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Zu dem Band “Wörter statt Möbel” mit kürzeren Texten aus dem Nachlass von Aglaja Veteranyi


Wörter statt Möbel

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Aglaja Veteranyi starb 2002. Sie hat zahlreiche Notizbücher hinterlassen und nun sind, nach langjähriger Arbeit, zwei Bände mit Texten aus dem Nachlass erschienen: zum einen der Band „Café Papa“ mit zwei Romanfragmenten (einer dieser Romane sollte sich an den russischen Autor Daniil Charms anlehnen) und einem Reisebericht und zum anderen dieser Band mit Kurz- und Kürzestprosa, Gedichten, Aphorismen, Dialogen und einem längeren Monolog.

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In „Wörter statt Möbel“ erweist sich Veteranyi, ähnlich wie ihr Vorbild Charms, als Meisterin der Groteske, der haltlosen wie heftigen, aber letztlich sensiblen Schilderung. Im Nachwort von Jens Nielsen ist davon die Rede, dass sie dem Denken der Lesenden etwas in den Weg stellt, um es für kurze Zeit von seiner normalen Rotation abzuhalten. Das ist keine schlechte Beschreibung. Noch mehr gefällt mir aber eine Randbemerkung, die Nielsen macht: dass es Veteranyi wichtig war, dass ihre Texte direkt wirken, ohne dass man sie durchdenken oder interpretieren muss – eine Irritation, ein Schock, ein Unbehagen, eine Reaktion soll sich sofort einstellen, am besten mit dem ersten Satz.

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Dementsprechend sind ihre kürzesten Stücke auf gewisse Weise stets pointiert und die längeren haben nicht selten einen zersetzenden, widerständigen Charakter. Manchmal sind es nur kurze Gedankenspiele und manchmal Mikrokosmen, in denen sich Gewalt und Unterdrückung, extreme Gefühle und Hoffnungen auf engstem Raum drängen und wild bis widersinnig erscheinende Gestaltungen annehmen.

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Selbstzerstörerische Tendenzen, Heimatlosigkeit, Konformitätszwang, Apathie: Veteranyis Themen sind nicht unbedingt auf die leichte Schulter zu nehmen. Dennoch: es kommt kaum Tristesse auf, denn die Texte sind klug, aufmüpfig, ätzend und nicht selten in Teilen witzig. Sie setzen sich mit Absurdität, Fremdheit, Furcht auseinander – und finden eine Sprache dafür. Lesenswert! Toll, dass sich der Verlag “Der gesunde Menschenversand” und die edition spoken script dieser Texte angenommen haben.

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Die Schere schreibt noch lange kein grandioses, aber auch kein schlechtes Buch – zu Markus Binders “Teilzeitrevue”


  Gleich vorweg: ich muss zugeben, dass mich die Lektüre dieses Buch mehrmals frustriert hat, stellenweise auch inspiriert. Ich verstehe die Idee dahinter und die Ausführung dieser Idee kann man innerhalb ihres eigenen Rahmens auch als gelungen betrachten. Unter diesen Voraussetzungen will ich die positive Betrachtung verstanden wissen. „Teilzeitrevue“ ist ein stellenweise innovatives, interessant kommunizierendes Werk, aber genauso oft eine sehr verzettelte Angelegenheit.

Dialoge, Momente, Darstellungen. Kritisches und Spritziges, Intimes und Verklausuliertes. Als wäre der Kern eines gewöhnlichen, erzählenden Romans detoniert, finden sich in diesem Buch überall die Bruchstücke einer Geschichte, die auf ihren Umlaufbahnen um eine einstige Mitte kreisen, die sich aus diesen Bruchstücken fortwährend zusammensetzt. Es ist die Geschichte eines Pärchen, das nach Mexiko fährt, die Beschreibung ihrer Reise, die gleichsam eine Metareise ist, in der nicht nur die Geschehnisse vor Ort eine Rolle spielen, sondern ebenso historische und zwischenmenschliche Ebenen, die immer wieder wie Flocken in den Verlauf hineinwehen.

In einem Interview hat der Autor Markus Binder das Buch als Mixtape bezeichnet. Ich muss hier nochmals erwähnen, dass mir solcherlei Erklärungen nicht unbedingt stimmig erscheinen. Es ist leicht zu behaupten, dass ein Buch so gehört, wie es geworden ist, mit allen seinen Macken und Allüren und Unebenheiten. Aber die Frage ist, ob es auch so funktioniert. Stellenweise gerät „Teilzeitrevue“ in dieser Hinsicht auf die schiefe Bahn und man hat das Gefühl, dass nicht auf die Stimmigkeit der zusammengesetzten Beiträge geachtet, sondern mit einer gewissen Beliebigkeit gearbeitet wurde. An anderen Stellen wiederum gelingen die Schnitte und aus den verschiedenen aufeinanderfolgenden Textschnipseln wird ein zugespitzter Sog, ein Crescendo an Eindrücken, die sich gegenseitig aufladen.

