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Der Geschichtenermöglicher


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Bob Dylans 80. Geburtstag ist nun schon eine Weile her und ebenso meine Lektüre dieses Buches (lange fiel es mir schwer dazu etwas zu schreiben; immernoch, wie man wohl sehen wird) mit Geschichten rund um den Sänger mit der quäkigen Stimme und der gewaltigen Fantasie. Den Homer unserer Zeit nennt ihn der Herausgeber Maik Brüggemeyer und noch so einiges anderes, das meiste davon ist allerdings sehr treffend, es ist ein schönes Vorwort, das gerade in seiner Schönheit ein bisschen seinen Schatten auf manche der folgenden Texte wirft.

Denn der Ausbund an Geschichten, der diesem Vorwort dann folgt, ist einerseits beachtlich, andererseits dermaßen wild durcheinandergewürfelt, dass dem Rezensenten schon das Wort “beliebig” auf der Zunge liegt, er sich schon aufs Nörgeln einstellt – aber, halt. Moment.

Denn ist nicht gerade das die einzig richtige und mögliche Form der Huldigung, wenn es um Robert Zimmermann geht: die facettenreiche? Ist der Facettenreichtum nicht auch seine größte Stärke, seine Wandel- und Unberechenbarkeit? Insofern ist die Heterogenität des Bandes gerechtfertigt, vielleicht sogar notwendig.

Trotzdem gibt es natürlich Texte, die herausstechen und andere, die nicht so recht zu überzeugen wissen. Die erste Geschichte von Frank Goosen hat noch eine schlichte, aber wirksame Manier (davon gibt es einige im Buch) und Simple Twist of Fate von Marion Brasch arbeitet gut mit den diffusen Aspekten von Dylans Musik. Aber Tom Kummers Geschichte zu Ballad of a thin man fand ich zum Beispiel reichlich profan, ebenso erschien mir Judith Holofernes Kurzauftritt zu I want you ein bisschen luftleer.

Sehr interessant fand ich dagegen den Text von Stefan Kutzenberger, in dem er, ausgehend von dem Song Let it be me von Dylan, die Geschichte einer Paarbeziehung und gleichsam noch die Geschichte eines übergreifenden Narratives in Hollywoodfilmen, an denen dieses Paar beteiligt ist, erzählt.

Komisch und herrlich ist auch Michael Köhlmeiers Episode über ein Treffen zwischen Dylan und der Schachlegende Bobby Fischer. Und geradezu wundervoll, wie Ilona Hartmann sich einfach vom Topos Dylan löst und trotzdem die Berührungen seiner Musik in ihrer Geschichte mitschwingen lässt.

Auch Stella Sommers Text hat mir gefallen, er ist persönlich und schlägt doch am Ende einen wunderbaren Bogen zu einem der wichtigsten Aspekte von Dylans Anfängen, nämlich dem Einfluss, den Woody Guthrie auf ihn hatte; ich glaube Dylan würde es sehr begrüßen, dass er Erwähnung findet.

Bei manchen Texten ist mir etwas zu viel Selbstdarstellung enthalten (bspw. Knarf Rellöm und Bernadette la Hengst), bei manchen vielleicht auch zu wenig. Einer der wenigen wirklich originellen Texte (was für sich noch nicht unbedingt eine Qualität ist, hier allerdings schon) stammt von Jan Brandt, Darin wird eine alternative Bewegung mit Meinungen von außen, zu ihrer Konzeption und ihren Aktionen, konfrontiert. Ich mag den Text, weil hier auch die Ambivalenz ins Dylans Musik eine Rolle spielt, in eine Geschichte übersetzt wird.

Hat Dylan den Beatles das Kiffen nähergebracht? Hatte er ein geheimes Aufnahmestudio im Süden von Mexiko? Und worum zum Teufel geht es denn nun in “Ballad of a thin man”? Nun, das sind jedenfalls alles gute Geschichten, die von ihm und um ihn, und letztlich geht es bei Dylan ja darum: er erzählt gute Geschichten, die irgendwie alle Rätsel sind und irgendwie alle Parabeln; und gibt auch Anlass zu guten Geschichten, ist, wie Brüggemeyer im Vorwort schrieb, ein Geschichtenermöglicher.

