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Zu John Wrays “Gotteskind”


Gotteskind John Wrays neuster Roman kreist um das Schicksal einer jungen Amerikanerin, die (aus Trotz/aus jugendlichem Leichtsinn/aus religiöser Überzeugung/um ihren Eltern zu entfliehen/im Zuge einer Sinnsuche, all diese Motive spielen eine Rolle, die Gewichtung bleibt der Interpretation der Leser*innen überlassen) ihr Leben in den USA hinter sich lässt und zusammen mit einem Freund nach Pakistan aufbricht, um dort (verkleidet als junger Mann) in einer Medrese (Koranschule) den islamischen Glauben zu praktizieren. Von Anfang an ist sie aber auch faszinierend von den Gläubigen, die die Grenze überqueren und in Afghanistan für den Gottesstaat kämpfen, eine Faszination, die immer mehr zu einem Vorhaben wird…

In der Literatur, so sagt man, werden die ersten guten Romane über historischen Ereignisse und ihre Kontexte 5-10 Jahre nach den Ereignissen vollendet/veröffentlicht. Insofern ist John Wray mit “Gotteskind” fast schon “spät dran”, den der Roman spielt in dem geschichtsträchtigen Jahr 2001:

11 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks herrscht in Afghanistan immer noch Bürgerkrieg. Während des Kalten Krieges (genauer ab 1979) hatten (von der amerikanischen Regierung finanzierte) Mudschahedin gegen die Besatzer aus der UdSSR gekämpft, viele davon Söldner, die nach dem Abzug der russischen Streitkräfte blieben und weiterkämpften; viele schlossen sich den Taliban an, die mit der Unterstützung Pakistans bald große Teile des Landes beherrschten.

Wray lässt diese Backgroundinformationen außen vor, sein Roman ist nicht der Versuch eines großen Panoramas oder einer vielschichtigen historischen Aufarbeitung. Er legt den Fokus ganz auf die Empfindungen und Erlebnisse seiner Protagonistin Aden Sawyer (die sich vor Ort Süleyman nennt), wir erleben alles nur durch ihre Augen (obgleich Wrays Roman keine Ich-Perspektive hat, sondern in einer personellen Erzählhaltung verfasst ist).

Das ist die Bravour und der Reiz dieses Romans, denn durch diesen Fokus, zusammen mit Wrays guter Charakterzeichnung, manifestiert sich Aden als eine sehr lebendige Figur, die einen ebenso in Erstaunen versetzen wie auch zur Weißglut treiben kann, mit ihren klugen Fragen oder ihrem unvorsichtigen Verhalten. Wray lässt uns teilhaben an Momenten, in denen sie über sich hinauswächst, während sie bei anderen Gelegenheiten ganz und gar ihren Schwächen unterliegt. Der Roman ist die langsame Entschlüsselung, Entblätterung von Adens Charakterfacetten und lässt doch Spielraum für viele Fragen, Spiegelungen, Ambivalentes.

Trotz dieser guten Charakterzeichnung, die mich gefesselt hat und das Buch in jedem Fall zu einem lesenswerten Roman macht, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass mich die letzten 50-60 Seiten des Buches doch ein wenig enttäuscht haben. Ich habe das Gefühl, Wray konnte sich nicht entscheiden, wie er den Stoff zu Ende spinnen soll, wie und ob er einige größere und kleinere Fäden kreuzen soll, ob die Geschichte kulminieren oder in sich zusammenbrechen, sich verlaufen soll und so geschieht alles und nichts zugleich – die endgültige Transformation der Figur gelingt in meinen Augen dadurch auch nicht.

Es ist natürlich immer leicht, Romane nach einmaliger Lektüre für das zu kritisieren, was sie nicht ausgelöst oder befriedigt haben. Ich möchte daher betonen: es ist bemerkenswert, was Wray hier an Charakterzeichnung leistet, wie gut er bei seiner Figur bleibt, wie umsichtig er vorgeht. Unbestritten. Gerade deshalb ist der Abfall am Ende auch so deutlich, in meinen Augen. Er negiert nicht das literarische Erlebnis der ersten 300 Seiten, das ich jeder/m ans Herz legen kann, aber es bleibt ein leicht unwillkommener Nachgeschmack.

