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Die zwei großen Narrative Literatur und Wissenschaft


Erkenntnis und SChönheit

Naturwissenschaft und Literatur, zwei große Narrative der Menschheitsgeschichte. Beiden sind Vorstellungen von Fortschritt und Tradition eingeschrieben, beide wollen die Welt darstellen, wollen das Innenleben jener materiellen und ideellen Form von Dasein ergründen, die in diesem Universum und all seinen Erzeugnissen vorherrscht.

Diese beiden Narrative, versponnen und gegeneinandergehalten, sind es, die McEwan in den Mittelpunkt nahezu aller Texte in diesem Band gestellt hat, von denen vier Vorträge sind und einer ein Artikel, gehalten bzw. publiziert zwischen 2003-2019. Der letzte Text legt dann noch einen besonderen Fokus auf die Religion (das dritte große Narrativ), genauer auf Endzeitvorstellungen.

Eine Persönlichkeit, die in den anderen vier Texten immer wieder eine Rolle spielt, ist Charles Darwin. Für McEwan ist er nicht nur als Begründer der Evolutionstheorie interessant, sondern auch (und teilweise vielmehr) als Literat. „Die Entstehung der Arten“ und auch Darwins andere Bücher, allen voran „Der Ausdruck der Gemütsbewegung bei Menschen und Tieren“, sind für McEwan nicht einfach nur wissenschaftliche Texte, Beweise für Theorien, sondern Literatur im besten Sinne.

Mehr als einmal bricht McEwan, nicht nur im Fall von Darwin, im vorliegenden Buch eine Lanze für die Wissenschaftsliteratur, ja, für die Wissenschaft(geschichte) als große Erzählung von den Dingen, die der Literatur näher steht, als uns die Trennung in arts und science glauben lässt. Denn obgleich es der einen um die Schönheit, der anderen um die Erkenntnis zu gehen scheint, findet sich auch in der Literatur Erkenntnis und in der Wissenschaft Schönheit. Ihre Ziele und vor allem ihre Errungenschaften haben einiges gemeinsam.

McEwan ist ein sehr non-stringenter Essayist. Er arbeitet keine klare Conclusio heraus, vielmehr sind seine Texte ein konstantes Vermitteln von Ideen, Referenzen, Verhältnissen, Möglichkeiten. Das ist angenehm, inspirierend, mitunter aber ist die Bewegung des Textes, trotz ihrer Eleganz, schwer nachzuvollziehen. Wer sich an dieser leichten Inkonsequenz nicht stört, dem wird McEwan in seinen Texten einen ganzen Kosmos an Überlegungen, Lektüren und Geschichten eröffnen.

Über Leben, Liebe und nicht zuletzt den Tod… Zum Film “Restless” und seiner wunderbar echten Liebesgeschichte


“Das einzig wichtige im Leben, sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.”
Albert Schweitzer

Woraus besteht unsere Welt, unser Leben, wenn nicht aus Liebe, Problemen und dem Tod? Und hat ein Film nicht noch immer ab und zu die Aufgabe, wie einst das antike Drama, eine Katharsis zu bewirken, ein Bewusstsein für diese zentralen Stellen des Lebens zu schaffen – eine Möglichkeit, sich wieder auf Mitleid, Trost und Glück zu besinnen; das alles, indem er uns eine Geschichte zeigt, in der wir den übergreifenden Sinn vom Am-Leben-Sein erfahren und spüren?

Manche würden im Zusammenhang mit dem Film Restless sicherlich von Kitsch oder von einer reinen Konstruktion aus den Themen Tod und Liebe reden, vielleicht sogar von einer unglaubwürdigen Story. Dass ich diese Meinung verstehe und respektiere, wenn auch nicht teile, möchte ich hier vorweg betonen.

Viele Filme sind interessant, viele andere unterhaltsam. Dann gibt es manche, die bestechen einfach durch ihre Einzigartigkeit, ihre Cleverness, ihre Atmosphäre und sind echte Highlights, die man in froher Erwartung gerne immer wieder sieht. Und zuletzt gibt es einige ganz wenige Filme, die für einen selbst etwas ganz Besonderes sind; Film-Juwelen, die einem wie eine Begegnung erscheinen und auch nach dem Ansehen wie eine Art kleines Wunder.

