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Hafis, großer Dichter persischer Zunge


Hafis-Kanani- Seinen bis heute bekannten, klingenden Namen verdankt der persische Dichter, der eigentlich Mohammed Schemseddin hieß, einer Fertigkeit, die er sich schon in jungen Jahren aneignete: er konnte alle 114 Suren des Korans auswendig, da war er gerade einmal acht Jahre alt. Dies brachte ihm den Ehrentitel Hafis ein, durchaus ein geläufiger Ehrentitel, auch heute noch, der aber bei ihm als Poetenname über sein Zeitalter hinaus erstrahlen durfte.

Geboren wurde Hafis Anfang des 14. Jahrhunderts, in den stürmischen Zeiten der letzten Mongoleninvasionen und zahlreicher weitere Konflikte und Rivalitäten auf dem Gebiet Persiens. Seine Heimatstadt Schiras, die er, abgesehen von ein paar unbedeutenden Reisen, nie verließ, lag im südlichen Teil des heutigen Iran und war immer wieder von türkischen, afghanischen und mongolischen Überfällen bedroht.

Dennoch war Hafis ein vergleichsweise langes Leben beschieden, in dem eine große Zahl von Gedichten (vor allem Ghaselen) entstand, die bis heute als unübertroffen in ihrer Formvollendung gelten; viele sind Teil des Allgemeingedächtnisses aller Persisch/Fārsi/فارسی sprechenden Menschen geworden.

Auch in Deutschland hat Hafis viele Bewunderer gehabt, einer der bekanntesten ist Johann Wolfgang von Goethe, der mit West-Östlicher Divan ein ganzes Werk schrieb, das von den Dichtungen des Hafis inspiriert ist; auch Friedrich Rückert hat sich zeitlebens mit dem persischen Dichter beschäftigt und einige der besten Übersetzungen zu seinem Werk angefertigt.

In seiner Studie arbeitet Nasser Kanani sehr gewissenhaft die Rezeptionsgeschichte von Hafis in der deutschsprachigen (vorrangig, aber auch internationalen) Literatur und Geschichtsschreibung heraus. Beginnen tut das Buch allerdings mit einem Kapitel, in dem es vor allem um die Geburtsstadt Schiras und ihre Rezeption (die allerdings von der Hafis-Rezeption schwer zu trennen ist) in der deutschsprachigen Literatur geht und warum sie in vielerlei Hinsicht ein wichtiges Kernstück von Hafis Dichtungen ist.

Kapitel 2 und 3 beschäftigen sich dann mit Hafis Lebensgeschichte und seinen philosophischen Überzeugungen, immer auch im Spiegel seiner Werke, wozu Kanani umfangreich aus den Übersetzungen zitiert (die Originale sind auch abgebildet). Dadurch gelingt ein breit gefächertes, teilweise auch erschöpfendes Bild des widersprüchlichen und doch mit sich im Einklang liegenden Menschen, der Hafis gewesen ist.

Die letzten Kapitel 4 und 5 sind dann Hafis Dichtungen, genauer der Liebeslyrik und dem Divan, vorbehalten. Kanani präsentiert Deutungen und Rezeptionsansätze und zitiert wiederum umfangreich aus dem Werk. Auch wenn das ganze Buch eine spannende Aufbereitung ist, sind diese beiden Kapitel seine Meisterstücke.

Für wen Hafis bisher nur ein Name ist, der sollte sich diese umfangreiche Studie zulegen – sie ist ein guter Einstieg, bieter aber dennoch Tiefe und breite Auseinandersetzung. Kananis Leidenschaft und Begeisterung für Hafis sind nicht nur ansteckend, sie werden im Zuge seiner Ausführungen auch nachvollziehbar. Ob Hafis wirklich der größte Lyriker persischer Zunge war, das ist ungewiss. Gewiss aber ist: er war ein wunderbarer Poet, mit einem trefflichen Überschwang, der seinesgleichen sucht.

Zu Reiner Kunze neuem Gedichtband “die stunde mit dir selbst”



die stunde mit dir selbst besprochen beim Signaturen-Magazin

Zu “Ich ist ein anderer” von Bernhard Albers


Ich ist ein andererWegen der Ähnlichkeiten (z.B. in der Arbeit mit exemplarischen Beispielen), bietet sich bei diesem Buch ein Vergleich mit Joachim Campes 2001 erschienenem „Die Liebe, der Zufall und das Paar“ an. Zwar ist Bernhard Albers Buch mehr eine Sammlung von kurzen, manchmal fast schon streiflichthaften Betrachtungen, während Campes Buch aus längeren, essayistischen Arbeiten besteht, aber beide haben einen sehr ähnlichen Fokus: das männliche Paar, die Schwierigkeiten des Bekennens zum Begehren und zueinander, die Flucht davor.

Campe geht es allerdings um eine detaillierte Analyse der von ihm gewählten Beziehungen, während Albers in drei Kapiteln und fünf Exkursen (nebst Prolog und Epilog) ein Panorama entwirft, in dem die verschiedensten Lebensläufe und Beziehungsmodelle kurz und präzise nachskizziert werden.

Rimbaud und Verlaine, dem Prototyp der leidenschaftlichen Literatenbeziehung, ist das erste Kapitel gewidmet (Nach dem Prolog über Ludwig II und Wagner). Diese Geschichte ist ja in vielerlei Hinsicht exemplarisch, beinhaltet sie doch nicht nur das Motiv der gegenseitigen Inspiration, sondern auch den Topos vom älteren Mann der den genialen und/oder bildschönen Jüngling begehrt, liebt und ihm auch Vaterfigur ist; ein Motiv, das in dem Band immer wieder aufkommt und seit den Zeiten der alten Griechen geradezu ein Archetypus homosexueller Beziehungen ist (und damals sogar institutionalisiert war). Wobei in er modernen Version der exzentrische Jüngling oft den älteren Geliebten in den Ruin treibt oder zumindest in Verhängnisse führt – siehe Oscar Wilde, siehe Verlaine.

In den weiteren Exkursen und Kapiteln, in den u.a. Thomas Mann, Hans Henny Jahnn und Hubert Fichte im Mittelpunkt stehen, erzählt Albers von verschiedenen Beispielen homosexueller Begegnung und Zuneigung, Entwürfen von Partnerschaft und Liebe, Geschichten von Sehnsucht und Erfüllung. Natürlich spielt der Aspekt der Verheimlichung, des Nichtsagbaren eine große Rolle – viele der vorgestellten Personen konnten sich nie oder nur verdeckt zu ihrem Begehren bekennen. Anhand ihres Werkes dokumentiert Albers oft das Ringen und die Obsession mit dem eigenen Begehren.

Nicht dazu stehen zu können, machte es natürlich umso schwieriger, eine stabile Beziehungsform mit jemandem zu leben und führte zur Flucht in alternative Ausdrucksweisen der Zuneigung und des Begehrens (Verherrlichung und Transzendierung, Umdeutung und Ästhetisierung). Doch Albers erzählt auch davon, wie sich homosexuelle (Zu)neigung und künstlerischer Ausdruck dieser (Zu)neigung – und auch Lebensmodelle, die das Leben dieser Neigung inkludierten – letztlich immer wieder manifestierten und auch immer wieder zu geglückten Lebensentwürfen führten. Obgleich es auch in den letzten Beispielen, bei aller Verbesserung der Umstände und Möglichkeiten, schwierig bleibt.

„Ich ist ein anderer“ ist eine schmale Studie, aber eine gelungene. Wärmstens zu empfehlen an alle, die sich mit dem Topos des homosexuellen Begehrens und der Liebe unter Männern, unter Berücksichtigung vieler exemplarischer Aspekte, auseinandersetzen wollen.

 

Zu “Tagebuch eines frischvermählten Dichters” von Juan Ramón Jiménez


Tagebuch eines frischvermählten Dichters besprochen beim Signaturen-Magazin.de

Zum Tod von Kurt Marti


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Am Sonntag ist der großartige Dichter Kurt Marti gestorben. Seit mehreren Jahren lese ich in seinen Notizen, dem Band “Zärtlichkeit und Schmerz” (Luchterhand, erschienen 1981) und bin immer noch am Staunen.

Er ist außerdem einer der Dichter, von denen ich ein Zitat im Herzen trage, eine Weisheit, die ich in meinen Dachbalken einbrennen ließe, wenn ich dergleichen hätte – sie lautet:

“Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen”.

Dieser Spruch wird mich noch lange begleiten.
Poesie ist Arbeit an der Zukunft. Wie wahr.

Link zu einem Artikel in der NZZ

Dichter mit der Virtuosität des Himmels – Einblick in Federico Garcia Lorcas Gedichte in drei Kapiteln


I – Dichtung vom Cante Jondo

“In dem gelben
Turm der Kirche
läutet eine Glocke.

Auf dem gelben
Winde öffnen
sich weit die Glockentöne.

In dem gelben
Turm der Kirche
höret auf die Glocke.

Der Wind macht aus dem Staube
verwehnde Silberbüge.”

Federico Garcia Lorca gehörte zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Überschattet werden seine beinah universellen Kompetenzen auf den Gebieten des Dramas und der Lyrik (man könnte ihn von ungefähr mit Bertolt Brecht vergleichen, suchte man ein deutsches Äquivalent) jedoch bis heute durch seinen dramatischen Tod (1936, ermordet durch die Guardia Zivil von Franco) und die Fixierung der Nachwelt auf einige wenige Werke – im Drama seine sehr späten sozial-kritischen Stücke, in der Lyrik seine surrealen Exzesse aus Dichter in New York.

Dabei gehört meiner Meinung nach Garcia Lorcas lyrisches Gesamtwerk, von den frühen Romanzen, bis zu den New York-Gedichten, zu den schönsten und innovativsten Poesie-Werken überhaupt. Es ist von magischer Vollkommenheit und verbindet Romantik, Avantgarde und Symbolismus auf ganz eigene, zwischen Melancholie und Erhebung, Glanz und Gloria zerrissene, Weise.

“Die Nacht verdichtet sich wie hundertjähriger Wein. Im Morgengrauen öffnet die große Schlange des Südens ihre Augen, und die Schläfer haben ein unendliches Verlangen…”

“Dichtung von Cante Jondo” gehört zu den frühen Gedichtwerken. Unmittelbarkeit, Minimalismus und manifestierende Metaphern (siehe oben: Hundertjähriger Wein) prägen das ruhige Bild dieser Verse; auch das dieser Rezension vorrangstellte Gedicht wurde von Lorca mit der Anmerkung “im tiefsten Gitarrenbass” versehen.

II – Dichter in New York

“Auf der Terrasse kämpft’ ich mit dem Monde.
Schwärme von Fenstern durchlöcherten einen Schenkel der Nacht.
Aus meinen Augen tranken des Himmels sanft Kühe.
Und an des Broadways Fensterscheiben, grau wie Asche, klopften
die Brisen mit sehr langen Schwingen.”

Viele Facetten hat das Werk „Dichter in New York“ und ich möchte nicht zu weit ausholen, auch wenn es viel zu diesem Werk zu sagen gäbe, da die Verstörung und Begeisterung, die es wie einen Schmetterling, der einen Orkan beschwört, erscheinen lässt, letztlich verraucht, schwer mittelbar ist.

Surreale und paradierende Gänge sind es, die Garcia Lorca, gleich einem rollenden Augenapfel in einem Ungeheuer von Stadt (dem Big apple) niederschreibt, ausufernd und doch immer so nah an einem festen Eindruck, dass surreal schon fast wieder zu einfach gegriffen ist. Es sind Poetisierungen, aber voller Winkel, in denen sich viel wirklicher Schmutz ansammelt und verschmiert.

Der wichtigste Punkt, zu dem Ich hier noch etwas mit einbringen will, ist der der Übersetzung. Wer also gerne inhaltlich beraten werden will, den verweise ich auf die gesetzten Textbeispiele.

“Ich.
Es gibt kein neues Zeitalter, kein neues Licht.
Nur ein azurnes Pferd und einen Morgenanbruch.”

Ich habe “Dichter in New York” in der alten Übertragung von Enrique Becks gelesen (so noch zu finden in der hervorragenden Werkausgabe in drei Bänden und der handlichen Insel-Ausgabe der Gedichte, außerdem natürlich in der Suhrkamp-Bibliothekfassung von Dichter in New York. Da ich des Spanischen nicht mächtig bin, mag meine Stimme wahrscheinlich (zu Recht) kaum Gewicht in dieser Debatte haben, doch möchte ich trotzdem hier einmal leise gegen die Kritik an Becks Übersetzung protestieren.
Schon immer sind Neuübersetzungen großer Werke mit abschätzigen Bemerkungen gegen die alten Übersetzungen einhergegangen. Bei Hemingway, bei Dostojewski, bei Rimbaud, Baudelaire undundnund… vielleicht nicht immer zu Unrecht. Doch man sollte mittlerweile vorsichtig sein, es pauschal zu tun.

“Das Heulen
ist eine lange violette Zunge, welche hinterlässt
Entsetzensameisen und Liliensaft.”

Im Mittelpunkt steht beim Übersetzen/Übertragen immer die gleiche Problematik: Wortgetreu und stil-nah übersetzen oder versuchen Intention und Aussage des Künstlers in die eigene Sprache zu transferieren – was nicht das Gleiche ist, wenn auch manchmal beides geht, ohne eines zu vernachlässigen!

Viele Übersetzer wählen den Mittelweg und fahren gut damit. Wenn der Übersetzer selber ein Dichter ist, wird er zwangsläufig versuchen, die poetische Nuance, das besondere Fluidum des Gedichts zu retten, ganz egal, ob das durch die erste oder zweite Variante geschieht.
Übersetzen ist auch eine eigene Kunstform und fast schon die Schaffung eines neuen Werkes. Deswegen ist es auch bei diesem Genre oft so wichtig zwischen Übertragung und Übersetzung zu unterscheiden. Was Enrique Beck gemacht hat, ist sicherlich eine Übertragung (so steht’s auch in meinem Band), die sich auch noch etwas an seiner Vorstellung von “poetisch” orientiert haben wird, die zugegeben etwas zu sehr an diesem Wort hängen mag und deren heute als zu erhaben angesehene Geste. Aber: zu behaupten die neue Übersetzung sei garantiert mehr im Sinne von Lorca gewesen, dass halte ich für sehr vermessen (die Toten zu rekrutieren ist an sich fragwürdig). Lorca hätte nie auf Deutsch geschrieben, von daher ist es wider dem Sinn, dass irgendeine deutsche Fassung von sich behaupten kann, die einzig getreue Übersetzung zu sein. Übersetzen ist interpretieren. Lyrik ist Spiegel. Zu behaupten in einen Spiegel müsse man so sehen, dass das richtige heraussieht …

Jedoch: Natürlich muss die Übersetzung mit der Zeit gehen und neue Übersetzungen will ich daher auch nicht hinter die alten stellen, ganz im Gegenteil. Solange aber Becks Dichtungen mir das Gefühl geben, die Schreie zu bemerken und die Klagen dieses Werkes zu verstehen, kann ich sie nicht als unzureichend oder ungemäß ansehen – und ob die nüchterne, neue Version jetzt so sehr der spanischen Sprachwirksamkeit entgegenkommt, wo die deutsche Sprache eine ganz andere hat, will ich auch noch mal still bezweifeln.

“Gleich sah man, dass der Mond
ein Pferdeschädel und die Luft
ein dunkler Apfel war.”

“Die Nacht hat’ einen Spalt
und ruhige Salamander, elfenbeinern.
Es trugen die amerikanischen Mädchen
Kinder im Bauch und Münzen…”

Soviel zu der Übersetzung. Hiernach kann ich nur noch mal sagen, dass, ganz egal in welcher Übersetzung, dieses Buch eine surreale, kantige, buntblutige Freude ist, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Sie ist die Krönung eines großen dichterischen Werkes und als solche schon von unermesslichem Reichtum, aber durch ihre unnachahmliche Kraft und Schönheit, weiß sie das auch jedem einzugeben.

“Ich strauchle schwankend durch die harte, feste Ewigkeit
und Liebe endlich ohne Morgengrauen. Liebe. Sichtbare Liebe!”

“und wer den Tod da fürchtet, trägt ihn auf den Schultern”

III – Diwan des Tamarit

“Niemand hatte je den Duft erfahren
von deines Bauches dunkler Magnolie.
Niemand wusste, dass ein Liebeskolibri
du zwischen deinen Zähnen hast gemartert.”

Die letzten Dichtungen Federico Garcia Lorcas weisen ihn noch einmal als einen großen Sprachmagier und elementaren Dichter aus. Bedrückende Verse, doch voller Schönheit.

Diwan des Tamarit musste postum veröffentlicht werden, ebenso wie die über Jahre nicht vollendeten Sonette der dunklen Liebe, zu denen der Diwan quasi gehört.

“Tausend kleine Perserpferdchen schliefen
auf dem Mondesplatz deiner Stirne.
während ich vier Nächte deine Hüften,
Feindinnen des Schnees, umschlungen habe.”