Zu Ta-Nehisi Coates “We were eight years in power – Eine amerikanische Tragödie”


Eine amerikanische Tragödie besprochen bei Fixpoetry

Zu Brautigans “Sombrero vom Himmel” über das Schlachtfeld der Liebe


Mit Langsamkeit und Zärtlichkeit und Bissigkeit, schildert Richard Brautigan in seinem Buch “Sombrero vom Himmel” den Abend eines von seiner japanischen Freundin verlassenen Schriftstellers. Er rekapituliert ihr Kennenlernen und ihre gemeinsame Zeit und die kleinsten profanen Details seiner Gedanken werden ausgebreitet: er stellt sich ihr langes, schwarzes Haar vor, hat Angst davor, dass sie bereits einen anderen hat, er hat Hunger, er denkt daran sich abzulenken und kann den Zustand des Trauerns nicht verlassen.

Der zweite Erzählstrang beschreibt die Geschehnisse in einer Stadt in den USA (der Schriftsteller wollte dort eine Geschichte spielen lassen, dann zerriss er aber den Entwurf und warf ihn in den Papierkorb, doch die Papierschnipsel spinnen die Geschichte trotzdem fort), in der auf einmal wegen eines vom Himmel fallenden Sombreros zunächst Krawalle und dann Straßenkämpfe ausbrechen, bevor sich die Gewalt schließlich mit voller Härte gegen die anrückenden Nationalgarde und die schließlich eingreifende Armee richtet.

Das Nebeneinanderstellen der beiden Stränge – hier die Agonie, dort das blutrünstige Aufschaukeln – wirkt zunächst wie eine Verlegenheitslösung. Doch letztendlich spiegelt sich in diesem Wechsel, den krassen Gegensätzen, die Zerrissenheit der Liebe wieder. Sie zwingt einen in die Knie, in die Enge und doch fühlen die Verliebten das Unbändige, den Ruf der vom Schlachtfeld der Liebe herüberweht und kein Nein akzeptiert. Man will und will, kopflos und mutlos.

Sombrero vom Himmel ist ein traurig-schöner, ein seltsamer, ein leicht aberwitziger Roman. Aber im Kern bewältigt er, gerade in seiner Ironie, seiner Bissigkeit, seiner Offenheit, ein menschliches, existenzielles Dilemma.

Zu George Orwells zweitem Band mit Essays: “Rache ist sauer”


rache-ist-sauer_orwell In kaum einem Werk ist mir ein solches Maß an Scharfsinn, Gewissenhaftigkeit und Menschlichkeit begegnet, wie in den essayistischen Schriften und Berichten von George Orwell. Für mich persönlich ist es nicht übertrieben, bei der Beschreibung dieser 70 Jahre alten Texte von Aktualität, entlarvender Meisterschaft und moralischer Größe zu sprechen – ganz ohne Ironie oder den Wunsch, die Texte durch diese Bezeichnungen bedeutender zu machen, als sie sind.

Was Orwell vor allem eine Sonderstellung gibt, ist sein kompromissloses (jedoch nicht: radikalisiertes) Engagement, die Aufmerksamkeit, die er den Leidtragenden der industrialisierten und ideologisierten Gesellschaft zukommen lässt: den Soldaten an der Front, den Arbeitern in den Fabriken und den armen und von der Gesellschaft vergessenen Schichten der Bevölkerung. Dies alles in Kombination mit einem Intellekt, der größere Zusammenhänge erfassen und darstellen kann, wie sie selten auf den Punkt gebracht werden. Ihm gelingt es einfachste und nahezu nicht zu widerlegende Aussagen zu formulieren, zum Beispiel über den Krieg und die öffentliche Meinung:

“Was die breite Masse der Bevölkerung betrifft, so rühren die erstaunlichen Meinungsumschwünge der heutigen Zeit und die Gefühle, die sich auf- und abdrehen lassen wie ein Wasserhahn, von der Suggestivkraft der Zeitungen und Radios her. Bei den Intellektuellen, würde ich sagen, hat das mehr mit Geld und der Sorge um die persönliche Sicherheit zu tun. Je nach Lage der Dinge werden sie in einem gegebenen Augenblick ‘für den Krieg’ oder ‘gegen den Krieg’ sein, aber in beiden Fällen fehlt ihnen völlig die reale Vorstellung, was der Krieg ist.”