Diese Anthologie zollt dieser Qualität mit ihrer Vielfalt an Texten Respekt und weiß durchaus zu unterhalten, nicht immer, aber oft genug.

Alben, die ich sehr schätze – Erster Eintrag: “Blood on the tracks”


Bob Dylan - Blood on the tracks

Ich habe in meiner Schulzeit zu den Leuten gehört, die viele CDs hatten (und LPs, allerdings nur ein paar wenige) und in dieser Zeit habe ich sie rauf und runter gehört. Es gibt nicht viele Alben, die man mehr als einmal vom Anfang bis zum Ende hören kann. Alben, die (für das eigene Ohr) fast ohne Schwächen sind, die genügend Abwechslung haben oder eine gelungene Sturktur.1 Alben, bei denen es reizvoll ist, sie immer wieder anzuhören; sie sind wie ein Gedicht oder ein Buch, das man immer wieder liest. Eine Galerie von Klängen, die man immer wieder betreten mag.

Beim letzten Durchsehen meiner Sammlung wurde ich mit der Tatsache konfrontiert, dass ich viele CDs eigentlich weggeben könnte, weil die entscheidenden Lieder längst digital gesichert sind und ich die CDs – sei es zum Hören oder einfach als eine Art Schatz, als Münze oder Juwel in meinem Drachenhort – nicht wirklich haben will; dafür sagen sie zu weniger über das aus, was ich bin(/sein will) und mag(/mögen will?).

Also sortierte ich aus, schmiss weg, verschenkte. Einige Alben überlebten diesen Prozess natürlich und irgendwie habe ich das Bedürfnis, diese Alben zu teilen. Wie meine Lieblingsbücher haben sie mich schon eine Weile begleitet und werden mich weiterbegleiten.

Den Anfang macht direkt ein Album, das ich tatsächlich für perfekt halte. Ich habe irgendwo mal gelesen, dass es unter Bob Dylan-Fans einen Streit gibt, welches Album das beste sei und sich ungefähr gleichviele Fürsprecher*innen für „Blonde on Blonde“, „Highway 61 revisited“ und „Blood on the tracks“ finden lassen (während andere sich noch darüber streiten, ob er singen kann). Trotz großer Sympathie für „Blonde on Blonde“ – „Blood on the tracks“ hätte immer meine Stimme.

Bob Dylan hat in Interviews oft gesagt, dass dieses Album ihm aus einer Schaffenskrise geholfen habe – oder besser gesagt: das Resultat einer beendeten Schaffenskrise ist. Ich muss zugeben, dass mich herzlich wenig interessiert, welche Bedeutung dieses Album in seinem Schaffen einnimmt – die besten Kunstwerke überwinden ihre Kontexte vollends oder gehen ganz und gar in ihnen auf und bei „Blood on the tracks“ trifft ersteres zu. Reporter*innen haben sich den Mund fusselig gefragt, ob er in diesem Album die Trennung von seiner Frau verarbeitet habe und noch jede Menge anderes Zeug.

Aber kein Label – egal ob „Trennungsalbum“ oder „Symbol neuer Schaffenskraft“ – vermögen in meinen Augen dieses Album zu definieren, zu vereinnahmen. Es ist unbeugsam, wüst, es ist fabulierend, es ist zärtlich, rotzig, euphorisch, bitter, aberwitzig, blitzgescheit und noch einiges mehr; vor allem aber kann es für sich selbst stehen.

And everyone of them words rang true
And glowed like burnin’ coal
Pourin’ off of every page
Like it was written in my soul
From me to you
Tangled up in blue

Schon beim ersten Lied „Tangled up in blue“, diesem Gedicht auf das Leben – das Abenteuer, in dem jeder von uns ein/e Protagonist*innen ist – ist alles da: die Heftigkeit und Zartheit, die in Begegnungen liegen. Die herantretende Unvermeidlichkeit und wie es nach ihr doch weiter geht, mit einer neuen Kerbe am Bootsrumpf, die sich wie ein Leck anfühlt.

„Tangled up in blue“ ist ein wunderbarer Startschuss. Der Song fächert auf, worum es in dem Album noch gehen wird, nimmt aber nicht zu viel vorweg; springt von einer Strophe in die nächste, während einem beim Zuhören das Gefühl beschleicht, es gehe Großes, Wichtigeres vor sich, das einem das Lied gleichsam offeriert und entzieht.