Vielleicht hängt das mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem man sie zum ersten Mal gesehen hat, vielleicht ist man für eine ganz bestimmte Gefühlsebene, auf der diese Filme arbeiten, so empfänglich, dass sie einen regelrecht durchdringen; vielleicht hat es auch etwas mit den eigenen Erlebnissen zu tun, wenn man z.B. eine bestimme Lebensstimmung, in der man sich einmal befand, in einem Film wieder(auf)findet.

In solchen Filmen begegnen wir einem wesentlichen Teil unserer Ängste, Wünsche und einem wichtigen Teil dessen, was wir in der Welt für schön und wichtig erachten. Für mich war Restless so ein Film.

Enoch, der uns am Anfang des Films vor die Nase gesetzt wird, ohne Einführung und alles, begegnet dem Zuschauer als sehr unnahbarer, fast unsympathischer Junge von 18 Jahren, der scheinbar einen Faible für Beerdigungen hat. „Aha: ein Freak, ein Außenseiter,“ ist die erste Reaktion des Zuschauers, auch meine. Da haben wir also unseren Protagonisten, einer der aus dem Rahmen fällt – damit lässt sich ja was machen.
Doch ganz so einfach ist es nicht und man muss es dem Regisseur sehr zu Gute halten, dass dieses Außenseitertum nicht der alleinige Angelpunkt der Story ist, sondern die Geschichte sich darum herum und darüber hinaus entwickelt, zu etwas Unspektakulärerem, aber wirklich Berührendem, so leicht wie ein Kuss, so schwer wie dessen Botschaft und Wirkung.

Das Leben an sich scheint Enoch nicht besonders zu interessieren; er schirmt sich von allem ab, geht allein auf Beerdigungen von fremden Leuten – bis er auf einer dieser Beerdigungen Annabel trifft, ein Mädchen, dass für seine sonderbare Natur kein Unverständnis, sondern Interesse zeigt, was er zunächst abblockt. Doch schon nach einigen weiteren Begegnungen gehen die beiden über ihre Handikaps hinweg und verbringen immer mehr Zeit miteinander – eine erste Liebesgeschichte scheint sich schleichend und unwillkürlich anzubahnen … Doch wie verläuft eine solche Geschichte, wenn es kein Happy End geben kann … ?

Die Geschichte, die erzählt wird, ist nicht sehr kompliziert und kommt mit wenigen Figuren und wenigen Höhepunkten aus. Spannung kommt nicht im eigentlichen Sinne auf und mal abgesehen davon, dass der Tod in diesem Film weder eine nebensächliche, aufräumende, noch eine humorvolle Rolle spielt (wie sonst so oft) ist dieser Film zwar etwas ungewöhnlich, still und hat seine eigenen kruden Kleinigkeiten, aber er ist keineswegs formal experimentell oder Neuland. Wenig gereicht ihm also, überraschungstechnisch, zum Vorteil – wäre da nicht die wirklich sehr subtile Poetik und die tiefgehende Schönheit seiner Botschaft, die sicherlich schon oft angebracht wurde, aber selten in einem so natürlichen Gewand. Mit dazu gehört auch sein unverfänglicher, manchmal schräger Humor, der kaum einen einzigen Lacher, dafür jede Menge Lächeln aus einem hervorholt.

Restless ist kein Film der viel riskiert oder viel Aufsehen erregt – und doch ist er gerade deswegen etwas Besonderes. Es ist einer dieser Filme, der einem nicht einfach die Aussichten präsentiert und einen schon vor dem Ansehen für sich einnimmt, einen nicht mit seiner Monumentalität oder seinen Stars und einigen Gags einfängt, sondern ein Film, auf den man sich wirklich einlassen muss, ein Film, den man wie ein Buch lesen muss, Seite für Seite, dem man Begegnen muss und der einem nicht einfach mit seiner Geschichte ins Haus marschiert kommt. Doch dafür ergeben sich aus diesem sehr leichten Geflecht ein paar wirklich wunderbare Momente, Szenen und letztlich auch eine tiefe, übergreifende Emotionen. Trotzdem ist es natürlich auch kein Film für jedermann und ich hoffe, dass nach dieser Beschreibung jeder selbst ein wenig besser beurteilen kann, ob er ihn kennenlernen will oder nicht. Dann wäre der Sinn dieses Textes schon erfüllt.

Letztendlich ist es vor allem eine wunderbar echte Liebesgeschichte und deswegen allein lohnt es sich, ihn anzusehen…

 

Link zum Film: http://www.amazon.de/Restless-Mia-Wasikowska/dp/B0063DOMPM/ref=cm_cr_pr_pb_t

*Diese Rezension ist bereits teilweise auf Amazon.de erschienen.