Seine Kritik an den Medien und den oberen Klassen ist sicher nicht allein auf weiter Flur in der Geschichte des 20. Jahrhunderts – aber nirgendwo habe ich so präzise formuliert gefunden, nirgendwo wird so schnell ersichtlich, ohne Umwege über die Abstrktion, wo der Hund vieler Problematiken begraben liegt: direkt vor unserer Nase, im Aufbau der Gesellschaft, die vor allem auf Unterdrückung und Kontrolle basiert und auf eine immer größeren Ausbeutung und Spaltung hinausläuft. Privilegien waren schon immer alles.

“Was mich am meisten bedrückt, wenn ich an die Antike denke, ist der Umstand, dass diese Hunderte von Millionen von Sklaven, auf deren Rücken ganze Zivilisationen generationenlang beruhten, nichts über sich hinterlassen haben. Wir kennen nicht einmal ihre Namen.”

Nietzsches Wahn von den wenigen Übermenschen, denen alle anderen dienen: längst hat die Geschichte seine Forderung in gewissem Maße eingelöst und wird sie weiter einlösen. Dabei geht es nicht einmal um Namen, sondern vielmehr darum, dass wir ausblenden, unter welchen Bedingungen Menschen leben mussten, während sich „große Geschichte“ ereignete und immer noch leben, während wir den Lebensstandard genießen, den ihre Arbeit gewährleistet.

Die Menschlichkeit: selbst für die meisten aufgeklärten Menschen endet sie am Rand der humanistischen Disziplinen, Schriften und Wissenschaften. Für Orwell endet sie dort nicht. Er weiß, dass ihr wahres Schlachtfeld ein oft nicht wahrgenommenes ist; ein Feld der Ausbeutung, von dem niemand sprechen mag.

Während der zweite Weltkrieg, vordergründig ein Krieg der Ideologien, tobt, schreibt Orwell:

“Den Lebensstandard der gesamten Welt auf das Niveau des englischen zu bringen, wäre kein größeres Unternehmen als der Krieg, den wir gegenwärtig führen. Ich behaupte nicht, und mir ist nicht bekannt, dass sonst jemand es tut, dass damit alles an sich bereits gelöst wäre. Es geht mir nur darum, dass Entbehrung und Knochenarbeit abgeschafft sein müssen, ehe man an die eigentlich menschlichen Probleme herangehen kann.”

Heute gibt es noch weitere Probleme, vom Klimawandel über Epidemien bis zum Atommüll, denen wir uns stellen sollten, anstatt Kriege und Scheinkriege auszufechten.
Es ist, dessen bin ich mir bewusst, eine sehr einfache Position, die Orwell bezieht. Aber obwohl sie einfach ist, macht sie mehr her, als ein Großteil des ganzen Geschnatters, Gezeters und Gebrülls unserer heutigen Debattenkultur, wo einer den anderen moralisch korrigiert und bezichtigt, ohne dass man einfach mal ehrlich von den grundsätzlichen Problemen unserer  Systeme redet. Orwell legt den Finger auf das Wesentliche, was heute viel zu selten getan wird.

Was ich an Orwell auch sehr schätze: dass durch die Schlichtheit und die nie auftretende Selbstüberschätzung in seinem Stil, keine moralisierende Atmosphäre oder Haltung aufkommt. Sein Impetus ist die Wahrheit und dass man sie gerecht betrachte. Selbst wenn er zu so einem schwierigen Thema wie Rache schreibt, bleibt er bei seiner analytischen Verfahrensweise und zeigt, dass es eigentlich ein nicht so schwieriges Thema ist:

“Strenggenommen gibt es so etwas wie Vergeltung oder Rache gar nicht. Rache ist eine Handlung, die man begehen möchte, wenn und weil man machtlos ist: sobald aber dieses Gefühl des Unvermögens beseitigt wird, schwindet auch der Wunsch nach Rache.”