Am Ende steht man bei diesem Auftakt wieder vor dem nichts, obwohl so viel aufgefächert wurde. Wie ein Teaser, der die besten Momente des Films einfängt, ist „Tangled up in blue“ ein Portrait des ganzen Albums – und sein Spiegel.

People tell me it’s a sin
To know and feel too much within
I still believe she was my twin
But I lost the ring
She was born in spring
But I was born too late
Blame it on a simple twist of fate

Musik kann auf viele Arten mitreißend sein: Weil sie einen zum Tanzen animiert. Zum Mitsingen. Weil sie eine Lebensweise ausdrückt, eine Haltung, eine Meinung. Weil sie ausgeklügelt ist, ein Ohrenschmaus für Kenner. Oder weil die Melodien mit den Worten zusammen ein Netz weben, in dem, gezogen durch einen riesigen Ozean, sich plötzlich dein Herz befindet, schlagend, zappelnd.

Der zweite Track „Simple twist of fate“ ist so ein Netz für mich. Eine Art Soft-Blues, nicht zu eingängig, nicht zu beschwingt, mit viel Lakonie gewürzt – wenn er ein Gericht wäre, wäre er angenehm scharf. Keine Bitterkeit weit und breit und diese Abwesenheit von Bitterkeit ist beeindruckend, weil doch in diesem Lied alles nur auseinanderbricht. Doch kein Widerstand, nur Abfinden.

Dabei spricht so viel Kleines darin für sich, der Song liest es auf, wie von den Bäumen gefallene Blätter, die sagen: es war Zeit. Das muss akzeptiert werden, dass es Zeit war (oder nicht die Zeit war). Aber über Jahre hinweg bleibt dieser Stich: war es ein simple twist of fate, war es NUR ein simple twist of fate? Solche Gedanken fängt das Lied ein, webt sie in das dünne Leinen, unter dem es sich hin- und herzwälzt. Sanft, bedächtig, geradezu beschaulich, erzählt Dylan die allertraurigste Geschichte: Über das „es hat nicht sollen sein“, in dem sich spiegelt „ich wüsste zu gern, ich hätte gern, ich hab dich gern.“

Time is a jet plane, it moves too fast
Oh, but what a shame if all we’ve shared can’t last
I can change, I swear, oh
See what you can do
I can make it through
You can make it too

“You’re a big girl know” ist eine Zwischenstufe, bedächtig auch, noch nicht wirklich bitter, aber zuckend hier und da, sich zusammenreißend, ins Langen und ins Appellieren driftend, gefangen zwischen Klimpern und vielem, das in der Stimme anschwillt, aus den Worten tropft. Ein Lied, das nicht loslassen will (und für einen Dylan-Song auch ungewöhnlich lange nach dem Ende des Textes noch weiterläuft.)

Gäbe es ein Lied, das man einer Person, mit der man Ähnliches wie in „Simple twist of fate“ erlebt hat, hinterher- oder zuschicken würde, so wäre es wohl dieses. Es ist ein Epilog zum vorangegangenen Track und im Prinzip ein Prolog zu „Idiot wind“. Die Reihenfolge folgt dem Muster jeder unerwünschten Trennung: Zuerst will man nicht weg, dann will man zurück, und wenn man merkt, dass man nicht zurück kann, will man nur noch weiter, will der Vergangenheit, die einen nicht mehr aufnimmt, möglichst demonstrativ den Rücken kehren.

„You’re a big girl now“ ist das Mauerblümchen des Albums und trotzdem ein großartiges Lied, in all seiner Schlichtheit. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie es Dylan in diesem Album gelingt, für jeden seiner Songs den richtigen Umfang, die richtige Art des Kreisens um ein Thema zu finden. Fast scheint es, als würde dieser Song, der weniger ambitioniert und konzipiert daherkommt als „Simple twist of fate“ und „Idiot wind“, weniger geschlossen, ins Banale ragen, zu sehr verankert sein in einer bestimmten Emotion. Aber gerade diese verwaschene Schmalheit macht dieses Lied schön. Es nimmt sich die Freiheit, zwischen den Stühlen zu singen.