Unerklärliche Trauer, Lust und nahe Dunkelheit – der Einband in Lila und Schwarz von Suhrkamp wirft es voraus – sind die zentralen Themen dieser Gesänge und Betrachtungen, die scheinbar von Lorca teilweise nach altindischer Form geplant waren; zumindest tragen einige der Werke Titel wie “Gasel von der unvermuteten Liebe” oder “Kasside von der Wehklage”, beides altindische Gedichtformen.

“Ich habe meinen Balkon geschlossen,
weil ich nicht hören will die Klage,
doch hinter dem grauen Gemäuer
hört man nichts anderes als die Klage.”

Lorca lyrisches Gesamtwerk ist beeindruckend, aber wie bei Brecht und seinen Buckower Elegien, ist dies letzte Werk auch bei Lorca, dieser letzte Federstrich, das Anrührenste unter allen, obwohl die Thematik manchmal eher abgründig und abweisend wirken kann. Sprachlich ist dies Werk jedoch so vollkommen, so mündend wie ein Fluss, dass vielleicht der Inhalt sogar letztlich zurückstehen muss, hinter so viel unbedachter Schönheit.

“Ich will, dass das Wasser bleibt ohne Flussbett.
Ich will, dass der Wind bleibt ohne Täler.”

“Engel im Herbst mit Orangen” und “Die Sekunden vor Augenaufschlag”


Wer Titel wie “Die Dunkelheit knistert wie Kandis” oder “Engel im Herbst mit Orangen” verwendet, könnte von manchen als ein sehr blumiger und sehr banaler Dichter vorverurteilt werden. Dass Hellmuth Opitz in seiner sprachlich-vielfältigen Kombinatorik und seiner überbordenden Individualität beim Finden von Metaphern und Gesten, dennoch zu den schönsten und interessantesten Dichtern Deutschlands gezählt werden kann, möchte ich kurz anhand zweiter Gedichtbände andeuten.

Um ebenfalls seine feine Bewandertheit in Stimmungen und sprachlichen Gefühlseindrücken zu erfahren, empfehle ich die Lesung auf Youtoub von seinem Gedicht “Isarbrücken” http://www.youtube.com/watch?v=tvXQnmVbdj8

1. “Engel im Herbst mit Orangen”

“PSST! Es ist Herbst,
Madame.
Die Nacht spielt schon ein
kühles Saxophon.”

Hellmuth Opitz, Bielefelder Dichter und Autor, gehört zu der Art Poeten, die man sich in Lederjacke und mit Zigarette im Mund vorstellt; ein lockerer Spieler in seinem Metier, der das Leben + einen Sprung Fantasie in seinen Gedichten einfangen will. Seine Sprache, durchaus gezeichnet von der Havarie der modernen Poesie, ist größtenteils sehr eigenständig und aufrichtig gewählt und vor allem auf verdichtende Sprachbilder fixiert/ausgerichtet.

“Mit Blaulicht kommen die Tage,
zerschellen an der kühlen Küste
weißer Villen. Von dort tropft
Langeweile ins Warten, das bebildert
ist mit Palmen, Pools, Terrassen,
den blauen Scherben eines anderen Himmels.”

“Ich
war ein schlechter Vorname in diesen Tagen:
Zu groß. Hallte wie ein Treppenhaus, wenn man ihn
rief.”

Verschiedene Sammlungen von Gedichten wurden in diesem Buch zusammengefasst. Mit “Der 88. Januar”, einer sehr poetischen Sammlung beginnt es und es endet mit den melancholisch-verdrießlichen “Abenden aus dem Ärmel”. Fast alle Gedichte sind nicht länger als eine Seite. Besonders hervorzuheben ist noch der Abschnitt mit Gedichten über die Liebe, der besonders verspielte und deswegen in ihrer Betrachtung nicht weniger eindrückliche Zeilen enthält .

“Springtime sagen die Engländer
springt an und schon hängen der Stadt
hellblonde Strähnen in die Stirn aus frühem Licht.

Dann blüht ein Kaufrausch
und Farben trachten Frauen nach dem Leben.”

Opitz ist auf jeden Fall ein begnadeter Erfinder, einer, der sich in der Sprache wohl fühlt, wenn sie etwas mit all ihren ausdrücklichen Möglichkeiten erschließt. Seine Kombinatorik hat, mir zumindest, immer sehr viel Freude bereitet.