Sehr gut gefallen hat mir an der Bewegung des Buches, wie sich immer wieder die Distanz zwischen dem Leser und den Figuren verschiebt, wie er sie mal redend, mal denkende, mal handelnd erlebt und so auf ganz einzigartige Weise wahrnimmt und rezipiert. Für diese interessante Perspektive und Erfahrung muss man Markus Binders Buch ein Kompliment machen.

Was nun die inhaltlichen Aspekte angeht: hier changiert das Buch stark zwischen Banalitäten, Epiphanischem, Wissenswertem, Erlebnisschilderungen und überladenen Ausführungen. Dort wo diese Elemente glaubhaft verschmelzen, hat das Buch eine Nähe zum Leibhaftigen, die erstaunlich ist, aber nicht selten treten die Nähte, tritt die Idee der Kompilation hervor und zerstört diese Nähe; das Buch zieht einen genauso oft hinein, wie es einen rauskickt.

Am Ende kann man sagen: „Teilzeitrevue“ ist ein schillerndes Buch, welches auf eine schöne und verhängnisvolle Dynamik setzt. Einige Fetzen davon sind brillant, vieles ist stimmig, einiges über-flüssig oder wie in den Angeln verzogen. Einen geregelten Plot gibt es nicht, hier und da kommt es einem vor als würde die Stimme des Autors so viel hineintexten, dass ein Essayband vielleicht besser gewesen wäre. Aber all das Kritische muss einen nicht unbedingt kümmern, wenn man gern auf Entdeckungsreise geht und ein multiples literarisches Erlebnis sucht. Denn in dieser Hinsicht ist man bei diesem Buch an der richtigen Adresse.

Zu Paulus Hochgatterers “Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen”


In den frühen Morgenstunden des 11. September begeben sich drei Männer, alle Psychoanalytiker, auf einen Trip zum Fliegenfischen. Es gibt einen Hünen mit schlagfertig-trockener Souveränität, einen Ich-Erzähler, der uns seine Wahrnehmungswelt ungefiltert aufdrückt und einen neurotischen “Besserwisserlangweiler”. Ein Hauptteil der Handlung ist die Autofahrt und das Gespräch währenddessen, der andere das Fliegenfischen und die Ereignisse und Gespräche währenddessen, alles auf 112 in großer Schrift bedruckten Seiten.

Hochgatterer arbeitet vor allem mit zwei Motiven: Gesprächskultur unter Männern und den Wahrnehmungsabdrücken seines Protagonisten. Ersteres trägt das Buch ganz gut. Die Figuren haben schnell eine eingespielte Gesprächsdynamik, man kommt im Rahmen von Lebenswelt und Berufsfeld von Hölzchen auf Stöckchen, es werden Behauptungen aufgestellt, die mit Mixturen aus fabulierenden Irrwitz und metaphysischer Aufwertung eingefärbt werden; es gibt subtile Anklänge ans Innenleben und kleinen Fetzen von Alltag schieben sich zwischen die losgelöste Stimmung des Ausflugs. Zwar wirkt das Personalsetting mit den drei Psychoanalytikern ein wenig aufgesetzt, aber letztlich greift dank der Unaufgeregtheit, mit der die Konstellation interagiert und ihre Themen findet, eine geradezu natürliche Authentizität. Die Figuren fangen an zu einem freieren Wesen zu finden, nicht nur eine Konstruktion des Autors zum Zweck einer Geschichte zu sein.

Die Wahrnehmungsabdrücke des Ich-Erzählers stellen sich wiederum als sehr problematisch dar. Während sie als Kommentar und weiterentwickelte Gedanken zu den Gesprächen noch funktionieren können, aber auch oftmals plump eine Tiefe in der Figur wachzurufen versuchen, so sind seine Eindrücke während des zweiten Fliegenfischen-Teils nicht nur sonderbar und schwer einzuordnen, sondern vor allem so gut wie überflüssig. Da wird Obsession gespielt, mit verborgenen Sehnsüchten, aber so asthmatisch, einförmig, direkt, dass bei mir keinerlei Zugang entstehen konnte.