I ran into the fortune-teller
Who said beware of lightning that might strike
I haven’t known peace and quiet
For so long I can’t remember what it’s like
There’s a lone soldier on the cross
Smoke pourin’ out of a boxcar door
You didn’t know it, you didn’t think it could be done
In the final end he won the wars
After losin’ every battle

I woke up on the roadside
Daydreamin’ ’bout the way things sometimes are
Visions of your chestnut mare
Shoot through my head and are makin’ me see stars
You hurt the ones that I love best
And cover up the truth with lies
One day you’ll be in the ditch
Flies buzzin’ around your eyes
Blood on your saddle

Es gibt viele bittere Lieder, viele von ihnen sind gleichzeitig auch melancholisch, andere schrill. „Idiot Wind“ ist nicht melancholisch und nicht wirklich schrill. Es ist eine Ballade reiner Bitterkeit, musikalisch großartig arrangiert und von einer Stimme getragen, die sich die Seele aus dem Leib zu singen scheint, weil sie sonst anfangen müsste zu brüllen. Das Lied lädt seine Bitterkeit aber nicht einfach ab, sondern schneidet mit ihr, zerreißt, schmeißt sie. Es ist Befreiung und Verurteilung, torture und cure in einem.

Schlicht eine Wucht. Ein Song, bei dem das Wort „großartig“ auf jeder Ebene zutrifft. Mitreißend. Und am Ende, in genau dem richtigen Moment, einsichtig, wenn man es gar nicht mehr erwartet.

Was kann auf so eine bittere, tosende Stafette folgen?

I’ve seen love go by my door
It’s never been this close before
Never been so easy or so slow.
Been shooting in the dark too long
When somethin’s not right it’s wrong
Yer gonna make me lonesome when you go.
[…]
Situations have ended sad,
Relationships have all been bad.
Mine’ve been like Verlaine’s and Rimbaud.
But there’s no way I can compare
All those scenes to this affair,
Yer gonna make me lonesome when you go.

Mundharmonika und sanfte Fröhlichkeit. Der Wind hat sich gedreht, Ring frei für eines der schönsten Liebeslieder überhaupt. Ein Text voller einfachster, funkelnder Sätze und ein Refrain, der ein schlichtes Bekenntnis ist, leichter als Luft, und doch so schwer, wie einem das Herz werden kann: „You’re gonna make me lonesome when you go“.

Ein Satz, der ein Ruf ist, eine Narbe, ein Nagel, ein Winken, eine Inschrift, ein Fluch. Was da alles drinsteckt, wie viele Emotionen dieser einzelne Satz (und erst das ganze Lied) transportiert: Einsamkeit, Zuneigung, Angst, Hoffnung, Melancholie, Dankbarkeit, etc.

Und das alles haut uns Dylan mit einem beschwingten Lied von unter drei Minuten um die Ohren, tänzelnd auf einem dünnen Seil, auf sechs dünnen Saiten, süßlich, ohne ein Spur von Klebrigkeit. Kurzweilig, wie etwas Unverhofftes, begegnet uns dieses Lied. Auf gewisse Weise ist es das Schönste des ganzen Albums.

Look at the sun
Sinkin’ like a ship
Look at the sun
Sinkin’ like a ship
Ain’t that just like my heart, babe
When you kissed my lips?

Wenn das Album ein Schulhof wäre, dann wäre “Meet me in the morning” der Typ, der auf cool macht, cool rüberkommt, aber eigentlich gar nicht so cool ist. Ich mag die Lässigkeit dieses Stücks und auch die Seltsamkeit des Textes, den leichten Aberwitz. Trotzdem ist diese dubiose Hymne sicher der schwächste Song. Er zwinkert einem zu, sieht gut aus, aber man hat nicht das Gefühl, dass da wirklich „blood on the track“ ist.

Trotzdem – wenn „Meet me in the morning“ nicht da wäre, würde es fehlen. Es ist die staubige Straßenkreuzung, der Moment im Nirgendwo, den das Album braucht. Etwas Übliches, unverfängliches. „Meet me in the morning“ verschafft den Zuhörer*innen eine kurze Pause und liefert außerdem ein ordentliches Pausenprogramm. Man kann sich anschauen, was war und sich auf das freuen, was noch kommt, während man nebenbei der Lässigkeit des Stückes lauscht.

