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Zu Julio Cortázars Erzählung “Die Katzen”


Die Katzen Wer ihn noch nicht kennt, dem/r rate ich, das schleunigst zu ändern. Vor allem, wenn man für jene besondere Art von Faszination anfällig und empfänglich ist, die phantastische, irreale und dennoch fesselnde Elemente erzeugen, die als bedrohliche, unheimliche und irritierende Momente innerhalb einer Erzählung eingesetzt werden und die Realität gleichsam umdeuten und hinterfragen.

Julio Cortázar hat eine Handvoll Erzählungen geschrieben, die ich wirklich liebe, die mich immer wieder begeistern (nicht zu vergessen: jenen irren Roman „Rayuela“, der gleich Joyce „Ulysses“ eine lange (möglicherweise nie endende) Vorlaufzeit braucht, bevor man ihn wirklich in Angriff nimmt, außerdem “Der Verfolger” eine der schönsten Novellen über Musik, die ich kenne). Die meisten davon sind in dem ersten Band der gesammelten Erzählungen bei Suhrkamp, „Die Nacht auf dem Rücken“, zu finden.

Viele dieser Texte arbeiten mit zwei Arten von erzählerischer Technik. Zum einen mit einer atmosphärischen Beschreibungskunst, die einem das Geschilderte nah an die Haut heranträgt. Cortázar ist kein Erzähler, der sich nur an seinen Ideen erfreut und dem es genügt, sie zu präsentieren, auszuwalzen – er will, dass die Lesenden die emotionale Komponente seiner Texte abbekommen, ja, sie ist oft die wahre Kraft, die in dem Text wirkt und die zweite Komponente als Vehikel benutzt.

Diese zweite Komponente sind die geschickt eingeflochtenen, immer tiefer verwobenen Irritationen, die aus der scheinbaren Wirklichkeit (in der man den Text zunächst verortet glaubt) eine Anderswelt machen, eine alternative Wirklichkeit, die sich bei Cortázar aber nicht als fremd entpuppt, sondern nur einen unscheinbaren Hauch entfernt ist und oft in einem kleinen Schritt, mit einer Bemerkung, in den Text eintritt und alle Spielregeln ändert. Diese Verschiebung ist immer wieder großartig zu beobachten und vollzieht sich auf so unterschiedliche Arten und Weisen, dass sich die Überraschung und Bewunderung angesichts dieses Kniffs nicht abnutzt; die Gewänder und Pointen, Ausgangspunkte und Verläufe sind vielfältig, geistreich, teilweise würde ich nicht zögern sie als genial zu bezeichnen.

Die aus dem Quasi-Nachlass stammende Erzählung „Die Katzen“ (in dieser Edition übersetzt von Henriette Terpe und Frank Henseleit, allerdings zweisprachig abgedruckt) ist ein Text aus dem Jahr 1948, kurze Zeit bevor die ersten wichtigen Erzählungen publiziert wurden. In ihr wird man keinen Tropfen jener erzählerischen Magie nach Art der zweiten Komponente finden – es gibt keine phantastischen Elemente in dieser Erzählung. Dafür tritt der erste Aspekt noch stärker hervor und die typische Aufgeladenheit einer Cortázar-Erzählung wird hier allein über den Aspekt des Emotionalen erreicht (die ja in ihren Extremen auch etwas Phantastisches, Transzendentes hat).

Schauplatz ist das Haus einer argentinischen Familie in den 40er Jahren. Carlos María wächst zusammen mit seiner Cousine im Haus seiner Eltern auf; ihre Eltern sind tot, wobei die Geschichte ihrer Herkunft nicht ganz klar ist. Die beiden Kinder spielen Verstecken, Fangen und Cowboy und Indianer – letzteres ein Spiel, das Carlos María bevorzugt, weil er seine Cousine dabei an den Marterpfahl binden kann, wo sie ihm ausgeliefert ist.
Schon zu Anfang wird klar, dass „Die Katzen“ die Geschichte einer Obsession werden wird, eine starke Anziehung zwischen den Heranwachsenden im Mittelpunkt steht. Im weiteren Verlauf wird zunächst das Widerstreben behandelt, das die beiden in Bezug auf ihre Zuneigung zueinander an den Tag legen. Die Mutter hält sie, kaum sind sie dabei in die Pubertät einzutreten, möglichst fern voneinander – und bald gesellt sich auch ein neuer Verehrer der Cousine dazu …

„Die Katzen“ ist vordergründig eine Geschichte vom Erwachsenwerden, mit einen leichten Hauch von Tabu versehen, der dann und wann hervorblitzt. Vielmehr als um die verbotene Liebe zwischen den gemeinsam aufgewachsenen Kindern, geht es um die, als prekärem Einschnitt empfundene, allgemeine Aufwallung des Begehrens; jenen Wunsch sich mit jemandem zu balgen, spielerisch wie einst als Kind, aber mit einem unterschwellig-heftigen Drang, der auf irgendeine Art und Weise „weiter“ gehen will. Keusche Verehrung und rasender Nähe- und Besitzwunsch prallen aufeinander, zusätzlich verstrickt in die sozialen Konventionen und die sich täglich wandelnden Verhältnisse, sowie die unklaren Dimensionen, als die sich die Gefühle der anderen Menschen darbieten und die man nicht aufdecken kann, nur schwerfällig ausdeuten.