Insgesamt ist die unterschwellige Bedeutungsebene in Hochgatterers Buch mir ein kleines Rätsel geblieben. Man vermutet eine solche Ebene, immerhin haben wir hier Psychoanalytiker, wir haben ein bedeutsames Datum, wir haben existenzialistische Backcovertexte am Buch und geradezu archaische Anknüpfungen darin, aber das alles geht für mich nicht ganz auf, der Unterbau wird nicht sichtbar. Richtig gut ist die Erzählung an den Stellen, wo die drei Figuren in einer nicht unweigerlich zu transzendierende Situation miteinander reden. Dann gelingt vor dem Hintergrund eines Konfliktes, einer Aussage, der Blick in die Fassadenwelt des Menschen und seinen Wunsch, weite Wege darin zu finden, die man problemlos gehen kann. Mehr hätte dieses Buch nicht gebraucht, um gut zu sein. Die verschiedenen sonstigen Ansätze drängen das Buch in die Kategorie der gebärdigen, auf Bedeutsamkeit pochenden Bachmannpreisprosa-Attitüde, die oftmals nur manierlich wirkt und nicht elementar oder gelungen. Vielleicht müsste man die Geschichte mehrmals lesen um auf den bedeutungsschwangeren Kern zu stoßen. Aber Lust auf diese Arbeit macht einem die Auswärtigkeit dieses möglichen Kerns nicht.

Kurz zu Hemingways “Fiesta”


Wann immer ich einen Hemingway Roman lese, läuft es etwas nach dem gleichen Schema ab: Erst beginne ich und die Geschichte tröpfelt so dahin, dann kommt eine kurze Zeit, in der ich das Buch sehr langatmig finde und mich in den endlosen kurzen, knappen Dialogen verliere und den merkwürdigen Formulierungen und dann, dann werde ich plötzlich ergriffen von dem Sog und bin am Ende vollkommen überrascht, dass ich so berührt bin.

Ja, Hemingway hat mich immer wieder mit der Welt und mit sich selbst versöhnt. Man kann ihm, seinen Büchern und auch seinen Übersetzungen viel nach sagen, aber zweierlei wird mich immer an Hemingway faszinieren und mich ihn immer wieder einen Sprachmeister nennen lassen: Erstens seine knappe Sprache, die nicht karg ist, ganz im Gegenteil, sondern Räume erschafft, in denen so viel mehr gesagt wird, als in den blumigsten Sprachgebilden – und die unglaublich Dichte in jedem seiner Bücher.

Erklären kann ich das hier nicht, nur beschreiben und darauf vertrauen, dass jemand vielleicht weiß, was ich meine, wenn ich von einer Sprache spreche, die so bedacht ist auf ihren, viel offen-lassenden, spartanischen Charakter, dass sie durch diese subtile Kunst des Auslassens, Weglassens, dieser Kenntnis von Vielem, aber der Darstellung von Wenigem, eine so große Kraft des Unsagbaren erschafft, wie sie auch oft in Wirklichkeit empfunden wird. Es ist, als wären Stimmungen in Hemingways Büchern keine Frage des Ausdrucks der Wörter, sondern sie kämen allein aus einem selbst, wenn man versucht das nachzuempfinden, was seine Charaktere fühlen. Als würde Hemingway Romane schreiben, die uns dazu veranlassen, viel von uns selbst nach zu erleben, oder zumindest Ideen von Gefühlen – womit ich nicht pseudophilosophisch werden will, aber anders kann man es nicht formulieren.

Fiesta ist vor allem ein Dialogstück, fast 3/4 des Buches bestehen aus Dialogen. Es geht um Liebe und es geht um das fliehende Glück, die verstreichende Zeit und den Ort an dem man sich zu Hause fühlt und die verlorene Generation, die sich überall ein wenig verlassen fühlt. Man verbringt trunkene Nächte in Paris, der Stadt, in der soviel möglich ist, dass es unmöglich scheint hier irgendwann zu “werden” und nicht nur zu sein. Ein Ausflug nach Spanien, zur Fiesta, wird zum Spiel mit Gefühlen wie Sehnsucht und der Suche nach einem wirklich ausgereizten Leben, doch auch hier ist zwar alles auf die Spitze getrieben, aber auch hier lebt jeder sein leben und stirbt auch – und nicht nur am Ende. Überall wird gestorben, auch wenn man das Leben noch so sehr herausfordert – man könnte sagen: In Fiesta schreibt Hemingway sein eigenes Leben vor; wie Ödipus weiß er hier schon, hat es zwischen den Zeilen niedergeschrieben, dass man weiter nicht kommt, als bis Paris, bis zur Fiesta – und doch hat er es versucht.

-“Sieht man dich in Paris?”
“Nein. Mein Schiff geht am Siebzehnten. Auf Wiedersehen, alter Kerl.”
“Auf Wiedersehen, mein Junge.”
Er ging durch die Sperre an den Zug. Der Träger ging mit dem Gepäck voraus. Ich sah noch, wie der Zug sich in Bewegung setzte. Bill stand an einem der Fenster. Das Fenster verschwand, der Rest des Zuges verschwand – das Gleis war leer.
Ich ging zum Auto zurück.-