Backstage the girls were playin’ five-card stud by the stairs
Lily had two queens, she was hopin’ for a third to match her pair
Outside the streets were fillin’ up, the window was open wide
A gentle breeze was blowin’, you could feel it from inside
Lily called another bet and drew up the Jack of Hearts

Das längste Stück, platziert an siebter Stelle: “Lily, Rosemary and the jack of hearts”. Eine rasante Ballade, ein Narren- und Schurkenstück, eine Wild-West-Erzählung mit viel Couleur. Fast beiläufig beginnt es, steigert sich mit jeder Strophe, unbarmherzig und fabulierend, in der Intensität, in welcher viele kleine Pointen und Wendungen funkeln.

Der „jack of hearts“ ist einerseits der Herzbube im herkömmlichen Kartenspiel, andererseits auch der gutaussehende Verführer, der gerissene, sympathische, aber skrupellose Jüngling (und, btw: eine Marvelfigur).

Obwohl es nicht mein liebstes Stück ist, habe ich es öfter gehört als alle anderen (außer vielleicht „Tangled up in blue“). Es lässt einem kaum Zeit zum Luftholen und am Anfang hörte ich es vor allem deshalb mal um mal, um den Text Stück für Stück nachzuvollziehen, herauszuhören. Auch heute entdecke ich noch neue Kleinigkeiten oder erfreue mich an alten Lieblingsstellen.

We had a falling-out
Like lovers often will
And to think of how she left that night
It still brings me a chill
And though our separation
It pierced me to the heart
She still lives inside of me
We’ve never been apart
[…]
If she’s passin’ back this way
I’m not that hard to find
Tell her she can look me up
If she’s got the time

Manchmal werden Menschen unerreichbar für uns. Gäbe es nur jemanden, der ihnen Hallo von uns sagen könnte oder: Wie geht es dir? fragen könnte. Vielleicht sogar ein „Vermisst du mich?“ überbringen könnte, ganz unproblematisch. „If you see her, say hello“ ist ein Lied des Haderns, schafft es aber, dieses Hadern von seiner liebevollsten Seite zu präsentieren, auch wenn der ganze Umfang seiner Problematik durchscheint. Es steht an der Schwelle zum Verzagen, blickt aber fast die ganze Zeit über die Schulter.

Die Stimme versucht stark zu sein, fliegt sich aber selbst davon. Es ist das haltloseste Stück des Albums. Mit Gitarrenklängen, die klingen, als würde jemand mit baren Händen etwas ausgraben, während die Stimme versucht ruhig zu bleiben, unverfänglich, sich nicht zu verhaken in den Nachfragen, der verlassenen Hoffnung, in der sie immer noch steht, ohne zu warten, ohne zu wissen warum, aber noch nicht bereit, wegzugehen.

I’ve heard newborn babies wailin’ like a mournin’ dove
And old men with broken teeth stranded without love
Do I understand your question, man, is it hopeless and forlorn
Come in, she said
I’ll give ya shelter from the storm

Popsongs are cheesy or corny. Eine solche Bemerkung fegt “Shelter from the storm” einfach vom Tisch. Ich bin verliebt in dieses Lied (in die Studio-Version und die Live-Version vom Album „Hard Rain“ gleichermaßen), seinen zärtlich-lapidaren Stil, seine Fülle, seine Offenheit. Wäre der Song eine Person, ich würde sie wunderschön finden – nicht im begehrlichen Sinne, sondern unverfänglich – ihre Art, ihre Ausstrahlung. Gut, diese Liebeserklärung ist jetzt schon etwas corny.

Um es noch schlimmer, aber auch eindeutiger zu machen: In einem Gedicht von W. H. Auden heißt es: „life remains a blessing/although you cannot bless“. Ich kann und will sagen: This song blessed me and blesses me.

Mehr kann ich auch gar nicht sagen. Hört ihn euch an. Lasst euch einspinnen. Lasst euch wiegen von diesem Lied, in dem Grausamkeit und Seligkeit, Heimatlosigkeit und tiefe Zuneigung vorbeiziehen wie Autos auf einer Straße vor der Tür, unterlegt vom Klang einer Gitarre, die sagt: „Es wird nicht alles gut, aber es wird alles und geht wieder vorbei.“ Und: “Lass zu, was dich liebt.”

