Wann ist ihnen das das letzte Mal passiert: dass sie das Gefühl hatten, ein Buch bringt ihnen das Lesen ganz neu bei, zeigt ihnen ohne Unterlass, dass Sprache nicht nur ein Informationsmedium, sondern ein Gefüge, eine Komposition, ein Spielplatz, kurzum: eine gänzlich eigenständige Erfahrung ist. Falls eine solche Begegnung ein Weilchen her sein sollte, empfehle ich sehr, dass sie sich Leander Fischers Debütroman „Die Forelle“ zulegen.
In diesem Roman geht es, auf der Handlungseben, um zwei große Fs: Fliegenfischen und Freundschaft (bzw. Feindschaft). Aber es ist auch ein (Anti-)Provinzroman und eine Auseinandersetzung mit österreichischer Geschichte vom 2. Weltkrieg bis in die frühen 90er Jahre (und einer Darstellung der Mentalitäten, die aus diesen beiden Schauplätzen ergeben). Es ist eine Erzählung über das unerfüllte Leben, Intrigen und die Distanz (sowie Nähe) zwischen Mensch(engeschaffenem) und der Natur.
Das Fliegenfischen, also die Praxis, den Fisch mithilfe von naturgetreuen Nachbildungen von Beuteinsekten zu fangen, ohne ihn jedoch durch einen Widerhaken zu verletzten (stattdessen wird er wieder freigelassen) und die Freundschaft, die Praxis des Menschen, sich im Bestreben nach Gemeinschaft/Harmonie mit Menschen zu umgeben, die einen verstehen und mit denen man etwas teilen kann, wodurch eine Nähe entsteht, die einen wiederum anfällig macht für Verletzungen und in der man dem freien Willen des anderen ein Stück weit mehr ausgeliefert ist – vor dem Hintergrund dieser beiden Komplexe und ihrer breiten Potenziale, bewegt sich Fischers Werk.
Es sollte natürlich ehrlicher Weise gesagt werden, dass „Die Forelle“ kein handelsüblicher Page-Turner ist. Fischer entspinnt ein Narrativ, das die Leser*innen in die Leerräume zwischen die Zeilen schickt, damit sie als verbindendes Element agieren. Seine Prosa schweift ab, verliebt sich in Bilder, Anklänge, ergeht sich hier und da in Wortspielen, macht Sprünge, bewegt sich auf mehreren Ebenen – seine Art des Erzählens fügt nicht alles zusammen, sondern muss aktiv nachvollzogen, interpretiert werden, an manchen Stellen fast wie ein Gedicht. Wer sich den Akt der Partizipation, des Mitspielens, zu eigen macht, wird allerdings belohnt mit einer schier unerschöpflichen Lektüre.
Viele Referenzen könnten an dieser Stelle genannt werden, bei wenigen belasse ich es: im Bezug aufs Fliegenfischen (man denke an Robert Redfords Film „In der Mitte entspringt der Fluss“, aber auch Paulus Hochgatters Novelle „Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen“ oder Ernest Hemingways schwebende Erzählung „Großer doppelherziger Strom I+II), aber auch im Bezug auf Fischers Stil und Ästhetik, die beeinflusst sind von den Werken Thomas Pynchons, William Faulkners, Claude Simons, Valeria Luisellis und anderer moderner bis postmoderner Autor*innen.
Fazit: Sie werden vielleicht ein bisschen brauchen, um in den Roman hineinzufinden. Aber dann werden sie kaum wieder herausfinden – schnappend nach jedem Glänzen in den Strömungen, Kreiseln und Wellen von Fischers Sprache, und kaum, dass sie etwas zu fassen bekommen, werden sie wiederrum hineingeworfen, tauchen wieder ein in den Strom dieser erstaunlichen, widerspenstigen, genüsslichen und überbordenden Prosa, die für mich zu den großen Entdeckungen des Jahres gehört.