Orwell hat hier meiner Ansicht nach zwar nicht bedacht, dass das Gefühl des Unvermögens durchaus bleiben kann, auch wenn andere Umstände eintreten. Aber unsere Generation, die den Plots von dutzenden Rachefilmen aus Hollywood kennt und denen die Wichtigkeit dieses Gefühls mit der Popkultur eingeimpft wurde, täte gut daran, sich einmal anhand von George Orwells Definition die eigenen Gefühle anzuschauen, um zu begreifen, dass Rache meist nur ein selbstgewählte, erniedrigte Position einem anderen Menschen gegenüber ist, die man auch schlicht überwinden kann.

Vieles, was George Orwell in diesem Band schreibt, ließe sich zusammenfassen mit einem Satz von ihm selbst:

“Die Tatsache, dass man eine derart banale Banalität niederschreiben muss, zeigt, was die Jahre des Rentier-Kapitalismus aus uns gemacht haben.”

Da kann ich nur noch meine Unterschrift druntersetzen. Ich will nicht den Antikapitalisten spielen, will Orwell nicht unter diesem Label abgestempelt, eingeordnet und vergessen wissen. Aber diese schlichte Aussage nagelt fest, was an vielen Stellen im Argen liegt, noch heute.

Es sei zuletzt noch erwähnt, dass es in diesem Band nicht nur um Politik & Gesellschaft geht – auch zu Shakespeare, Krimis und Avantgarde hat Orwell einige interessante Dinge zu sagen.

Orwell-Essays lesen, das heißt, eine gewisse Mündigkeit hochhalten und lernen. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung machen durfte; sie war heilsam und zugleich schmerzlich und ich werde noch öfters auf sie zurückkommen.

George Orwells Bericht “Mein Katalonien”


“Ich war nach Spanien gekommen, um Zeitungsartikel zu schreiben. Aber ich war fast sofort in die Miliz eingetreten, denn bei der damaligen Lage schien es das einzig Denkbare zu sein, was man tun konnte. […] Man hatte den Japanern erlaubt, in der Mandschurei zu tun, was sie wollten. Hitler war zur Macht gekommen und fuhr fort, die politischen Gegner aller Schattierungen zu massakrieren. Mussolini hatte die Abessinier bombardiert, während dreiundfünfzig Nationen abseits standen und fromme Sprüche von sich gaben. Aber als Franco versuchte, eine gemäßigt links orientierte Regierung zu stürzen, lehnten sich entgegen allen Erwartungen die spanischen Menschen gegen ihn auf. Es schien die Wende der Flut.”

Fast vier Monate lang blieb George Orwell in der katalonischen Miliz, bei einer Abteilung der anarchistisch-sozialistischen Arbeiterbewegung, erlebte die Front, das Lazarett und zuletzt die Straßenkämpfe, politischen Verwicklungen und Propagandaschlachten in Barcelona. Seine Schilderungen und Analysen zu letzterem bilden das wirkliche Kernstück dieses Buches und sind sein großer Verdienst, bis heute.

“Es war nämlich vor allen Dingen ein politischer Krieg. Kein Ereignis, besonders aus den ersten Jahren, ist verständlich, ohne eine Gewisse Kenntnis von dem Kampf zwischen den Parteien, der sich hinter der Frontlinie der Regierungsseite abspielte.”

Der spanische Bürgerkrieg wird in der historischen Betrachtung meist leichtfertig zusammengefasst als Kampf von Demokratie gegen Faschismus, als ein Aufbegehren von liberalen, kommunistischen, sozialistischen, demokratischen Elementen gegen die Flut des Totalitarismus. Aber gerade der ideologische Kampf auf Seiten der republikanischen Seite, der (zumindest in Katalonien) einen Bürgerkrieg in sich darstellt, wird dabei gerne verschwiegen; es wird gerne ausgespart, dass im republikanischen Spanien der Jahre 1937-38 eine der größten kommunistischen Säuberungsaktionen des 20. Jahrhunderts stattfand und einige anarchistische Arbeiterschaft-Verbände mit Terror und Willkür unterdrückt wurden.

