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Eine haltlos-semiheitre Farce


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So wörtlich meint man das ja eigentlich nicht, wenn man von der Unsterblichkeit der Dichter redet, aber hier sind sie, Dante und Homer, quicklebendig, in einem Haus des Schweigens irgendwo in Italien, in dem sie in einem Fort von Dingen plaudern, die sich als Metaphysik ausgeben, aber eher Manierismus sind.

Wolf Wondratscheks neues Buch ist eine Farce, anders kann man es nicht bezeichnen, und der von ihm (oder dem Verlag) gewählte Untertitel „Komödie“ deutet das ja auch an. Und so wartet man als Leser*in, während die beiden Granden sich darüber streiten, ob die Nachtigall nun eine tolle Sängerin abgibt und wie es um die Götter beschaffen ist, eigentlich darauf, dass irgendwo auf all dem glatten Parlieren auch der Witz aufblitzen möge. Müssen da nicht Spott und Spitze im Spiel sein, wenn jemand, völlig an jedem Zeitgeist vorbei, über diese beiden, fast schon mythologischen Personen schreibt?

Nun, sicherlich gibt es einige „komische“ Momente, aber das Buch hat letztlich mehr von einer beckettschen Komödie, als von einer klassischen (von einer epischen oder einer göttlichen ganz zu schweigen). Überhaupt ist es schwer zu glauben, Beckett habe bei Wondratscheks Lustspielerei nicht Pate gestanden, schließlich gibt es ein Prosastück von ihm, das „Dante und der Hummer“ heißt; von da ist es ja nicht weit zu Homer oder zur Köchin (zum Humor allerdings, allem Anschein nach, leider schon).

Und ebenso haltlos wie in Becketts „Warten auf Godot“, wenn auch nicht halb so  tragisch-komisch, gebärden sich Wondratscheks Dante und Homer beim Warten auf das Schweigen oder das Ende der Unsterblichkeit. Dass es noch viel zu sagen gäbe über sie oder ihre Werke, dergleichen wollen diese beiden Figuren anscheinend Lügen strafen. Sie langweilen die Leser*innen nicht direkt, aber sind auch weit davon entfernt, zu unterhalten. Zelebrieren, das scheint ihr einziger Zeitvertreib zu sein und es ist fraglich, ob das der Leser*innen liebster Zeitvertreib ist, die wohl in den seltensten Fällen unsterblich sind.

Nun, vielleicht befinden wir uns ja auch gar nicht in einem Haus in Italien, sondern in der Hölle erster Kreis. Das wäre wahrlich eine Pointe, die Becketts würdig wäre. Dort ist Dante ja in seiner “Göttlichen Komödie” Homer zum ersten Mal begegnet, der ihn prompt in den Club der großen (unsterblichen) Dichter aufnahm. Hat Dante sich da etwa unwissentlich auf einen Teufelspakt eingelassen, als er diese Ehren nicht ablehnte? Und büßt nun dafür in einem ewigen Gespräch mit dem Mann, der ihm den Lorbeer verlieh?

Nun, das ist etwas weit hergeholt, ich weiß. Und wahrscheinlich nicht das, was Wondratschek bei dieser Farce im Sinn hatte. Aber es würde erklären, warum das Buch die Unsterblichkeit als so dröge Angelegenheit inszeniert. Da hätte man vielleicht vorher mal Arno Schmidt konsultieren sollen.

In jedem Fall: ein großer Wurf ist das kleine Büchlein in meinen Augen nicht. Wer aber sich gern als geistiger Feinschmecker sieht und sich köstlich zu amüsieren versteht, dem kann man „Dante, Homer und die Köchin“ vielleicht schon empfehlen. Selbst wenn es dann nicht gefällt, wird die Person sich wohl verpflichtet fühlen, es zu lesen, vielleicht sogar während der Lektüre zu rühmen, denn es wirkt bis zur letzten Seite so, als könnte schon um die nächste Ecke, auf der nächsten Seite, endlich der Schmu in den Schmaus übergehen.

Dass man am Ende hungrig bleibt, verzeiht man Wondratschek weniger als Beckett. Jener aber ließ auch nur ein paar Rüben vorkommen, derweil Wondratschek eine Köchin auffährt. Das weckt dann irgendwie falsche Erwartungen.