Diese emotionale Achterbahnfahrt, mit all ihren kleinen Momenten, Wendepunkten, Erschütterungen, fährt Cortázar in seiner Erzählung ab, zeichnet jede neue Facette gekonnt und unreißerisch nach. Man kann den beiden Übersetzer*innen und Nachwortschreibenden nur danken, dass sie diesen Text ausgewählt haben (sowie dem Lilienfeld Verlag, dass sie ihn publiziert haben), denn in ihm wird eine weitere Qualitätsfacette von Cortázars Werk greifbar. An alle daher die Empfehlung – lesen!

Über “Der Verfolger” von Julio Cortázar


Auf die lockere Frage, was er denn von dem großen chilenischen Dichter und nun gekrönten Nobelpreisträger Pablo Neruda halte, sagte ein amerikanischer Professor: “Sch*** auf Neruda. Der größte Schriftsteller der Südamerikaner heißt Julio Cortazar!”

Auch wenn ich dem großen Chilenen Neruda eine große Sympathie und nicht wenig Respekt entgegenbringe, würde auch ich mich vor die Wahl gestellt, wenn auch nicht dermaßen rüde, für Cortazar entscheiden. Es hat wohl in der Geschichte viele großartige Künstler der Sprache gegeben, doch nur wenige sind so stark zwischen großartiger Unterhaltung und subtilen Geistestiefen gewandelt, wie dieser argentinische Schriftsteller. Von seinen furiosen und magischen Erzählungen, über solche kleinen Wunderstücke wie die Rede des Bären – ein liebevolles Meisterwerk – bis zu seinen Sprachspielen und einzigartigen Romanirrungen Rayuela oder 62/Modellbaukasten hat er Literatur geschaffen, die “zu erstaunen, zu fesseln, zu vertiefen” weiß, wie Octavio Paz zu diesem Buch ganz besonders anmerkte.

Mit “Der Verfolger” begibt sich Cortazar auf eine menschlich-psychologische Ebene und zugleich ist das ganze Buch eine seltenschöne Hommage an den Ausnahmemusiker Charlie Parker.

Der Ich-Erzähler, ein Musikkritiker und Freund Parkers in Paris, schildert einen Teil der Zeit, die er mit Charlie Parker, hier alias Johnny Carter, in Paris verbringt, die sich als die letzter Abschnitt dessen Lebens herausstellen wird, bevor er kurz darauf in New York stirbt.
Wir erleben Johnny als einen sehr sensiblen Mensch, der scheinbar immens wenig mit seiner Umgebung anzufangen weiß und der, möglicherweise durch starke Drogenexzesse, eine kontinuierliche geistige Konzentration scheinbar nicht mehr aufrecht erhalten kann. Doch es ist schwer in Julio Cortazars Roman die Wahrheit festzustellen. Wie kein anderer versteht er es gekonnt bei den Schilderungen die subjektiven Verstrickungen des Erzählers hervorzuheben und diesen nicht über den Tellerrand blicken zu lassen, während der Leser gerade dadurch doch eine Ahnung von den größeren Zusammenhängen bekommt – und nimmt die wohl beabsichtigte Unsicherheit, Unwägbarkeit, die um die Figur des Saxophonisten entsteht, gerne in Kauf.

In der Tat ist es immer sehr faszinierend, was Johnny seinem Freund Bruno erzählt und die Grenze zwischen Wahnsinn und Übersinn ist nicht wirklich auszumachen:
“Das mit der Zeit ist so kompliziert, es überfällt mich überall. Langsam wird mir klar, dass die Zeit nicht so was wie ein Sack ist, der sich füllt. Ich will damit sagen, dass in den Sack, auch wenn der Inhalt sich ändert, nicht mehr hineingeht als eine bestimmte Menge, und damit aus. Siehst du meinen Koffer, Bruno? Da passen zwei Paar Schuhe und zwei Anzüge hinein. Gut, jetzt stell dir vor, du machst ihn leer, und dann tust du wieder die zwei Anzüge und die zwei Paar Schuhe hinein, und dann merkst du, dass nur ein Paar Schuhe und ein Anzug hineinpassen. Aber das ist noch nicht das Schönste daran. Das Schönste daran ist, wenn du merkst, dass du einen ganzen Laden in den Koffer packen kannst, Hunderte und Hunderte von Anzügen, so wie ich manchmal, wenn ich spiele, die Musik in die Zeit packe.”

Dieses Erlebnisphänomen kennt wohl jeder, der einmal selbst Musik gemacht hat, oder einfach an einer Mauer stand und auf den Bus gewartet hat: Die Gedanken und die Töne schweifen und plötzlich kommt der Bus und obwohl nur eine Minute vergangen ist, hat man vielerlei Ungenaues gedacht und wieder erlebt, fokussiert und verworfen, angedacht und überdacht, etc.

Und trotz seiner Magie und solcher Gedankengänge, oder -flüge, ist Johnny ein Genie, das sich selbst zerstört und immer wieder versucht das Allerhöchste in seiner Musik zu beschwören, sich nicht mit weniger zufrieden gibt, als eine Tür in eine kleine Unendlichkeit aufzustoßen und damit stets scheitert und ohne Kraft immer wieder versinkt in Drogen und Verzweiflung.

Jeder kann dieses Buch anders lesen, kann der Sicht des Erzählers folgen, oder diese auch kritisieren. Viele noch lebendige Gedanken stecken in diesem Buch. Wie immer bei Cortázar.

Link zum Buch: http://www.amazon.de/Verfolger–Bibliothek-Band-21/dp/3937793208/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1379082639&sr=1-1&keywords=der+verfolger+cortazar

*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen