bildet dann größtenteils ein längerer Essay über das (aufgezwungene, unfreiwillige) Schweigen (in vielen Dimensionen – durch physische Gewalt herbeigeführt, durch Angriffe auf die Glaubwürdigkeit, durch das Verhindern von Öffentlichkeit, etc.). Der Text ist ein etwas havarierendes, sprunghaftes Gebilde mit vielen Zwischenüberschriften, das aber immer wieder Bemerkenswertes herausarbeitet und im Ganzen eine erschütternde Geschichte erzählt: die Geschichte von der Diversität und ihren Feinden. Und von einem Aufwind der Veränderung.
Im Kampf um die Freiheit ging es immer auch darum, Bedingungen zu schaffen, die denen, die vormals zum Schweigen gebracht wurden, zu Sprache und Gehörtwerden verhelfen. […] Wenn das Recht, sich zu äußern, glaubwürdig zu sein und gehört zu werden, eine Art Reichtum ist, dann wird dieser Reichtum momentan umverteilt.
In den anderen Essays des Kapitels geht es dann um diesen Aufwind, also um die Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren bemerkbar gemacht haben. Sehr schön ist, wie Solnit hier neben den vielen Aktionen von Aktivistinnen und Künstlerinnen auch über Männer spricht, bei denen sie immer mehr aufrichtiges Interesse für feministische Belange wahrnimmt und auch, dass sie dementsprechend agieren. Und sie geht sogar so weit, in einigen Abschnitten eine Theorie zu verhandeln, nach der auch viele Männer vom Patriachat kaputt gemacht werden, indem sie dazu angehalten werden, sich selbst emotional zu verkrüppeln, ihre Empathie abzubauen und keine Gefühle zu zeigen. Als kleines, noch harmloses Beispiel nennt sie:
Als ich noch sehr jung war, habe ich mit meinem Freund eine Reise mit dem Auto gemacht, und als wir losfuhren, sagte sein Vater zu uns: »Meldet euch mal. Deine Mutter macht sich sonst sorgen.« Die Mutter war die Platzhalterin seiner Gefühle, die er nicht ausdrücken konnte. […] [er war so ein Sinnbild für] Männer, die sich bei jeglichem Gefühlsausdruck im schlimmsten Fall konkret unwohl fühlten und meinten, dass das Verbindliche eben nicht ihre Aufgabe war. […] Diese Leute erinnern uns daran, dass dieses Abgestumpftsein im Kern aller Dinge ruht und nicht an deren Rändern […] eine ganze zentrale Angelegenheit ist und keine marginale.
Ein weiterer großer Themenkomplex ist der Umgang mit sexuellem Missbrauch – und wie sich auch hier in den letzten Jahren (im Zuge der Cosby-Affäre und #metoo, etc.) einiges verändert hat, aber immer noch von einer rape culture gesprochen werden muss, in der nicht nur pathologisch eine Täter-Opfer-Verschleierung stattfindet, sondern generell vieles ungeahndet und ungenannt bleibt.
Menschen werden u.a. deswegen verletzt, weil wir nicht über diejenigen sprechen wollen, die sie verletzen. […] und ich glaube fest daran, dass eine Welt, in der wir die Männer nicht so häufig von ihrer Verantwortung entbinden würden, eine bessere wäre.
Das zweiten Kapitel wartet dann noch mit allerhand großartigen Einzeltexten auf, u.a. einer Kritik an einer Liste mit „80 Büchern, die man als Mann gelesen haben sollte“, einem Essay zum erstaunlich progressiven 50er Jahre Spielfilm „Giganten“ und einem Text mit dem Titel „Wenn Männer mir Lolita erklären. Nebenbei fließen immer wieder prägnante Beobachtungen ein, zum Beispiel zur Pornographie:
Der Mainstreamware scheint es jedoch prinzipiell weniger um die Macht der Erotik zu gehen als um die Erotisierung der Macht.
Diese Beobachtung mag für manche offensichtlich oder hinlänglich bekannt sein, aber für mich fasst dieser Satz tatsächlich sehr gut das zusammen, was ich an Mainstreampornographie meist abstoßend, im gelindesten Fall irritierend finde. Es ist beeindruckend wie leicht Solnit solche Feststellungen und kurzen Abschweifungen von der Hand gehen und wie sie doch bei aller Prägnanz und allen Zuschreibungen nie eine potenzielle und unzulässige Verallgemeinerung aus dem Blick verliert, sich immer wieder Zeit nimmt, im richtigen Maß ihre Beobachtungen und Ausführungen zu kontextualisieren und zu relativieren, ohne sie abzuschwächen
In einem ebenfalls sehr lesenswerten Essay mit dem Titel „Die Flucht aus der fünf Millionen Jahre alten Vorstadtsiedlung“ geht es um den langegehegten und längst überholten Mythos von den ausziehenden männlichen Jägergruppen und den braven Frauengruppen, die Zuhause blieben, der gerne als Rechtfertigung für die Rollenverteilung in allen Zivilisationen herangezogen wird. Mit den letzten Sätzen dieses Textes möchte ich schließen und jeder/m die Bücher von Solnit ans Herz legen.
Wir müssen aufhören, das Märchen von der Frau zu erzählen, die passiv und abhängig zu Hause blieb und auf ihren Mann wartete. Sie saß nie wartend herum. Sie hatte zu tun. Und das hat sie immer noch.
Zu “Milchzähne” von Helene Bukowski
Helene Bukowskis Debüt, das kann man direkt vorwegnehmen, ist eine Geschichte, die noch lange nachwirkt, deren Bildwelten einen tiefen Eindruck hinterlassen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass das Inventar aus einem verdichteten Mikrokosmos an Schauplätzen und Figuren besteht, denen in manchen Fällen der Hauch einer mythischen Dimension anhaftet (auch wenn ich nicht ganz zustimmen kann, dass Bukowski ein „modernes Märchen“ geschrieben hat, wie ein Kommentar auf der Buchrückseite nahelegt, auch wenn die Erzählung reizvolle Ansätze in diese Richtung vorweisen kann).
Im Zentrum des Romans steht Skalde, eine junge Erwachsene, als Kulisse genügen größtenteils ein Haus und der von einer (vermutlich klimatisch bedingten) Katastrophe verheerte Landstrich drum herum. In dem Haus wurde Skalde von Edith großgezogen, hier lebt sie mit ihr allein – in der Gegend gibt es allerdings weitere Gehöfte und Häuser und Gruppen/Individuen, die im lockeren Kontakt stehen und miteinander handeln. Zwar gibt es noch einige Überbleibsel der einstigen, technologisch-entwickelten Wohlstandsgesellschaft und teilweise noch intakte Natur, doch größtenteils ist das Leben in der „Gegend“ ein mit Agonie durchsetztes durch-den-Tag-kommen, ausweglos und heruntergeschraubt. Begrenzt wird die Gegend von einem Fluss, den niemand überqueren darf, denn von der anderen Seite kam immer nur Übles.
In den eh schon fragilen Status Quo aus menschlichen und metaphysischen Perspektiven platzt eines Tages das junge Mädchen Meisis. Skalde nimmt sich ihrer an, doch die Haarfarbe und das plötzliche Auftauchen des Mädchens sorgen schon sehr bald für große Unruhe in der Gemeinschaft und auch in Skaldes eigenem Haus. Vertrauen bricht weg, offene Feindseligkeiten und Aberglaube kommen auf. Stück für Stück spitzt sich die Situation zu, bis ein Bleiben schier unmöglich scheint …
Helene Bukowskis Sprache wirkt schlicht und wesentlich, in ihr lauern jedoch karge und kryptische Serifen. „Milchzähne“ ist zum einen eine gut erzählte Geschichte, aber zum andern auch ein kontinuierlich ausgebautes Rätsel, in das sich die Leser*innen mitverstricken lassen, während sie das Buch lesen. Immer wieder werden Dinge preisgegeben, angedeutet, scheinen nur ein um-die-Ecke-Denken weit entfernt zu sein. Und doch bleiben Stimmung und Atmosphäre des Buches bis zuletzt geheimnisumwittert, auch wenn sich manche Dinge als vermeintlich klar herauszustellen scheinen und man nie das Gefühl hat, diese Atmosphäre sei etwas Vermeintliches.