Buckets of rain
Buckets of tears
Got all them buckets comin’ out of my ears
Buckets of moonbeams in my hand
You got all the love
Honey baby, I can stand

I’ve been meek
And hard like an oak
I’ve seen pretty people disappear like smoke
Friends will arrive, friends will disappear
If you want me
Honey baby, I’ll be here

Nachdem am Ende von “Shelter from the storm”, in den letzten Tönen, die Hand von der Gitarre abzurutschen scheint, könnte das Album eigentlich zu Ende sein. Es ist doch alles gesagt, geschrien, geflüstert, gebeichtet. Aber nein.

Die Gitarre setzt noch mal ein. Sehr bestimmt, mit einem Hauch Verspieltem. Und direkt das erste Bild wirft seinen Schatten über das ganze Lied: Eimer voller Regen, die eigentlich Eimer voller Tränen sind. Tränen, die einem „zu den Ohren wieder rauskommen“.

„Buckets of rain“ summiert noch einmal die vielen Emotionen des Albums in wenigen, fastschon kargen Strophen. Bitterkeit, Verlassenheit, Zuneigung und Hoffnung dämmern in den Versen, die wie Wassertropfen von den Saiten der Gitarre perlen. Unfertig wirkt der Song, verstreut alle Erkenntnisse des Albums, anstatt sie zu bündeln.

Ich denke, dass das meine ganz persönliche, nicht im Text oder in der Musik zu verortende Phantasie ist – aber sobald das Lied beginnt, sehe ich eine Person, die Eimer eine Treppe hinauf oder eine Straße entlang trägt. Über den Rand schwappen die Tränen, laufen herunter. Er trägt diese Eimer überall mit sich herum, alle anderen tragen auch welche mit sich herum, aber niemand kann die Eimer der anderen sehen. Nur wenn sie übervoll sind oder etwas über den Rand schwappt, sieht man die Tropfen, die über die Wangen gleiten.

Schön, traurig, meditativ. Der letzte Track bleibt hinter den meisten anderen zurück, macht nicht viel her. Aber mit seiner rustikalen Art bleibt er einem fast am längsten in Erinnerung. Sein Klang erstreckt sich auf die nächsten Stunden, wie ein Zauber. Eine Tür die ins Schloss fällt. Ein würdiger Schluss.

Das wenige, was ich zu den erstaunlichen Gedichten von Dylan Thomas sagen kann


“Never to reach the oblivious dark
And not to know
Any man’s troubles nor your own -”

Dylan Thomas, Poet und Trinker, Leisetreter und Furorebrecher – bis heute einer jener wenigen Dichter, die mit ihrer Poesie weit über das übliche Maß hinaus eine Kerbe in die Welt schlagen konnten, zumindest in der englischsprachigen Welt. Er ist ein Meister der gegensätzlichen und doch vereinenden Bilder und Wendungen, ein Beeindrucker der Worte, ein Waghalsiger, der so langsam und kraftvoll waghalsig ist, dass man das Wort ganz neu im Kopf herumwälzt; es gibt keinen Dichter wie ihn, vielleicht ist es sogar legitim zu sagen, er sei der größte Dichter, den die englische Sprache je gehabt hat – zumindest wenn Dichten als eine ganz und gar schöpferische Tätigkeit verstanden wird, als das Einschwemmen von Sprache in die tiefsten Lücken zwischen den Bedeutungsflächen, wo Ausformung und Inhalt noch erstaunlich und erstmalig sind. Hier ist er nah dran, Shakespeare ebenwürdig zu sein.

“The carved mouths in the rock are wind swept strings.
[…]
For love, the long ago she bird rises. Look.
[…]
Children of Darkness got no wings
This we know we got no wings,
Stay, dramatic figures, tethered down
By weight of cloth and fact,
Crystal or funeral, got no hope
For us that knows misventure
Only as wrong;”

Ihn zu übersetzten ist eine Kunst oder eine Unmöglichkeit – und beides gleicht sich in diesem Fall. Und auch wenn der Band „Windabgeworfenes Licht“ zweisprachig ist, wird man als deutschsprachiger Leser wohl dazu verführt eher und zuerst die deutsche Fassung zu lesen. Doch, wenn man kann, wenn es irgendgeht, ist davon abzuraten. Nicht weil die deutschen Übertragungen wirklich “schlecht” sind oder abweichend, sondern weil sie nicht fassen und finden, was jede Zeile von Thomas findet, diesen verstürmten, sich einschneidenden Gang, dieses Erkennen der einzelnen Bilder, Worte, als eine Stimme formende Gestalt, Gestalt formende Stimme.