Orwell kam im Dezember 1936 nach Barcelona, das Buch erschien 1938, noch bevor der Krieg beendet war. Es ist daher kein umfangreicher Bericht über den Bürgerkrieg selbst und auch keine Analyse des Kriegsverlaufes. Es ist ein persönlicher Erlebnisbericht aus dem Räderwerk des Bürgerkriegs, nicht nur des Fronteinsatzes, sondern vor allen Dingen der politischen Prozesse, die währenddessen abliefen.

Als Orwell nach Barcelona kommt, hat die Arbeiterschaft dort eine fast perfekte sozialistische Utopie umgesetzt. Es gibt keine Unterschiede in Sold und Gehalt mehr, alles liegt in den Händen der Arbeiter. Er tritt der anarchistischen Arbeitermiliz P.O.U.M. bei und geht an die Front. Als er ein paar Monate später zurückkehrt, haben sich sowohl die realpolitischen Verhältnisse geändert, wie auch die gesellschaftlichen. Alles war wieder zum bourgeoisen Standard zurückgekehrt. Orwell zog die richtigen Schlüsse und erkannte früh, was ein Problem des 20. Jahrhunderts war und ein Erbe geworden ist, das das 21. Jahrhundert weiterhin mitträgt:

“Im Namen der Demokratie gegen den Faschismus zu kämpfen, heißt, im Namen einer Form des Kapitalismus gegen eine andere zu kämpfen, die sich zu jeder Zeit in die erste verwandeln kann. Die einzig wirkliche Alternative zum Faschismus ist die Kontrolle durch die Arbeiter. Wer sich irgendein kleineres Ziel als dieses setzt, wird entweder Franco den Sieg aushändigen oder im besten Falle den Faschismus durch die Hintertür hereinlassen.”

Der Kapitalismus und die staatliche Gewalt sind, wie Orwell aufzeigt, die wesentlichen Probleme und die wesentliche Unterdrückung der menschlichen Gesellschaft. Später wurden die Arbeiterverbände nicht nur aus der Regierung gedrängt, sondern vollständig aufgerieben, verhaftet, in Kerkern zum dahinvegetieren verdammt oder insgeheim erschossen. Die linke Presse in aller Welt druckte damals munter die kommunistische Propagandalüge, dass alle Mitglieder der Anarchisten geheime Handlanger Francos sein – eine Behauptung die nicht falscher sein konnte, lagen doch zum größten Teil Mitglieder der anarchistischen Miliz zu der Zeit an der Front und hielten sie.

“Als eine der traurigsten Wirkungen dieses Krieges erkannte ich, dass die Presse der Linken bis ins kleinste genauso falsch und unehrlich ist wie die der Rechten. […] Das ist in allen Kriegen immer dasselbe. Die Soldaten kämpfen, die Journalisten schreiben. […] In Wirklichkeit unterliegt jeder Krieg mit jedem Monat, den er länger dauert, einer gewissen sich steigernden Entartung. Begriffe wie individuelle Freiheit und wahrhaftige Presse können einfach nicht mit dem militärischen Nutzeffekt konkurrieren.”

Orwells Buch ist ein verdammt wichtiges Dokument und eine Lektion in Antipropaganda und wider der historischen Geschichtsschreibung, die sich der Wirkungen verpflichtet sieht und nicht der Ursprünge und der Schicksale, Tatsachen und Ideen, die auf der Strecke bleiben. Es ist kein besonders spannendes Werk, teilweise auch nicht gerade großartig geschrieben, aber in seiner unaufgeregten und völlig unheischenden Dimension gewinnt es einen Grad an Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit für sich, der mich sehr beeindruckt hat. Orwell schreibt am Ende, dass man seine Ausführungen kritisch hinterfragen soll und er meint es völlig Ernst. Und doch öffnet er einem mit dem Buch eine Sicht auf ein völlig verstelltes Kapitel des spanischen Bürgerkriegs und des zivilen und gesellschaftlichen Kampfes im 20. Jahrhundert. Und legt den Finger auf eine Frage, dessen Antwort weiterhin auf sich warten lässt: Wie kann man gewährleisten, dass die Interessen von allen in einem staatlichen Konzept gehört und bedacht werden?