Gerade diese Ambivalenz macht das Buch zu einer so eindrucksvollen und nachhaltigen Lektüre. Denn sie ist nicht nur Treibstoff und Reiz der Geschichte, sondern lädt dazu ein, sich die beschriebene Welt bis ins kleinste Detail zu vergegenwärtigen und vorzustellen (wenn auch nur in der Hoffnung, so auf ein wichtiges Indiz zu stoßen). Das sorgt für ein dichtes Lesevergnügen und man stößt in vielen kleinen Teilen der Erzählung auf Dinge, die zu größeren Überlegungen Anlass geben oder zumindest die allegorischen Aspekte von „Milchzähne“ hervorheben, vertiefen. Alles in allem: ein spannendes Buch!
Zu Dagrun Hintzes Gedichten in “Einvernehmlicher Sex”
“Es war nur eine Verabredung zum Abendessen
aber bei der letzten Begegnung hatten wir uns zum Abschied
schon beinah geküsst
danach änderte sich der Ton unserer E-Mails
[…]
Obwohl wir beide aussahen als wären wir zu einer Hochzeit geladen
hüpften wir nebeneinander her wie junge Hunde
die sich freuen weil ihr liebster Spielgefährte da ist”
Es ist schwer Zitate zu finden, die ausreichend wiedergeben, was an Energie, Laune, Humor und Schönheit in den Gedichten von Dagrun Hintze steckt, oder vielmehr: einem daraus entgegenschlägt. Denn diese Gedichte winken einen nicht verhalten heran – sie wandern, stürmen und tanzen in einen hinein, übermütig, heftig, zärtlich.
Es sind zumeist einfache Gedichte, die narrative Bögen schlagen und deren Fokus nicht auf einer ausgeklügelten Sprache, sondern auf der Nähe zum Geschehen liegt. Ich habe mich an die Gedichte Charles Bukowskis erinnert gefühlt, aber auch an jene von Nicolas Born. Hintzes Lyrik hat oft einen bukowski-ähnlichen Drive und Borns ähnelt sie vor allem in den sanften Momenten der Selbstschau; in den besten Momenten sind diese Texte ein Mix aus Springsteensong und Indiefilm.
“Einer ließ ein Modellauto den Tresen entlang fahren
Am Steuer saß eine Pinguinfigur
die nahm er manchmal heraus
küsste sie
behauptend es sei seine Frau”
Kneipenabende, Reisen, kleine Abenteuer und zahlreiche Begegnungen verschiedenster Art reihen sich im Verlauf des Bandes aneinander; Erlebnisse werden zu Trägern eines kurzen Glücks, einer kleinen Wahrheit, einer (pointierten) Überlegung.
Weiter hinten im Band gibt es auch Gedichte, die eher eine klassische “Verdichtung” anstreben, aber obgleich sie ebenfalls lesenswert sind, erreichen sie meist nicht die Kraft, das Geballte und Nachhaltige, das in den erzählerischen Gedichten zum Vorschein kommt.
“Das Unglück ist überall groß
Aber würdet ihr sehen
wie sie Feste feiern
würdet ihr staunen”
So heißt es am Ende eines Gedichtes, in dem Hintze einige unerfüllte Hoffnungen und Träume, Schicksalsschläge, Narben und Belastungen in ihrem Bekanntenkreis aufzählt. Ihr Fazit: “das Unglück ist überall groß” ist kein Eingeständnis, sondern schlicht eine Feststellung. Und diese Direktheit, Schnörkellosigkeit, macht Hintzes Lyrik aus: sie begegnet dem Leben auf Augenhöhe, versucht selten ihm mit Abstraktionen beizukommen. Sie gibt Geschehnisse und Erlebtes wieder und lässt sie in großen Teilen für sich selbst sprechen.
Nach “Ballbesitz” ist dies mein zweites Buch von Dagrun Hintze und wieder mal bin ich, vor allem, beglückt. Hier werden nicht einfach schöne Schwenke aufgebaut – hier teilt sich jemand mit, in vielen Facetten, versucht immer wieder den Puls, die schlagende Kraft des Lebens aufzunehmen, abzuspielen, in all seiner Profanität und seiner tiefen Faszination und Anziehung.
Kurzum: „Einvernehmlicher Sex“ ist kein Lyrikbuch, das am Saum des Daseins nestelnde Verdichtungen bietet, sondern eines, das ruft: Hey, Leute, das Leben findet statt! Und ich, ich war (und bin) dabei und mittendrin. Trotzdem (oder gerade deswegen) ist es ein Gedichtband, der einen dazu bringt, vieles ins Herz zu schließen; nicht zuletzt die eigenen Erinnerungen und die eigene Möglichkeit, etwas zu erleben.
Zu Bukowskis “Der Mann mit der Ledertasche”
Das Schlimmste kommt noch verschlag ich im Teenageralter und ja, es war halt ein Buch, das in diese Zeit passte, eine prägende Erfahrung, ein unvollkommener Fänger im Roggen, ein Flachhalten des Balls, keine große Kunst, aber straighte Unterhaltung – das Buch schleifte einen einfach mit, wie einen ein Freund in eine Bar oder zu einer Party mitschleift. Und entwickelte dabei einen Sog, der angenehm war, stechend, kratzend bisweilen, aber angenehm und aufregend. Dieses Gefühl fing gut das nicht wirklich besondere, aber doch einzigartige Gefühl der Pubertät ein.
Ein paar Jahre später: Das Liebesleben der Hyäne pfeffere ich nach ein paar Seiten in die Ecke. Das soll von Charles Bukowski sein, dem Dichter, dessen Lyrik ich über hunderte Seiten gefressen und geliebt habe? Ich war enttäuscht. Und nicht mehr wirklich willig, mich je wieder an einen Bukowskiroman zu wagen. Vermutlich war das, was auf kurzen Strecken Melancholie, Chuzpe und lebendig sein konnte, auf langen Strecken schlicht eine Tristesse ohne Boden oder Botschaft, Alltag meinetwegen, ein kesses Leben vielleicht – aber warum so einen Roman lesen, man weiß, wie es gehen wird …
Jemand empfahl mir “Der Mann mit der Ledertasche” und ich nahm das Buch mit auf eine Zugfahrt. Und, was soll ich sagen: es stellte sich wieder dieses angenehme Gefühl ein, leicht berieselnd, leicht erquickend. Mit der Wucht und der Größe von Das Schlimmste kommt noch konnte es das Buch nicht aufnehmen und es wäre gelogen, würde irgendjemand behaupten, in diesem Buch würde irgendetwas Spektakuläres oder Dolles passieren. Nein, es ist einfach die Schilderung eines Postbotendaseins + Bukowski-Schnodder, Bukowski-Weibergeschichten, Bukowski-Lonely Wolf-Kommentaren und skurrilen bis radikalen Bukowski-Erlebnissen. Der Typ schabt halt seine Plots von der Straße und vom Wohnzimmerboden.
Wer einfach ruhig einem Dasein folgen will, dem sei das Buch empfohlen. Es wird ihn nicht umhauen, es wird ihn nicht erleuchten. Aber vielleicht wird es ihn erstaunen, in seiner Schlichtheit, seiner Kompromisslosigkeit, die nichts Überstrapazierendes oder Episches hat, sondern ganz bei sich bleibt, sich mit einer Mischung aus Fatalität und Knurren hineinsetzt. Sie zieht halt, diese Masche, dieser Stil – man kann aber auch einfach die Finger davon lassen, es führen durchaus Wege dran vorbei.
Zu den Briefen von Charles Bukowski
besprochen auf fixpoetry
Zu Sam Shepards Prosa und Lyrik in “Habichtsmond”
„Ein Geisterwohnwagen rollt durch Gärten hinter der Stadt. Er ist von schwulen Lederfetischisten gekapert worden, von mexikanischen Huren und Hunden.“
In den Kurzprosastücken und Gedichten von Sam Shepard heult der Wilde Westen, scheppern die alten Karren über Highways, stolpern betrunkene Möchtegerncowboys von einem Suff in den nächsten Exzess, feiern die Gewalt und das Ausreißertum immer neue Feste.
Die Texte erzählen von Versagern, Einzelgängern, komischen Gangs und von Morden, Schrecken und bizarren Erfahrungen. Eine furchterregende amerikanische Gesellschaft blitzt auf, die sich mit dem Verlöschen ihres Mythos nicht abfinden kann, dessen selbstzerstörerische und lebenszerstörende Dimensionen in fast jedem der Text deutlich hervortreten, ungeschminkt und nicht durch das Narrativ geglättet, das sich vielmehr diesem Mythos, seiner Rohheit und seinen Ecken und Katen unterwirft.
Auf alle Fans der eher deftigeren Prosa, des expressiven Gedichts, die sich schon bei mancher Geschichte von Bukowski amüsiert haben, dürfte hier eine ungleich düstere, aber dennoch ähnliche Erfahrung warten.
Zu Bukowskis Storys in “Pittsburgh Phil & Co”
Die meist zwischen 5-7 Seiten langen Storys dieses Bandes haben es in sich. Es kommen darin vor: Vergewaltigung, Mord, Verzweiflung, Schläge ins Gesicht, Elend, Alkohol, Sex, Kannibalen, Nazis, Misogynie etc.
Hätte mir jemand diese Liste vorgelegt und gesagt, ich würde so etwas gern lesen, ich hätte nie und nimmer dran geglaubt.
Dann kam Bukowski. Zunächst mit vielen Gedichten, hunderten Seiten voller Gedichte (ich halte Charles Bukowski für einen der besten Dichter überhaupt). Ich hatte lange sehr große Bedenken mich von diesem Genre wegzubewegen und mir seine Prosa anzusehen. Zunächst schien diese Angst vor Enttäuschung sogar berechtigt: der erste Roman, den ich von ihm las, “Das Liebesleben der Hyäne”, gefiel mir nicht besonders gut.
Trotzdem gab ich den Stories noch eine Chance. Und sie haben mich umgehauen.
Man kann viel über die Zärtlichkeit sprechen, die in den Storys von “Pittsburgh Phil & Co” liegt und man hätte wohl oft recht damit; doch hat es keinen Sinn zu verschweigen, dass diese Erzählungen teilweise furchtbare Sachen schildern. Schauderhaftes. Gräuel. Gewalt und Sinnlichkeit, die ganz dicht beieinander liegen. Geradezu Ungeheuerliches also. Und das alles prägnant und mit meisterlicher Direktheit.
Wie diese Geschichten es schaffen den Leser – selbst wenn er sich überhaupt nicht mit den Taten der Protagonisten identifizieren kann – mit ihren Themen in den Bann zu ziehen, kann ich nicht genau sagen. Oder vielleicht habe ich es schon gesagt. Es hat sicherlich etwas mit der Prägnanz und der Direktheit zu tun. Mit der Art wie vieles in den Storys als unausweichlich dargestellt wird. Es sind Schauder und Voyeurismus, die hier eine Rolle spielen.
Aber ich behaupte, das ist nicht alles. Man bleibt auch dran, liest weiter, weil man spürt, wie sich in all diesen Figuren etwas quält und regt, dass, egal wie sehr es pervertiert ist, doch seinen Ursprung in etwas zutiefst Menschlichem hat. Dass darin Zärtlichkeit und Grauen des Menschen liegen, in den Dingen, die wir miteinander tun wollen und uns dann teilweise gegenseitig antun, das hat Bukowski großartig im Hintergrund seiner Texte aufgespannt.
Von harten Männern und von Elend handeln diese Storys. Teilweise ist Henry Chinanski, Bukowskis alter Ego, der Protagonist, teilweise haben die Erzählungen aber auch andere Figuren und völlig chinanski-fremde Schauplätze und Themen – wie etwa Cowboys, Schaufensterpuppenliebe oder Einbrecher. Was sie alle vereint sind vielleicht the dark side of the american dream und die ebenso dunkle Seite des amerikanisch-männlichen Selbstverständnisses.
Es gibt sicher viele Leute, die moralisch etwas gegen Bukowskis Storys haben und auch meinen, man könnte moralische Einwände und Argumente gegen sie vorbringen. Ich bin mir da nicht so sicher. Ich bin gegen jede Verherrlichung von Gewalt, vor allem Gewalt gegen Frauen.
Doch ich finde in diesen Storys nichts, was mich glauben lässt, dass auch nur ein einziger Mann wegen ihnen rechtfertigen könnte, seine Frau zu schlagen. Ganz, ganz, ganz im Gegenteil.
Diese Erzählungen handeln vom “verschütteten Leben”, vom Absturz, vom Elend. Es gibt darin keinen Platz für Glorie, nie den Ansatz einer Rechtfertigung oder kruden Ideologie. Keine Bösewichte treten hier auf, sondern die Pein als vielfältig operierendes Gemeinsames, dass die Verlorenen unter den Menschen alle teilen.
Zu Bukowskis Gedichten, speziell zu denen aus: “Gedichte, die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang”
“nicht als Ketchup und Windhunde
und Krankheit
und Frauen, manche davon
für Augenblicke so schön wie
eine dieser Kathedralen,
und jetzt spielen sie Bartok,
der wusste was er tat,
was bedeutet: er wusste nicht was er tat,
und morgen werde ich vermutlich wieder zurück
zu diesem Scheißjob gehen
wie zu einer Frau mit 4 Kindern”
Charles Bukowskis Gedichte sind Geschichten und Tiraden; Blitzlichter – der Auslöser ist das Leben; frankiertes Elend, dass sich in Nullkommanichts weglesen lässt und doch in seinen Kanten und Rillen viele kleine Offenbarungen versteckt und damit oft auch gar nicht hinterm Berg hält, sondern frontal darauf zusteuert.
Gerade die freie Form der Gedichte macht sie zwingend, lässt sie zusammen dem lapidaren Ton zu einer Beschwörung werden, die das faserige Leben aus dem Fleisch des bloßen Benennens, Erzählens, Dokumentierens schneidet. Bukowski-Gedichte, das sind die unanmaßendsten Anmaßungen der Lyrikgeschichte.
“kann sein, dass Eiswürfel aus der Schale brechen
etwas bedeuten kann,
oder eine Maus die an einer leeren Bierflasche schnuppert;
zwei leere Räume, die ineinander hineinsehen,
oder die nächtliche See, bestückt mit schmierigen Schiffen
die dir ins Hirn dringen mit ihren Lichtern,
diesen salzigen Lichtern
die dich streifen und wieder verlassen
für die konkretere Liebe irgendeines Indien;”
Die Gedichte im Band “Gedichte, die einer schrieb” sind nicht ganz so ausbalanciert wie jene in “Western Avenue” oder “Kamikazeträume”, aber dennoch haben sie bei aller Zurückgelehntheit oder Heftigkeit denselben schalen Glanz, der so hell und großflächig reflektieren kann, von dem so mancher Wahnwitz und Verdruss und so viel Tiefe zurückbleibt.
Ausholen tun seine Gedichte, aber sie verstehen es auch eine ganz spezielle Besinnlichkeit hervorzurufen, einzigartig, fast kämen die Texte einem wie Prosa vor, in Verse gepresst, aber sie sind etwas Subtileres: Gerede, das am Rande des Lyrischen streift und es immer wieder betritt. Gerede, das kein Gelaber ist, sondern eine Stimme, die den Leser nicht in eine flüchtige Metapher presst, sondern mitten in einen großen Raum schmeißt, einem Raum voll von Willen zu etwas, dem Versagen daran, voller Anekdoten, dem Staub, der wir werden & Bewegungen, die wir sind, im Versuch, noch anders zu sein als das Nichts.