“Upon your held-out hand
Count the endless days until they end,
Feel, as the pulse grows tired,
The angels’ wings beating about your head
Unsounding, they beat so soft.”

1 Stunde, zwei Zeilen. So war Dylan Thomas Arbeitsrhythmus, wenn er ein neues Gedicht schrieb; nur selten ging es schneller. Diese Arbeitsweise spürt man aber auch fast in jeder Zeile – sie steht für sich und ist doch im großen Ganzen nur ein kleines, wenn auch wichtiges Indiz für die Strömung, die Robustheit seiner Natur. Verlieben kann man sich in die Worte dieses Mannes, der in seinem Leben, so sagt die Legende, kein einziges Buch gelesen haben soll, außer der Bibel …

Ist er ein schöner Dichter, ein hoffnungsreicher, ein verneinender, ein religiöser, ein offenbarender, ein verschließender… eigentlich geht er weit über diese Kategorien hinaus, was wiederum an Shakespeare denken lässt. Sagen, was gesagt, und was unmöglich keine Zeichen hinterlassen kann, ist seine Dichtung, sein Inhalt, sein oft verspiegelter Hochglanz, darin er wunderbare Lichtschatten zu werfen versteht. Seine Metaphoriken eröffnen Wege zu Instrumenten in uns, auf denen wir noch nie gespielt haben; Gedanken werden gewürfelt und in Stimmungen und Mythen geworfen, um auf kräftiger Sprachflamme zu kochen.
Thomas war kein großer Intellektueller, aber er war ein Schaffer jenseits aller gesteckten Gedankenfähnchen und Prämissen. Er war das lebendige, suchende Wort, das reift und schwer fällt wie ein Apfel.

“Warum die Seide weich ist und der Stein verletzt
Fragt sich das Kind solang es lebt…
[…]
Lift up your head, let
comfort come through the devil’s clouds,
The Nightmare’s mist
Suspended from the devil’s precipice,
Let comfort come slowley, lift
Up your hand to stroke the light,
Its honeyed cheek, soft-talking mouth,
Lift up the blinds over the blind eyes.”

Jedoch, man darf nicht verhehlen, dass er kein besonders einfacher Dichter ist, zumindest augenscheinlich. Seine oft abstrakten Allegorien und Anspielungen (in seinen späteren Gedichten) können einen fast transzendental erblinden lassen; seine Reimschemas lassen einen langsam werden. Aber genau das muss man bei Thomas: langsam werden – und mit dem Takt der Gedichte „werden“. Man muss das Gedicht sein. Die Stimme, die es herspricht. Man muss sich darüber klar sein, dass sich Thomas allmählich von der Sprache entfernt und auf die Dinge zugeht.

“Und das ist wahr: Kein Mensch lebt,
Der nicht Gott in einem tiefen Grab verscharrt
Und dann wiederauferstehen lässt als Skelett,
Kein Mensch, der nicht zerbricht und schafft,
Der in den Gebeinen keinen neuen Glauben findet,
Kein Fleisch den Rippen um den Hals verleiht,
Der nicht zerbricht und seine letzte Ruheb findet.”

Vielleicht ist er der größte, kryptischste und schönste Dichter der Welt. Auf jeden Fall hat er eines der reichsten, poetischsten Werke geschaffen. Manche Gedichte sind fast so schön, dass sie undenkbar sind, nur lesbar; und bei manchen ist es leider wohl auch umgekehrt.
Man lese Dylan Thomas, höre nicht auf Zweifler oder auf ihn selbst, wenn er über seine Zeilen sagt: “Dies sind nur Träumende. Atem verweht sie” und gebe nicht auf, wenn man seine Zeilen abgeht, ohne etwas zu sehen, denn irgendwann liest man Zeilen wie “der Schlaf befährt der Zeit Gezeiten” oder sieht sich plötzlich “unter dem tanzenden Huf des Blätterdachs”…

Und am Ende ist es bei Thomas immer, als ob “ein Feuerwind die Kerze löscht” – ein wunderbares Gefühl.

“We have the fairy tales by heart
[…]
Wenn Logik stirbt,
Tritt das Geheimnis der Erde durch das Auge,
Und Blut pulsiert in der Sonne.”