Zur neuen Ausgabe der “Göttlichen Komödie” beim Manesse Verlag


Göttliche Komödie Immer wieder habe ich in verschiedenen deutschen Übersetzungen von Dantes Göttlicher Komödie gelesen und eines ist klar: schöne Übersetzungen gibt es viele. Die Dante-Gesellschaft zählt bis heute 52 vollständige Übersetzungen, beginnend 1767 mit Lebrecht Bachenschwanz Prosaübertragung und endend bei den Prosa-Übersetzungen von Kurt Flasch und Hartmut Köhler in den letzten Jahren (2011 bzw. 2012). Die ganze Liste kann hier eingesehen werden: http://dante-gesellschaft.de/dante-alighieri/divina-commedia/

Ida und Walther von Wartburgs Übertragung aus den frühen 60er Jahren gilt durchaus als eine der klassischsten. Einen großen Vorteil bietet die Manesse-Ausgabe mit dieser Übersetzung allerdings vor allem wegen des sehr umfangreichen Kommentars, den Walther von Wartburg zu jedem Einzelnen der 100 Gesänge verfasst hat und der einen mit Erläuterungen, Hinweisen und Hintergründen versorgt. Während ich bei der Übersetzung nicht immer sicher war, welche ich vorziehen soll und welche am adäquatesten (oder schlicht schönsten) ist, hat sich dieses tausendseitige Ausgabe aufgrund des Kommentars als die beste Art und Weise erwiesen, sich Dantes Meisterwerk zu nähern.

Ich denke nicht, dass man zur Commedia selbst etwas sagen muss. Es ist ein einmaliges, in vielen Belangen großartiges Werk, das an einigen Stellen eine berauschende Schönheit, an anderen eine überzeitliche Klugheit besitzt. Wer sich dem Werk nähern und sich zur Lektüre angeregt sehen will, dem kann ich Roberto Benignis „Mein Dante“ oder die wunderbaren Essays in Jorge Luis Borges „Letzte Reise des Odysseus“ empfehlen. Auch einige Abschnitte aus Alberto Manguels „Geschichte der Neugierde“ drehen sich um dieses epische Gedicht, das im Übrigen die italienische Sprache zur Schriftsprache machte und vom Latein loseiste.

Wer sich dieses Buch noch nicht vorgenommen hat, bei wem es nicht zumindest auf der Longlist steht, an den möchte ich auf jeden Fall appellieren: schaut mal rein. Oft schlägt einen das Buch schon mit dem Prolog in seinen Bann oder beim Lesen in einem x-beliebigen Kapitel. Für wen Terzinen nichts sind, der kann zu einer der Prosa-Übersetzungen (bspw. die von Flasch) greifen, wer es pompös mag, dem würde ich zu einer Ausgabe mit der Übersetzung von Philalethes raten. Und wer sich nicht ohne Beiwerk herantraut, dem sei diese Ausgabe hier wärmstens empfohlen.

Zu dem Band “Suchers Welt – Literatur, 49 leidenschaftliche Empfehlungen”


Suchers Welt, Literatur Ich frage mich, ob es noch andere Leute gibt, die diese Art von Empfehlungsbüchern in großer Anzahl kaufen und lesen; ich jedenfalls habe ein Faible dafür. Vielleicht, weil ich Begeisterung mag, vielleicht, weil man in jedem dieser Bücher mindestens eine Entdeckung macht (sonst taugen sie nichts) oder vielleicht, weil sie einem immer wieder längst bekannte Werke nahelegen; manchmal so überzeugend, dass man sie direkt im Anschluss zur Hand nehmen will.

C. Bernd Suchers neunundvierzig Empfehlungen beherbergen allerhand Bekanntes, viel Erfreuliches und ein paar ungewöhnliche (und mitunter ebenfalls erfreuliche) Spezialitäten. Die Texte zu den einzelnen Büchern füllen 3-4 Seiten und haben leicht unterschiedliche Gewichtungen (auch je nachdem, welches Genre der Text hat), verlaufen dennoch meist auf ähnliche Weise.

Zu Anfang erzählt Sucher in der Regel, wie er mit dem Buch oder dem Autor in Berührung kam, gibt eine kurze Auskunft über den Inhalt und/oder den Verfasser. Im weiteren Verlauf schildert er dann, was er aus dem Buch für Erkenntnisse gewonnen hat, zitiert und verknüpft es nicht selten mit seiner eigenen Entwicklung. Leidenschaftlich sind diese Empfehlungen tatsächlich, dennoch auch behutsam und filigran, manchmal etwas beliebig, aber mit einem Zug zum Wesentlichen.

Ärgerlich ist allerdings eine Bemerkung aus dem Vorwort: „Dass unter den 49 nur zwei Autorinnen sind, beweist keineswegs eine misogyne Haltung. Allein, ich kann mit vielen, vor allem zeitgenössischen Autorinnen nicht allzu viel anfangen. Da ich aber nicht den Ehrgeiz habe, politisch korrekt zu lavieren, sondern wirklich nur jene Bücher nennen möchte, die ich auf jede unbewohnte Insel mitnehmen würde, sind eben nur die zwei geblieben.“

Diese halbseidene Rechtfertigung hätte mir fast das ganze Buch vermiest. Entweder man hinterfragt als Autor(*in) eines solchen Buches seine Lesegewohnheiten und handelt entsprechend oder man lässt es bleiben und setzt sich der rechtmäßigen Kritik an seiner Sammlung aus. Sich aber präventiv dazu zu äußern und so zu tun, als würden sämtliche Vorwürfe von vorneherein nicht zutreffen (weil: eh bemerkt, aber halt Geschmack, etc., da kann man nichts machen), das wirkt etwas armselig.