Das Sensible in den Gedichten entdeckt man schnell selbst, am eigenen Leib könnte man fast sagen. Was will man mehr von nem Gedicht?
“Es kommt die Zeit wo man tiefer
in sich reingehen muss
und es kommt die Zeit
wo sichs unschuldiger
und leichter stirbt
wie bei nem Bombenangriff
auf Santa Monica”
Ein bisschen was zu John Fante und seinem Roman “Warten auf Wunder”
John Fante, neben Hemingway und und Dashiell Hammett sicherlich einer der Könige des kurzen, äußerlich unspektakulären Stils, ist wohl hauptsächlich dafür bekannt, dass er einer der erklärten Lieblingsschriftsteller von Charles Bukowski war. Nun sollte man nicht falsche Rückschlüsse ziehen und annehmen, dass Fante ein Vorreiter Bukowskis ist, auch wenn die beiden nicht so weit voneinander entfernt stehen – es gibt auch einige Gemeinsamkeiten. Beide haben z.B. eine etwas absurde Heiterkeit inne, beiden liegt eine Leichtigkeit zu Grunde – der Unterschied: bei Fante sticht dies alles ins Träumerische, Zaghafte, bei Bukowski ist alles von einem abfälligen Realismus und einer ungenierten Rohheit geprägt. Soviel die beiden also verbindet, soviel trennt sie auch. (Bukowski ist auch bei aller Kürze und Präzision, aller Schnörkellosigkeit in seiner Sprache, immer noch zu schnoddrig, um wirklich zu den filigranen Minimalisten (zu den “Weglassern”) der amerikanischen Literatur zu gehören, wie Hemingway, Hammett oder Carver. Fante passt hier schon eher, wenn auch nicht ganz, ins Bild.
Dennoch sind solche Verbindungen unter Schriftstellern kein Zufall und die Literatur lebt auch von solchen Relationen und Kontemplationen und Fante kann weiterhin ohne Probleme mit Bukowski in Verbindung gebracht werden.
“Warten auf Wunder” war der letzte Roman Fantes, diktiert nachdem er bereits erblindet war. Im Prinzip ist es eine kleine Odyssee, ein Reigen, in dem sich Verlorenheit, Verheißung und Idylle des amerikanischen Traums verbinden; ein Reigen von einigen Charakteren, Jobs, Wohnungen, Frauen, Hoffnungen und Niederlagen. Für manche mag das nach einer etwas zu einfachen Beschreibung klingen, aber wesentlich mehr hat Fante in diesem Buch nicht versammelt.
Doch innerhalb dieser simplen Takte wird jeder Abschnitt sehr gut zu seinem Sinnbild von amerikanischer Wirklichkeit in den 30er/40er Jahren. Es herrscht eine ganz famose und doch irgendwie irrige Freiheit und Leichtlebigkeit, in der alles möglich und doch nichts erfüllt zu sein scheint. Geld, Macht, Erfolg, sind die Schlagworte, auf die alle eindreschen, woraus aber auch keine Musik entsteht – allerhöchstens Krach. Mit all dem ändert sich, zeigt Fante auf, auch nur die Ausstattung und nicht die Perspektive.
Die knappen Romane Fantes seien vor allem denen ans Herz gelegt, die ein Buch wegen seines einfachen, teilweise versteckten Gehalts schätzen, wegen seiner schlichten Präsenz und Erzählerart. Große Erhebungen oder fesselnde große Geschichten darf man nicht erwarten. Fante war eher ein oberflächlicher Chronist, der seine Figur Bandini durch ein klassisches, gut gebautes und irgendwie unbeteiligtes (oberflächliches) Amerika schickt. Ein Amerika wie es gerade heute, 80 Jahre später, seine späten Ruinen offenbart.
*diese Rezension ist in Teilen bereits auf Amazon.de erschienen