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Eine herausragende Lyrik-Anthologie


Natur! Natur, die viel besungene, die schützenswerte, die romantisierte, die arrangierte, die psychologisierte, die fragmentierte, die marginalisierte, die ausgebeutete. Idylle, Trieb, Zerstörung, Heimat, Ressourcen, Frieden, Leben, Erholung, Wildnis, etc. – kaum ein Begriff ist mit so vielen Assoziationen und Ideen verbunden, geradezu verstellt von ihnen, wie die Natur. Und es gibt ja nicht mal „die“ Natur. Es gibt die Natur des Kosmos, es gibt den Flecken grün oder Wald nah bei der Haustür, es gibt die Gebiete hinter den Rändern der Stadt, jenseits des Urbanen, und der Begriff Natur kann auch als Eigenschafts-, als Wesenswort dienen (Bsp.: Die Natur des Menschen).

Naturlyrik war eine Zeit lang ein bisschen aus der Mode (nicht bei allen Schreibenden in allen Sprachen und Ländern wohlgemerkt), was sich mit dem Auftreten der Anthropozän-Debatte (siehe auch: „all dies hier, Majestät, ist deins“, eine Lyrikanthologie bei Kookbooks, die Gedichtbände „Ouisa“ von Verena Stauffer und die neusten Gedichtbände von Daniel Falb, sowie das Buch „Anthropozän: Dichtung in der Gegenwartsgeologie“ beim Verlagshaus Berlin) und der Eco-Poetry durchaus geändert hat.

Die Anthologie von John Burnside verlässt sich allerdings im hohen Maße auf Klassiker und arrivierte (wenngleich in Deutschland teilweise unbekannte) Autor*innen und schöpft eher wenig aus diesen neusten Bewegungen. Es ist in Folge dessen auch, trotz des gegenwartsbezüglichen und exzellenten Vorwortes von Burnside, eine Anthologie, die den Begriff Natur eher facettenreich umkreist, statt ihn in Kontexte einzusetzen und über dieses zu definieren.

Das ist aber weniger ein Versäumnis, sondern vielmehr eine gelungene Verlagerung. Wie der Titel es schon andeutet: hier soll es primär um die Natur gehen, wie sie erfahren, erlebt wird, nicht um ihre kontextuelle Verortung; kein Teilzug ihres Wesens soll ausgelassen werden, weil er nicht in derzeitige Debatten passt.

Die Autor*innen reichen von Homer bis zu Nick Lantz und Burnside hat viele prominente Namen aus vielen Weltgegenden untergebracht, in fünfzig Fällen Erstübersetzungen und Erstveröffentlichungen. Als deutschsprachiger Lyrikleser fehlen mir „natürlich“ einige Namen, von Sabine Scho über Daniel Falb und Marion Poschmann bis zu Jürgen Brôcan (etc.). Aber auch bei den Klassikern fehlen mir Autor*innen wie Robert Frost oder Inger Christensen, oder, aus der Gegenwart, Jen Hadfield.

Aber an Anthologie-Auswahlen gibt es immer etwas zu kritteln und das, was da ist, spricht für sich. Ja, „Natur!“ ragt aus dem Feld der Themen-Lyrikanthologien heraus und sollte in keinem Bücherschrank fehlen, denn es versammelt nicht einfach populäre, immer wieder gedruckte Texte, sondern eine sorgsam getroffene Auswahl, die nahezu alle Aspekt der Naturerfahrung, auf vielerlei Arten und Weisen, illuminiert. Sehr empfehlenswert!