“sogar die Traurigkeit ist ganz aus
Schrott gemacht.”

“Auf den Schultern der Bäume saß ein großer
Sommer.”

Opitz ist ein wirklich lesenswerter Dichter. Ich empfehle ihn und hoffe, dass seine Leserschaft weiter wächst.

“Ein Kirchturm wirft eine Tonleiter herab
zu den keltischen Gräbern. Hier sind im Laufe
der Jahre der Trauer Kreuze gewachsen,
Hortensiengebüsch, zutiefst blaßblau
zu Sehnsucht verwilderter Tod.”

2. “Die Sekunden vor Augenaufschlag”

Hoffentlich zum Ausdruck bringend, wie bereichernd Lyrik doch sein kann, beginne ich:

“Auf einen Wink erhob sich der Wind,
sein Komplize, die Steppdecke der Wolken
weit von sich wirbelnd fuhr er in die
Fahnen. Alle Masten machten einen Knicks
vor ihm, als er sich den Himmel unter den
Nagel riss, den Mond, der wie ein Scheibchen
Zitrone in einem dunklen Drink versank.”

Sinnbildlich ist die Art wie Opitz nahezu alle seine Gedichte angeht. Mit visuellen Querschlägern, anschaulich-innovativen Metaphern, Vergleichen und Allegorien und einem stets halb prägnanten, halb sinnlichen Ton, schafft er es immer wieder einen in die Bilder seiner Gedichte hineinzuziehen – nicht nur einzuladen, sondern sie einem wirklich ins Blut gehen zu lassen, für einige Herzschläge.

“Wenn es stimmt
was geschrieben steht
dass wir den Frauen
die wir geliebt haben
nie wieder begegnen
können, weil sie nicht
im Raum gelebt haben
sondern in der Zeit,
was mach ich dann hier?”

Herzschläge, das ist auch, metaphorisch, die Hauptthematik in Opitz Lyrik und auch vielfach im Band “Sekunden vor Augenaufschlag”. Herzschläge der tiefen Empfindung, der Liebe, aber auch der Aufregung und der leisen Verzweiflung – ich glaube, er ist einer der wenigen heutigen Dichter, der so gekonnt und gefühlsecht alle Seiten des Liebens (das starre Lieben, das plötzlich, das tiefe, das tröstliche, das nagende, das unbeschwerte, das veruntreute etc.) darstellen kann und dabei die Konfrontation mit dem letztlich schon sehr oft beschriebenen Thema nicht scheut, mit der Überzeugung, dass jede wahrhaftige, präzise Beschreibung eines Glücks- oder Unglücksmomentes aus diesem Gebiet, zugleich einzigartig und sinnbildlich für das Phänomen in ganzen stehen kann. Zumindest erscheint dieses Buch im Ganzen immer wieder auch eine Art Querschnitt durch die verschiedenen Arten von Liebe zu sein, wie sie sich im Leben des Menschen bewegt, geht, kommt und wie sie sich anfühlen kann, in den verschiedensten Situationen und Stimmungen.

“Doch nichts hilft
[…]
Ja, nicht einmal die Kellnerin, die gerade
Kaffee serviert und mir mit den Augen
ein lächeln zusteckt, mir und dem Japaner
am Tisch nebenan. Ein Lächeln wie aus
dem Gesicht geschnitten, ihrem Gesicht,
der benutzerfreundlichen Oberfläche für
jeden hergelaufenen Blick.”

Nun soll keineswegs der Eindruck entstehen, Opitz schreibe nur Liebesgedichte (auch wenn ich diese oftmals für seine besten halte). Nein, es gibt auch hier kritische, spielerische Gedichte, Naturgedichte, Gedichte über das Schreiben; außerdem ein Kapitel dichter Kurzprosa.

Wer nach visueller, schlichter, naher Poesie sucht, der ist in diesem Band gut aufgehoben und wird sich von dem einen oder anderen Vers mitreißen lassen.

“Allein der Rest von Morgenlicht
heut morgen hätte ein Gedicht
gebraucht und nicht dies
Gebrauchtgedicht, das schon
erschrocken innehält und lauscht,
wenn ein Bikiniträger von
irgendeiner Schulter fällt und
durch die Brandung deiner
Blicke rauscht. Die Hitze tauscht
doch jeden deiner Sätze in
kräftigere Farben um.”