Auch an anderen Stellen beweist Sucher wenig Taktgefühl, zum Beispiel, wenn er das teilweise erniedrigende Frauenbild in James Joyce‘ „Ulysses“ schlicht zum Bereich der notwendigen Grenzüberschreitungen zählt, es zum Tabubruch stilisiert. „Ulysses“ ist in vielerlei Hinsicht ein tolles, innovatives Werk und Sucher schafft es, viele Vorzüge gut herauszuarbeiten. Aber man sollte auch als begeisterter Freund eines Werkes, nicht blind für dessen Fehler und Zeitgeisterscheinungen sein oder sie retuschieren, wegerklären.

Auf jeden Fall sollte man derlei nicht in Nebenbemerkungen verhandeln, sondern umfassender Stellung zu den Themen beziehen oder es gleich bleiben lassen. Es wirkt sonst, als wäre das ganze Thema für den Autor nur eine Lappalie, was ich nicht glaube. In seinem Text zu „Malina“ setzt sich Sucher jedenfalls sehr viel genauer und sensibler mit dem Stoff auseinander und weist vortrefflich nach, warum „Malina“ auch ein Buch über die Gewalt ist, die Männer an Frauen verüben. Solcherlei versöhnt, macht die anderen Schnitzer aber nicht wett.

Man kann in diesem Buch viele Entdeckungen machen und wer eine breite Palette erwartet, wird nicht enttäuscht werden. Es finden sich zwar keine Werke jüngeren Datums (nach 1970), aber die Spannweite ist ansonsten groß und reicht von Dantes „Die göttliche Komödie“ über Hans Henny Jahnns „Perrudja“ bis zu Pasolinis „Raggazi di vita“.

Überhaupt sei das Buch besonders denen ans Herz gelegt, die sich für Literatur interessieren, die homosexuelle Aspekte und Geschichten beinhaltet und behandelt – hier präsentiert Sucher ein paar wunderbare Beispiele und wagt sich unter anderem an eine Auseinandersetzung mit Shakespeares Sonetten.

Umfassende Gelehrsamkeit in Erich Auerbachs Essays


Die Narbe des Odysseus Erich Auerbach – nach der Lektüre des Bandes bereue ich, diesen Namen nicht schon vorher gehört und nicht früher mit seinen Schriften Berührung gekommen zu sein. Das gemächliche und dabei umfassende Verständnis, das seine Prosa verströmt, die gediegene und doch sehr einfache Heranführung an bedeutende Sachverhalte und literarische Momente, der federleichte Witz, der eigentlich kein Witz ist, sondern eher so etwas wie Nachsicht, eine gewisse Behutsamkeit im Angesicht des Schönen, Besonderen – dies alles zeichnet Auerbachs Essays in diesem Band aus.

Auch einige Briefe sind abgedruckt, jeweils eingeleitet durch eine Darstellung der Beziehung zur angeschriebenen Person und die Umstände des Briefes. Enthalten sind Briefe an Thomas Mann, Walter Benjamin, Victor Klemperer und andere Weggefährten und Freunde.

Kernstück des Bandes ist in jedem Fall der Essay „Die Narbe des Odysseus“, nicht nur wegen dessen Länge, sondern auch weil er eine der gelungensten Analysen von literarischerer Strukturanalyse und dramaturgischem Aufbau darstellt, die ich bisher gelesen habe – ohne dabei entkernend oder erschöpfend zu wirken. Neben diesem Meisterstück gibt es Texte zu Montaigne und Proust, Giambattista Vico, sowie Dante & Vergil, wobei letzterer ebenfalls dazu geeignet ist, Faszination für einen alten Klassiker der Literatur zu wecken.

Wie viele andere Gelehrte musste Auerbach Mitte der 30er Jahre aus Deutschland emigrieren, nachdem er wegen seiner jüdischen Abstammung seinen Lehrposten aberkannt bekam. Er ging nach Istanbul, wo er den Krieg über blieb und sein Hauptwerk „Mimesis“ schrieb, und danach in die Vereinigten Staaten.
Die Einleitung von Matthias Bormuth stellt diesen Lebensweg umfassend dar und gibt auch eine Einführung in Auerbachs Werk und Denken.

Wieder einmal legt der Berenberg Verlag mit diesem Buch ein Schmuckstück, einen kleinen kulturellen Schatz vor; es ist eine Freude, diese Bücher zu lesen und sie in der Hand zu halten. Im Fall von Erich Auerbach ist es eine philologisch-intelligible, fein-humanistische Freude.